Die Prostituierte Ahuli wird von ihrer erlesenen Kundschaft hochgeschätzt. Gibt es doch nichts, über das sie nicht kenntnisreich zu parlieren weiß. Ihre Freier ahnen nicht, dass Ahuli nur auswendig gelernt hat, was die anderen ihr erzählten. Und sie ahnen nicht, dass die anschließenden wilden Liebesspiele mit ihr nur in ihrer Phantasie stattfinden. Denn Ahuli ist eine Werfüchsin, die die Kunst der Hypnose beherrscht und ihre Energie aus den wüsten Träumen ihrer Kunden bezieht. Eines Tages aber trifft sie auf einen Mann, der sich nicht hypnotisieren lässt. Es ist Alexander, Generalleutnant der Staatssicherheit und seinerseits ebenfalls ein Werwolf. Obwohl die Anarchistin Ahuli und der wackere Patriot Alexander in ihren Aussichten weit auseinander liegen, verlieben sie sich ineinander. Aber sie streiten sich über den Erlöser-Werwolf, den die alten Prophezeiungen versprechen. Ist er ideologischer Humbug, wie Ahuli meint? Oder ist es gar Alexander selbst wie Alexander meint? Arbeiten
im Vorstand von Gasprom nur Werwölfe? War der wilde Sex vorgestern nur krude Täuschung? In seiner unnachahmlichen Mischung aus exakter Phantasie und anarchistischer Analyse gibt Pelewin Antworten auf Fragen, die wir nie zu stellen wagten. Und hält dem Russland unserer Tage einen bizarren Zerrspiegel vor.
im Vorstand von Gasprom nur Werwölfe? War der wilde Sex vorgestern nur krude Täuschung? In seiner unnachahmlichen Mischung aus exakter Phantasie und anarchistischer Analyse gibt Pelewin Antworten auf Fragen, die wir nie zu stellen wagten. Und hält dem Russland unserer Tage einen bizarren Zerrspiegel vor.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.12.2006Ein Werwolf ist immer im Dienst
Viktor Pelewins Splatter-Parabel auf das heutige Rußland / Von Kerstin Holm
Nicht erst der Fall Litwinenko hat die Frage nach der Macht der russischen Geheimdienste aufgeworfen. Viktor Pelewin karikiert den Agenten als Übermenschen unserer Tage.
Die Beobachtung, daß die Dinge nicht das sind, was sie scheinen, gilt in Rußland in besonderem Maß. Die Fähigkeit oder der Fluch, seine Werte radikal umwerten zu können, machte aus Kommunisten im Rekordtempo Demokraten und wieder zarentreue Patrioten. Bescheidene Sozialismuszöglinge mutierten zu glamourösen Kapitalismuskrokodilen. Polizei, Gerichte, Parlament sind bekannt dafür, daß sie alles tun, nur nicht ihre nominellen Aufgaben. Wen wundert es da, wenn russische Intellektuelle überzeugungslose Zyniker sind, oder, spiritueller ausgedrückt, Krypto-Buddhisten, die sich mit philosophischem Humor gegen die Welt wappnen. Das literarische Idiom für diese Haltung hat Viktor Pelewin gefunden, der mit aktuellem Polit- und Werbejargon, historischen Theorien und ostasiatischer Weisheitsakrobatik ein wildes Jonglierspiel treibt, das jedes Sujet fadenscheinig macht wie einen Majaschleier. Eine derart bruchreiche Optik braucht offenbar, wer, ohne das eigene Nervensystem zu gefährden, jene Dämonen studieren will, die das heilige Rußland heute regieren.
In seinem "Heiligen Buch der Werwölfe", soeben in deutscher Übersetzung erschienen, ortet Pelewin auf dem Grund des kapitalistischen Lebenskampfes das Märchen vom Aschenputtel, ausgebeutet von Geheimdienstsuperwerwölfen. Poetische Keimzelle war die Parole von den "Werwölfen in Uniform", mit denen russische Ordnungshüter seit Jahren Korruptionäre in den eigenen Reihen als schwarze Schafe brandmarken und zu bekämpfen vorgeben. Das Schlagwort vom Werwolf, erfunden als Sündenbocketikett, eröffnet Pelewin die große Welt der Jägermythen mit ihren Supertieren, die den Menschen an übermenschlichen Fähigkeiten teilhaben lassen. Daß Geheimdienstler, politische Führer und Verkaufsgenies Talente haben müssen, die den normalmenschlichen Sittenkodex sprengen, ist ein offenes Geheimnis. Pelewin macht aus dem Werwolf den Übermenschen unserer Tage, im bürgerlichen Beruf FSB-General, ohne den sich Rußlands "schwanzlose Affen" längst in einem Homeland transatlantischer Übernahmegeier wiederfinden würden.
Ohne eigene Werwolf-Ethik geht das nicht ab. Die wird entwickelt von der Heldin, der weiblichen Form des Werfuchses, in deren kupferrot geschwänzten Luxuskörper der Erzähler schlüpft. Die jahrtausendealte Fuchsfrau, die immer aussieht wie eine unwiderstehliche Lolita, lebt vom ältesten Gewerbe, was sie angesichts der Prostituierung von allem und jedem als Inbegriff von Ehrlichkeit und Bescheidenheit anpreist. Denn eine Hure will von einem Mann hundert Dollar dafür, daß sie es ihm ein bißchen nett macht. Die anständige Frau aber will sein ganzes Geld dafür, daß sie ihm den letzten Blutstropfen aussaugt, wie die erfahrungsgesättigte Moskauer Prostituiertenweisheit lautet. Ihre menschliche Kundschaft befördert die Werfüchsin kraft Zauberrute in Traumwelten, während sie sich am sexuellen Energietransfer labt. Doch dann erlebt die Menschenverächterin mit dem rassigen Werwolf wahre Liebesleidenschaft.
Auch der ausgelaugten Erde entlockt allein der Monstermensch geheime Ölvorräte. Das ist die Schlüsselszene, weit hinter der Buchmitte, da das Geheimdienstraubtier eine Kuhschädelreliquie durch Geheul in sibirischer Mondnacht zu petroleumschwarzen Tränen rührt. Die Mutterkuh war die Beschützerin des russischen Aschenputtels, die, als die bösen Stiefeltern sie schlachten, aus ihren Knochen einen Apfelbaum wachsen läßt mit Früchten für das Kind. Ja, längst werde immer mehr Öl verlangt statt Obst, singt Pelewins Werwolf seinen Beichthymnus an den Dripple-Down-Effekt, und aus den Stiefeltern wurden Schutzmachtnetzwerke. Doch solange Öl fließt, kann sich die Waise - gemeint ist offenbar der Werfüchsin menschliche Niedrigpreiskollegin - einen Apfel leisten.
Drum herum spinnt Pelewin einen dichten Kokon aus Werwolftheorien, Werfuchs-Korrespondenzen, Wortwitzen, Bildungswiederkäuerei. In der Wolfsrute, so hat ein englischer Okkultist herausbekommen, setzen sich die Wirbelsäulen-Chakren, über welche man per Meditation seine Kundalini-Energie vergeistigend emporsteigen lassen kann, fort ins animalische Kellergeschoß. Die wahre Liebe aber raubt auch in Supertiersphären dem Mann eher die Kraft, macht den Werwolf zum Hofhund, während sie der Füchsin beim Sprung ins Nirwana Schubkraft gibt. Nur schade, daß Pelewins Assoziationssaltos und Kalauergirlanden, vom Werfuchsnamen A-Chuli, der auf russisch wie ein grober Fluch klingt, bis zum Staatsapparat, in dem eine Oberratte (upper rat) steckt, in der nicht nur zur Hälfte verlorengehen, sondern auch, jenseits des real existierenden Werwolfreichs, sich in Wortklaubereien verwandeln, die keine Bewußtseinssplittertheorie lebendig macht.
Viktor Pelewin: "Das heilige Buch der Werwölfe". Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Andreas Tretner. Luchterhand Literaturverlag, München 2006. 349 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Viktor Pelewins Splatter-Parabel auf das heutige Rußland / Von Kerstin Holm
Nicht erst der Fall Litwinenko hat die Frage nach der Macht der russischen Geheimdienste aufgeworfen. Viktor Pelewin karikiert den Agenten als Übermenschen unserer Tage.
Die Beobachtung, daß die Dinge nicht das sind, was sie scheinen, gilt in Rußland in besonderem Maß. Die Fähigkeit oder der Fluch, seine Werte radikal umwerten zu können, machte aus Kommunisten im Rekordtempo Demokraten und wieder zarentreue Patrioten. Bescheidene Sozialismuszöglinge mutierten zu glamourösen Kapitalismuskrokodilen. Polizei, Gerichte, Parlament sind bekannt dafür, daß sie alles tun, nur nicht ihre nominellen Aufgaben. Wen wundert es da, wenn russische Intellektuelle überzeugungslose Zyniker sind, oder, spiritueller ausgedrückt, Krypto-Buddhisten, die sich mit philosophischem Humor gegen die Welt wappnen. Das literarische Idiom für diese Haltung hat Viktor Pelewin gefunden, der mit aktuellem Polit- und Werbejargon, historischen Theorien und ostasiatischer Weisheitsakrobatik ein wildes Jonglierspiel treibt, das jedes Sujet fadenscheinig macht wie einen Majaschleier. Eine derart bruchreiche Optik braucht offenbar, wer, ohne das eigene Nervensystem zu gefährden, jene Dämonen studieren will, die das heilige Rußland heute regieren.
In seinem "Heiligen Buch der Werwölfe", soeben in deutscher Übersetzung erschienen, ortet Pelewin auf dem Grund des kapitalistischen Lebenskampfes das Märchen vom Aschenputtel, ausgebeutet von Geheimdienstsuperwerwölfen. Poetische Keimzelle war die Parole von den "Werwölfen in Uniform", mit denen russische Ordnungshüter seit Jahren Korruptionäre in den eigenen Reihen als schwarze Schafe brandmarken und zu bekämpfen vorgeben. Das Schlagwort vom Werwolf, erfunden als Sündenbocketikett, eröffnet Pelewin die große Welt der Jägermythen mit ihren Supertieren, die den Menschen an übermenschlichen Fähigkeiten teilhaben lassen. Daß Geheimdienstler, politische Führer und Verkaufsgenies Talente haben müssen, die den normalmenschlichen Sittenkodex sprengen, ist ein offenes Geheimnis. Pelewin macht aus dem Werwolf den Übermenschen unserer Tage, im bürgerlichen Beruf FSB-General, ohne den sich Rußlands "schwanzlose Affen" längst in einem Homeland transatlantischer Übernahmegeier wiederfinden würden.
Ohne eigene Werwolf-Ethik geht das nicht ab. Die wird entwickelt von der Heldin, der weiblichen Form des Werfuchses, in deren kupferrot geschwänzten Luxuskörper der Erzähler schlüpft. Die jahrtausendealte Fuchsfrau, die immer aussieht wie eine unwiderstehliche Lolita, lebt vom ältesten Gewerbe, was sie angesichts der Prostituierung von allem und jedem als Inbegriff von Ehrlichkeit und Bescheidenheit anpreist. Denn eine Hure will von einem Mann hundert Dollar dafür, daß sie es ihm ein bißchen nett macht. Die anständige Frau aber will sein ganzes Geld dafür, daß sie ihm den letzten Blutstropfen aussaugt, wie die erfahrungsgesättigte Moskauer Prostituiertenweisheit lautet. Ihre menschliche Kundschaft befördert die Werfüchsin kraft Zauberrute in Traumwelten, während sie sich am sexuellen Energietransfer labt. Doch dann erlebt die Menschenverächterin mit dem rassigen Werwolf wahre Liebesleidenschaft.
Auch der ausgelaugten Erde entlockt allein der Monstermensch geheime Ölvorräte. Das ist die Schlüsselszene, weit hinter der Buchmitte, da das Geheimdienstraubtier eine Kuhschädelreliquie durch Geheul in sibirischer Mondnacht zu petroleumschwarzen Tränen rührt. Die Mutterkuh war die Beschützerin des russischen Aschenputtels, die, als die bösen Stiefeltern sie schlachten, aus ihren Knochen einen Apfelbaum wachsen läßt mit Früchten für das Kind. Ja, längst werde immer mehr Öl verlangt statt Obst, singt Pelewins Werwolf seinen Beichthymnus an den Dripple-Down-Effekt, und aus den Stiefeltern wurden Schutzmachtnetzwerke. Doch solange Öl fließt, kann sich die Waise - gemeint ist offenbar der Werfüchsin menschliche Niedrigpreiskollegin - einen Apfel leisten.
Drum herum spinnt Pelewin einen dichten Kokon aus Werwolftheorien, Werfuchs-Korrespondenzen, Wortwitzen, Bildungswiederkäuerei. In der Wolfsrute, so hat ein englischer Okkultist herausbekommen, setzen sich die Wirbelsäulen-Chakren, über welche man per Meditation seine Kundalini-Energie vergeistigend emporsteigen lassen kann, fort ins animalische Kellergeschoß. Die wahre Liebe aber raubt auch in Supertiersphären dem Mann eher die Kraft, macht den Werwolf zum Hofhund, während sie der Füchsin beim Sprung ins Nirwana Schubkraft gibt. Nur schade, daß Pelewins Assoziationssaltos und Kalauergirlanden, vom Werfuchsnamen A-Chuli, der auf russisch wie ein grober Fluch klingt, bis zum Staatsapparat, in dem eine Oberratte (upper rat) steckt, in der nicht nur zur Hälfte verlorengehen, sondern auch, jenseits des real existierenden Werwolfreichs, sich in Wortklaubereien verwandeln, die keine Bewußtseinssplittertheorie lebendig macht.
Viktor Pelewin: "Das heilige Buch der Werwölfe". Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Andreas Tretner. Luchterhand Literaturverlag, München 2006. 349 S., geb., 19,95 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Mit hohem Lob bedenkt Rezensent Uwe Stolzmann diesen Roman des umstrittenen russischen Schriftstellers Viktor Pelewin. Sicher, die Geschichte, die sich Pelewin diesmal ausgedacht hat, um den Wahnsinn der russischen Gegenwart abzubilden, klingt auch für Stolzmann zunächst "überspannt" und "kitschig". Da geht es um die betörende Luxushure Ahuli, die in Wirklichkeit eine mit der Kunst der Hypnose begabte Werfüchsin ist, und sich in den Geheimdienstmann Alexander verliebt, einen Werwolf, wie sich herausstellt. Der Gefahr, einen unlesbaren romantischen Schauerroman zu schreiben, ist der Autor nach Ansicht Stolzmanns durch seine Fähigkeit zu "zaubern" entronnen. Pelewin könne nämlich Versatzstücke, Schund und Schutt in Literatur verwandeln. Hinreißend etwa findet er die Figur der Ahuli, ausgestattet mit Charakter, Seele und Sex-Appeal. Auch die Werwolf-Maskerade scheint ihm sehr gelungen, kann Pelewin so doch das "Vertraute merkwürdig fremd" erscheinen lassen. Außerdem zeigt er sich überaus angetan von der Mischung diverser Stilebenen, von elegant bis schnoddrig. Und nicht zuletzt überzeugt ihn das Buch auch als weiterer Versuch, die monströse, ungeheuerliche und bizarre russische Realität literarisch ins Bild zu setzen. Er räumt ein, dass Pelewin den Bogen oft überspanne, abschweife, gegen Genreregeln und den guten Geschmack verstoße. Das ändert nichts an seiner Begeisterung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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