Mit der Titelgeschichte vom imaginären Leben und den siebzehn weiteren bisher unbekannten Texten dieses Bandes lernen wir eine politisch und menschlich teilnehmende Autorin kennen, die einfach, scheinbar naiv, von den Brüchen in unserem Leben erzählt.
Texte über die Tapferkeit vor der Freundin oder dem Freund: Warum wir nicht so leben wie wir träumen und warum wir trotzdem träumen müssen.
Mit der Titelgeschichte vom imaginären Leben und den siebzehn weiteren Texten dieses Bandes lernen wir eine politisch und menschlich teilnehmende Autorin kennen, die einfach, scheinbar naiv, von den Brüchen in unserem Leben erzählt: von Überzeugungen, die wir als gerecht empfinden und deren Ungerechtigkeit wir irgendwann erkennen müssen, von der Freiheit der Frauen und davon, was sie kostet.
Texte über die Tapferkeit vor der Freundin oder dem Freund: Warum wir nicht so leben wie wir träumen und warum wir trotzdem träumen müssen.
Mit der Titelgeschichte vom imaginären Leben und den siebzehn weiteren Texten dieses Bandes lernen wir eine politisch und menschlich teilnehmende Autorin kennen, die einfach, scheinbar naiv, von den Brüchen in unserem Leben erzählt: von Überzeugungen, die wir als gerecht empfinden und deren Ungerechtigkeit wir irgendwann erkennen müssen, von der Freiheit der Frauen und davon, was sie kostet.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.1995Zimmer mit Aussicht
Kostbarkeiten aus dem Nachlaß Natalia Ginzburgs Von Georg Hensel
Sie fürchtet sich vor nichts: Zu ihren Themen gehören Abtreibung, Frauen, Juden, Sexualität, aber auch so unendlich viel schwierigere Gegenstände wie Könige, Rom, Sommer, Mitleid, Traumleben und Lebensträume. Wie könnte man ihre Prosastücke nennen? Skizzen? Feuilletons? Gedichte in Prosa? Glossen? Alle diese Bezeichnungen wären ungenau, von allen hat sie etwas; am besten ist, man bleibt bei "Prosaskizzen".
Achtzehn Prosastücke, geschrieben gegen Ende der sechziger und in den frühen siebziger Jahren, bilden ihr postumes Büchlein "Das imaginäre Leben". Natalia Ginzburg, gestorben 1991 in Rom, war in ihrem fünften Lebensjahrzehnt, als sie diese Prosa schrieb. So gewichtig wie ihre Hauptwerke, wie "Familienlexikon", "So ist es gewesen" oder "Schütze" ist "Das imaginäre Leben" nicht: Die Sammlung ist eine Art Ergänzung zu ihren autobiographischen Skizzen "Nie sollst du mich befragen": eine Prosa, die daherkommt, als sei sie nichts Besonderes, aber sie hakt sich ein im Besonderen und geht los aufs Allgemeine.
So leiden die "Ungeschickten Reisenden" unter extremen Zuständen einer inneren Seßhaftigkeit, unter der die Leser vielleicht nicht leiden, die sie aber doch als Versuchung kennen. "Die Kindheit und der Tod" argumentiert einleuchtend dafür, daß man Kinder belügen soll über Gott und den Tod. Wenn Natalia Ginzburg ihre Sehnsucht nach Königen gesteht, so ist das kein Bekenntnis zur Monarchie, sondern zum Mythos, zum Märchenkönig, der als erstes beschließt, nichts zu tun - ein Bekenntnis des Erwachsenen zu dem "geheimen Spinnennetz, das aus unseren Kindertagen gewoben ist".
Ob es um das von Automobilen geschundene Rom geht, um die dahinwelkende Langeweile der Sommerfrische, um die unvermeidlichen und notwendigen Irrtümer, sobald man sich über Sexualität äußert, um die Unentwirrbarkeiten von Hassenswertem und Unentbehrlichem - ihre, wie sie schreibt, "ungeordneten Anmerkungen, die vielleicht oft zueinander im Widerspruch stehen", wollen immer über sich hinaus. Sie sind Phantasiestücke, gewonnen aus realistischen Beobachtungen. Natalia Ginzburg weiß, daß wir in einer Welt von Unglücklichen und Schwachen leben: und ein Hauch von Melancholie weht auf, wenn sie sich an alte Werte erinnert, von denen sie weiß, daß sie so vergangen sind wie die Simplizität von Gut und Böse, wie antiquierte Instrumente, deren Klang wir noch im Ohr haben, aber wir können sie nicht mehr spielen.
Natalia Ginzburg schreibt mit einer Einfachheit, der nichts zu kompliziert ist. Ihr schwermütiger smalltalk hat den Mut zur Ratlosigkeit. Das Flüchtige und Zweideutige unserer Wünsche, die rasch in ihr Gegenteil umschlagen, sind bei Natalia Ginzburg Symptome einer Weltkrankheit, die sie aufspürt, ohne sie beim Namen zu nennen. Die besten ihrer Prosastücke sind wie gemütliche Wohnstuben, in denen der Alltag zu Hause ist, bis sich eine Tür einen Spaltbreit öffnet, und schon wird es weit und offen bis zum Horizont, und manchmal sieht man darüber auch das Firmament. "Das imaginäre Leben" ist eines jener Bücher, die man klein, aber fein nennt, karg aber kostbar: Man muß sie langsam lesen und ihnen und sich Pausen der Unruhe gönnen.
Natalia Ginzburg: "Das imaginäre Leben". Prosaskizzen. Aus dem Italienischen übersetzt von Maja Pflug. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1995. 122 S., geb., 24,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Kostbarkeiten aus dem Nachlaß Natalia Ginzburgs Von Georg Hensel
Sie fürchtet sich vor nichts: Zu ihren Themen gehören Abtreibung, Frauen, Juden, Sexualität, aber auch so unendlich viel schwierigere Gegenstände wie Könige, Rom, Sommer, Mitleid, Traumleben und Lebensträume. Wie könnte man ihre Prosastücke nennen? Skizzen? Feuilletons? Gedichte in Prosa? Glossen? Alle diese Bezeichnungen wären ungenau, von allen hat sie etwas; am besten ist, man bleibt bei "Prosaskizzen".
Achtzehn Prosastücke, geschrieben gegen Ende der sechziger und in den frühen siebziger Jahren, bilden ihr postumes Büchlein "Das imaginäre Leben". Natalia Ginzburg, gestorben 1991 in Rom, war in ihrem fünften Lebensjahrzehnt, als sie diese Prosa schrieb. So gewichtig wie ihre Hauptwerke, wie "Familienlexikon", "So ist es gewesen" oder "Schütze" ist "Das imaginäre Leben" nicht: Die Sammlung ist eine Art Ergänzung zu ihren autobiographischen Skizzen "Nie sollst du mich befragen": eine Prosa, die daherkommt, als sei sie nichts Besonderes, aber sie hakt sich ein im Besonderen und geht los aufs Allgemeine.
So leiden die "Ungeschickten Reisenden" unter extremen Zuständen einer inneren Seßhaftigkeit, unter der die Leser vielleicht nicht leiden, die sie aber doch als Versuchung kennen. "Die Kindheit und der Tod" argumentiert einleuchtend dafür, daß man Kinder belügen soll über Gott und den Tod. Wenn Natalia Ginzburg ihre Sehnsucht nach Königen gesteht, so ist das kein Bekenntnis zur Monarchie, sondern zum Mythos, zum Märchenkönig, der als erstes beschließt, nichts zu tun - ein Bekenntnis des Erwachsenen zu dem "geheimen Spinnennetz, das aus unseren Kindertagen gewoben ist".
Ob es um das von Automobilen geschundene Rom geht, um die dahinwelkende Langeweile der Sommerfrische, um die unvermeidlichen und notwendigen Irrtümer, sobald man sich über Sexualität äußert, um die Unentwirrbarkeiten von Hassenswertem und Unentbehrlichem - ihre, wie sie schreibt, "ungeordneten Anmerkungen, die vielleicht oft zueinander im Widerspruch stehen", wollen immer über sich hinaus. Sie sind Phantasiestücke, gewonnen aus realistischen Beobachtungen. Natalia Ginzburg weiß, daß wir in einer Welt von Unglücklichen und Schwachen leben: und ein Hauch von Melancholie weht auf, wenn sie sich an alte Werte erinnert, von denen sie weiß, daß sie so vergangen sind wie die Simplizität von Gut und Böse, wie antiquierte Instrumente, deren Klang wir noch im Ohr haben, aber wir können sie nicht mehr spielen.
Natalia Ginzburg schreibt mit einer Einfachheit, der nichts zu kompliziert ist. Ihr schwermütiger smalltalk hat den Mut zur Ratlosigkeit. Das Flüchtige und Zweideutige unserer Wünsche, die rasch in ihr Gegenteil umschlagen, sind bei Natalia Ginzburg Symptome einer Weltkrankheit, die sie aufspürt, ohne sie beim Namen zu nennen. Die besten ihrer Prosastücke sind wie gemütliche Wohnstuben, in denen der Alltag zu Hause ist, bis sich eine Tür einen Spaltbreit öffnet, und schon wird es weit und offen bis zum Horizont, und manchmal sieht man darüber auch das Firmament. "Das imaginäre Leben" ist eines jener Bücher, die man klein, aber fein nennt, karg aber kostbar: Man muß sie langsam lesen und ihnen und sich Pausen der Unruhe gönnen.
Natalia Ginzburg: "Das imaginäre Leben". Prosaskizzen. Aus dem Italienischen übersetzt von Maja Pflug. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 1995. 122 S., geb., 24,80 DM.
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