Eine gnadenlose Beschwörung der verlorenen Zeit und eines der großen Frauenportraits des 20. Jahrhundert. Als der Tangerino Ángel Vázquez mit einiger Verspätung auf die politischen Ereignisse der marokkanischen Unabhängigkeit reagiert und Mitte der 60er Jahre in die Heimat seines Vaters, nach Spanien, auswandert, dauert es noch zehn Jahre, bis er seinen großen Roman über seine Heimatstadt Tanger fertig hat: Das Hundeleben der Juanita Narboni erscheint 1976 in Barcelona. Heute gilt Vázquez als das vergessene Genie der spanischen Literatur, Juan Goytisolo griff in El País sogar zum Vergleich mit Joyce und Céline was wohl für das Verhältnis des Autors zu seiner Heimatstadt wie auch seine revolutionäre Verwendung gesprochener Sprache gilt.
Die einzige Stimme dieses außergewöhnlichen Romans gehört Juanita Narboni: englischer Pass (da in Gibraltar geboren), italienischer Familienname, jedoch Andalusierin wie ihre Mutter - eine Figur, hinter der unschwer die Mutter des Autors zu erkennen ist. Sie beschreibt den fortschreitenden Niedergang ihres Lebens, den Weg in Einsamkeit und Elend, der zugleich auch der von Tanger ist. Eine Frauenfigur, die zutiefst lächerlich ist, kitschig, erschütternd und berührend, eine Figur von gelegentlicher und außerordentlicher Scharfsichtigkeit, haßerfüllt und dabei voller Liebeserwartungen, voller Fehler und ohne jedes Schuldgefühl.Vázquez organisiert in diesem 'Monolog' eine Erzählzeit, die vom 6. Juni 1914 bis in die Anfänge der 60er Jahre reicht, ein halbes Jahrhundert in alltäglichen Momentaufnahmen. Was sich in dem lächerlich-traurigen Leben Juanitas verkörpert, ist gleichzeitig auch das Schicksal einer zu Ende gehenden Kolonialgesellschaft. Juanitas Stimme und Persönlichkeit ist dabei immer von ungebrochener Präsenz, ob sie nun scharfsichtig oder konfus, ob sie von ihrer Kindheit oder von ihrem einsamen Alter, von Hollywood-Filmen oder argentinischen Tangos, ob sie öffentlich oder privat spricht - eine Vitalität, die die Übersetzerin (und Schriftstellerin) Gundi Feyrer beeindruckend ins Deutsche gebracht hat.Und Juanitas Sprache ist die eigentliche Protagonistin des Romans. Ein getreuer Spiegel der kaleidoskopischen Realität Juanitas, ist ihre Sprache originell, derb, drastisch, durchsetzt mit den vielen Sprachen der Bewohner Tangers, in erster Linie dem Yaquetía, dem Spanisch der sephardischen Juden Marokkos, denen Vázquez hier ein Denkmal setzt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Die einzige Stimme dieses außergewöhnlichen Romans gehört Juanita Narboni: englischer Pass (da in Gibraltar geboren), italienischer Familienname, jedoch Andalusierin wie ihre Mutter - eine Figur, hinter der unschwer die Mutter des Autors zu erkennen ist. Sie beschreibt den fortschreitenden Niedergang ihres Lebens, den Weg in Einsamkeit und Elend, der zugleich auch der von Tanger ist. Eine Frauenfigur, die zutiefst lächerlich ist, kitschig, erschütternd und berührend, eine Figur von gelegentlicher und außerordentlicher Scharfsichtigkeit, haßerfüllt und dabei voller Liebeserwartungen, voller Fehler und ohne jedes Schuldgefühl.Vázquez organisiert in diesem 'Monolog' eine Erzählzeit, die vom 6. Juni 1914 bis in die Anfänge der 60er Jahre reicht, ein halbes Jahrhundert in alltäglichen Momentaufnahmen. Was sich in dem lächerlich-traurigen Leben Juanitas verkörpert, ist gleichzeitig auch das Schicksal einer zu Ende gehenden Kolonialgesellschaft. Juanitas Stimme und Persönlichkeit ist dabei immer von ungebrochener Präsenz, ob sie nun scharfsichtig oder konfus, ob sie von ihrer Kindheit oder von ihrem einsamen Alter, von Hollywood-Filmen oder argentinischen Tangos, ob sie öffentlich oder privat spricht - eine Vitalität, die die Übersetzerin (und Schriftstellerin) Gundi Feyrer beeindruckend ins Deutsche gebracht hat.Und Juanitas Sprache ist die eigentliche Protagonistin des Romans. Ein getreuer Spiegel der kaleidoskopischen Realität Juanitas, ist ihre Sprache originell, derb, drastisch, durchsetzt mit den vielen Sprachen der Bewohner Tangers, in erster Linie dem Yaquetía, dem Spanisch der sephardischen Juden Marokkos, denen Vázquez hier ein Denkmal setzt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.10.2005Ohne Ehemann und ohne Hund
Einsamer Monolog: Ángel Vázquez erzählt am Beispiel einer jungen Frau die Geschichte Tangers
Das erfundene und verlorene Paradies" - mit dieser doppelbödigen Formulierung hat der spanische Schriftsteller Juan Goytisolo "Das Geheimnis von Tanger" im gleichnamigen Essay auszuloten gesucht. Im Herzen des Geheimnisses liegt ein großer Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts: In den vierziger Jahren kosmopolitischer Zufluchtsort von Verfolgten aus allen Ländern Europas; in den Fünfzigern Wahlheimat einer Generation von exotikberauschten Schriftstellern aus Europa und Amerika; in den Sechzigern heimliche Hauptstadt der Beatnik-Bewegung um Burroughs, Ginsberg und Kerouac. Tanger, seit 1923 "Internationale Stadt" mit Sonderstatus, in orientalischer Fremdartigkeit lockend und doch alle westlichen Freiheiten bietend, ist ein Schauplatz mit der Aura des Spionagefilms - jenes einen ganz besonders, den Michael Curtiz zur Schmähung Vichy-Frankreichs dem Namen nach ins nahe gelegene Casablanca verlegen mußte.
Nicht viel bleibt vom Traumziel der Fernwehkranken, liest man hingegen die Prosa des wohl einzigen Schriftstellers von Rang, den das Literatenmekka selbst hervorgebracht hat: Ángel Vázquez, 1929 als Sohn spanischer Eltern in Tanger geboren, das zwar in Afrika, aber nur wenige Kilometer vor der Südspitze Spaniens liegt. Wenig Raum für Nostalgie bietet bereits der Titel von Vázquez' Hauptwerk, "Das Hundeleben der Juanita Narboni". Der 1976 erstmals in Madrid erschienene Roman ist ein illusionsloses Porträt jener sagenumwobenen Stadt, die seit der Rückkehr Tangers zum Königreich Marokko unwiderruflich der Vergangenheit angehört. Seine Titelheldin ist eine Art emblematische Figur der Vielvölkerstadt: mit italienischem Namen, britischem Paß und einer spanischen Muttersprache, die von arabischen, hebräischen, französischen, ja sogar deutschen Einsprengseln durchsät ist.
Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis in die frühen sechziger Jahre hinein spinnt Ángel Vázquez die Geschichte seiner Protagonistin. Gleichsam am Rande erzählt er dabei auch die Geschichte Tangers. Vorgetragen wird dies alles als Monolog Juanitas: mal Selbstgespräch, mal im Dialog mit Figuren, deren Antwort wir nicht zu lesen bekommen - zuweilen auch, weil sie außerhalb der Einbildung Juanitas gar nicht existieren. So eröffnet sich uns ein Tanger, das durch die subjektive Wahrnehmung seiner Heldin gefiltert ist: einer Liebhaberin von Frauenzeitschriften und Filmschnulzen, deren Leben die Erfahrung des ständigen Versagens prägt. Nach der Nestflucht ihrer von Kind an beneideten Schwester und dem Tod der Eltern macht Juanita die bittere Erfahrung der Einsamkeit. Einzige treue Weggefährtin ist ihre arabische Bedienstete Hamrusch. Als schließlich nahezu alle Europäer das marokkanische Tanger verlassen und auch Hamrusch verschwindet, bleibt Juanita allein. Als Gesprächspartner dient ihr, sei es auf dem Friedhof oder als Foto zu Hause, bloß die verstorbene Mutter, mit der sie seit dem Begräbnis einen ebenso kontinuierlichen wie bizarren Dialog unterhält. "Ich hatte weder einen Ehemann, den ich hätte umbringen müssen, noch einen Hund, den ich hätte füttern müssen", stellt Juanita am Ende ihres Lebens fest. Doch wie tief verletzt sie ist, zeigt sie, wenn sie ihrer Mutter am Grab unter Tränen ihr Leid klagt, "daß das meine ein wahres Hundeleben ist. Hab ich denn kein Recht, glücklich zu sein wie alle anderen?" Die Antwort auf diese Frage weiß sie sich selbst zu geben: "Le vrai bonheur, c'est le bonheur des autres." Selbst einen nostalgisch-kathartischen Tod in Tanger gönnt Vázquez ihr und uns nicht: Während die Welt um sie herum sich ändert, ist Juanita zum Weiterleben zwischen den Geistern der Vergangenheit verurteilt.
Juanita Narbonis Lebensbeichte erscheint, da es ihr sowohl an zu büßenden Sünden als auch an einem Beichtvater fehlt, zugleich aberwitzig und erschütternd. An keiner Stelle gleitet Vázquez in das Genre eines illustrativen historischen Romans ab. Das verhindert allein die komplexe Erzählstruktur, die unaufhörlich zwischen den historischen Zeitebenen springt. Den jeweiligen Zeitpunkt der Handlung muß der Leser aus dem zeitgenössischen Kontext selbst herleiten - etwa, wenn vom Einmarsch von Francos Truppen in Tanger die Rede ist oder der Premiere eines amerikanischen Filmes, "der irgend etwas mit Wind zu tun hat". Dies verschlungene Textlabyrinth erhält seine besondere Aura durch den fremden Klang des tangerinischen Spanisch, für das die Übersetzerin Gundi Feyrer, selbst Schriftstellerin, ein stilsicheres deutsches Pendant geschaffen hat.
Um so bedrückender, daß Vázquez, wie die meisten spanischen tangerinos in den sechziger Jahren ins Mutterland Spanien zurückgekehrt und 1980 verstorben, dort ein weitgehend Unbekannter geblieben ist. Erst eine hervorragende Neuausgabe des Buches durch Virginia Trueba, besonders aber Juan Goytisolos polemischer Kampf gegen das Vergessen, in das die "Inzucht und Vetternwirtschaft des spanischen Kulturbetriebs" Ángel Vázquez gestürzt hätten, verhalfen dem Buch in den letzten Jahren zu einem zweiten, postumen Leben. Verständlich, daß es ein aus dem afrikanischen Exilort der republikanischen Bürgerkriegsverlierer zugewanderter Autor im Spanien der späten Franco-Ära nicht leicht haben konnte - erst recht nicht, wenn er, wie sich Vázquez einmal gegenüber seinem Freund Emilio Sanz selbst charakterisierte, "völlig korrupt, Egoist, ohne Glauben an Gott und ohne jedes Vertrauen in mich selbst, schwul, Alkoholiker, jedweder Droge zugeneigt, Kleptomane" ist. Doch auch unter den nostalgischen Emigranten Tangers muß Vázquez als Sonderling, als Ausnahme gelten. Denn er weigert sich stetig, aus den Trümmern des "zerbrochenen Traums" mit rückblickender Phantasie seine Heimatstadt als ein "erfundenes Paradies" in der Literatur wiederzuerbauen.
Wie sehr trotz seines nüchternen Blicks auch sein Tanger eine literarische Fiktion bleiben muß, gesteht der Autor selbst im Epigraph des Romans ein, durch ein Zitat von Jean Cocteau: "Je suis le mensonge qui dit toujours la vérité." Auch seine wahren Lügen aber schützen Vázquez nicht vor einer Erkenntnis, die er mit den Überlebenden einer anderen Ära ebenso teilt wie mit seiner Heldin, die am Ende konstatiert: "Wahr ist, daß wir alle nichts als Gespenster sind." Daß dieser große Roman, in seiner ersten Übersetzung in eine Fremdsprache überhaupt, nun auf deutsch vorliegt, ist ein Privileg, das gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.
Ángel Vázquez: "Das Hundeleben der Juanita Narboni". Mit einem Vorwort von Juan Goytisolo. Aus dem Spanischen übersetzt von Gundi Feyrer. Literaturverlag Droschl, Graz 2005. 376 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Einsamer Monolog: Ángel Vázquez erzählt am Beispiel einer jungen Frau die Geschichte Tangers
Das erfundene und verlorene Paradies" - mit dieser doppelbödigen Formulierung hat der spanische Schriftsteller Juan Goytisolo "Das Geheimnis von Tanger" im gleichnamigen Essay auszuloten gesucht. Im Herzen des Geheimnisses liegt ein großer Mythos des zwanzigsten Jahrhunderts: In den vierziger Jahren kosmopolitischer Zufluchtsort von Verfolgten aus allen Ländern Europas; in den Fünfzigern Wahlheimat einer Generation von exotikberauschten Schriftstellern aus Europa und Amerika; in den Sechzigern heimliche Hauptstadt der Beatnik-Bewegung um Burroughs, Ginsberg und Kerouac. Tanger, seit 1923 "Internationale Stadt" mit Sonderstatus, in orientalischer Fremdartigkeit lockend und doch alle westlichen Freiheiten bietend, ist ein Schauplatz mit der Aura des Spionagefilms - jenes einen ganz besonders, den Michael Curtiz zur Schmähung Vichy-Frankreichs dem Namen nach ins nahe gelegene Casablanca verlegen mußte.
Nicht viel bleibt vom Traumziel der Fernwehkranken, liest man hingegen die Prosa des wohl einzigen Schriftstellers von Rang, den das Literatenmekka selbst hervorgebracht hat: Ángel Vázquez, 1929 als Sohn spanischer Eltern in Tanger geboren, das zwar in Afrika, aber nur wenige Kilometer vor der Südspitze Spaniens liegt. Wenig Raum für Nostalgie bietet bereits der Titel von Vázquez' Hauptwerk, "Das Hundeleben der Juanita Narboni". Der 1976 erstmals in Madrid erschienene Roman ist ein illusionsloses Porträt jener sagenumwobenen Stadt, die seit der Rückkehr Tangers zum Königreich Marokko unwiderruflich der Vergangenheit angehört. Seine Titelheldin ist eine Art emblematische Figur der Vielvölkerstadt: mit italienischem Namen, britischem Paß und einer spanischen Muttersprache, die von arabischen, hebräischen, französischen, ja sogar deutschen Einsprengseln durchsät ist.
Vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis in die frühen sechziger Jahre hinein spinnt Ángel Vázquez die Geschichte seiner Protagonistin. Gleichsam am Rande erzählt er dabei auch die Geschichte Tangers. Vorgetragen wird dies alles als Monolog Juanitas: mal Selbstgespräch, mal im Dialog mit Figuren, deren Antwort wir nicht zu lesen bekommen - zuweilen auch, weil sie außerhalb der Einbildung Juanitas gar nicht existieren. So eröffnet sich uns ein Tanger, das durch die subjektive Wahrnehmung seiner Heldin gefiltert ist: einer Liebhaberin von Frauenzeitschriften und Filmschnulzen, deren Leben die Erfahrung des ständigen Versagens prägt. Nach der Nestflucht ihrer von Kind an beneideten Schwester und dem Tod der Eltern macht Juanita die bittere Erfahrung der Einsamkeit. Einzige treue Weggefährtin ist ihre arabische Bedienstete Hamrusch. Als schließlich nahezu alle Europäer das marokkanische Tanger verlassen und auch Hamrusch verschwindet, bleibt Juanita allein. Als Gesprächspartner dient ihr, sei es auf dem Friedhof oder als Foto zu Hause, bloß die verstorbene Mutter, mit der sie seit dem Begräbnis einen ebenso kontinuierlichen wie bizarren Dialog unterhält. "Ich hatte weder einen Ehemann, den ich hätte umbringen müssen, noch einen Hund, den ich hätte füttern müssen", stellt Juanita am Ende ihres Lebens fest. Doch wie tief verletzt sie ist, zeigt sie, wenn sie ihrer Mutter am Grab unter Tränen ihr Leid klagt, "daß das meine ein wahres Hundeleben ist. Hab ich denn kein Recht, glücklich zu sein wie alle anderen?" Die Antwort auf diese Frage weiß sie sich selbst zu geben: "Le vrai bonheur, c'est le bonheur des autres." Selbst einen nostalgisch-kathartischen Tod in Tanger gönnt Vázquez ihr und uns nicht: Während die Welt um sie herum sich ändert, ist Juanita zum Weiterleben zwischen den Geistern der Vergangenheit verurteilt.
Juanita Narbonis Lebensbeichte erscheint, da es ihr sowohl an zu büßenden Sünden als auch an einem Beichtvater fehlt, zugleich aberwitzig und erschütternd. An keiner Stelle gleitet Vázquez in das Genre eines illustrativen historischen Romans ab. Das verhindert allein die komplexe Erzählstruktur, die unaufhörlich zwischen den historischen Zeitebenen springt. Den jeweiligen Zeitpunkt der Handlung muß der Leser aus dem zeitgenössischen Kontext selbst herleiten - etwa, wenn vom Einmarsch von Francos Truppen in Tanger die Rede ist oder der Premiere eines amerikanischen Filmes, "der irgend etwas mit Wind zu tun hat". Dies verschlungene Textlabyrinth erhält seine besondere Aura durch den fremden Klang des tangerinischen Spanisch, für das die Übersetzerin Gundi Feyrer, selbst Schriftstellerin, ein stilsicheres deutsches Pendant geschaffen hat.
Um so bedrückender, daß Vázquez, wie die meisten spanischen tangerinos in den sechziger Jahren ins Mutterland Spanien zurückgekehrt und 1980 verstorben, dort ein weitgehend Unbekannter geblieben ist. Erst eine hervorragende Neuausgabe des Buches durch Virginia Trueba, besonders aber Juan Goytisolos polemischer Kampf gegen das Vergessen, in das die "Inzucht und Vetternwirtschaft des spanischen Kulturbetriebs" Ángel Vázquez gestürzt hätten, verhalfen dem Buch in den letzten Jahren zu einem zweiten, postumen Leben. Verständlich, daß es ein aus dem afrikanischen Exilort der republikanischen Bürgerkriegsverlierer zugewanderter Autor im Spanien der späten Franco-Ära nicht leicht haben konnte - erst recht nicht, wenn er, wie sich Vázquez einmal gegenüber seinem Freund Emilio Sanz selbst charakterisierte, "völlig korrupt, Egoist, ohne Glauben an Gott und ohne jedes Vertrauen in mich selbst, schwul, Alkoholiker, jedweder Droge zugeneigt, Kleptomane" ist. Doch auch unter den nostalgischen Emigranten Tangers muß Vázquez als Sonderling, als Ausnahme gelten. Denn er weigert sich stetig, aus den Trümmern des "zerbrochenen Traums" mit rückblickender Phantasie seine Heimatstadt als ein "erfundenes Paradies" in der Literatur wiederzuerbauen.
Wie sehr trotz seines nüchternen Blicks auch sein Tanger eine literarische Fiktion bleiben muß, gesteht der Autor selbst im Epigraph des Romans ein, durch ein Zitat von Jean Cocteau: "Je suis le mensonge qui dit toujours la vérité." Auch seine wahren Lügen aber schützen Vázquez nicht vor einer Erkenntnis, die er mit den Überlebenden einer anderen Ära ebenso teilt wie mit seiner Heldin, die am Ende konstatiert: "Wahr ist, daß wir alle nichts als Gespenster sind." Daß dieser große Roman, in seiner ersten Übersetzung in eine Fremdsprache überhaupt, nun auf deutsch vorliegt, ist ein Privileg, das gar nicht hoch genug geschätzt werden kann.
Ángel Vázquez: "Das Hundeleben der Juanita Narboni". Mit einem Vorwort von Juan Goytisolo. Aus dem Spanischen übersetzt von Gundi Feyrer. Literaturverlag Droschl, Graz 2005. 376 S., geb., 25,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
"Große Freude empfindet Rezensent Florian Borchmeyer, dass Angel Vazquez' Hauptwerk nun auf Deutsch vorliegt - Borchmeyer zufolge die erste Übersetzung dieses 1976 in Madrid zuerst erschienenen "großen Romans" in eine Fremdsprache überhaupt. Der in Tanger geborene Spanier habe ein "illusionsloses Porträt jener sagenumwobenen Stadt" gezeichnet und gleichzeitig eine Epoche beschworen, die seit der Rückgabe Tangers an Marokko der Vergangenheit angehöre. Bereits die Titelheldin "mit italienischem Namen, britischem Paß und einer spanischen Muttersprache, die von arabischen, hebräischen, französischen, ja sogar deutschen Einsprengseln durchsät ist", ist für den Rezensenten eine "emblematische Figur" der einstigen Vielvölkerstadt. Der Roman spannt die Geschichte jener Juanita Narboni vom Beginn des Ersten Weltkrieges bis in die sechziger Jahre und erzählt dabei "gleichsam am Rande" die Geschichte Tangers, erfahren wir. Borchmeyer versieht die Lebensbeichte Juanitas mit den Prädkaten "aberwitzig und erschütternd". Eine große Qualität des Romans ist aus seiner Sicht, dass er durch seine komplexe, zwischen Zeitebenen springende Erzählstruktur an keiner Stelle in das "Genre des illustrativen historischen Romans" abgleitet. Seine besondere Aura bezieht Vazquez' "Textlabyrinth" für den Rezensenten jedoch durch den fremden Klang des tangerischen Spanisch, für das die Schriftstellerin Gundi Feyrer, wie er findet, "ein stilsicheres deutsches Pendant" geschaffen hat.
© Perlentaucher Medien GmbH"
© Perlentaucher Medien GmbH"