Ein junger Mann wird zum Ersatzdienst in ein Heim geschickt, in ein großes Haus am Meer, zur Betreuung einer alten Dame. Widerstrebend beginnt er mit der Arbeit in fremder Umgebung - und noch ahnt er nicht, daß die nächsten Wochen einen anderen aus ihm machen werden.
Knapp und eindringlich, mit psychologischer Sensibilität erzählt Paolo Barbaro die Geschichte einer Initiation, einer Einweihung ins Leben. Die alte Dame hat meist eine einfache Philosophie, doch es ist die eines erlittenen Lebens. Ein kluger, in der Erinnerung bleibender Roman über die Lebensalter. Und über den vielleicht doch möglichen Dialog der Generationen.
Knapp und eindringlich, mit psychologischer Sensibilität erzählt Paolo Barbaro die Geschichte einer Initiation, einer Einweihung ins Leben. Die alte Dame hat meist eine einfache Philosophie, doch es ist die eines erlittenen Lebens. Ein kluger, in der Erinnerung bleibender Roman über die Lebensalter. Und über den vielleicht doch möglichen Dialog der Generationen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.10.1998Ein Alter ohne Illusionen
Nahe dran: Paolo Barbaros Roman "Das Haus mit den Lichtern"
Das Alter war in Italien zu Beginn unseres Jahrhunderts vor allem durch Italo Svevo ins literarische Bewußtsein gehoben worden. Auch bei den italienischen Autoren der Gegenwart findet die "vecchiaia", der letzte Lebensabschnitt, zunehmend Beachtung. Typisch für diese Tendenz ist der von Claudio Piersanti im vergangenen Jahr vorgelegte und mit dem "Premio Viareggio" bedachte Roman "Luisa e il silenzio", der das Innenleben einer vereinsamten sechzigjährigen Angestellten analysiert. Oft auch wird versucht, das Alter durch eine Konfrontation beziehungsweise Kommunikation zwischen jungen und alten Menschen, durch eine Art Brückenschlag zwischen den Generationen, zu gestalten.
Eine Variation des Generationendialogs liegt mit dem 1996 veröffentlichten Roman "La casa con le luci" vor, in der deutschen Übersetzung von Maja Pflug unter dem Titel "Das Haus mit den Lichtern" erschienen. Autor ist der Wahlvenezianer Paolo Barbaro, der seit den sechziger Jahren schreibt, doch erst in den neunziger Jahren mit Essays und Romanen - der letzte war "Ultime isole" von 1993 - in Italien größere Beachtung fand und einige Literaturpreise, darunter den Premio Selezione Campiello, erhielt - während er in Deutschland bisher unbekannt war.
Barbaro veranschaulicht in seinem tagebuchartig angelegten Roman am Beispiel eines Altersheims das Leben einsamer, verwahrloster, verkrüppelter und dahinsiechender Greisinnen und Greise am Rande der Gesellschaft. In diese "casa per anziani", mit ihrer nach Urin und "Kotze" stinkenden Zimmern und Gängen und einem überforderten oder abgestumpften Ärzte- und Pflegepersonal, zeichnet Barbaro seinen "Brückenschlag" ein, zwischen einem jungen Mann und einer todgeweihten, doch geistig regen alten Frau. Roberto, Schreiber des Tagebuchs und Ich-Erzähler, ist ein junger Literaturstudent, der dem Militär entkommen möchte und sich daher freiwillig zum Ersatzdienst in einem Altersheim meldet.
Die Alten sind in zwei "Türmen" untergebracht, die weit vor der Stadt an einem verwahrlosten Strandabschnitt der nördlichen Adria, nahe der Etschmündung, zwischen Ödland, Müllablagerungen und Abwasserkanälen aufragen und nachts an den Lichtern ihrer zahlreichen Zimmer zu erkennen sind. Roberto wird der Insassin von Zimmer 214 zugewiesen und lernt so die Russin Christa kennen, die in jungen Jahren Tänzerin war und später einen Italiener heiratete, der beim Aufbau von Togliattigrad mitwirkte. Als beide sich das erste Mal begegnen, bringt der junge Mann seine unter Gleichgewichtsstörungen leidende Patientin zu Fall und wird von Ärzten und Pflegerinnen hemmungslos beschimpft. Christa verteidigt ihren Hilfspfleger und erreicht, daß er im Hause bleiben kann. Es entsteht "eine zeitlich begrenzte Beziehung", über die Christa sagt: "Es gibt keine provisorischere Beziehung als die zwischen einem jungen Mann und einer alten Frau."
Wider Erwarten entwickeln sich zwischen Christa und Roberto eine intensive Bindung und ein reger Gedankenaustausch. Musik spielt in diesen Begegnungen eine wichtige Rolle, die Pop-Musik der achtziger Jahre und klassische Barockmusik. Christa erzählt in ihrer stockenden, von russischen Wörtern durchsetzten Sprache dem jungen Mann von ihren Erlebnissen und Erfahrungen und entfaltet dabei ihre Lebensphilosophie. Ihre Gedanken verwirren Roberto zunächst: "Ich ahne mehr, was sie sagt, als daß ich es verstehe . . ." Aber dann bahnt sich ein immer tieferes Verstehen an, das Roberto das Leben im Haus mit den Lichtern und sein eigenes in einem neuen Licht erscheinen läßt und aus ihm einen anderen Menschen macht. Während ihm das Altersheim zunächst als ein Ort der Verwahrlosung erschien, dem er so schnell wie möglich zu entfliehen gedachte, sieht er die öden Türme am Rande des Meeres nun als Stätte einer authentischen und von den Insassen mutig und illusionslos geführten Auseinandersetzung mit den Grundfragen der menschlichen Existenz. Nach und nach erkennt er, wie Christa, im Alter "den echtesten Moment im ganzen Leben - echt, weil so am Rand. Man ist sich selbst näher und dem Rand, der zählt." Ihm wird die Oberflächlichkeit seines eigenen Lebens bewußt, das sich zwischen Studium, Diskotheken und zwei Freundinnen bewegt.
Ein sich bescheiden gebendes Buch, das in einem trockenen, oft schneidend realistischen Stil und in ruckartigen Sequenzen erzählt; ein schönes und literarisch anspruchsvolles Buch, das mit seinen unheldischen Helden, seinen Motiven und Symbolen, seinen Milieubeschreibungen und mit einer Schar unvergeßlicher Nebenfiguren einen tiefen Eindruck hinterläßt. "Das Haus mit den Lichtern" , mit klugen literarischem Kalkül und mit Herzenswärme und Anteilnahme geschrieben, ist der erste Roman Barbaros, der ins Deutsche übertragen wurde. Durch dieses Buch mag das deutsche Publikum einen Autor kennenlernen, den zu entdecken sich lohnt. MANFRED HARDT
Paolo Barbaro: "Das Haus mit den Lichtern". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Maja Pflug. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1998. 188 Seiten, geb., 32,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nahe dran: Paolo Barbaros Roman "Das Haus mit den Lichtern"
Das Alter war in Italien zu Beginn unseres Jahrhunderts vor allem durch Italo Svevo ins literarische Bewußtsein gehoben worden. Auch bei den italienischen Autoren der Gegenwart findet die "vecchiaia", der letzte Lebensabschnitt, zunehmend Beachtung. Typisch für diese Tendenz ist der von Claudio Piersanti im vergangenen Jahr vorgelegte und mit dem "Premio Viareggio" bedachte Roman "Luisa e il silenzio", der das Innenleben einer vereinsamten sechzigjährigen Angestellten analysiert. Oft auch wird versucht, das Alter durch eine Konfrontation beziehungsweise Kommunikation zwischen jungen und alten Menschen, durch eine Art Brückenschlag zwischen den Generationen, zu gestalten.
Eine Variation des Generationendialogs liegt mit dem 1996 veröffentlichten Roman "La casa con le luci" vor, in der deutschen Übersetzung von Maja Pflug unter dem Titel "Das Haus mit den Lichtern" erschienen. Autor ist der Wahlvenezianer Paolo Barbaro, der seit den sechziger Jahren schreibt, doch erst in den neunziger Jahren mit Essays und Romanen - der letzte war "Ultime isole" von 1993 - in Italien größere Beachtung fand und einige Literaturpreise, darunter den Premio Selezione Campiello, erhielt - während er in Deutschland bisher unbekannt war.
Barbaro veranschaulicht in seinem tagebuchartig angelegten Roman am Beispiel eines Altersheims das Leben einsamer, verwahrloster, verkrüppelter und dahinsiechender Greisinnen und Greise am Rande der Gesellschaft. In diese "casa per anziani", mit ihrer nach Urin und "Kotze" stinkenden Zimmern und Gängen und einem überforderten oder abgestumpften Ärzte- und Pflegepersonal, zeichnet Barbaro seinen "Brückenschlag" ein, zwischen einem jungen Mann und einer todgeweihten, doch geistig regen alten Frau. Roberto, Schreiber des Tagebuchs und Ich-Erzähler, ist ein junger Literaturstudent, der dem Militär entkommen möchte und sich daher freiwillig zum Ersatzdienst in einem Altersheim meldet.
Die Alten sind in zwei "Türmen" untergebracht, die weit vor der Stadt an einem verwahrlosten Strandabschnitt der nördlichen Adria, nahe der Etschmündung, zwischen Ödland, Müllablagerungen und Abwasserkanälen aufragen und nachts an den Lichtern ihrer zahlreichen Zimmer zu erkennen sind. Roberto wird der Insassin von Zimmer 214 zugewiesen und lernt so die Russin Christa kennen, die in jungen Jahren Tänzerin war und später einen Italiener heiratete, der beim Aufbau von Togliattigrad mitwirkte. Als beide sich das erste Mal begegnen, bringt der junge Mann seine unter Gleichgewichtsstörungen leidende Patientin zu Fall und wird von Ärzten und Pflegerinnen hemmungslos beschimpft. Christa verteidigt ihren Hilfspfleger und erreicht, daß er im Hause bleiben kann. Es entsteht "eine zeitlich begrenzte Beziehung", über die Christa sagt: "Es gibt keine provisorischere Beziehung als die zwischen einem jungen Mann und einer alten Frau."
Wider Erwarten entwickeln sich zwischen Christa und Roberto eine intensive Bindung und ein reger Gedankenaustausch. Musik spielt in diesen Begegnungen eine wichtige Rolle, die Pop-Musik der achtziger Jahre und klassische Barockmusik. Christa erzählt in ihrer stockenden, von russischen Wörtern durchsetzten Sprache dem jungen Mann von ihren Erlebnissen und Erfahrungen und entfaltet dabei ihre Lebensphilosophie. Ihre Gedanken verwirren Roberto zunächst: "Ich ahne mehr, was sie sagt, als daß ich es verstehe . . ." Aber dann bahnt sich ein immer tieferes Verstehen an, das Roberto das Leben im Haus mit den Lichtern und sein eigenes in einem neuen Licht erscheinen läßt und aus ihm einen anderen Menschen macht. Während ihm das Altersheim zunächst als ein Ort der Verwahrlosung erschien, dem er so schnell wie möglich zu entfliehen gedachte, sieht er die öden Türme am Rande des Meeres nun als Stätte einer authentischen und von den Insassen mutig und illusionslos geführten Auseinandersetzung mit den Grundfragen der menschlichen Existenz. Nach und nach erkennt er, wie Christa, im Alter "den echtesten Moment im ganzen Leben - echt, weil so am Rand. Man ist sich selbst näher und dem Rand, der zählt." Ihm wird die Oberflächlichkeit seines eigenen Lebens bewußt, das sich zwischen Studium, Diskotheken und zwei Freundinnen bewegt.
Ein sich bescheiden gebendes Buch, das in einem trockenen, oft schneidend realistischen Stil und in ruckartigen Sequenzen erzählt; ein schönes und literarisch anspruchsvolles Buch, das mit seinen unheldischen Helden, seinen Motiven und Symbolen, seinen Milieubeschreibungen und mit einer Schar unvergeßlicher Nebenfiguren einen tiefen Eindruck hinterläßt. "Das Haus mit den Lichtern" , mit klugen literarischem Kalkül und mit Herzenswärme und Anteilnahme geschrieben, ist der erste Roman Barbaros, der ins Deutsche übertragen wurde. Durch dieses Buch mag das deutsche Publikum einen Autor kennenlernen, den zu entdecken sich lohnt. MANFRED HARDT
Paolo Barbaro: "Das Haus mit den Lichtern". Roman. Aus dem Italienischen übersetzt von Maja Pflug. Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 1998. 188 Seiten, geb., 32,- DM.
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