Als Franz II. am 6. August 1806 die Kaiserkrone niederlegte, hörte das Alte Reich auf zu existieren. Dieses Buch bietet eine fundierte Darstellung des Alten Reiches vom Ende des Mittelalters bis 1806. Erläutert werden Institutionen und Strukturen jenes Staates, der so gar nicht den Vorstellungen moderner Staatlichkeit entspricht, der aber Deutschland auch über dieses Datum hinaus prägte.
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war ein über die Jahrhunderte des Mittelalters allmählich gewachsenes politisches Gebilde, ein lose integrierter Verband sehr unterschiedlicher Glieder, die unter einem gemeinsamen Oberhaupt, dem Kaiser, standen: geistliche und weltliche Herrschaftsträger, wenige Mächtige und viele Mindermächtige, Kurfürsten und Fürsten, Prälaten, Grafen, Ritter und Städte. Um die Wende zur Neuzeit, also um 1500, bildete dieser Verband festere institutionelle Strukturen aus- vor allem Reichstage als Foren der Konsensbildung, das Reichskammergericht und den Reichshofrat als Organe höchster Gerichtsbarkeit und die Reichskreise als regionale Exekutivinstitutionen. Über die inneren Zerreißproben der Glaubensspaltung und des Dreißigjährigen Krieges hinweg hatten diese gemeinsamen Institutionen im Kern drei Jahrhunderte lang Bestand, bevor der ganze Verband dem machtpolitischen Expansionswillen der mächtigsten Glieder- vor allem Brandenburg- Preußen und Öserreich- zum Opfer fiel. Barbara Stollberg- Rilinger bietet in diesem Band eine klare und gut verständliche Einführung in die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.
Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war ein über die Jahrhunderte des Mittelalters allmählich gewachsenes politisches Gebilde, ein lose integrierter Verband sehr unterschiedlicher Glieder, die unter einem gemeinsamen Oberhaupt, dem Kaiser, standen: geistliche und weltliche Herrschaftsträger, wenige Mächtige und viele Mindermächtige, Kurfürsten und Fürsten, Prälaten, Grafen, Ritter und Städte. Um die Wende zur Neuzeit, also um 1500, bildete dieser Verband festere institutionelle Strukturen aus- vor allem Reichstage als Foren der Konsensbildung, das Reichskammergericht und den Reichshofrat als Organe höchster Gerichtsbarkeit und die Reichskreise als regionale Exekutivinstitutionen. Über die inneren Zerreißproben der Glaubensspaltung und des Dreißigjährigen Krieges hinweg hatten diese gemeinsamen Institutionen im Kern drei Jahrhunderte lang Bestand, bevor der ganze Verband dem machtpolitischen Expansionswillen der mächtigsten Glieder- vor allem Brandenburg- Preußen und Öserreich- zum Opfer fiel. Barbara Stollberg- Rilinger bietet in diesem Band eine klare und gut verständliche Einführung in die Geschichte des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.11.2006Napoleonisch
Barbara Stollberg-Rilingers Schnitzeljagd im Alten Reich
Einst galt die Geschichte des frühneuzeitlichen Reiches als lange Agonie eines zahnlosen "Monstrums", über dessen Leiden taktvolle Historiker besser den Mantel des Schweigens legten. Mittlerweile hat das Pendel eher in die Gegenrichtung ausgeschlagen. Aus militärischer Schwäche ist moralische Stärke geworden, aus mangelnder Einheit multikulturelle Vielfalt. Dergestalt kann das Alte Reich nun als Vorbild glänzen, je nach politischer Präferenz für die Berliner Republik oder für die Europäische Union, und es gibt Grund zur Annahme, daß die öffentlichen Aktivitäten rund um den zweihundertsten Jahrestag des Reichsendes dieser historiographischen Orientierungshilfe für die Gegenwart weiteren Auftrieb geben wird.
Daher müßte man erwarten, daß die Buchverlage, die die Gunst der Stunde genutzt und populäre Kurzdarstellungen der Reichsgeschichte auf den Markt gebracht haben, auf der Welle der wachsenden Reichsverklärung mitreiten und sie in klingende Münze umwandeln wollen. Solchen Überlegungen nicht abgeneigt scheinen die Verantwortlichen von Reclam zu sein, jedenfalls bemüht sich das von Claus Peter Hartmann verfaßte Reclam-Bändchen tatkräftig um den Nachweis, daß wir es beim Alten Reich mit einem Vorläufer des postnationalen "Europas der Regionen" zu tun haben. Anders klingt das in der Reihe Beck Wissen erschienene Büchlein von Barbara Stollberg-Rilinger. Die Autorin, Professorin an der Universität Münster und Leibniz-Preisträgerin 2005, betont zu Beginn: "Das vorliegende Buch versucht eine solche aktuelle politische Indienstnahme zu vermeiden und die spezifisch vormoderne Fremdartigkeit und Vielschichtigkeit des Alten Reiches deutlich zu machen."
Mit diesem Ziel folgt Stollberg-Rilinger dem Anachronismus-Verbot einer wissenschaftlichen Geschichtsschreibung und nimmt didaktische Schwierigkeiten in Kauf, die gerade bei populären Werken ins Gewicht fallen können. Eine Geschichte, in der die Gegenwart präfiguriert erscheint, eröffnet Nichtspezialisten einen leichteren Zugang als eine, die von einer fremden und sperrigen Materie handelt. Jegliche Identifikation verweigernd, kann diese höchstens den Reiz des Exotischen ausspielen. Dafür wäre Stollberg-Rilinger im Grunde die passende Autorin, hat sie sich doch einen Namen als Kulturhistorikern gemacht, die mit Hilfe ethnologischer Methoden die Bedeutung von Symbolen und Ritualen in der frühneuzeitlichen Politik analysiert.
Etwas überraschend stellt sie ihre eigenen Forschungen aber eher in den Hintergrund und bietet einen verhältnismäßig klassischen Überblick über die Politik- und Verfassungsgeschichte des Reiches vom Wormser Reichstag 1495 bis zum "ruhmlosen Ende" 1806. Der Gefahr, dem ungeheuren Stoff mit einer dichten Reihung von Daten und Fakten Herr werden zu wollen, entgeht die Autorin souverän. Wie nur wenige versteht sie es, klare Schwerpunkte zu setzen, durch das Dickicht der Ereignisse einem roten Faden zu folgen, allgemeine Aussagen mit konkretisierenden Beispielen zu verbinden und politisches Handeln in Abhängigkeit von politischem Denken und kulturellen Werten zu betrachten.
Dieser Gabe ist es zu verdanken, daß das Büchlein nicht nur in inhaltlicher und sprachlicher, sondern auch in didaktischer Hinsicht gelungen ist. Bei den kurzen Ausführungen zur Debatte über die Reichsverfassung im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert ist man - entgegen dem Aktualisierungsverbot der Autorin - versucht, die heutige Historikerkontroverse als Wiederaufführung eines alten Stücks zu interpretieren: In ihr schlüpft Wolfgang Reinhard in die Rolle des unzimperlich scharfsinnigen Samuel Pufendorf (1632 bis 1694), und Georg Schmidt spielt den freiheitlich-national gesinnten Friedrich Carl von Moser (1723 bis 1798).
Da Stollberg-Rilinger die Gegenwartsferne des Alten Reiches nur ansatzweise am symbolisch-rituellen Charakter der Politik festmacht (deren angebliche Unverträglichkeit mit modernen politischen Verfahren genauer zu prüfen wäre), kommt dem Nachweis einer geringen Institutionalisierung und unverändert ständischen Struktur der Reichspolitik große Bedeutung zu. Die Autorin legt den Finger auf die chronische Überlastung und wiederholte Blockierung des Reichskammergerichts, auf die nie geklärte territoriale Ausdehnung des Reiches sowie auf eine Serie gescheiterter oder verwässerter Reformen wie jener des Reichsheeres 1681/82, bei der nicht einmal ein einheitlicher Oberbefehl vereinbart, geschweige denn eine stehende Armee vorgesehen wurde.
Im abschließenden Kapitel weist Stollberg-Rilinger, wie schon in der Einleitung, nochmals mit allem Nachdruck auf das Fehlen der wichtigsten Merkmale von Staatlichkeit hin. Sich an der Quellensprache orientierend, setzt sie an die Stelle des Staatsbegriffs jenen des "Körpers". Als dessen ständische Gestalt mit der fortschreitenden Verstaatlichung der größeren Reichsterritorien zu zerfallen begann, war das Reich schon dem Tod geweiht. Laut Stollberg-Rilinger starb es nicht, wie jüngere Studien gern unterstellen, an einer Seuche namens Napoleon, sondern an "seiner eigenen Reformunfähigkeit". In Zeiten der nachgeholten Trauer über das Reichsende tut diese nüchterne Betrachtung gut.
CASPAR HIRSCHI
Barbara Stollberg-Rilinger: "Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation". Vom Ende des Mittelalters bis 1806. Verlag C. H. Beck, München 2006. 133 S., br., 7,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Barbara Stollberg-Rilingers Schnitzeljagd im Alten Reich
Einst galt die Geschichte des frühneuzeitlichen Reiches als lange Agonie eines zahnlosen "Monstrums", über dessen Leiden taktvolle Historiker besser den Mantel des Schweigens legten. Mittlerweile hat das Pendel eher in die Gegenrichtung ausgeschlagen. Aus militärischer Schwäche ist moralische Stärke geworden, aus mangelnder Einheit multikulturelle Vielfalt. Dergestalt kann das Alte Reich nun als Vorbild glänzen, je nach politischer Präferenz für die Berliner Republik oder für die Europäische Union, und es gibt Grund zur Annahme, daß die öffentlichen Aktivitäten rund um den zweihundertsten Jahrestag des Reichsendes dieser historiographischen Orientierungshilfe für die Gegenwart weiteren Auftrieb geben wird.
Daher müßte man erwarten, daß die Buchverlage, die die Gunst der Stunde genutzt und populäre Kurzdarstellungen der Reichsgeschichte auf den Markt gebracht haben, auf der Welle der wachsenden Reichsverklärung mitreiten und sie in klingende Münze umwandeln wollen. Solchen Überlegungen nicht abgeneigt scheinen die Verantwortlichen von Reclam zu sein, jedenfalls bemüht sich das von Claus Peter Hartmann verfaßte Reclam-Bändchen tatkräftig um den Nachweis, daß wir es beim Alten Reich mit einem Vorläufer des postnationalen "Europas der Regionen" zu tun haben. Anders klingt das in der Reihe Beck Wissen erschienene Büchlein von Barbara Stollberg-Rilinger. Die Autorin, Professorin an der Universität Münster und Leibniz-Preisträgerin 2005, betont zu Beginn: "Das vorliegende Buch versucht eine solche aktuelle politische Indienstnahme zu vermeiden und die spezifisch vormoderne Fremdartigkeit und Vielschichtigkeit des Alten Reiches deutlich zu machen."
Mit diesem Ziel folgt Stollberg-Rilinger dem Anachronismus-Verbot einer wissenschaftlichen Geschichtsschreibung und nimmt didaktische Schwierigkeiten in Kauf, die gerade bei populären Werken ins Gewicht fallen können. Eine Geschichte, in der die Gegenwart präfiguriert erscheint, eröffnet Nichtspezialisten einen leichteren Zugang als eine, die von einer fremden und sperrigen Materie handelt. Jegliche Identifikation verweigernd, kann diese höchstens den Reiz des Exotischen ausspielen. Dafür wäre Stollberg-Rilinger im Grunde die passende Autorin, hat sie sich doch einen Namen als Kulturhistorikern gemacht, die mit Hilfe ethnologischer Methoden die Bedeutung von Symbolen und Ritualen in der frühneuzeitlichen Politik analysiert.
Etwas überraschend stellt sie ihre eigenen Forschungen aber eher in den Hintergrund und bietet einen verhältnismäßig klassischen Überblick über die Politik- und Verfassungsgeschichte des Reiches vom Wormser Reichstag 1495 bis zum "ruhmlosen Ende" 1806. Der Gefahr, dem ungeheuren Stoff mit einer dichten Reihung von Daten und Fakten Herr werden zu wollen, entgeht die Autorin souverän. Wie nur wenige versteht sie es, klare Schwerpunkte zu setzen, durch das Dickicht der Ereignisse einem roten Faden zu folgen, allgemeine Aussagen mit konkretisierenden Beispielen zu verbinden und politisches Handeln in Abhängigkeit von politischem Denken und kulturellen Werten zu betrachten.
Dieser Gabe ist es zu verdanken, daß das Büchlein nicht nur in inhaltlicher und sprachlicher, sondern auch in didaktischer Hinsicht gelungen ist. Bei den kurzen Ausführungen zur Debatte über die Reichsverfassung im siebzehnten und achtzehnten Jahrhundert ist man - entgegen dem Aktualisierungsverbot der Autorin - versucht, die heutige Historikerkontroverse als Wiederaufführung eines alten Stücks zu interpretieren: In ihr schlüpft Wolfgang Reinhard in die Rolle des unzimperlich scharfsinnigen Samuel Pufendorf (1632 bis 1694), und Georg Schmidt spielt den freiheitlich-national gesinnten Friedrich Carl von Moser (1723 bis 1798).
Da Stollberg-Rilinger die Gegenwartsferne des Alten Reiches nur ansatzweise am symbolisch-rituellen Charakter der Politik festmacht (deren angebliche Unverträglichkeit mit modernen politischen Verfahren genauer zu prüfen wäre), kommt dem Nachweis einer geringen Institutionalisierung und unverändert ständischen Struktur der Reichspolitik große Bedeutung zu. Die Autorin legt den Finger auf die chronische Überlastung und wiederholte Blockierung des Reichskammergerichts, auf die nie geklärte territoriale Ausdehnung des Reiches sowie auf eine Serie gescheiterter oder verwässerter Reformen wie jener des Reichsheeres 1681/82, bei der nicht einmal ein einheitlicher Oberbefehl vereinbart, geschweige denn eine stehende Armee vorgesehen wurde.
Im abschließenden Kapitel weist Stollberg-Rilinger, wie schon in der Einleitung, nochmals mit allem Nachdruck auf das Fehlen der wichtigsten Merkmale von Staatlichkeit hin. Sich an der Quellensprache orientierend, setzt sie an die Stelle des Staatsbegriffs jenen des "Körpers". Als dessen ständische Gestalt mit der fortschreitenden Verstaatlichung der größeren Reichsterritorien zu zerfallen begann, war das Reich schon dem Tod geweiht. Laut Stollberg-Rilinger starb es nicht, wie jüngere Studien gern unterstellen, an einer Seuche namens Napoleon, sondern an "seiner eigenen Reformunfähigkeit". In Zeiten der nachgeholten Trauer über das Reichsende tut diese nüchterne Betrachtung gut.
CASPAR HIRSCHI
Barbara Stollberg-Rilinger: "Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation". Vom Ende des Mittelalters bis 1806. Verlag C. H. Beck, München 2006. 133 S., br., 7,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rundum gelungen findet Rezensent Caspar Hirschi diese Geschichte des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation, die Barbara Stollberg-Rilinger vorgelegt hat. Er würdigt ihre souveräne Darstellung der Politik- und Verfassungsgeschichte des Reichs und lobt die Fähigkeit der Autorin, Schwerpunkte zu setzen, immer den Überblick zu behalten, allgemeine Aussagen konkret zu veranschaulichen und die Politik immer auch im Kontext von kulturellen Werten zu betrachten. Zudem hebt Hirschi hervor, dass Stollberg-Rilinger im Unterschied zu mancher populären Darstellung der Versuchung widersteht, das Reich als Vorläufer des postnationalen Europas zu deuten. Vielmehr führt sie laut Hirschi das Fehlen der wichtigsten Elemente von Staatlichkeit im Reich eindrücklich vor Augen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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