Achtung, bissig!
Moskau um 1925: Der hoch angesehene Chirurg Professor Filipp Filippowitch ist auf verjüngende Eingriffe spezialisiert. Aber heimlich experimentiert er - mit Hunden. Bei Lumpi, dem Straßenköter, scheint das Experiment endlich erfolgreich: Der Hund mutiert zum Genossen in Menschengestalt, aber dieser »neue Mensch« ist nicht im Sinne des bürgerlichen Schöpfers. Denn dieser Widerling hat nicht nur all die schlechten Eigenschaften seines Spenders geerbt, sondern lebt sie gewissen- und verantwortungslos aus. Dem verzweifelten Professor bleibt nur die Rückverwandlung.
Moskau um 1925: Der hoch angesehene Chirurg Professor Filipp Filippowitch ist auf verjüngende Eingriffe spezialisiert. Aber heimlich experimentiert er - mit Hunden. Bei Lumpi, dem Straßenköter, scheint das Experiment endlich erfolgreich: Der Hund mutiert zum Genossen in Menschengestalt, aber dieser »neue Mensch« ist nicht im Sinne des bürgerlichen Schöpfers. Denn dieser Widerling hat nicht nur all die schlechten Eigenschaften seines Spenders geerbt, sondern lebt sie gewissen- und verantwortungslos aus. Dem verzweifelten Professor bleibt nur die Rückverwandlung.
'Das hündische Herz' ist, zumal in Alexander Nitzbergs knackiger Neuübersetzung, eine frappierend moderne Groteske. Kai Scharffenberger Die Rheinpfalz 20200423
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Das Ansinnen des Übersetzers Alexander Nitzberg, Bulgakows Text von seiner Politisierung zu befreien und in ihm außer dem satirischen Element eine weitere Ebene sichtbar zu machen, die des Sprachkunstwerks, gelingt. Laut Wolfgang Schneider sogar so gut, dass der erstmals nach der Fassung letzter Hand übertragene Text ganz neu und gegenwärtig erstrahlt in seiner originalen wie originellen dynamisch grellen, verspielten und polyphonen Beschreibungskunst. Frech und fröhlich ist schon die Handlung um die Menschwerdung des Hundes Lumpi, stellt Schneider fest, der in der Erzählung Momente einer Wissenschaftsburleske, einer Parodie auf Neumensch-Ideen und einer Farce auf den Fortschrittsglauben entdeckt.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.09.2013So blöd ist kein Köter, dass er nicht weiß, wie man Wurst schreibt
Lumpikoff, der sowjetische Hundemensch: Alexander Nitzberg hat Bulgakows groteske Erzählung "Das hündische Herz" neu übersetzt
Vor einem Jahr war plötzlich der Teufel los. Es erschien Alexander Nitzbergs Neuübersetzung von Bulgakows mephistophelischem Moskau-Roman "Meister und Margarita" - und ein Klassiker erstrahlte plötzlich in quecksilbrig-gegenwärtigem Sprachgewand (F.A.Z. vom 6. Oktober 2012). Eine Einladung zur Wiederentdeckung ist nun auch Nitzbergs frische, freche und durchaus fröhliche Übersetzung der Novelle "Das hündische Herz", die 1925 entstand und zu Bulgakows grotesken Frühwerken gehört.
Lumpi heißt die Hauptfigur. In den ersten Kapiteln werden wir mit ihrem Straßenköterdasein vertraut gemacht: "U-u-u-u-u-huh-huh-huuuuh! Da schaut, wie ich vor die Hunde gehe!" - so setzt die Geschichte ein, mitten im Schneesturm, bei dem es Lumpi allerdings heiß wird. Denn gerade hat "der Wirt der Kantine für Normale Ernährung der Mitarbeiter des Volkswirtschaftsrates" einen Kübel kochendes Wasser über ihm ausgeschüttet. Lumpi kennt sich aus mit den politischen Verhältnissen der Menschenwelt; wir erhalten von ihm Blicke auf das postrevolutionäre Moskau aus Wadenbeißerhöhe. Auch die Anfangsgründe des Lesens sind ihm vertraut: "Von den zigtausend Moskauer Rüden kann sich höchstens ein vollkommener Trottel die Lettern Wurst nicht zusammenreimen."
Wurst wird Lumpi zum Verhängnis. Eines kalten Tages im Winter 1924 ködert ihn ein "rätselhafter Herr" mit einer Krakauer und nimmt ihn mit in seine luxuriöse Wohnung. Lumpi wird hochgepäppelt und - zum Neid der herrenlosen Artgenossen - mit Halsband spazieren geführt. Weshalb plötzlich diese Privilegien? Sein neues Herrchen, Professor Filipp Filippowitsch Preobraschenski, und dessen Assistent Bormenthal wollen Lumpi für Verjüngungsexperimente benutzen. Dem Hund werden Hoden und Hypophyse eines gerade verstorbenen jungen Mannes eingepflanzt. Es ereignet sich etwas Unverhofftes: Einige Zeit nach der Operation beginnt Lumpi sein Fell abzuwerfen und sich aufzurichten.
Die Vermenschlichung hat allerdings störende Begleiterscheinungen. Lumpis sich rasch entwickelnde Sprache - erstes Wort: "Kneipe" - besteht zum größten Teil aus Flüchen. Der meist angetrunkene Hundemensch begrapscht Frauen und ist in seiner Mischung aus Wehleidigkeit, Anmaßung und Schuftigkeit bald eine einzige Verlegenheit für seinen Schöpfer. Man hätte es ahnen können: Der Spender der Hypophyse war ein Kleinkrimineller und Säufer, der sein vorzeitiges Ende bei einer Messerstecherei fand. Im Sowjetsystem ist allerdings Platz für Lumpi, der sich nun Poligraph Poligraphowitsch Lumpikoff nennt: Als kleiner Funktionär wird er zuständig für die Beseitigung streunender Kater. Dem Professor schwant, was er da auf die Menschen losgelassen hat: "Ich fange jetzt erst an zu begreifen, was aus diesem Lumpikoff alles werden kann."
Diese "fürchterliche Geschichte" - so der Untertitel - konnte selbst in den frühen, experimentierfreudigen Jahren der Sowjetliteratur nicht erscheinen, auch wenn sich Bulgakow gegen den Vorwurf des "Konterrevolutionären" verwahrte. Die Geschichte sei doch nur geprägt von "einer Menge Lebenserfahrung" und "gesundem Menschenverstand". Man konnte den Text als Wissenschaftsburleske lesen, als Farce über den ungezügelten Fortschrittsglauben, aber auch als beißende Parodie auf die Idee des "neuen Menschen". Professor Preobraschenski ist kein Freund des Proletariats; die Weltrevolution bezeichnet er einmal als "Halluzination". Verdrossen kämpft er um sein Sieben-Zimmer-Domizil: Wohnungen wurden nach 1918 verstaatlicht und die Räume neu zugeteilt; oft wurden ganze Familien in einem Zimmer einquartiert.
Die Erzählung kursierte zu Lebzeiten Bulgakows und noch lange danach nur in Samisdat-Abschriften, die stark von den Originalmanuskripten abwichen. Erst 1989 erschien in Moskau eine Edition, die auf dem Manuskript basiert, das Bulgakow noch mit handschriftlichen Korrekturen versehen hatte. Nitzbergs Neuübersetzung ist die erste, die anhand dieser Ausgabe auf "Basis des Typoskripts letzter Hand" erstellt wurde. Der geänderte Titel - statt "Hundeherz" nun "Das hündische Herz" - trifft den Unterton des Originals: Hündisch ist schließlich auch im Deutschen ein Eigenschaftswort, das ungut im menschlichen Bereich widerhallt.
Nitzberg bildet Bulgakows launig sprachspielerischen Tempostil im Deutschen gekonnt nach: eine ungemein dynamische, grelle, vielfältige Eindrücke aufsaugende Beschreibungskunst, wenn etwa die Gerüche und Geräusche in der Küche vergegenwärtigt werden, wo sich Lumpi vor und nach der Operation am liebsten aufhält - die brutzelnde Hölle im Haus, anheimelnd für eine diabolische Figur, die man als Vorläufer des Katers Behemoth in "Meister und Margarita" verstehen kann.
Bulgakow verstärkt die groteske Wirkung der Geschichte durch Polyphonie. Der bildungsbürgerliche Duktus des Professors kontrastiert mit der revolutionären Rhetorik; reizvoll die Drastik des Hundes, an der Grenze zur Satire der Wissenschaftsjargon in den Aufzeichnungen des Assistenten Bormenthal. Vor allem die Dialoge klingen in der Neufassung temperamentvoller und kommen in ihrer gestischen Qualität zur Geltung: jeder Figur ihre sprachliche Physiognomie. Nitzberg macht Bulgakows stilistische Modernität im Deutschen kenntlich, von der grotesken Ironie bis zum Spiel mit Klängen, Rhythmen, Alliterationen.
Der Übersetzer möchte die Geschichte von ihrer politischen Inanspruchnahme befreien und als sprühendes Sprachkunstwerk zur Wiederentdeckung empfehlen: "Das hündische Herz" ist mehr als eine antisowjetische Satire. Es ist ein Werk mit großer literaturhistorischer Bedeutung, das zugleich drastisches Lesevergnügen bietet.
WOLFGANG SCHNEIDER
Michail
Bulgakow: "Das hündische Herz". Eine fürchterliche Geschichte.
Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Alexander Nitzberg. Galiani Verlag, Berlin 2013. 171 S., geb., 16,99 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Lumpikoff, der sowjetische Hundemensch: Alexander Nitzberg hat Bulgakows groteske Erzählung "Das hündische Herz" neu übersetzt
Vor einem Jahr war plötzlich der Teufel los. Es erschien Alexander Nitzbergs Neuübersetzung von Bulgakows mephistophelischem Moskau-Roman "Meister und Margarita" - und ein Klassiker erstrahlte plötzlich in quecksilbrig-gegenwärtigem Sprachgewand (F.A.Z. vom 6. Oktober 2012). Eine Einladung zur Wiederentdeckung ist nun auch Nitzbergs frische, freche und durchaus fröhliche Übersetzung der Novelle "Das hündische Herz", die 1925 entstand und zu Bulgakows grotesken Frühwerken gehört.
Lumpi heißt die Hauptfigur. In den ersten Kapiteln werden wir mit ihrem Straßenköterdasein vertraut gemacht: "U-u-u-u-u-huh-huh-huuuuh! Da schaut, wie ich vor die Hunde gehe!" - so setzt die Geschichte ein, mitten im Schneesturm, bei dem es Lumpi allerdings heiß wird. Denn gerade hat "der Wirt der Kantine für Normale Ernährung der Mitarbeiter des Volkswirtschaftsrates" einen Kübel kochendes Wasser über ihm ausgeschüttet. Lumpi kennt sich aus mit den politischen Verhältnissen der Menschenwelt; wir erhalten von ihm Blicke auf das postrevolutionäre Moskau aus Wadenbeißerhöhe. Auch die Anfangsgründe des Lesens sind ihm vertraut: "Von den zigtausend Moskauer Rüden kann sich höchstens ein vollkommener Trottel die Lettern Wurst nicht zusammenreimen."
Wurst wird Lumpi zum Verhängnis. Eines kalten Tages im Winter 1924 ködert ihn ein "rätselhafter Herr" mit einer Krakauer und nimmt ihn mit in seine luxuriöse Wohnung. Lumpi wird hochgepäppelt und - zum Neid der herrenlosen Artgenossen - mit Halsband spazieren geführt. Weshalb plötzlich diese Privilegien? Sein neues Herrchen, Professor Filipp Filippowitsch Preobraschenski, und dessen Assistent Bormenthal wollen Lumpi für Verjüngungsexperimente benutzen. Dem Hund werden Hoden und Hypophyse eines gerade verstorbenen jungen Mannes eingepflanzt. Es ereignet sich etwas Unverhofftes: Einige Zeit nach der Operation beginnt Lumpi sein Fell abzuwerfen und sich aufzurichten.
Die Vermenschlichung hat allerdings störende Begleiterscheinungen. Lumpis sich rasch entwickelnde Sprache - erstes Wort: "Kneipe" - besteht zum größten Teil aus Flüchen. Der meist angetrunkene Hundemensch begrapscht Frauen und ist in seiner Mischung aus Wehleidigkeit, Anmaßung und Schuftigkeit bald eine einzige Verlegenheit für seinen Schöpfer. Man hätte es ahnen können: Der Spender der Hypophyse war ein Kleinkrimineller und Säufer, der sein vorzeitiges Ende bei einer Messerstecherei fand. Im Sowjetsystem ist allerdings Platz für Lumpi, der sich nun Poligraph Poligraphowitsch Lumpikoff nennt: Als kleiner Funktionär wird er zuständig für die Beseitigung streunender Kater. Dem Professor schwant, was er da auf die Menschen losgelassen hat: "Ich fange jetzt erst an zu begreifen, was aus diesem Lumpikoff alles werden kann."
Diese "fürchterliche Geschichte" - so der Untertitel - konnte selbst in den frühen, experimentierfreudigen Jahren der Sowjetliteratur nicht erscheinen, auch wenn sich Bulgakow gegen den Vorwurf des "Konterrevolutionären" verwahrte. Die Geschichte sei doch nur geprägt von "einer Menge Lebenserfahrung" und "gesundem Menschenverstand". Man konnte den Text als Wissenschaftsburleske lesen, als Farce über den ungezügelten Fortschrittsglauben, aber auch als beißende Parodie auf die Idee des "neuen Menschen". Professor Preobraschenski ist kein Freund des Proletariats; die Weltrevolution bezeichnet er einmal als "Halluzination". Verdrossen kämpft er um sein Sieben-Zimmer-Domizil: Wohnungen wurden nach 1918 verstaatlicht und die Räume neu zugeteilt; oft wurden ganze Familien in einem Zimmer einquartiert.
Die Erzählung kursierte zu Lebzeiten Bulgakows und noch lange danach nur in Samisdat-Abschriften, die stark von den Originalmanuskripten abwichen. Erst 1989 erschien in Moskau eine Edition, die auf dem Manuskript basiert, das Bulgakow noch mit handschriftlichen Korrekturen versehen hatte. Nitzbergs Neuübersetzung ist die erste, die anhand dieser Ausgabe auf "Basis des Typoskripts letzter Hand" erstellt wurde. Der geänderte Titel - statt "Hundeherz" nun "Das hündische Herz" - trifft den Unterton des Originals: Hündisch ist schließlich auch im Deutschen ein Eigenschaftswort, das ungut im menschlichen Bereich widerhallt.
Nitzberg bildet Bulgakows launig sprachspielerischen Tempostil im Deutschen gekonnt nach: eine ungemein dynamische, grelle, vielfältige Eindrücke aufsaugende Beschreibungskunst, wenn etwa die Gerüche und Geräusche in der Küche vergegenwärtigt werden, wo sich Lumpi vor und nach der Operation am liebsten aufhält - die brutzelnde Hölle im Haus, anheimelnd für eine diabolische Figur, die man als Vorläufer des Katers Behemoth in "Meister und Margarita" verstehen kann.
Bulgakow verstärkt die groteske Wirkung der Geschichte durch Polyphonie. Der bildungsbürgerliche Duktus des Professors kontrastiert mit der revolutionären Rhetorik; reizvoll die Drastik des Hundes, an der Grenze zur Satire der Wissenschaftsjargon in den Aufzeichnungen des Assistenten Bormenthal. Vor allem die Dialoge klingen in der Neufassung temperamentvoller und kommen in ihrer gestischen Qualität zur Geltung: jeder Figur ihre sprachliche Physiognomie. Nitzberg macht Bulgakows stilistische Modernität im Deutschen kenntlich, von der grotesken Ironie bis zum Spiel mit Klängen, Rhythmen, Alliterationen.
Der Übersetzer möchte die Geschichte von ihrer politischen Inanspruchnahme befreien und als sprühendes Sprachkunstwerk zur Wiederentdeckung empfehlen: "Das hündische Herz" ist mehr als eine antisowjetische Satire. Es ist ein Werk mit großer literaturhistorischer Bedeutung, das zugleich drastisches Lesevergnügen bietet.
WOLFGANG SCHNEIDER
Michail
Bulgakow: "Das hündische Herz". Eine fürchterliche Geschichte.
Übersetzt, kommentiert und mit einem Nachwort von Alexander Nitzberg. Galiani Verlag, Berlin 2013. 171 S., geb., 16,99 [Euro].
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