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Warum verehren Hindus Pflanzen und Tiere? Wer war eigentlich Buddha? Warum schalten Juden am Sabbat kein elektrisches Licht an? Was feiern Christen mit dem Abendmahl? Was steht im Koran geschrieben? Jede der fünf großen Religionen ist eine für Außenstehende oft geheimnisvolle Welt. Dieses opulent ausgestattete Buch lässt uns in diese Welt eintauchen und vermittelt ein lebendiges Bild des Glaubens. Fesselnd und anschaulich geschrieben, informiert es kenntnisreich über Hintergrund, Geschichte und Kultur und zeigt, dass es bei allen Unterschieden vieles gibt, was den großen Religionen gemeinsam ist. Claudia Lieb hat dazu eine prächtige Bildsprache gefunden, die das Buch zu einem Schatz für jede Familienbibliothek macht.
Ein „Hausbuch“ stellt die fünf Weltreligionen – Hinduismus, Buddhismus, Judentum, Christentum und Islam vor
Ein Hausbuch der Weltreligionen also – das klingt nach neuer Bürgerlichkeit, nach leinengebundenem Allgemeinwissen. Tatsächlich haben die Buchdeckel einen soliden Leinenrücken, zwischen denen die Journalistin und Sachbuchautorin Christine Schulz-Reiss gemeinsam mit der Illustratorin Claudia Lieb die fünf Weltreligionen darstellt: Hinduismus und Buddhismus, Judentum, Christentum und Islam. Wer will, kann das Buch zu Weihnachten verschenken, auf dass es geschmackvoll neben den anderen Hausbüchern stehe.
Zum Glück – und in diesem Fall darf man auch getrost sagen: Gott sei dank – schreiben und illustrieren die beiden Autorinnen dann überhaupt nicht hausbuchbieder. Jeder Abschnitt beginnt mit einer Erzählung im Reportagestil, der über den Hinduismus damit, wie der Gott Vishnu in der Erscheinung des Krishna den jungen Mädchen beim Baden die Saris stiehlt – oder die über das Christentum, wie die erschrockenen Eltern Jesu ihr Kind im Tempel finden, wo es den Schriftgelehrten die Propheten deutet. Insgesamt ist der Zugang von Christine Schulz-Reiss erzählerisch: Religion ist die große Erzählung von der Menschlichkeit und der Sehnsucht der Menschen nach Gott. Interessierte Kinder ab zehn können das gut lesen und auch Erwachsene ihren Gewinn daraus ziehen.
Dass diese Sehnsucht Abgründe hat und Religionen auch zu Mord und Totschlag, Fundamentalismus, Menschenverachtung und Diskriminierung geführt haben verschweigt die Autorin nicht, aber sie will das Potenzial des Religiösen darstellen, die Möglichkeiten, die sich Menschen öffnen, wenn sie an eine Wirklichkeit jenseits der sichtbaren Wirklichkeit glauben. Dazu passen auch die Illustrationen von Claudia Lieb: Sie erzählen bunte Geschichten, ohne dabei kitschig zu werden.
Ungewöhnlich ist der Aufbau des Buches. Schulz-Reiss geht chronologisch vor, von der ältesten zur jüngsten Religion also, und so steht am Anfang der Hinduismus, der vor ungefähr 4000 Jahren entstand, gefolgt vom Buddhismus, der 2500 Jahre alt ist. Beim Kapitel übers Judentum verschweigt sie eine Altersangabe. Die hätte sie auch in Schwierigkeiten gebracht, denn die meisten Forscher gehen davon aus, dass das Judentum vor ungefähr 3000 Jahren entstand. Andererseits wäre es schlecht gewesen, die Geschichten über das Christen- und das Judentum auseinanderzureißen, wo doch beide Religionen so eng verwoben sind, von den heiligen Schriften bis zur unheiligen Geschichte des christlichen Judenhasses. Am Ende steht der Islam, die jüngste der Weltreligionen.
Vom Christentum, das nun doch wohl den Gedankenhorizont der meisten Käufer und Leser des Buches geprägt haben dürfte, erfährt man also erst ab Seite 100. Und man erfährt von ihm am wenigsten: Mit 24 Seiten ist dieses Kapitel das kürzeste des Buches. Auf den 32 Seiten über den Hinduismus beschreibt die Autorin differenziert und zugeneigt den indischen Götterhimmel samt Yoga und Ayurveda und endet mit dem Abschnitt „Vom Hinduismus lernen“. Die 24 Seiten über das Christentum wirken dagegen kursorisch, als wollte die Autorin, die immerhin ein ganzes Kinderbuch übers Christentum geschrieben hat, sagen: Liebe Leute, das kennt ihr sowieso, ich fasse noch einmal kurz zusammen. Nur kennen inzwischen viele Eltern und Kinder das Christentum nicht mehr genau, sodass hier die gleiche Basis-Arbeit nötig wäre wie bei den anderen Religionen. Und so ist es ein echtes Defizit, dass die Leser nur beiläufig erfahren, dass es auch orthodoxe Christen gibt, seit dem Jahr 1054, mit heute weltweit 300 Millionen Anhängern. Und auch die Kirchengeschichte des Westens endet offenbar mit dem Westfälischen Frieden 1648.
Eine noch erschreckendere Lücke tut sich beim Kapitel über das Judentum auf. Der Holocaust, der millionenfache Judenmord, der auch die Theologie und die religiöse Selbstdefinition des Judentums heute grundlegend prägt, kommt nur in einem einzigen Satz vor: „1948, nach dem Holocaust (. . .) stimmten die Vereinten Nationen der Gründung eines Staates Israel zu.“ Es folgt ein ganzer Absatz über den Nahostkonflikt und die israelischen Siedlungspolitik. Da hilft der angenehme Erzählstil wenig – das bleibt irritierend.
MATTHIAS DROBINSKI
Christine Schulz-Reiss u. Claudia Lieb : Das Hausbuch der Weltreligionen. Gerstenberg 2012. 160 Seiten, 24,95 Euro.
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