Aus dem Leben und aus seinen Disziplinen wispert es: Das Irrsal hilft. Wie lange noch können wir unsere Ohren verstopfen, uns festbinden lassen und so tun, als ob ein Wissen ohne Abweichungen möglich wäre? Vor allem Michel Foucault hat daran erinnert: "Letztlich ist das Leben das, was zum Irr-tum fähig ist." Für Foucault war dies die Quintessenz aus den Studien zur Geschichte der Lebenswissenschaften, die Georges Canguilhem zu verdanken sind.Der Irrtum, das Irren, ist Canguilhem zufolge längst nicht nur ein kognitives Problem. Spätestens seitdem die Grundbegriffe von Biochemie und Genetik der Informationstheorie entliehen werden, handelt es sich um einen Sachver-halt, der tief in die Körper eingeschrieben ist, der ihre Bewegungen ermög-licht, aber auch begrenzt.Der Horizont des Bandes wird gebildet durch eine Kunst des Denkens, "die sich nicht mehr an einer auf Gewissheit und Erkenntnis bezogenen Wahrheit ausrichtet, sondern sich auf eine Beziehung zu einem in die Irre gehenden Sein einlässt" (Agamben). Zwischenhalte auf dem Weg dahin sind Irrsalslektü-ren von Hölderlin, Kleist, Lacan und Luhmann, von Godard und Fritz Lang.Ein Projekt der Jungen Akademie an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften und der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Zufrieden zeigt sich Rezensent Gustav Roßler mit diesem Merve-Bändchen, auch wenn er den Titel - "Das Irrsal hilft" - etwas "merkwürdig" findet. Im Zentrum der ganz unterschiedlichen Beiträge - manche heiter-ironisch, die meisten nicht, manche an literarischen Modellen, Kleist und Hölderlin, orientiert, manche philosophisch - sieht Roßler die Intention, die "Kategorie des Irrtums" zu adeln, und seine Produktivität und Unvermeidlichkeit herauszuarbeiten. Er hebt insbesondere einen kurzen Text von Agamben hervor, der für den philosophischen Irrtum votiert und auf Heidegger und Foucault verweist. Gegen den konventionellen Wahrheitsbegriff setze Agamben auf stets erneuertes Irren, Wahrheit als Bewegung, Eröffnen von Neuem, aber auch von Falschem. Roßler diagnostiziert einen Konflikt zwischen zwei Denkrichtungen, "die eine an Heidegger, Foucault orientiert, die andere an analytischer Philosophie und Habermas, die eine mit Zweifel an der Vernunfthaltigkeit der Wahrheit, die andere Vernünftigkeit und Wahrheit identifizierend". Etwas bedauerlich findet er das Fehlen einer Einleitung, einer Orientierungshilfe für den Leser, schließlich helfe der rote Faden "Irrsal" dem unvorbereiteten Leser nicht unbedingt.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH