Gabriel Berger fährt für ein Wochenende nach Italien, um sein Ferienhaus am Gardasee zu verkaufen, das er seit anderthalb Jahren nicht mehr betreten hat. Er ist Anfang fünfzig und will Abschied nehmen, wie er sagt, begegnet dabei aber der Studentin Nella, die ihn an seine einstige Liebe Ana erinnert. Die beiden verbringen den Tag gemeinsam am See, und Gabriel sieht sich in seine Vergangenheit zurückversetzt, während Nella sich von dem aus der Zeit gefallenen Mann angezogen fühlt. Am nächsten Morgen entdeckt er nach dem Erwachen eine unbekannte Frau in seinem Hotelzimmer. Sie ist aufgewühlt und in Sorge, weil ihr Mann seit Tagen verschwunden ist. Fasziniert von der rätselhaften Frau begibt sich Gabriel mit ihr auf die Suche. Die Spur führt zu einem schrecklichen Ereignis, das sich anderthalb Jahre zuvor ereignet hat - und zu Gabriels Haus am See. Das Haus in Limone ist ein literarisches Vexierspiel um Mann und Frau, in dem nichts ist, wie es zu sein scheint, eine labyrinthische Reise ins Herz eines Mannes - und ein Abgesang auf das Erbe von '68.
Perlentaucher-Notiz zur Dlf Kultur-Rezension
Rezensentin Olga Hochweis lässt sich zunächst gern auf das "spannungsreiche Verwirrspiel" ein, dass Akos Doma in diesem Roman entwirft. Held Gabriel Berger reist an den Gardasee, um dort sein Haus zu verkaufen, was ihn an seine verschwundene Frau erinnert, wobei er auf Liliana trifft, die ihren ebenfalls verschwundenen Mann sucht, erfahren wir. Dabei erzählt Doma immer abwechselnd von beiden Figuren und verschiedenen Orten, bis er ihre Handlungsstränge zusammenlaufen lässt, andere Figuren kommen hinzu, resümiert Hochweis. Sich häufende Klischees allerdings die Lektüre, moniert Hochweis: Frauen, besonders aus Osteuropa, haben immer jung zu sein, und ein Interesse an "alten rückwärtsgewandten Besserwissern" zu haben, die Kunst war früher vollkommener und generell war alles besser. Dies macht es nicht leicht, die Hauptfigur ernstzunehmen, schließt die Kritikerin.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.05.2024Zivilisationskritik und Liebesnot
Akos Doma erzählt in seinem neuen Roman „Das Haus in Limone“ ein Verwirrspiel zwischen
Männern und Frauen. Seine Hauptfigur sieht den Westen von Übel befallen.
Als Gabriel Berger am Sonntagmorgen erwacht, sitzt die Frau in seinem Hotelzimmer am Fuße seines Bettes. Er kennt sie nicht. Sie sucht ihren Mann, sagt sie. Liliána Fahm heißt sie, seit 26 Jahren verheiratet mit einem Professor in München. Im Fenster hinter ihr „die ganze dunkle Masse des Monte Baldo“.
Zeitsprung rückwärts: Am Samstagmorgen ist Ich-Erzähler Berger auf der Halbinsel Punta San Vigilio, die ihn mit ihren Zypressen an Böcklins Gemälde „Toteninsel“ erinnert. Ganz offensichtlich lebt Berger, der an den Gardasee gefahren ist, um ein Haus zu verkaufen und wohl alte Erinnerungen abzustoßen, im Bereich gepflegter Bildungsbürgerlichkeit. Im Wasser des Gardasees sieht er eine Schwimmerin, deren Gesicht ihm bekannt vorkommt. Ana? Sie verschwindet aus seinem Blickfeld. Frauen, sie scheinen in Akos Domas Roman „Das Haus in Limone“ auf als Schimären, deren Wahrheitsgehalt zwischen Sehnsuchts- und Trugbild erst einmal im Ungefähren bleibt.
Doma, der in Ungarn aufwuchs, als Jugendlicher nach Deutschland kam und heute in Eichstätt lebt, legt hier seinen vierten Roman vor. „Das Haus in Limone“ schafft in den ersten Kapiteln eine eigenartig faszinierende Atmosphäre der Orientierungslosigkeit. Wie überbelichtete Bilder wirken die Szenen, in denen einige Details nicht sichtbar scheinen. Nicht nur die Begegnungen der Figuren sind merkwürdig verschoben, auch mit diesem Berger stimmt etwas nicht. Auf der Fähre, die ablegt von Malcesine, spricht er die junge Frau aus dem Wasser, Nella, dann an. In die leichte Sommerfantasie schleicht sich die Ahnung, einen alternden Schwerenöter zu beobachten, der jungen Dingern hinterhersteigt.
Zurück im Handlungsstrang der Dame im Hotelzimmer: Berger begleitet Liliána auf der Suche nach ihrem Mann zu einem Haus, in dem das Ehepaar wohl einige Urlaube verbracht hat. Hier wird sie ihm Familiengeschichten erzählen. Wird in ihre Erinnerung hinabsteigen zu ihrem Sohn Sebastian, der sein Schicksal traf. In der Slowakei. Nahe der Burg Spišský hrad. Eigentlich war er ja zusammen mit Nora. Doch dann traf er sie: dichtes Haar, grober Rock, dicke schwarze Strümpfe. Ein Korb mit Steinpilzen vervollkommnet ein biedermeierliches Bild bäuerlicher Ursprünglichkeit. Und alles wird anders. Mit Asja betrat Sohn Sebastian einen Raum der Selbstverständlichkeit, der Natürlichkeit, wohl auch der Natur. Er folgte ihr in ihr Dorf, bis zu ihrem Holztor. Und wie Doma das Liliána beschreiben lässt, darf man dahinter das Paradies ahnen.
„Das Haus in Limone“ ist allerdings mehr als sonnendurchglühte Erinnerung hinter der sich die kalten biografischen Keller der Protagonisten verbergen. Denn Gabriel Berger, der hier durch Frauengeschichten und ihre Fallstricke stolpert und von der Nouvelle Vague träumt, hat eigenwillige Ansichten. Die westliche Zivilisation sieht er von Übel befallen. Dessen Wurzel verortet er Ende der Sechzigerjahre.
In einer Art Traumsequenz deliriert er: „Die Befreiung der Sinnlichkeit, der Natürlichkeit kippte, mündete in das schmutzige Geschäft von Sex und Pornografie.“ Aha. Munter schwadronierend verbreitet sich Berger weiter: „Aus dem Untergrund der großen Städte begann sich ein Kult des Hässlichen und Kranken auszubreiten, Filme voller Sadismus und Perversion, Rock und Punk und Heavy Metal und das alles, und je abartiger es wurde, desto mehr feierte man es. Es war eine Art Todeskult, etwas Satanisches, und es hat bis heute nicht aufgehört. Die Kultur verkam und damit auch die Menschen.“
Großväterlicher Ignoranz trifft in dieser Romanfigur auf pseudoanalytisches Gehabe, vor dem wohl die meisten jungen Frauen Reißaus nehmen würden. So gesehen, erscheint eine Figur wie die bäuerlich reine Asja in anderem Licht. Fast scheint es, als solle sie als Erlösungshoffnung in Domas Buch leuchten. Und auch Liliánas Literaturprofessor Alexander rührte in neokonservativen Verschwörungssuppen. Und wollte eine Aufklärungsschrift verfassen, die endlich den einfachen Wahrheiten wieder zu ihrem Recht verhilft, ein Buch über „Biophobie“, erinnert sich Liliána, „unseren permanenten Krieg gegen die Natur, die Fortpflanzung, die Liebe zwischen Mann und Frau, das Leben selbst, gegen alles, was wir sind ...“ Wenn das mal nicht ganz ähnlich klingt, wie die großen schlichten Phrasen, die in illiberalen Kreisen gerne gegen die angebliche westliche Verkommenheit aufgefahren werden. Und, nur der Vollständigkeit halber: „Die Intimrasur ist die Genitalverstümmelung der Aufgeklärten“, verkündet der wissende Berger der jungen Nella, wie sie da am Strand des Gardasees liegen. Auweia.
Ein ums andere Mal ist man gottfroh, dass in der Kunstform des Romans erst einmal nur literarische Figuren Geistesquark ventilieren und kein Autor essayistisch spricht. Höhepunkt der Selbstdemontage des Gabriel Berger ist der Besuch auf einer Party mit Nella, wo er dann auch noch eine ihm nicht unbekannte Lucia trifft, die findet, dass ihr Leben verpfuscht ist, weil sie kein Kind bekam. Hier erlebt man Berger in der vollen Pracht seiner Weinerlichkeit, die doch nichts ausrichten kann, gegen eine Welt, die es ihm schwermacht.
Es lohnt allerdings, durch- und diesen Unsympathen auszuhalten. Denn tatsächlich hat Akos Doma noch erzählerische Kniffe in der Hinterhand, die das Gefühl einlösen, das die ersten Kapitel des Romans so fein vorbereitet haben. Eine Ungeheuerlichkeit ballt sich gewittrig am Himmel über dem See, die entschädigt für Momente der Ratlosigkeit mit den Ansichten der Figuren. Dieser Berger, er hat ein Geheimnis, und der so ziellos scheinende Tanz der Figuren findet am Ende des Romans doch zu seiner ganz eigenen, grausamen Logik.
CHRISTIAN JOOSS-BERNAU
Akos Doma: Das Haus in Limone, Jung und Jung, 304 Seiten, 24 Euro
Manches erinnert da
an die Phrasen, die man in
illiberalen Kreisen hört
Der Autor Akos Doma kam als Jugendlicher nach Deutschland und lebt heute in Eichstätt.
Foto: Otto Kaiser
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Akos Doma erzählt in seinem neuen Roman „Das Haus in Limone“ ein Verwirrspiel zwischen
Männern und Frauen. Seine Hauptfigur sieht den Westen von Übel befallen.
Als Gabriel Berger am Sonntagmorgen erwacht, sitzt die Frau in seinem Hotelzimmer am Fuße seines Bettes. Er kennt sie nicht. Sie sucht ihren Mann, sagt sie. Liliána Fahm heißt sie, seit 26 Jahren verheiratet mit einem Professor in München. Im Fenster hinter ihr „die ganze dunkle Masse des Monte Baldo“.
Zeitsprung rückwärts: Am Samstagmorgen ist Ich-Erzähler Berger auf der Halbinsel Punta San Vigilio, die ihn mit ihren Zypressen an Böcklins Gemälde „Toteninsel“ erinnert. Ganz offensichtlich lebt Berger, der an den Gardasee gefahren ist, um ein Haus zu verkaufen und wohl alte Erinnerungen abzustoßen, im Bereich gepflegter Bildungsbürgerlichkeit. Im Wasser des Gardasees sieht er eine Schwimmerin, deren Gesicht ihm bekannt vorkommt. Ana? Sie verschwindet aus seinem Blickfeld. Frauen, sie scheinen in Akos Domas Roman „Das Haus in Limone“ auf als Schimären, deren Wahrheitsgehalt zwischen Sehnsuchts- und Trugbild erst einmal im Ungefähren bleibt.
Doma, der in Ungarn aufwuchs, als Jugendlicher nach Deutschland kam und heute in Eichstätt lebt, legt hier seinen vierten Roman vor. „Das Haus in Limone“ schafft in den ersten Kapiteln eine eigenartig faszinierende Atmosphäre der Orientierungslosigkeit. Wie überbelichtete Bilder wirken die Szenen, in denen einige Details nicht sichtbar scheinen. Nicht nur die Begegnungen der Figuren sind merkwürdig verschoben, auch mit diesem Berger stimmt etwas nicht. Auf der Fähre, die ablegt von Malcesine, spricht er die junge Frau aus dem Wasser, Nella, dann an. In die leichte Sommerfantasie schleicht sich die Ahnung, einen alternden Schwerenöter zu beobachten, der jungen Dingern hinterhersteigt.
Zurück im Handlungsstrang der Dame im Hotelzimmer: Berger begleitet Liliána auf der Suche nach ihrem Mann zu einem Haus, in dem das Ehepaar wohl einige Urlaube verbracht hat. Hier wird sie ihm Familiengeschichten erzählen. Wird in ihre Erinnerung hinabsteigen zu ihrem Sohn Sebastian, der sein Schicksal traf. In der Slowakei. Nahe der Burg Spišský hrad. Eigentlich war er ja zusammen mit Nora. Doch dann traf er sie: dichtes Haar, grober Rock, dicke schwarze Strümpfe. Ein Korb mit Steinpilzen vervollkommnet ein biedermeierliches Bild bäuerlicher Ursprünglichkeit. Und alles wird anders. Mit Asja betrat Sohn Sebastian einen Raum der Selbstverständlichkeit, der Natürlichkeit, wohl auch der Natur. Er folgte ihr in ihr Dorf, bis zu ihrem Holztor. Und wie Doma das Liliána beschreiben lässt, darf man dahinter das Paradies ahnen.
„Das Haus in Limone“ ist allerdings mehr als sonnendurchglühte Erinnerung hinter der sich die kalten biografischen Keller der Protagonisten verbergen. Denn Gabriel Berger, der hier durch Frauengeschichten und ihre Fallstricke stolpert und von der Nouvelle Vague träumt, hat eigenwillige Ansichten. Die westliche Zivilisation sieht er von Übel befallen. Dessen Wurzel verortet er Ende der Sechzigerjahre.
In einer Art Traumsequenz deliriert er: „Die Befreiung der Sinnlichkeit, der Natürlichkeit kippte, mündete in das schmutzige Geschäft von Sex und Pornografie.“ Aha. Munter schwadronierend verbreitet sich Berger weiter: „Aus dem Untergrund der großen Städte begann sich ein Kult des Hässlichen und Kranken auszubreiten, Filme voller Sadismus und Perversion, Rock und Punk und Heavy Metal und das alles, und je abartiger es wurde, desto mehr feierte man es. Es war eine Art Todeskult, etwas Satanisches, und es hat bis heute nicht aufgehört. Die Kultur verkam und damit auch die Menschen.“
Großväterlicher Ignoranz trifft in dieser Romanfigur auf pseudoanalytisches Gehabe, vor dem wohl die meisten jungen Frauen Reißaus nehmen würden. So gesehen, erscheint eine Figur wie die bäuerlich reine Asja in anderem Licht. Fast scheint es, als solle sie als Erlösungshoffnung in Domas Buch leuchten. Und auch Liliánas Literaturprofessor Alexander rührte in neokonservativen Verschwörungssuppen. Und wollte eine Aufklärungsschrift verfassen, die endlich den einfachen Wahrheiten wieder zu ihrem Recht verhilft, ein Buch über „Biophobie“, erinnert sich Liliána, „unseren permanenten Krieg gegen die Natur, die Fortpflanzung, die Liebe zwischen Mann und Frau, das Leben selbst, gegen alles, was wir sind ...“ Wenn das mal nicht ganz ähnlich klingt, wie die großen schlichten Phrasen, die in illiberalen Kreisen gerne gegen die angebliche westliche Verkommenheit aufgefahren werden. Und, nur der Vollständigkeit halber: „Die Intimrasur ist die Genitalverstümmelung der Aufgeklärten“, verkündet der wissende Berger der jungen Nella, wie sie da am Strand des Gardasees liegen. Auweia.
Ein ums andere Mal ist man gottfroh, dass in der Kunstform des Romans erst einmal nur literarische Figuren Geistesquark ventilieren und kein Autor essayistisch spricht. Höhepunkt der Selbstdemontage des Gabriel Berger ist der Besuch auf einer Party mit Nella, wo er dann auch noch eine ihm nicht unbekannte Lucia trifft, die findet, dass ihr Leben verpfuscht ist, weil sie kein Kind bekam. Hier erlebt man Berger in der vollen Pracht seiner Weinerlichkeit, die doch nichts ausrichten kann, gegen eine Welt, die es ihm schwermacht.
Es lohnt allerdings, durch- und diesen Unsympathen auszuhalten. Denn tatsächlich hat Akos Doma noch erzählerische Kniffe in der Hinterhand, die das Gefühl einlösen, das die ersten Kapitel des Romans so fein vorbereitet haben. Eine Ungeheuerlichkeit ballt sich gewittrig am Himmel über dem See, die entschädigt für Momente der Ratlosigkeit mit den Ansichten der Figuren. Dieser Berger, er hat ein Geheimnis, und der so ziellos scheinende Tanz der Figuren findet am Ende des Romans doch zu seiner ganz eigenen, grausamen Logik.
CHRISTIAN JOOSS-BERNAU
Akos Doma: Das Haus in Limone, Jung und Jung, 304 Seiten, 24 Euro
Manches erinnert da
an die Phrasen, die man in
illiberalen Kreisen hört
Der Autor Akos Doma kam als Jugendlicher nach Deutschland und lebt heute in Eichstätt.
Foto: Otto Kaiser
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