Die Autorin, eine bekannte und angesehene Ärztin, hilft mit ihrem Buch den Frauen, ihren Weg durch die überwältigend große Anzahl der Veröffentlichungen in den Medien und die verwirrenden und einander oftmals widersprechenden wissenschaftlichen "Beweise" zu finden und das Für und Wider einer Hormonersatztherapie für sich abzuwägen. Sie zeigt auf, was wir über Hormontherapien bereits wissen und was nicht, und untersucht eingehend Alternativen, die darin bestehen können, den eigenen Lebensstil grundlegend zu ändern oder auf andere Medikationen auszuweichen. Susan Love stellt dabei die weitverbreitete medizinische Vorgehensweise in Frage, Frauen nach der Menopause automatisch Hormonpräparate zu verschreiben. Sie glaubt vielmehr, daß die positiven Wirkungen dieser Therapie überschätzt werden, die Risiken und Grenzen dagegen viel zu wenig beachtet bzw. bagatellisiert werden. Das Buch enthält ausführliche Hinweise zu allen auf dem Markt befindlichen Medikamenten sowie Adressen für Frauen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.12.1997Bericht zur Lage der Liebe
Um Stefanie ist es still: Die Evolution produziert Erschütterungen genug / Von Dirk Schümer
Ist die Ära der erotischen Ratgeberliteratur vorbei? Jedenfalls gibt es in diesem Bücherherbst, da die Abende länger und die Zweisamkeiten kuscheliger zu werden pflegen, keine therapeutischen Führer für Verlassene, Sexsüchtige, Jungverliebte, Fetischisten. Keine Fragebögen sind anzukreuzen, keine Hilfstelefone anzuwählen. Darum auch in den Fachbüchern keine endlosen Tratschereien und Fallstudien mehr, ob Stefanie nun die Trennung von ihrem jungen Freund bewältigt, wie der fromme Jan mit der Kinderaufzucht fertig wird und ob Gustav vor lauter Arbeit seinen Freund auch nicht vernachlässigt. Offenbar hat die Leserschaft genug vom verstohlenen, niemals abreißenden Therapiegespräch über den eigenen Bettrand hinaus. Jetzt, nach mindestens drei Jahrzehnten des Befragens und Forschens, will das Publikum Ergebnisse: Man wünscht kein Geschwätz, sondern handfeste, fundierte Informationen für den eigenen Gebrauch.
"Mars und Venus - das Liebesleben der Menschen" von Desmond Morris ist solch ein Buch, dessen Perspektive auf Sex und Liebe der gegenwärtigen Abgeklärtheit Genüge tut. Der Zoologe Morris sieht die Sexualität allein aus dem Blickwinkel der Evolution, romantische Verklärung würde da nur stören. "Wenn man ein Leben voller Stöße und Erschütterungen führt, kann man es sich nicht leisten, die Hoden im Körperinnern zu tragen." Das ist ein klares Wort am rechten Ort. Morris vermag unseren Körper und seine Funktionen einzig aus dem Alltag der Evolution heraus zu erklären: Die weibliche Brust ist ein Sexualmerkmal, weil nur dreißig Prozent von ihr der Milcherzeugung dienen. Der Rest dient dem Paarungsritual, und das ist evolutionshistorisch im großen und ganzen bei unseren Stammesverwandten, etwa den Gorillaweibchen, dasselbe: "Obwohl sie normalerweise einem Partner treu sind, haben sie hin und wieder Sex mit einem zweiten Männchen - was genau dem menschlichen Verhalten entspricht." Bei mehr als einem Seitensprung empfiehlt sich der Vergleich mit den promiskuitiven Schimpansen.
Alle Sorgen und Nöte des täglichen Miteinander lösen sich schiedlich unter der darwinistischen Verkehrsordnung auf. Unparteiisch listet der Autor die Vor- und Nachteile der Vielweiberei auf: Sie verschlingt das Vermögen des Ehemannes, erlaubt aber zahlreiche Nachkommen. Prostitution dagegen verbreitet Geschlechtskrankheiten, wohingegen verordnete Monogamie nicht vor Seitensprüngen schützt. Virtuos zieht der Autor Verbindungslinien zwischen afrikanischen Riesenlippen, japanischen Phalluskulten, verstümmelten chinesischen Füßchen und unserer plastischen Chirurgie. Alles dient dem Hervorheben von Schlüsselreizen, und: "Alle wollen einundzwanzig sein."
Selbst die Tolerierung der Homosexualität will Morris kühl aus der Gattungsgeschichte begründen: Es gebe derzeit genug Menschen; sollte die Vermehrung rückläufig sein, würden Schwule und Lesben auch wieder geächtet. Morris sieht nicht ein, daß vielleicht gerade jenseits des Egoismus der Gene die Zivilisation einsetzen könnte. Sollte gerade sie es sein, die uns nackten Affen den Spaß am Sex verdirbt? "Wenn ein junger Mann und ein junges Mädchen sich im Regenwald begegnen, ist dies eine wunderbar direkte Sache." Solche Befunde am unverzärtelten Wilden würden Ethnologen vom Schlage eines Hans-Peter Duerr, der die komplizierten Tabus und Schamhaftigkeiten sogenannter "Naturvölker" bewiesen hat, auf die Palme bringen. Morris dagegen stellt den Vermehrungstrieb vor wie die Automatik einer etwas anfälligen Limousine - ein unverwüstliches Buch.
Die Perspektive der Artengeschichte mag persönliche Freuden und Sehnsüchte geringschätzen, doch immerhin bietet sie emanzipatorisches Potential. "Der kleine Unterschied", das Buch über die vor allem auch psychische Geschlechterdifferenz, läßt kein gutes Haar am Männchen des Homo sapiens sapiens. Sabina Riedl und Barbara Schweder, zwei Wiener Schwestern, haben ihr Werk zwar listig "Hannes und Michael, in Liebe" gewidmet, doch definieren sie ungerührt Sexualität als "Verteidigungsstrategie" im Evolutionsprozeß: Pantoffeltierchen, die von Zeit zu Zeit Erbmasse austauschen, verpassen eben keinen genetischen Innovationsschub. Doch leider führt der Weg der Evolution keineswegs direkt vom Pantoffeltierchen zum Pantoffelhelden: Während die Männer von ihrer linken Gehirnhälfte zu Jagd, Vergewaltigung und seelischer Verkümmerung getrieben werden, sind Frauen "das stabilere, ausgereiftere Geschlecht". Im übrigen seien beide, wenn sie auch zuweilen zum Kannibalismus neigen, von der Biologie "optimal aufeinander abgestimmt".
Was stimmt denn nun? Es ist die Crux dieserart Lehrbücher, daß sie aus ferner Vogelschau alles, was in unseren Hormonbahnen kreucht, als praktisch und vernünftig, weil gattungsgeschichtlich erfolgreich, verklären müssen, während der geplagte einzelne gerade im Hinblick auf sein Liebesleben die Evolution zuweilen für einen absurden Irrweg halten mag. Außen angebrachte Hoden mögen Männchen zureichend gegen Stöße und Erschütterungen feien, doch schon das "Hormonbuch" von Dr. Susan Love belehrt uns über die beachtlichen Erschütterungen durch erotische Botenstoffe. Allzu hilflos überläßt uns die Biologie dem eigenen Schicksal; nicht einmal das Studium dieses dicken Buches reicht aus, um die Leserin reibungslos menopausieren zu lassen: "Wenn Sie den möglichen Schutz vor Herzerkrankungen und das Brustkrebsrisiko gegeneinander abwägen und eine Prise Nutzeffekt hinsichtlich Osteoporose hinzugeben, dann werden Sie feststellen, daß sich die Lebenserwartung einer fünfzigjährigen weißen Frau ohne Risikofaktoren und mit intaktem Uterus im Durchschnitt um etwas weniger als ein Jahr verlängert, wenn sie Östrogen und Gestagen einnimmt." Eine Frau, die das alles bedenkt, könnte dieses knappe Jahr schon verloren haben.
Katrin Wiederkehr widmet sich den Risikofaktoren der fünfzigjährigen weißen Frauen lieber von der optimistischen Seite. Die Autorin preist die spirituelle Lebenskraft dieser Generation, die mit der Pille geliebt und die sexuelle Freiheit ausgekostet hat, die noch mit Fünfzig wieder heiratet oder sich einen jungen Geliebten genehmigt ("Er tanzte wie ein Schmetterling in meinen Garten"). Der Titel ist zugleich ein Motto: "Wer losläßt, hat die Hände frei." Auch Daniel Odier weiß ein Lied von den Vorzügen der freien Hände im Lotossitz zu singen. Er ist zum "Eintauchen in die absolute Liebe" in den Himalaja geklettert, wo er bei einer Meisterin des drawidischen Tantrismus manch schöne Stunde verbrachte. Mit großer persönlicher Begeisterung erzählt Odier davon, wie er tagelang sein "Om" in Tiefenfrequenz murmeln und nachts frierend meditieren mußte, ehe ihm seine Initiation in "Mahamudra, das Sich-Öffnen, das Offenwerden des Herzens" zuteil wurde. Zieht man einmal die spirituellen Erleuchtungen ab, so ist schon allein aus den ausführlichen Beschreibungen tagelanger Partnermassage mit Öl und Musik und ausgefuchstesten Beischlafs mit der Tantra-Meisterin gut zu begreifen, warum der Autor nach dem "inneren Big Bang" seine neue Religion so mag: "Ekstase ist der Normalzustand."
Das christliche Abendland trägt schwer an der Verdrängung solch sexueller Erscheinungsformen der Religion. Vor allem in den alten europäischen Kolonien zwischen Los Angeles und New York, deren Kultur auf dem Puritanismus fußt, schlägt man sich mit dem Erbe von Sexualneid, Prüderie und erotischer Korrektheit herum. Nadine Strossens Pamphlet gegen die Antipornographiebewegung führt die Leserschaft in eine Welt fundamentalistischen Wahnsinns. Da werden im brutalfeministischem Sexualhaß wegen einer nackten Schulter Fotozeitschriften boykottiert, da wird die Reproduktion von Goyas nackter Venus untersagt, da werden inzwischen sogar Gewürzkochbücher mit dem Titel "Scharf, schärfer, am schärfsten" wegen sexueller Diskriminierung beschlagnahmt.
Man könnte sich, wenn das nicht alles übelster Ernst wäre, ausschütten vor Lachen über den Fall einer Universitätsdozentin, die den Gebrauch eines Präservativs an einer Banane demonstrieren wollte und dafür mit Erfolg von einem Studenten wegen Penisdiskriminierung verklagt wurde. Wenn auch die "Anti-Antipornographiebewegung" irgendwann bis nach Europa herüberschwappen sollte, wird man dankbar "Das kleine Buch der großen Liebe" zur Hand nehmen - ein Buch, das in heißumkämpften Liebesdingen zu Versöhnung, Milde und vor allem zur Bescheidenheit rät. Jacob Needleman handelt schon gar nicht mehr von kleinen Unterschieden, ekstatischen Erweckungen und großen Diskriminierungen, sondern plaudert ganz gelassen und bei aller Zuversicht irgendwie hoffnungslos über die "Arbeit der Liebe".
"Warum streiten wir? Worauf können wir vertrauen?" Wer das sachte Parlando solcher Kapitel bewältigt hat, der ist über die gröbsten Liebessorgen schon weit hinaus, macht sich aber auch zum Abschied bereit. Daß der Autor mit Plato, Augustin, Paulus und Kierkegaard seine Gewährsleute für die "Weisheit der Liebe" allesamt in Autoren findet, die selbst an schwersten emotionalen Defekten litten und nie eine Liebesbeziehung hinbekamen, schwächt das sedative Schwurbeln des Textes nur unmerklich: "Dementsprechend führt der Versuch, andere als Suchende nach sich selbst zu betrachten, auf einer anderen Ebene dazu, daß die Wärme für den anderen zurückkehrt, die unter einer Flut von Emotionen verschwunden war."
Vielleicht ist es das, was uns die Lage der Liebe derart verworren darstellt - soviel Wissen und mystischer Trost wir auch in die Sache hereinzulegen versuchen: Während die stoßfesten männlichen Hoden außen von der Evolution auf die richtige Temperatur herabgekühlt werden, soll das Innere von Wärme und Tantra nur so überschwemmen. Und ob danach der Weg zur Hormontherapeutin oder zum Rechtsanwalt führt, hängt vom gerade herrschenden Sexualklima ab. Was jedenfalls nie verkehrt ist: immer die Hände freihalten.
Desmond Morris: "Mars und Venus". Das Liebesleben der Menschen. Aus dem Amerikanischen von Beate Gorman. Heyne Verlag, München 1997. 256 S., geb., 48,- DM.
Sabina Riedl, Barbara Schweder: "Der kleine Unterschied". Warum Frauen und Männer anders denken und fühlen. Deuticke Verlag, Wien 1997. 294 S., Abb., geb., 39,- DM.
Susan M. Love: "Das Hormonbuch". Was Frauen wissen sollten. Aus dem Amerikanischen und bearbeitet von Gabriele Herbst. Wofgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1997. 517 S., geb., 49,80 DM.
Katrin Wiederkehr: "Wer losläßt, hat die Hände frei". Ein Buch für Frauen, die noch viel vorhaben. Scherz Verlag, Bern 1997. 220 S., geb., 36,90 DM.
Daniel Odier: "Tantra". Eintauchen in die absolute Liebe. Aus dem Französischen von Christiane Müller. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1997. 208 S., geb., 34,- DM.
Nadine Strossen: "Zur Verteidigung der Pornographie". Für die Freiheit des Wortes, Sex und die Rechte der Frauen. Aus dem Amerikanischen von Ruth Keen. Haffmans Verlag, Zürich 1997. 378 S., br., 39,- DM.
Jacob Needleman: "Das große Buch der kleinen Liebe". Aus dem Amerikanischen von Heike Münnich. Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1997. 184 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Um Stefanie ist es still: Die Evolution produziert Erschütterungen genug / Von Dirk Schümer
Ist die Ära der erotischen Ratgeberliteratur vorbei? Jedenfalls gibt es in diesem Bücherherbst, da die Abende länger und die Zweisamkeiten kuscheliger zu werden pflegen, keine therapeutischen Führer für Verlassene, Sexsüchtige, Jungverliebte, Fetischisten. Keine Fragebögen sind anzukreuzen, keine Hilfstelefone anzuwählen. Darum auch in den Fachbüchern keine endlosen Tratschereien und Fallstudien mehr, ob Stefanie nun die Trennung von ihrem jungen Freund bewältigt, wie der fromme Jan mit der Kinderaufzucht fertig wird und ob Gustav vor lauter Arbeit seinen Freund auch nicht vernachlässigt. Offenbar hat die Leserschaft genug vom verstohlenen, niemals abreißenden Therapiegespräch über den eigenen Bettrand hinaus. Jetzt, nach mindestens drei Jahrzehnten des Befragens und Forschens, will das Publikum Ergebnisse: Man wünscht kein Geschwätz, sondern handfeste, fundierte Informationen für den eigenen Gebrauch.
"Mars und Venus - das Liebesleben der Menschen" von Desmond Morris ist solch ein Buch, dessen Perspektive auf Sex und Liebe der gegenwärtigen Abgeklärtheit Genüge tut. Der Zoologe Morris sieht die Sexualität allein aus dem Blickwinkel der Evolution, romantische Verklärung würde da nur stören. "Wenn man ein Leben voller Stöße und Erschütterungen führt, kann man es sich nicht leisten, die Hoden im Körperinnern zu tragen." Das ist ein klares Wort am rechten Ort. Morris vermag unseren Körper und seine Funktionen einzig aus dem Alltag der Evolution heraus zu erklären: Die weibliche Brust ist ein Sexualmerkmal, weil nur dreißig Prozent von ihr der Milcherzeugung dienen. Der Rest dient dem Paarungsritual, und das ist evolutionshistorisch im großen und ganzen bei unseren Stammesverwandten, etwa den Gorillaweibchen, dasselbe: "Obwohl sie normalerweise einem Partner treu sind, haben sie hin und wieder Sex mit einem zweiten Männchen - was genau dem menschlichen Verhalten entspricht." Bei mehr als einem Seitensprung empfiehlt sich der Vergleich mit den promiskuitiven Schimpansen.
Alle Sorgen und Nöte des täglichen Miteinander lösen sich schiedlich unter der darwinistischen Verkehrsordnung auf. Unparteiisch listet der Autor die Vor- und Nachteile der Vielweiberei auf: Sie verschlingt das Vermögen des Ehemannes, erlaubt aber zahlreiche Nachkommen. Prostitution dagegen verbreitet Geschlechtskrankheiten, wohingegen verordnete Monogamie nicht vor Seitensprüngen schützt. Virtuos zieht der Autor Verbindungslinien zwischen afrikanischen Riesenlippen, japanischen Phalluskulten, verstümmelten chinesischen Füßchen und unserer plastischen Chirurgie. Alles dient dem Hervorheben von Schlüsselreizen, und: "Alle wollen einundzwanzig sein."
Selbst die Tolerierung der Homosexualität will Morris kühl aus der Gattungsgeschichte begründen: Es gebe derzeit genug Menschen; sollte die Vermehrung rückläufig sein, würden Schwule und Lesben auch wieder geächtet. Morris sieht nicht ein, daß vielleicht gerade jenseits des Egoismus der Gene die Zivilisation einsetzen könnte. Sollte gerade sie es sein, die uns nackten Affen den Spaß am Sex verdirbt? "Wenn ein junger Mann und ein junges Mädchen sich im Regenwald begegnen, ist dies eine wunderbar direkte Sache." Solche Befunde am unverzärtelten Wilden würden Ethnologen vom Schlage eines Hans-Peter Duerr, der die komplizierten Tabus und Schamhaftigkeiten sogenannter "Naturvölker" bewiesen hat, auf die Palme bringen. Morris dagegen stellt den Vermehrungstrieb vor wie die Automatik einer etwas anfälligen Limousine - ein unverwüstliches Buch.
Die Perspektive der Artengeschichte mag persönliche Freuden und Sehnsüchte geringschätzen, doch immerhin bietet sie emanzipatorisches Potential. "Der kleine Unterschied", das Buch über die vor allem auch psychische Geschlechterdifferenz, läßt kein gutes Haar am Männchen des Homo sapiens sapiens. Sabina Riedl und Barbara Schweder, zwei Wiener Schwestern, haben ihr Werk zwar listig "Hannes und Michael, in Liebe" gewidmet, doch definieren sie ungerührt Sexualität als "Verteidigungsstrategie" im Evolutionsprozeß: Pantoffeltierchen, die von Zeit zu Zeit Erbmasse austauschen, verpassen eben keinen genetischen Innovationsschub. Doch leider führt der Weg der Evolution keineswegs direkt vom Pantoffeltierchen zum Pantoffelhelden: Während die Männer von ihrer linken Gehirnhälfte zu Jagd, Vergewaltigung und seelischer Verkümmerung getrieben werden, sind Frauen "das stabilere, ausgereiftere Geschlecht". Im übrigen seien beide, wenn sie auch zuweilen zum Kannibalismus neigen, von der Biologie "optimal aufeinander abgestimmt".
Was stimmt denn nun? Es ist die Crux dieserart Lehrbücher, daß sie aus ferner Vogelschau alles, was in unseren Hormonbahnen kreucht, als praktisch und vernünftig, weil gattungsgeschichtlich erfolgreich, verklären müssen, während der geplagte einzelne gerade im Hinblick auf sein Liebesleben die Evolution zuweilen für einen absurden Irrweg halten mag. Außen angebrachte Hoden mögen Männchen zureichend gegen Stöße und Erschütterungen feien, doch schon das "Hormonbuch" von Dr. Susan Love belehrt uns über die beachtlichen Erschütterungen durch erotische Botenstoffe. Allzu hilflos überläßt uns die Biologie dem eigenen Schicksal; nicht einmal das Studium dieses dicken Buches reicht aus, um die Leserin reibungslos menopausieren zu lassen: "Wenn Sie den möglichen Schutz vor Herzerkrankungen und das Brustkrebsrisiko gegeneinander abwägen und eine Prise Nutzeffekt hinsichtlich Osteoporose hinzugeben, dann werden Sie feststellen, daß sich die Lebenserwartung einer fünfzigjährigen weißen Frau ohne Risikofaktoren und mit intaktem Uterus im Durchschnitt um etwas weniger als ein Jahr verlängert, wenn sie Östrogen und Gestagen einnimmt." Eine Frau, die das alles bedenkt, könnte dieses knappe Jahr schon verloren haben.
Katrin Wiederkehr widmet sich den Risikofaktoren der fünfzigjährigen weißen Frauen lieber von der optimistischen Seite. Die Autorin preist die spirituelle Lebenskraft dieser Generation, die mit der Pille geliebt und die sexuelle Freiheit ausgekostet hat, die noch mit Fünfzig wieder heiratet oder sich einen jungen Geliebten genehmigt ("Er tanzte wie ein Schmetterling in meinen Garten"). Der Titel ist zugleich ein Motto: "Wer losläßt, hat die Hände frei." Auch Daniel Odier weiß ein Lied von den Vorzügen der freien Hände im Lotossitz zu singen. Er ist zum "Eintauchen in die absolute Liebe" in den Himalaja geklettert, wo er bei einer Meisterin des drawidischen Tantrismus manch schöne Stunde verbrachte. Mit großer persönlicher Begeisterung erzählt Odier davon, wie er tagelang sein "Om" in Tiefenfrequenz murmeln und nachts frierend meditieren mußte, ehe ihm seine Initiation in "Mahamudra, das Sich-Öffnen, das Offenwerden des Herzens" zuteil wurde. Zieht man einmal die spirituellen Erleuchtungen ab, so ist schon allein aus den ausführlichen Beschreibungen tagelanger Partnermassage mit Öl und Musik und ausgefuchstesten Beischlafs mit der Tantra-Meisterin gut zu begreifen, warum der Autor nach dem "inneren Big Bang" seine neue Religion so mag: "Ekstase ist der Normalzustand."
Das christliche Abendland trägt schwer an der Verdrängung solch sexueller Erscheinungsformen der Religion. Vor allem in den alten europäischen Kolonien zwischen Los Angeles und New York, deren Kultur auf dem Puritanismus fußt, schlägt man sich mit dem Erbe von Sexualneid, Prüderie und erotischer Korrektheit herum. Nadine Strossens Pamphlet gegen die Antipornographiebewegung führt die Leserschaft in eine Welt fundamentalistischen Wahnsinns. Da werden im brutalfeministischem Sexualhaß wegen einer nackten Schulter Fotozeitschriften boykottiert, da wird die Reproduktion von Goyas nackter Venus untersagt, da werden inzwischen sogar Gewürzkochbücher mit dem Titel "Scharf, schärfer, am schärfsten" wegen sexueller Diskriminierung beschlagnahmt.
Man könnte sich, wenn das nicht alles übelster Ernst wäre, ausschütten vor Lachen über den Fall einer Universitätsdozentin, die den Gebrauch eines Präservativs an einer Banane demonstrieren wollte und dafür mit Erfolg von einem Studenten wegen Penisdiskriminierung verklagt wurde. Wenn auch die "Anti-Antipornographiebewegung" irgendwann bis nach Europa herüberschwappen sollte, wird man dankbar "Das kleine Buch der großen Liebe" zur Hand nehmen - ein Buch, das in heißumkämpften Liebesdingen zu Versöhnung, Milde und vor allem zur Bescheidenheit rät. Jacob Needleman handelt schon gar nicht mehr von kleinen Unterschieden, ekstatischen Erweckungen und großen Diskriminierungen, sondern plaudert ganz gelassen und bei aller Zuversicht irgendwie hoffnungslos über die "Arbeit der Liebe".
"Warum streiten wir? Worauf können wir vertrauen?" Wer das sachte Parlando solcher Kapitel bewältigt hat, der ist über die gröbsten Liebessorgen schon weit hinaus, macht sich aber auch zum Abschied bereit. Daß der Autor mit Plato, Augustin, Paulus und Kierkegaard seine Gewährsleute für die "Weisheit der Liebe" allesamt in Autoren findet, die selbst an schwersten emotionalen Defekten litten und nie eine Liebesbeziehung hinbekamen, schwächt das sedative Schwurbeln des Textes nur unmerklich: "Dementsprechend führt der Versuch, andere als Suchende nach sich selbst zu betrachten, auf einer anderen Ebene dazu, daß die Wärme für den anderen zurückkehrt, die unter einer Flut von Emotionen verschwunden war."
Vielleicht ist es das, was uns die Lage der Liebe derart verworren darstellt - soviel Wissen und mystischer Trost wir auch in die Sache hereinzulegen versuchen: Während die stoßfesten männlichen Hoden außen von der Evolution auf die richtige Temperatur herabgekühlt werden, soll das Innere von Wärme und Tantra nur so überschwemmen. Und ob danach der Weg zur Hormontherapeutin oder zum Rechtsanwalt führt, hängt vom gerade herrschenden Sexualklima ab. Was jedenfalls nie verkehrt ist: immer die Hände freihalten.
Desmond Morris: "Mars und Venus". Das Liebesleben der Menschen. Aus dem Amerikanischen von Beate Gorman. Heyne Verlag, München 1997. 256 S., geb., 48,- DM.
Sabina Riedl, Barbara Schweder: "Der kleine Unterschied". Warum Frauen und Männer anders denken und fühlen. Deuticke Verlag, Wien 1997. 294 S., Abb., geb., 39,- DM.
Susan M. Love: "Das Hormonbuch". Was Frauen wissen sollten. Aus dem Amerikanischen und bearbeitet von Gabriele Herbst. Wofgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1997. 517 S., geb., 49,80 DM.
Katrin Wiederkehr: "Wer losläßt, hat die Hände frei". Ein Buch für Frauen, die noch viel vorhaben. Scherz Verlag, Bern 1997. 220 S., geb., 36,90 DM.
Daniel Odier: "Tantra". Eintauchen in die absolute Liebe. Aus dem Französischen von Christiane Müller. Gustav Lübbe Verlag, Bergisch Gladbach 1997. 208 S., geb., 34,- DM.
Nadine Strossen: "Zur Verteidigung der Pornographie". Für die Freiheit des Wortes, Sex und die Rechte der Frauen. Aus dem Amerikanischen von Ruth Keen. Haffmans Verlag, Zürich 1997. 378 S., br., 39,- DM.
Jacob Needleman: "Das große Buch der kleinen Liebe". Aus dem Amerikanischen von Heike Münnich. Wolfgang Krüger Verlag, Frankfurt am Main 1997. 184 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main