Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.05.2007Lesen und Tee trinken
Yasushi Inoues große japanische Historienromane sind zu entdecken
Yasushi Inoue ist ein Literat der Kargheit und ästhetischen Kälte, ein Reduktionskünstler und Meister der nihilistisch-fatalistisch grundierten Erzählprosa. Werke wie "Die Eiswand" oder "Schwarze Flut" spiegeln sein von einer langjährigen Tätigkeit als Journalist geprägtes, sich nüchtern vorantastendes, an gesellschaftlichen Abgründen entlanghangelndes Schreiben wider. Sein scheinbar unambitioniert unterkühlter, dabei analytisch sezierender Stil macht den in Asahikawa im schneereichen nordjapanischen Hokkaidô geborenen Romancier und Lyriker zu einem der in Deutschland vielgelesenen japanischen Nachkriegsautoren und zu einem der großen Vergessenen in der Geschichte des Nobelpreises.
Zum hundertsten Geburtstag, den Yasushi Inoue am kommenden Sonntag gefeiert hätte, wurde nun im Suhrkamp Verlag das Werk "Der Tod des Teemeisters" erstmals ins Deutsche übertragen. Inoues in Japan 1981 unter dem Titel "Nachgelassene Schriften des Priesters Honkaku" erschienener historischer Roman führt den Leser in das Japan um 1600, in die Zeit der Kriegswirren und Kämpfe zwischen rivalisierenden Feudalherren während der Landeseinigung. Der Begründer der japanischen Teezeremonie, Sen no Rikyû (1522-1591), arbeitete als Hauptteemeister in Diensten des exzentrischen Feldherrn und Reichseinigers Toyotomi Hideyoshi. Da Rikyû (sein buddhistischer Name war Sôeki) bei den meisten offiziellen Audienzen zugegen war, übernahm er zugleich die Rolle eines Unterhändlers und Vertrauten in politischen und militärischen Fragen. Aus bis heute ungeklärten Gründen - vermutet werden Rikyûs Kritik am Korea-Feldzug Hideyoshis oder die Weigerung, diesem seine Tochter zu geben - fiel Rikyû in Ungnade; Hideyoshi befahl ihm den als ehrenvoll erachteten Freitod.
In Form eines imaginären Tagebuchs eines realen Schülers Rikyûs namens Honkaku, der nach dem Tod seines Meisters Mönch wurde, rekonstruiert der Roman Rikyûs letzten Lebensabschnitt bis hin zur Frage, warum Rikyû ein spätes Gnadenangebot Hideyoshis ablehnte. Auf nicht ganz unproblematische Weise verwischen sich Wirklichkeit und Fiktion: Das Tagebuch enthält über einen Zeitraum von dreißig Jahren nach Rikyûs Tod Schilderungen von Begegnungen Honkakus mit Persönlichkeiten und Bekanntschaften Rikyûs aus der Politik und Teewelt, Dialoge zwischen Schüler und Meister, Träume und Fieberphantasien. Die Suche des Helden bis hin zur Selbstaufgabe im Sinne eines "Lebenswerks" durchzieht - wie in "Die Berg-Azaleen auf dem Hira-Gipfel" oder "Die Höhlen von Dun-huang" - als fixe Idee Inoues Schreiben. Seine unter der brüchigen konventionellen Oberfläche destruktiven Geschichten erzählen von Ästhetik und Radikalität, vom Selbstverlorensein und Weiterleben im Ewigkeitsgedanken der Kunst. In der Tat scheint der Einfluss des im sechzehnten Jahrhundert ausgebildeten Teekults auf Architektur, Gartenkunst, Keramik oder Literatur bis in die heutige Zeit nachzuwirken. So verinnerlichen auch Inoues wohlkalkulierte Sprachbewegungen die Schönheit der Schlichtheit und den hinter der Kargheit des Ausdrucks verborgenen Mehrwert.
Mit einer an das Haiku erinnernden Intensität lässt Inoue die klingende Stille des Teeraums und das Sinnkonzentrat der Gesten, Gefäße und Gerätschaften fühlbar werden, wenn er etwa über "das unablässig knisternde und zischende Kohlebecken, das an das Säuseln von Kiefern im Wind erinnert", sinniert. Inoues expressives Spätwerk enthält einige solcher Bilder von großer Unmittelbarkeit und zenbuddhistischer Eindringtiefe wie das Motiv des aufrecht im Boot sitzenden Meisters am Tag seiner Verbannung beim Ablegen vom Yodo-Fluss. Wie in vielen anderen Romanen vollziehen sich Vergegenwärtigung der Vergangenheit und Annäherung an historische Personen über einen randständigen Chronisten. Dabei strukturieren die Teezeremonien, bei denen Honkaku assistiert, die Romanhandlung als Ruhepole und Auszeiten kontrapunktisch zum äußeren Kriegsgeschehen, zumal Samurai beim Betreten eines Teeraums ihre Schwerter ablegen mussten.
Inoues Roman ist ein auf den westlichen Leser zuweilen etwas pathetisch wirkender, aber die zeitgenössische Ethik und Ästhetik suggestivkräftig evozierender Abgesang auf die traditionelle japanische Kultur und die ausgehende Epoche kriegerisch aktiver Samurai vor der rund 250 Jahre währenden Pax Tokugawa, als mit der Machtübernahme der Tokugawa-Dynastie (1603 bis 1868) das Land endgültig geeinigt und befriedet wurde. Konträr zum vordergründig pazifistischen Charakter des Teetrinkens gewährt das Buch Einblicke in die Geschichte des japanischen Teewegs (chadô) im Spannungsfeld von Pflichterfüllung und Spiritualität, politischen Machenschaften und Weltentsagung.
Das Kammerspiel um Tee und Tod, Kunst und Gunst findet in der legendären letzten Teezeremonie Rikyûs, bei der der Tod "Gast und Gastgeber zugleich" war, seinen melodramatischen Höhepunkt. Im fiktiven Schlussdialog zwischen dem Kriegsherrn Hideyoshi und seinem Teemeister vereinigen sich schließlich raffiniert die Erzählstränge und Bewusstseinswege des Teekultes und Samuraigeistes, die Rikyûs "einsames kaltes Schicksal" vorzeichnen: "Ich sehe die vielen berühmten Krieger unserer Zeit, die gesammelten Geistes vor mir saßen", erinnert sich der Teemeister im Angesicht des Todes. "Ich, Sôeki, dagegen verließ mich auf die Macht Eurer Exzellenz und entfernte mich damit am weitesten vom Teeweg." Ein letztes Mal wird er "ruhig an Ort und Stelle den Tee bereiten und nicht daran denken, seinem Schicksal zu entfliehen".
Während der Roman also in immer neuen Einkreisungsbewegungen die Essenz des Teewegs und der japanischen Kultur zu ergründen sucht, vermisst der Leser ein Nachwort zur Erläuterung und historischen Einordnung der Personen, Schlachten und zenbuddhistischen Begriffe. Was beim "Teemeister" noch fehlt, wurde nun bei der Geburtstagsneuauflage des Klassikers "Das Jagdgewehr" (1949) nachgeholt: Cees Nooteboom erinnert die "Tonalität der Emotionen" in Inoues Schilderung eines gesellschaftlich erfolgreichen, aber bindungsunfähigen Mannes im Wechsel der Perspektiven und brieflichen Stimmen an wohlkomponierte Kammermusik.
Dass nicht nur Tee-Setzlinge aus China nach Japan eingebracht wurden, sondern auch buddhistische Lehren und chinesisches Verwaltungsrecht, zeigt schließlich der ebenfalls neu aufgelegte historische Roman "Das Tempeldach" (1957), der die Bildungsreisen japanischer Gelehrter nach China im achten Jahrhundert thematisiert.
STEFFEN GNAM.
Yasushi Inoue: "Der Tod des Teemeisters". Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Suhrkamp Verlag, Frank-furt am Main 2007. 176 S., geb., 19,80 [Euro].
Yasushi Inoue: "Das Jagdgewehr". Roman. Aus dem Japanischen von Oscar Benl. Mit einem Nachwort von Cees Nooteboom. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 100 S., geb., 8,- [Euro].
Yasushi Inoue: "Das Tempeldach". Ein historischer Roman. Übertragung aus dem Japanischen und Nachwort von Oscar Benl. Bibliothek Suhrkamp 709. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007 (4. Auflage). 215 S., br., 14,80 [Euro].
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Yasushi Inoues große japanische Historienromane sind zu entdecken
Yasushi Inoue ist ein Literat der Kargheit und ästhetischen Kälte, ein Reduktionskünstler und Meister der nihilistisch-fatalistisch grundierten Erzählprosa. Werke wie "Die Eiswand" oder "Schwarze Flut" spiegeln sein von einer langjährigen Tätigkeit als Journalist geprägtes, sich nüchtern vorantastendes, an gesellschaftlichen Abgründen entlanghangelndes Schreiben wider. Sein scheinbar unambitioniert unterkühlter, dabei analytisch sezierender Stil macht den in Asahikawa im schneereichen nordjapanischen Hokkaidô geborenen Romancier und Lyriker zu einem der in Deutschland vielgelesenen japanischen Nachkriegsautoren und zu einem der großen Vergessenen in der Geschichte des Nobelpreises.
Zum hundertsten Geburtstag, den Yasushi Inoue am kommenden Sonntag gefeiert hätte, wurde nun im Suhrkamp Verlag das Werk "Der Tod des Teemeisters" erstmals ins Deutsche übertragen. Inoues in Japan 1981 unter dem Titel "Nachgelassene Schriften des Priesters Honkaku" erschienener historischer Roman führt den Leser in das Japan um 1600, in die Zeit der Kriegswirren und Kämpfe zwischen rivalisierenden Feudalherren während der Landeseinigung. Der Begründer der japanischen Teezeremonie, Sen no Rikyû (1522-1591), arbeitete als Hauptteemeister in Diensten des exzentrischen Feldherrn und Reichseinigers Toyotomi Hideyoshi. Da Rikyû (sein buddhistischer Name war Sôeki) bei den meisten offiziellen Audienzen zugegen war, übernahm er zugleich die Rolle eines Unterhändlers und Vertrauten in politischen und militärischen Fragen. Aus bis heute ungeklärten Gründen - vermutet werden Rikyûs Kritik am Korea-Feldzug Hideyoshis oder die Weigerung, diesem seine Tochter zu geben - fiel Rikyû in Ungnade; Hideyoshi befahl ihm den als ehrenvoll erachteten Freitod.
In Form eines imaginären Tagebuchs eines realen Schülers Rikyûs namens Honkaku, der nach dem Tod seines Meisters Mönch wurde, rekonstruiert der Roman Rikyûs letzten Lebensabschnitt bis hin zur Frage, warum Rikyû ein spätes Gnadenangebot Hideyoshis ablehnte. Auf nicht ganz unproblematische Weise verwischen sich Wirklichkeit und Fiktion: Das Tagebuch enthält über einen Zeitraum von dreißig Jahren nach Rikyûs Tod Schilderungen von Begegnungen Honkakus mit Persönlichkeiten und Bekanntschaften Rikyûs aus der Politik und Teewelt, Dialoge zwischen Schüler und Meister, Träume und Fieberphantasien. Die Suche des Helden bis hin zur Selbstaufgabe im Sinne eines "Lebenswerks" durchzieht - wie in "Die Berg-Azaleen auf dem Hira-Gipfel" oder "Die Höhlen von Dun-huang" - als fixe Idee Inoues Schreiben. Seine unter der brüchigen konventionellen Oberfläche destruktiven Geschichten erzählen von Ästhetik und Radikalität, vom Selbstverlorensein und Weiterleben im Ewigkeitsgedanken der Kunst. In der Tat scheint der Einfluss des im sechzehnten Jahrhundert ausgebildeten Teekults auf Architektur, Gartenkunst, Keramik oder Literatur bis in die heutige Zeit nachzuwirken. So verinnerlichen auch Inoues wohlkalkulierte Sprachbewegungen die Schönheit der Schlichtheit und den hinter der Kargheit des Ausdrucks verborgenen Mehrwert.
Mit einer an das Haiku erinnernden Intensität lässt Inoue die klingende Stille des Teeraums und das Sinnkonzentrat der Gesten, Gefäße und Gerätschaften fühlbar werden, wenn er etwa über "das unablässig knisternde und zischende Kohlebecken, das an das Säuseln von Kiefern im Wind erinnert", sinniert. Inoues expressives Spätwerk enthält einige solcher Bilder von großer Unmittelbarkeit und zenbuddhistischer Eindringtiefe wie das Motiv des aufrecht im Boot sitzenden Meisters am Tag seiner Verbannung beim Ablegen vom Yodo-Fluss. Wie in vielen anderen Romanen vollziehen sich Vergegenwärtigung der Vergangenheit und Annäherung an historische Personen über einen randständigen Chronisten. Dabei strukturieren die Teezeremonien, bei denen Honkaku assistiert, die Romanhandlung als Ruhepole und Auszeiten kontrapunktisch zum äußeren Kriegsgeschehen, zumal Samurai beim Betreten eines Teeraums ihre Schwerter ablegen mussten.
Inoues Roman ist ein auf den westlichen Leser zuweilen etwas pathetisch wirkender, aber die zeitgenössische Ethik und Ästhetik suggestivkräftig evozierender Abgesang auf die traditionelle japanische Kultur und die ausgehende Epoche kriegerisch aktiver Samurai vor der rund 250 Jahre währenden Pax Tokugawa, als mit der Machtübernahme der Tokugawa-Dynastie (1603 bis 1868) das Land endgültig geeinigt und befriedet wurde. Konträr zum vordergründig pazifistischen Charakter des Teetrinkens gewährt das Buch Einblicke in die Geschichte des japanischen Teewegs (chadô) im Spannungsfeld von Pflichterfüllung und Spiritualität, politischen Machenschaften und Weltentsagung.
Das Kammerspiel um Tee und Tod, Kunst und Gunst findet in der legendären letzten Teezeremonie Rikyûs, bei der der Tod "Gast und Gastgeber zugleich" war, seinen melodramatischen Höhepunkt. Im fiktiven Schlussdialog zwischen dem Kriegsherrn Hideyoshi und seinem Teemeister vereinigen sich schließlich raffiniert die Erzählstränge und Bewusstseinswege des Teekultes und Samuraigeistes, die Rikyûs "einsames kaltes Schicksal" vorzeichnen: "Ich sehe die vielen berühmten Krieger unserer Zeit, die gesammelten Geistes vor mir saßen", erinnert sich der Teemeister im Angesicht des Todes. "Ich, Sôeki, dagegen verließ mich auf die Macht Eurer Exzellenz und entfernte mich damit am weitesten vom Teeweg." Ein letztes Mal wird er "ruhig an Ort und Stelle den Tee bereiten und nicht daran denken, seinem Schicksal zu entfliehen".
Während der Roman also in immer neuen Einkreisungsbewegungen die Essenz des Teewegs und der japanischen Kultur zu ergründen sucht, vermisst der Leser ein Nachwort zur Erläuterung und historischen Einordnung der Personen, Schlachten und zenbuddhistischen Begriffe. Was beim "Teemeister" noch fehlt, wurde nun bei der Geburtstagsneuauflage des Klassikers "Das Jagdgewehr" (1949) nachgeholt: Cees Nooteboom erinnert die "Tonalität der Emotionen" in Inoues Schilderung eines gesellschaftlich erfolgreichen, aber bindungsunfähigen Mannes im Wechsel der Perspektiven und brieflichen Stimmen an wohlkomponierte Kammermusik.
Dass nicht nur Tee-Setzlinge aus China nach Japan eingebracht wurden, sondern auch buddhistische Lehren und chinesisches Verwaltungsrecht, zeigt schließlich der ebenfalls neu aufgelegte historische Roman "Das Tempeldach" (1957), der die Bildungsreisen japanischer Gelehrter nach China im achten Jahrhundert thematisiert.
STEFFEN GNAM.
Yasushi Inoue: "Der Tod des Teemeisters". Roman. Aus dem Japanischen von Ursula Gräfe. Suhrkamp Verlag, Frank-furt am Main 2007. 176 S., geb., 19,80 [Euro].
Yasushi Inoue: "Das Jagdgewehr". Roman. Aus dem Japanischen von Oscar Benl. Mit einem Nachwort von Cees Nooteboom. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 100 S., geb., 8,- [Euro].
Yasushi Inoue: "Das Tempeldach". Ein historischer Roman. Übertragung aus dem Japanischen und Nachwort von Oscar Benl. Bibliothek Suhrkamp 709. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007 (4. Auflage). 215 S., br., 14,80 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
In einer umfangreichen Sammelrezension bespricht Ludker Lütkehaus sieben Bücher des japanischen Schriftstellers Yasushi Inoue. Die Rezension enthält eine Reihe von Informationen zur Biografie des Autors. Dessen Stärke, fasst Lütkehaus zusammen, liege, anders als bei den japanischen Nobelpreisträgern Yasunari Kawabata und Kenzaburo Oe, nicht in ästhetischer Innovation, sondern in einer "den Abgründen abgewonnenen Humanität."
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"Die Erzählung baut eine extreme Spannung auf, die sich in intensiven Szenen zuspitzt, um dann schlussendlich auf ungeheuerliche Weise zu implodieren."
Jeanne Wellnitz, BÜCHERmagazin 16.03.2018
Jeanne Wellnitz, BÜCHERmagazin 16.03.2018