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Bekannt sind die großen Landschaftsparks des Adels aus dem Ende des 18. Jahrhunderts. Bisher wenig beachtet wurde dagegen die besondere "Gartenlust", die in der Zeit von 1770 bis 1830 die Bürger und kleinen Leute erfaßte. In den Gärtchen am Haus oder auf größeren Grundstücken vor den Toren der Stadt entfaltete sich im Sommer ein Leben, das sich von dem Berufsalltag und den sonstigen gesellschaftlichen Zwängen der Zeit glücklich unterschied. Das Buch versucht, anhand der Gartenliteratur und persönlicher Zeugnisse diese besondere Bedeutung des Gartens für die Menschen der Zeit einzufangen. Es…mehr

Produktbeschreibung
Bekannt sind die großen Landschaftsparks des Adels aus dem Ende des 18. Jahrhunderts. Bisher wenig beachtet wurde dagegen die besondere "Gartenlust", die in der Zeit von 1770 bis 1830 die Bürger und kleinen Leute erfaßte. In den Gärtchen am Haus oder auf größeren Grundstücken vor den Toren der Stadt entfaltete sich im Sommer ein Leben, das sich von dem Berufsalltag und den sonstigen gesellschaftlichen Zwängen der Zeit glücklich unterschied. Das Buch versucht, anhand der Gartenliteratur und persönlicher Zeugnisse diese besondere Bedeutung des Gartens für die Menschen der Zeit einzufangen. Es schildert, wie die bürgerlichen Gärten konkret ausgesehen haben, was man darin pflanzte und nach welchen Gesichtspunkten man sie mit Gartenhäusern, Lauben und Zierrat ausstattete. Besonderes Gewicht hat die Beschreibung des Lebens im Garten, das die neuentdeckten Werte von Naturnähe und Empfindung kultivierte. Im Garten fanden die bürgerlichen Ideale der individuellen Selbstfindung ebenso ihren Raum wie die eines ganz privaten Familienglücks und einer Freundschaft unter Gleichgesinnten.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.11.1999

Verein der Blumenfreunde

Goethe verbat sich die neugierigen Blicke der Nachbarschaft in sein Grundstück am Frauenplan und feierte in seinem Garten am Stern im Blütenmonat August das Malvenfest. Indes, Andrea van Dülmens Buch über Goethe und die Gartenkultur seiner Zeit enthält nicht nur Anekdoten. Der Garten ist ein Paradigma der Sozial- und Mentalitätsgeschichte der Jahrzehnte von 1770 bis 1830. Nach dem Ende des Siebenjährigen Krieges entdeckte ein selbstbewusstes Bürgertum im Garten den Ort der Emanzipation von gesellschaftlichen Zwängen. Vor den Toren der Städte gehorchte man nicht mehr den Regeln einer ohnehin obsolet gewordenen Standesethik, sondern gab sich frei und ungezwungen.

Das Ideal der streng symmetrischen Anlage französischer Prägung war passé. Statt dessen wurde der vermeintlich freie englische Landschaftsgarten propagiert, dessen Kultivierung nun auch die passende Kleidung von der Insel erforderte. Intimität und Privatsphäre sollte der Garten jetzt dem enthusiastischen Gärtner bieten. Zwischen Blumenbeet und Obstwiese spielte sich, zumindest in den Sommermonaten, das Familienleben ab. In seinem eingezäumten Revier konnte man Freundschaften pflegen, Liebhabereien nachgehen, aber auch inspirierende Ruhe und stille Besinnung finden.

Schnell erkannte eine aufklärerische Pädagogik die Gartenarbeit als ein probates Mittel zur rechten Aufzucht der Kinder, als, wie es in einer zeitgenössischen Quelle heißt, "ein Präservativ gegen viele Fehler". Trotz der primären Beschäftigung mit Obstbau und Staudenpflege, mit Säen, Jäten und Gießen, war der Garten keineswegs nur ein locus amoenus unverfälschten Naturlebens, sondern auch ein Ort zur Inszenierung der Natürlichkeit. Ein pantheistischer Eklektizismus räumte jeden erdenklichen Zierrat noch in den kleinsten Garten: Fernöstliche Pagoden, antike Tempel, gotische Kapellen, aber auch tiefsinnige Inschriften und düstere Monumente irdischer Vergänglichkeit ließen so manchen Kritiker der neuen Garteneuphorie erschauern.

Mit großer Liebe zum Detail schildert Andrea van Dülmen die neu erwachte "Gartenlust" des Bürgertums. Die Flut der zeitgenössischen Gartenliteratur hat sie sorgfältig ausgewertet, wie Hunderte von Anmerkungen eindrucksvoll belegen. Kaum eine Frage lässt sie offen: Die Preise der Gartengrundstücke werden ebenso behandelt wie deren Gestaltungsvarianten; Pomologie, Blumenzucht und Schädlingsbekämpfung werden abgehandelt, die Gartenhäuser und Lauben minutiös beschrieben. Zu Recht hebt die Autorin darauf ab, dass der Rückzug in den privaten Garten keine "Flucht" aus dem öffentlichen Leben der Stadt darstellte, sondern dem autonomen Individuum neue Freiräume und Erfahrungshorizonte eröffnete, ein Stück, wenn man denn will, "privaten Lebensglücks" ermöglichte.

Doch die von ihr angeführten reichhaltigen Zeugnisse belegen die weit verbreitete Gartenliebe der Zeit für das Großbürgertum, für die vermögenden Kaufleute, erfolgreichen Schriftsteller und hohen Beamten. Die Quellen für das Kleinbürgertum und gar die Handwerker fließen zu spärlich, als dass hier weit reichende Schlussfolgerungen gezogen werden könnten. Über die Gärten "einfacherer Leute", die bisweilen bemüht werden, wissen wir viel weniger als über Goethes Palazzo am Frauenplan in Weimar. Im Übrigen ist die hier beschriebene bürgerliche Gartenkultur nicht nur durch die aufklärerische Befreiung des Individuums und das Rousseau'sche Naturempfinden zu erklären; hinzuweisen ist ebenfalls auf die klassizistische Antikenbegeisterung des Bürgertums. Die Vorstellung, dass das sommerliche Gartenleben ein dulce lenimen, eine süße Labsal, nach dem politischen Negotium der Stadt darstelle, erinnert an die Ideologie der Villenkultur, der reiche römische Aristokraten der späten Republik und der frühen Kaiserzeit verpflichtet waren, die fern ihrer staatsmännischen Geschäfte das private otium in durchaus luxuriösem Ambiente verbrachten. Hier wie dort war das Refugium auf dem Lande integraler Bestandteil der Selbstwahrnehmung und Selbstdarstellung einer vermögenden und gebildeten Elite.

Andrea van Dülmen hat vor allem die heitere Zeit des Gartenlebens im Biedermeier lebendig werden lassen, als im Garten draußen vor der Stadt das Motto umlief: "Hier bin ich Mensch, hier darf ich's sein."

STEFAN REBENICH

Andrea van Dülmen: "Das irdische Paradies". Bürgerliche Gartenkultur der Goethe-Zeit. Böhlau Verlag, Köln 1999. 315 S., Abb., geb., 68,- DM.

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