Das Buch behandelt die folgenden Themen: B Paralmentarischer Rat - das Ringen um eine demokratische Verfassung Hürden auf dem Weg zum Grundgesetz - Der deutsch-allierte Verfassungsstreit Wähler und Gewählte - Der Kampf um Bonn Düsseldorfer Leitsätze - Die Marktwirtschaft setzt sich durch Die Bundesrepublik nimmt Gestalt an - Koalitionsfrage und Regierungsbildung Regieren unter allierter Aufsicht - Besatzungsstatut und Petersberger Abkommen Kriegsfolgen - Herausforderungen an die Sozialpolitik Staatsgründung der DDR Rundfunk und Presse mit neuen Freiheiten S
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.07.1998Aufgeklärter Absolutismus der Besatzungsmacht
Ein nicht ganz fehlerfreier Sammelband stimmt auf Feiertage ein
Jürgen Weber (Herausgeber): Das Jahr 1949 in der Deutschen Geschichte. Die doppelte Staatsgründung. Lizenzausgabe des bei der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit erschienenen Titels "Die Gründung des neuen Staates 1949" (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland III). Olzog Verlag, Landsberg am Lech 1997. 414 Seiten. 68,- Mark.
Tüchtige Autoren und Verleger pflegen mitunter ihrer Zeit weit voraus zu eilen und bereits Monate vor einem Jubiläum ein Buch zur Feier auf den Markt zu werfen. Gleichsam als früher Beitrag zum Halb-Zentenarium der im Mai 1949 geschaffenen Bundesrepublik Deutschland wie auch aus Anlaß der ein halbes Jahr später erfolgten Gegen-Gründung der DDR ist eine reichbebilderte Glanzpapierpublikation erschienen. Drei Autoren haben sich die Arbeit am Schicksalsjahr 1949 geteilt. Den Löwenanteil hat Herausgeber Jürgen Weber bewältigt - im Hauptberuf Dozent an der Akademie für Politische Bildung, Tutzing - mit sechs Essays: "Parlamentarischer Rat - Das Ringen um eine demokratische Verfassung", "Hürden auf dem Weg zum Grundgesetz. Der deutsch-alliierte Verfassungsstreit", "Wähler und Gewählte. Der Kampf um Bonn", "Die Bundesrepublik nimmt Gestalt an. Koalitionsfrage und Regierungsbildung", "Regieren unter alliierter Aufsicht. Besatzungsstatut und Petersberger Abkommen", ",Wenn wir eine Regierung gründen, geben wir sie niemals wieder auf, weder durch Wahlen noch andere Methoden' - Staatsgründung DDR".
Den wirtschafts- und sozialpolitischen Teil hat Karl-Heinz Willenborg (mit zwei Aufsätzen) übernommen, während sich Ansgar Diller zum Thema "Rundfunk und Presse mit neuen Freiheiten" äußert. Gerade im Pressewesen erteilten, wie Diller darlegt, die westlichen Besatzungsmächte - voran die Amerikaner - den deutschen Demokraten der ersten Stunde manche Lektion.
So erklärte etwa Militärgouverneur Lucius Clay: "Ich weiß, daß eine freie Regierung, daß die Freiheit und gute Regierungsformen nur dort bestehen können, wo ein wirklich freier Rundfunk und wo eine freie Presse bestehen." Deswegen wies die amerikanische Besatzungsmacht das erste Rundfunkgesetz von Württemberg-Baden wegen konzeptioneller Regierungsnähe des Süddeutschen Rundfunks zurück. Im zweiten Gesetz verzichtete der Landtag auf jedwede Entsendung eines Regierungsvertreters in den Rundfunkrat, so daß der damalige Ministerpräsident Reinhold Maier süffisant bemerkte: "Das Rundfunkgesetz setzt die Landesregierung auf diesem Gebiet in den Ruhestand. Die Regierung ist einfacher Zuhörer wie das Volk und freut sich dieser demokratischen Rolle." In der Pressegesetzgebung bremsten die Amerikaner deutsche Parlamentarier - auch sozialdemokratischer Observanz -, die einen besonderen Rechtsschutz für Angehörige der Ministerialbürokratie anstrebten. So scheiterte das im Dezember 1948 von der Bremischen Bürgerschaft verabschiedete Gesetz - das erste deutsche Pressegesetz nach dem Kriege - am Veto der amerikanischen Besatzungsmacht. Die deutschen Landtage zogen daraus ihre Konsequenzen und verzichteten auf eine Betonung der Staatsautorität im Presserecht.
Der Nachweis, daß der aufgeklärte Absolutismus der amerikanischen Besatzungsmacht - mitunter im Widerspruch zu frei gewählten Volksvertretungen - der Rundfunk- und Pressefreiheit in Deutschland zum Durchbruch verhalf, zählt zu den bemerkenswerten Informationen des vorliegenden Bandes.
Und wie die Amerikaner den Medienbereich vor autoritären Tendenzen schützten, so bewahrten sie die westdeutsche Wirtschaft vor sozialistischen Elementen. KarlHeinz Willenborg erinnert daran, daß General Clay 1947 den Sozialisierungs-Artikel der hessischen Verfassung suspendierte und sich später allen Bestrebungen widersetzte, die Mitbestimmung der Betriebsräte auf wirtschaftliche Fragen auszudehnen.
Ansonsten ist der wirtschaftspolitische Teil der Publikation eher unterbelichtet. Die Arbeit des Wirtschaftsrates in Frankfurt am Main, der etwa nach einer Marathondebatte vom 20./21. Juni 1948 dem damaligen Wirtschaftsdirektor in der Bizone, Ludwig Erhard, mehrheitlich den Weg für die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft freigab, wird nur kurz in der Rückblende eines Artikels über die "Düsseldorfer Leitsätze" der CDU vom Juli 1949 erwähnt. Der Verfasser Willenborg ist sich offensichtlich nicht des Unterschiedes zwischen dem damaligen parlamentarischen Gremium "Wirtschaftsrat" und dem exekutiven "Verwaltungsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes der Bizone" bewußt, wenn er Ludwig Erhard als "Direktor der Verwaltung für Wirtschaft beim Frankfurter Wirtschaftsrat" apostrophiert.
Auch Jürgen Weber - als Historiograph der DDR-Gründung wohl präziser denn als Geschichtsschreiber der Bundesrepublik - unterlaufen Fehler. Seiner Darstellung zufolge setzt sich die den Bundespräsidenten wählende Bundesversammlung "zur Hälfte aus den Abgeordneten des Bundestages und einer gleich großen Zahl von Abgeordneten der Landtage" zusammen. In Wirklichkeit können die Abgeordneten der Landtage nicht nur Kolleginnen und Kollegen, sondern genauso - wie bereits mehrfach geschehen - Film- und Sportstars (sowie alle anderen Bürgerinnen und Bürger, sofern sie das passive Wahlrecht besitzen) als Eintagsparlamentarier in die Bundesversammlung entsenden.
Webers irrige Behauptung, Adenauer hätte bereits bei seiner ersten Regierungsbildung den "vom Deutschen Bauernverband dringend" gewünschten Heinrich Lübke akzeptieren müssen, wird immerhin von einem "Dokument", das Wilhelm Niklas als ersten Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft ausweist, berichtigt. Andere Fehlinformationen - wie etwa die Zuordnung von Theodor Heuss zum Kreis der Juristen im Parlamentarischen Rat - erfahren jedoch keine Korrektur. Das mag in einer Neuauflage nachgeholt werden - gewiß noch rechtzeitig vor dem Halb-Zentenarium der Bundesrepublik im Mai nächsten Jahres.
GISELHER SCHMIDT
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein nicht ganz fehlerfreier Sammelband stimmt auf Feiertage ein
Jürgen Weber (Herausgeber): Das Jahr 1949 in der Deutschen Geschichte. Die doppelte Staatsgründung. Lizenzausgabe des bei der Bayerischen Landeszentrale für politische Bildungsarbeit erschienenen Titels "Die Gründung des neuen Staates 1949" (Geschichte der Bundesrepublik Deutschland III). Olzog Verlag, Landsberg am Lech 1997. 414 Seiten. 68,- Mark.
Tüchtige Autoren und Verleger pflegen mitunter ihrer Zeit weit voraus zu eilen und bereits Monate vor einem Jubiläum ein Buch zur Feier auf den Markt zu werfen. Gleichsam als früher Beitrag zum Halb-Zentenarium der im Mai 1949 geschaffenen Bundesrepublik Deutschland wie auch aus Anlaß der ein halbes Jahr später erfolgten Gegen-Gründung der DDR ist eine reichbebilderte Glanzpapierpublikation erschienen. Drei Autoren haben sich die Arbeit am Schicksalsjahr 1949 geteilt. Den Löwenanteil hat Herausgeber Jürgen Weber bewältigt - im Hauptberuf Dozent an der Akademie für Politische Bildung, Tutzing - mit sechs Essays: "Parlamentarischer Rat - Das Ringen um eine demokratische Verfassung", "Hürden auf dem Weg zum Grundgesetz. Der deutsch-alliierte Verfassungsstreit", "Wähler und Gewählte. Der Kampf um Bonn", "Die Bundesrepublik nimmt Gestalt an. Koalitionsfrage und Regierungsbildung", "Regieren unter alliierter Aufsicht. Besatzungsstatut und Petersberger Abkommen", ",Wenn wir eine Regierung gründen, geben wir sie niemals wieder auf, weder durch Wahlen noch andere Methoden' - Staatsgründung DDR".
Den wirtschafts- und sozialpolitischen Teil hat Karl-Heinz Willenborg (mit zwei Aufsätzen) übernommen, während sich Ansgar Diller zum Thema "Rundfunk und Presse mit neuen Freiheiten" äußert. Gerade im Pressewesen erteilten, wie Diller darlegt, die westlichen Besatzungsmächte - voran die Amerikaner - den deutschen Demokraten der ersten Stunde manche Lektion.
So erklärte etwa Militärgouverneur Lucius Clay: "Ich weiß, daß eine freie Regierung, daß die Freiheit und gute Regierungsformen nur dort bestehen können, wo ein wirklich freier Rundfunk und wo eine freie Presse bestehen." Deswegen wies die amerikanische Besatzungsmacht das erste Rundfunkgesetz von Württemberg-Baden wegen konzeptioneller Regierungsnähe des Süddeutschen Rundfunks zurück. Im zweiten Gesetz verzichtete der Landtag auf jedwede Entsendung eines Regierungsvertreters in den Rundfunkrat, so daß der damalige Ministerpräsident Reinhold Maier süffisant bemerkte: "Das Rundfunkgesetz setzt die Landesregierung auf diesem Gebiet in den Ruhestand. Die Regierung ist einfacher Zuhörer wie das Volk und freut sich dieser demokratischen Rolle." In der Pressegesetzgebung bremsten die Amerikaner deutsche Parlamentarier - auch sozialdemokratischer Observanz -, die einen besonderen Rechtsschutz für Angehörige der Ministerialbürokratie anstrebten. So scheiterte das im Dezember 1948 von der Bremischen Bürgerschaft verabschiedete Gesetz - das erste deutsche Pressegesetz nach dem Kriege - am Veto der amerikanischen Besatzungsmacht. Die deutschen Landtage zogen daraus ihre Konsequenzen und verzichteten auf eine Betonung der Staatsautorität im Presserecht.
Der Nachweis, daß der aufgeklärte Absolutismus der amerikanischen Besatzungsmacht - mitunter im Widerspruch zu frei gewählten Volksvertretungen - der Rundfunk- und Pressefreiheit in Deutschland zum Durchbruch verhalf, zählt zu den bemerkenswerten Informationen des vorliegenden Bandes.
Und wie die Amerikaner den Medienbereich vor autoritären Tendenzen schützten, so bewahrten sie die westdeutsche Wirtschaft vor sozialistischen Elementen. KarlHeinz Willenborg erinnert daran, daß General Clay 1947 den Sozialisierungs-Artikel der hessischen Verfassung suspendierte und sich später allen Bestrebungen widersetzte, die Mitbestimmung der Betriebsräte auf wirtschaftliche Fragen auszudehnen.
Ansonsten ist der wirtschaftspolitische Teil der Publikation eher unterbelichtet. Die Arbeit des Wirtschaftsrates in Frankfurt am Main, der etwa nach einer Marathondebatte vom 20./21. Juni 1948 dem damaligen Wirtschaftsdirektor in der Bizone, Ludwig Erhard, mehrheitlich den Weg für die Einführung der Sozialen Marktwirtschaft freigab, wird nur kurz in der Rückblende eines Artikels über die "Düsseldorfer Leitsätze" der CDU vom Juli 1949 erwähnt. Der Verfasser Willenborg ist sich offensichtlich nicht des Unterschiedes zwischen dem damaligen parlamentarischen Gremium "Wirtschaftsrat" und dem exekutiven "Verwaltungsrat des Vereinigten Wirtschaftsgebietes der Bizone" bewußt, wenn er Ludwig Erhard als "Direktor der Verwaltung für Wirtschaft beim Frankfurter Wirtschaftsrat" apostrophiert.
Auch Jürgen Weber - als Historiograph der DDR-Gründung wohl präziser denn als Geschichtsschreiber der Bundesrepublik - unterlaufen Fehler. Seiner Darstellung zufolge setzt sich die den Bundespräsidenten wählende Bundesversammlung "zur Hälfte aus den Abgeordneten des Bundestages und einer gleich großen Zahl von Abgeordneten der Landtage" zusammen. In Wirklichkeit können die Abgeordneten der Landtage nicht nur Kolleginnen und Kollegen, sondern genauso - wie bereits mehrfach geschehen - Film- und Sportstars (sowie alle anderen Bürgerinnen und Bürger, sofern sie das passive Wahlrecht besitzen) als Eintagsparlamentarier in die Bundesversammlung entsenden.
Webers irrige Behauptung, Adenauer hätte bereits bei seiner ersten Regierungsbildung den "vom Deutschen Bauernverband dringend" gewünschten Heinrich Lübke akzeptieren müssen, wird immerhin von einem "Dokument", das Wilhelm Niklas als ersten Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft ausweist, berichtigt. Andere Fehlinformationen - wie etwa die Zuordnung von Theodor Heuss zum Kreis der Juristen im Parlamentarischen Rat - erfahren jedoch keine Korrektur. Das mag in einer Neuauflage nachgeholt werden - gewiß noch rechtzeitig vor dem Halb-Zentenarium der Bundesrepublik im Mai nächsten Jahres.
GISELHER SCHMIDT
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