Die Autoren werten erstmals breit die Quellen aus und können daraufhin Konzeption und Aufbau eines neuen deutschen Heeres im Rahmen der NATO nachzeichnen. Sie analysieren die deutschen Ansätze für moderne Landstreitkräfte im Spannungsbogen zwischen atomarer Abschreckung und konventioneller Bündnisverteidigung. Das Besondere des deutschen Heeresbeitrags stellt das Konzept einer beweglichen Kriegführung dar, mit dem die einseitige Abhängigkeit von Atomwaffen reduziert werden soll. Der Aufbau konventioneller Verbände und ihre Umrüstung im Zuge der Strategieentwicklung in der NATO spiegelt sich wider in den notwendigen Anpassungen wechselnder Heeresstrukturen und modernisierter Rüstung.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.05.2006Motor und Muli
Der Aufbau des Heeres in den Jahren 1950 bis 1970
Ende der neunziger Jahre erhielt das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Potsdam (MGFA) den Auftrag, zum fünfzigsten Geburtstag der Bundeswehr eigene Darstellungen über den Aufbau der Teilstreitkräfte beizusteuern. Der mit Karten und Fotos aufgelockerte, von Inhalt und Umfang her stattliche Band über das Heer deckt den Zeitraum von 1950 bis 1970 ab - bezieht also den "Vor-Verteidigungsbeitrag" der Bundesrepublik ein: die von den Westmächten eingesetzten Dienstgruppen, die Informationsdienste in amerikanischer Obhut von der "Operational History (German) Section" bis zur "Organsation Gehlen" sowie den Bundesgrenzschutz. Deutlich wird, daß sich Kontinuitäten von der Wehrmacht zur Bundeswehr nicht nur am direkt wiederverwendeten Personal festmachen lassen, sondern auch an der Beratung "von außen" durch prominente Heerführer Hitlers. Beispielsweise wurde der Vorschlag des Generalfeldmarschalls Erich von Manstein berücksichtigt, neue Divisionen in je drei Brigaden zu unterteilen und diese als kleinste operative Einheiten auszustatten und zu verwenden.
Neben großen Linien bieten die vier Autoren des Bandes viele interessante Details. Wer weiß heute noch, daß Verteidigungsminister Franz Josef Strauß die "Versorgungs-Nummer 8820-12-123-0282" in der Gebirgstruppe einführen ließ? Dahinter verbargen sich Maultiere, die in Sizilien eingekauft wurden. Die Mulis waren im Truppenversuch wesentlich leistungsfähiger und "trittsicherer" als die von der Wehrmacht genutzten Haflinger, für die sich bayerische Züchter vergeblich stark machten. Unter dem Strauß-Nachfolger Kai-Uwe von Hassel entschied der Führungsstab des Heeres 1966, "für kriegsgestellte Tragtierzüge" doch auf Haflinger-Gebirgspferde zurückzugreifen, weil die Hardthöhe Lieferschwierigkeiten in Italien im Verteidigungsfalle befürchtete. Schließlich plante man pro Tragtierkompanie neben den Mulis eine Haflinger-Gruppe mit bis zu 10 Pferden ein.
Der Beitrag zur Organisationsgeschichte des Heeres hebt die Panzerlastigkeit der Bundeswehr gegenüber den westalliierten Verbündeten hervor. Der deutsche Grundansatz sei zweckmäßig gewesen angesichts der realen Bedrohung durch sowjetische Panzerarmeen: "Der Test, ob dieses Panzerkonzept...im Atomszenario noch Bestand haben konnte, blieb der Welt zum Glück erspart. Doch war die Organisation des bundesdeutschen Heeres von der Bestrebung geprägt, den Motor gewissermaßen als ,Gegenwaffe' zur anderen großen technischen Entwicklung einzusetzen, denn die Epoche zwischen 1945 und 1989 wurde gewissermaßen ,überstrahlt' durch die Atomwaffe." Dieser wollte das Heer wenigstens "gesteigerte Beweglichkeit" entgegensetzen.
Im Zusammenhang mit der Rüstungsgüterbeschaffung gab es eine "mißglückte Premiere": die übereilte Entscheidung für den Schützenpanzer HS 30 des schweizerischen Anbieters Hispano Suiza. Die Wahl fiel weitgehend auf der Grundlage von Holzmodellen und von Gutachten, an denen Angestellte jener Firmen beteiligt waren, die - man lese und staune - "die Nachbaulizenzen des HS 30 für Deutschland hielten". Der ausschließlich für die Bundeswehr entwickelte Schützenpanzer müsse als "schlechte Ausführung einer richtigen Idee" bezeichnet werden. Leidtragende seien die Soldaten gewesen. Immerhin hätten die Beschaffungsabteilungen des Verteidigungsministeriums daraus viel gelernt.
Unter dem Titel "Schleifer a.D.?" wird das - neben der Rüstungsausstattung - zweite durchgängige Kernproblem für den Heeresaufbau thematisiert: die Personallage. Der Unfalltod von 15 Rekruten bei einer Übung in der Iller im Juni 1957 und die schwere Mißhandlung eines Wachpostens in Nagold im Januar 1962 ließen in der Öffentlichkeit große Zweifel aufkommen am Leitbild des "Staatsbürgers in Uniform". Beide Fälle sollen "das Resultat einer Kombination aus falsch ausgebildeten Offizieren, Unteroffizieren und ,angebrüteten' Hilfsausbildern sowie einem ausgeprägten Elitedenken" gewesen sein. Durch entschlossene strafrechtliche oder disziplinarische Ahndung habe sich "das Schleifen" als Führungs- und Ausbildungsprinzip erledigt, ohne allerdings Probleme in der Menschenführung ganz ausschließen zu können. Das Heer habe während der Aufbauphase sein Selbstbewußtsein durchaus "aus dem Vorbild der Wehrmacht" geschöpft.
Wieder einmal verzichtet das MGFA bei einer wichtigen Publikation auf ein Sachregister. Eine gewisse Bequemlichkeit spiegeln auch die im Buchanhang gebotenen und auf dienstliche Verwendungen mit Jahresangaben verknappten 39 "Kurzbiographien von ausgewählten Generalen des Heeres" wider. Einige dieser mit Brustbild geehrten Offiziere kommen im Darstellungsteil kurioserweise gar nicht vor - wie etwa der Amtschef des Truppenamtes von 1960 bis 1968, Generalleutnant Hellmuth Mäder. Daher bleibt unklar, warum ihn das MGFA unter die Gründungsväter des Heeres seit 1955 einreiht. Mehr über Mäder erfährt man in Dieter E. Kilians Buch "Elite im Halbschatten. Generale und Admirale der Bundeswehr". Sechs Jahre nach der Pensionierung kam es wegen "Unregelmäßigkeiten in Dienstabrechnungen sowie Bestechungsannahmen in Verbindung mit Auftragsvergaben für Bundeswehrfahrzeuge" zur Anklage wegen Untreue: "Mäder wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt und verlor seinen Rang als Generalleutnant - ein bisher einmaliger und zugleich tragischer Fall. Im Verzeichnis der Generale und Admirale der Bundeswehr ist sein Name gelöscht."
RAINER BLASIUS
Helmut R. Hammerich/Dieter H. Kollmer/Martin Rink/Rudolf J. Schlaffer: Das Heer 1950 bis 1970. Konzeption, Organisation, Aufstellung. Unter Mitarbeit von Michael Poppe. R. Oldenbourg Verlag, München 2006. 822 S., 39,80 [Euro].
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Der Aufbau des Heeres in den Jahren 1950 bis 1970
Ende der neunziger Jahre erhielt das Militärgeschichtliche Forschungsamt in Potsdam (MGFA) den Auftrag, zum fünfzigsten Geburtstag der Bundeswehr eigene Darstellungen über den Aufbau der Teilstreitkräfte beizusteuern. Der mit Karten und Fotos aufgelockerte, von Inhalt und Umfang her stattliche Band über das Heer deckt den Zeitraum von 1950 bis 1970 ab - bezieht also den "Vor-Verteidigungsbeitrag" der Bundesrepublik ein: die von den Westmächten eingesetzten Dienstgruppen, die Informationsdienste in amerikanischer Obhut von der "Operational History (German) Section" bis zur "Organsation Gehlen" sowie den Bundesgrenzschutz. Deutlich wird, daß sich Kontinuitäten von der Wehrmacht zur Bundeswehr nicht nur am direkt wiederverwendeten Personal festmachen lassen, sondern auch an der Beratung "von außen" durch prominente Heerführer Hitlers. Beispielsweise wurde der Vorschlag des Generalfeldmarschalls Erich von Manstein berücksichtigt, neue Divisionen in je drei Brigaden zu unterteilen und diese als kleinste operative Einheiten auszustatten und zu verwenden.
Neben großen Linien bieten die vier Autoren des Bandes viele interessante Details. Wer weiß heute noch, daß Verteidigungsminister Franz Josef Strauß die "Versorgungs-Nummer 8820-12-123-0282" in der Gebirgstruppe einführen ließ? Dahinter verbargen sich Maultiere, die in Sizilien eingekauft wurden. Die Mulis waren im Truppenversuch wesentlich leistungsfähiger und "trittsicherer" als die von der Wehrmacht genutzten Haflinger, für die sich bayerische Züchter vergeblich stark machten. Unter dem Strauß-Nachfolger Kai-Uwe von Hassel entschied der Führungsstab des Heeres 1966, "für kriegsgestellte Tragtierzüge" doch auf Haflinger-Gebirgspferde zurückzugreifen, weil die Hardthöhe Lieferschwierigkeiten in Italien im Verteidigungsfalle befürchtete. Schließlich plante man pro Tragtierkompanie neben den Mulis eine Haflinger-Gruppe mit bis zu 10 Pferden ein.
Der Beitrag zur Organisationsgeschichte des Heeres hebt die Panzerlastigkeit der Bundeswehr gegenüber den westalliierten Verbündeten hervor. Der deutsche Grundansatz sei zweckmäßig gewesen angesichts der realen Bedrohung durch sowjetische Panzerarmeen: "Der Test, ob dieses Panzerkonzept...im Atomszenario noch Bestand haben konnte, blieb der Welt zum Glück erspart. Doch war die Organisation des bundesdeutschen Heeres von der Bestrebung geprägt, den Motor gewissermaßen als ,Gegenwaffe' zur anderen großen technischen Entwicklung einzusetzen, denn die Epoche zwischen 1945 und 1989 wurde gewissermaßen ,überstrahlt' durch die Atomwaffe." Dieser wollte das Heer wenigstens "gesteigerte Beweglichkeit" entgegensetzen.
Im Zusammenhang mit der Rüstungsgüterbeschaffung gab es eine "mißglückte Premiere": die übereilte Entscheidung für den Schützenpanzer HS 30 des schweizerischen Anbieters Hispano Suiza. Die Wahl fiel weitgehend auf der Grundlage von Holzmodellen und von Gutachten, an denen Angestellte jener Firmen beteiligt waren, die - man lese und staune - "die Nachbaulizenzen des HS 30 für Deutschland hielten". Der ausschließlich für die Bundeswehr entwickelte Schützenpanzer müsse als "schlechte Ausführung einer richtigen Idee" bezeichnet werden. Leidtragende seien die Soldaten gewesen. Immerhin hätten die Beschaffungsabteilungen des Verteidigungsministeriums daraus viel gelernt.
Unter dem Titel "Schleifer a.D.?" wird das - neben der Rüstungsausstattung - zweite durchgängige Kernproblem für den Heeresaufbau thematisiert: die Personallage. Der Unfalltod von 15 Rekruten bei einer Übung in der Iller im Juni 1957 und die schwere Mißhandlung eines Wachpostens in Nagold im Januar 1962 ließen in der Öffentlichkeit große Zweifel aufkommen am Leitbild des "Staatsbürgers in Uniform". Beide Fälle sollen "das Resultat einer Kombination aus falsch ausgebildeten Offizieren, Unteroffizieren und ,angebrüteten' Hilfsausbildern sowie einem ausgeprägten Elitedenken" gewesen sein. Durch entschlossene strafrechtliche oder disziplinarische Ahndung habe sich "das Schleifen" als Führungs- und Ausbildungsprinzip erledigt, ohne allerdings Probleme in der Menschenführung ganz ausschließen zu können. Das Heer habe während der Aufbauphase sein Selbstbewußtsein durchaus "aus dem Vorbild der Wehrmacht" geschöpft.
Wieder einmal verzichtet das MGFA bei einer wichtigen Publikation auf ein Sachregister. Eine gewisse Bequemlichkeit spiegeln auch die im Buchanhang gebotenen und auf dienstliche Verwendungen mit Jahresangaben verknappten 39 "Kurzbiographien von ausgewählten Generalen des Heeres" wider. Einige dieser mit Brustbild geehrten Offiziere kommen im Darstellungsteil kurioserweise gar nicht vor - wie etwa der Amtschef des Truppenamtes von 1960 bis 1968, Generalleutnant Hellmuth Mäder. Daher bleibt unklar, warum ihn das MGFA unter die Gründungsväter des Heeres seit 1955 einreiht. Mehr über Mäder erfährt man in Dieter E. Kilians Buch "Elite im Halbschatten. Generale und Admirale der Bundeswehr". Sechs Jahre nach der Pensionierung kam es wegen "Unregelmäßigkeiten in Dienstabrechnungen sowie Bestechungsannahmen in Verbindung mit Auftragsvergaben für Bundeswehrfahrzeuge" zur Anklage wegen Untreue: "Mäder wurde zu zwei Jahren Haft verurteilt und verlor seinen Rang als Generalleutnant - ein bisher einmaliger und zugleich tragischer Fall. Im Verzeichnis der Generale und Admirale der Bundeswehr ist sein Name gelöscht."
RAINER BLASIUS
Helmut R. Hammerich/Dieter H. Kollmer/Martin Rink/Rudolf J. Schlaffer: Das Heer 1950 bis 1970. Konzeption, Organisation, Aufstellung. Unter Mitarbeit von Michael Poppe. R. Oldenbourg Verlag, München 2006. 822 S., 39,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Insgesamt aufschlussreich findet Rezensent Rainer Blasius diesen umfangreichen Band über den Aufbau des deutschen Heeres in den Jahren 1950 bis 1970. Er hebt hervor, dass der Band nicht nur die Gesamtentwicklung des Heeres in diesen Jahren umreißt, sondern auch zahlreiche "interessante Details" bietet. Gelungen findet Blasius auch die Ausführungen über Rüstungsausstattung und Personallage, die er als Kernprobleme des Heeresaufbaus betrachtet. Dabei verdeutlichen die Beiträge für ihn auch die Kontinuitäten von der Wehrmacht zur Bundeswehr. Kritisch äußert er sich über das Fehlen des Sachregisters und die knappen Kurzbiographien von Generälen des Heeres im Anhang des Bandes, was seines Erachtens eine "gewisse Bequemlichkeit" widerspiegelt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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