Was ist zu tun, wenn man von allem endgültig genug hat, der Therapeut aber dennoch Vorsätze für das neue Jahr hören möchte? Frank Stremmer, ausgebrannter deutscher Expat in Diensten einer illustren internationalen Genfer Organisation, rafft sich zu einem letzten Kraftakt auf: Zwölf Frauen in zwölf Monaten! Ohne Geld, ohne Versprechungen, ohne Perspektiven. Was als müde Provokation gegenüber seinem Psychologen beginnt, entwickelt sich schon bald zur fixen Idee.
Denn am Ende soll nichts Geringeres stehen als: Die Erlösung. Zwölf Frauen in zwölf Monaten bedeuten für Stremmer die »Legitimation« zum Freitod. Seine irrwitzige Jagd durch Online-Portale, Bars und Schlafzimmer endet jedoch nicht im Frieden leerer Schlaftablettenröhrchen, sondern im Chaos eines afrikanischen Bürgerkriegsstaates.
Denn am Ende soll nichts Geringeres stehen als: Die Erlösung. Zwölf Frauen in zwölf Monaten bedeuten für Stremmer die »Legitimation« zum Freitod. Seine irrwitzige Jagd durch Online-Portale, Bars und Schlafzimmer endet jedoch nicht im Frieden leerer Schlaftablettenröhrchen, sondern im Chaos eines afrikanischen Bürgerkriegsstaates.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.09.2017Aus dem Leben eines Pick-up-Taugenichts
Popp-Literatur mit Ironiewimpel: Christoph Höhtker geht mit seinem Helden auf Abschiedstournee
So ähnlich ist schon der namenlose Ich-Erzähler aus Christian Krachts Roman "1979" verlorengegangen, jener dandyhafte Ästhetizist, der irgendwo in chinesischen Straflagern seine Bestimmung als guter Gefangener gefunden hat. Diesmal ist es das anarchische Gewaltafrika, das dem einigermaßen prätentiös an Lebens- und Weltekel leidenden und dies nicht nur im Gespräch mit seinem Therapeuten Niederegger zugleich dauerironisierenden Ich-Erzähler Frank Stremmer zur finalen Destination wird. Oder ist sie gar nicht final? Der suizidale Held - "die Trostlosigkeit in meinem Leben ist einfach überwältigend" - hat bereits zwei Vorgängerromane überlebt, warum nicht auch diesen doch irgendwie offenen Schluss? Vor allem aber geht es bei Christoph Höhtker ungravitätischer zu als bei Kracht, dafür bedeutend lustiger (was freilich nicht allzu schwer ist).
Schon die Erzählsituation, sieht man von der schwülstigen Sexbesessenheit des Erzählers ab, ist eine pikarische. Frank Stremmer, in einem früheren Leben (und Roman) gutbezahlter, schlagfertiger und sarkastisch die Sinnlosigkeit des eigenen Tuns zelebrierender Hochfinanzmauscheleienschönredner, ist inzwischen - immer noch schlagfertig, neurotisch und verzweifelt, immer noch in Genf - für die gelungene Karikatur einer überheblichen, ja neokolonialistischen Nichtregierungsorganisation namens "Global Enhancement Foundation (GEF)" tätig: ein Schelm im System, der für selbiges (und sich) wieder nur Verachtung übrig hat. Alle anderen GEF-Mitarbeiter hingegen sind von der eigenen vermeintlichen Relevanz geblendet, am stärksten der Executive Chairman Raphael Gonzales-Blanco, den man intern nur "RGB" nennt: "Nächstes Jahr geht der Trottel in Rente, es zieht ihn zurück auf seine Landgüter, aber vorher wurde noch genügend Geld vom Communications-Etat abgezweigt, um ein völlig irres Buchprojekt zu finanzieren." Für die Erstellung dieser RGB-Lobhudelbiographie unter dem Codenamen "Valparaiso" wurden Stremmer und sein Kollege Erik Lynberg eingestellt. Die beiden PR-Strategen begleiten den absolutistischen Boss auf diverse Reisen, zuletzt eben nach Afrika.
Für das Memoirenbuch tun sie jedoch einfach gar nichts, weil es offenbar genügt, alle Beteiligten mit improvisierten Schmeicheleien bei Laune zu halten. Stremmer feilt stattdessen an einer nachgerade blödsinnigen Zwiebel-Novelle herum und wirft sich mit Vehemenz dem Taedium vitae in die Arme. Das Einzige, was dem so wattiert vor sich hinlebenden Zyniker, der irgendwann überrascht feststellt, dass man ihm auch noch mehrere Wochen Urlaub aufnötigt ("Wovon?"), einen Rest von Lebenskitzel verschafft, ist - leider - Geschlechtsverkehr. "Leider" muss man sagen, denn dieser zweite Handlungsstrang, der sich schnell in den Vordergrund spielt, hat anders als der parodistische Entwicklungshilfe-Plot gar keine Richtung mehr und erstaunlich wenig Pep.
Die Struktur des Buches ergibt sich denn auch schlicht durch die alberne, dem Therapeuten aufgenötigte Wette Frank Stremmers, sich umbringen zu dürfen, wenn er ein Jahr lang jeden Monat eine andere Frau ins Bett bekommt ("verbraucht"), ohne dafür zu zahlen. Mit einem Rachefeldzug habe das nichts zu tun, eher mit gesteigerter Aufwartung: eine "Abschiedstournee". Was sich hier verabschiedet, ist aber vor allem die Handlung. In überraschungsarmen Wiederholungsschleifen werden nun tatsächlich alle zwölf Eroberungen von der Anbahnung bis zum Vollzug akkumuliert, und da sind Stremmers bezahlte Erholungs-Kopulationen nicht einmal eingerechnet.
Unverkennbar orientiert sich Höhtker damit an Michel Houellebecq, allerdings abgelenkt ins Lottmannsche. Und doch fehlt sowohl die politisch dringliche Kaputtheit der Helden Houellebecqs als auch die programmatische Verlogenheit, die Joachim Lottmanns Bücher auszeichnet. Unser Womanizer aus Genf ist weder subversiver Menschenfeind noch altersgeiler Pop-Onkel, sondern lediglich ein deprimierter Pick-up-Artist mit echter Schwäche für Frauen. Ein koketter Sexismus ist quasi konstitutiv: Der selbst waidwunde Frank inszeniert sich als alles Weibliche taxierender Jäger-Mann im Sinne der Evolution, der sich um hysterische Gender-Debatten nicht weiter schert und gerade damit beim anderen Geschlecht beeindruckende Erfolge einfährt. Das kann man schmierig finden (die hysterische Fraktion), frech oder glaubhaft (offenbar soll Frank ziemlich schnuckelig aussehen), doch all das ändert nichts an der Tatsache, dass dies als Romangrundlage allzu dürftig ist.
Auch der flotte, pointierte Werbetexter-Stil ist nicht elaboriert oder gar literarisch genug, um das Interesse wachzuhalten, zumal das Lektorat eine Reihe von orthographischen und grammatischen Fehlern durchgehen ließ. Den selbstgefälligen Ton interner (E-Mail-)Unternehmenskommunikation imitiert Höhtker zwar ziemlich treffend, ebenso den kläglichen Yuppie-Smalltalk von Karrieristen, aber beides wirkt allenfalls mittellustig und weitgehend ziellos. Weil sich der Erzähler für einen hochkreativen und gewitzten Kopf hält, sind zudem ständig kursive Passagen eingestreut, in denen ohne weitere Bedeutung ulkige Biographien von Nebenfiguren im gerafften Lexikonstil imaginiert werden - auch das eher aufdringlich. Und spätestens die zehnte platte Hommage an Brüste, Hintern oder "Tight Gaps" dürfte nicht einmal mehr verhuschte Erotika-Liebhaber antörnen.
Übrig bleiben einige gute Dialoge mit dem Therapeuten, manches gelungene Bild (meist verschüttet unter berghoch aufgetürmten Metaphern) und hier und da ein schöner Satz: "Der See verarbeitete die Abendsonne." Man kann sich ein wenig amüsieren bei dieser Farce über die eitle Gutmenschen-Industrie. Was das Buch aber auf der Longlist für den diesjährigen Deutschen Buchpreis zu suchen hatte, bleibt ein Geheimnis.
OLIVER JUNGEN
Christoph Höhtker: "Das Jahr der Frauen". Roman.
Weissbooks Verlag, Frankfurt am Main 2017. 252 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Popp-Literatur mit Ironiewimpel: Christoph Höhtker geht mit seinem Helden auf Abschiedstournee
So ähnlich ist schon der namenlose Ich-Erzähler aus Christian Krachts Roman "1979" verlorengegangen, jener dandyhafte Ästhetizist, der irgendwo in chinesischen Straflagern seine Bestimmung als guter Gefangener gefunden hat. Diesmal ist es das anarchische Gewaltafrika, das dem einigermaßen prätentiös an Lebens- und Weltekel leidenden und dies nicht nur im Gespräch mit seinem Therapeuten Niederegger zugleich dauerironisierenden Ich-Erzähler Frank Stremmer zur finalen Destination wird. Oder ist sie gar nicht final? Der suizidale Held - "die Trostlosigkeit in meinem Leben ist einfach überwältigend" - hat bereits zwei Vorgängerromane überlebt, warum nicht auch diesen doch irgendwie offenen Schluss? Vor allem aber geht es bei Christoph Höhtker ungravitätischer zu als bei Kracht, dafür bedeutend lustiger (was freilich nicht allzu schwer ist).
Schon die Erzählsituation, sieht man von der schwülstigen Sexbesessenheit des Erzählers ab, ist eine pikarische. Frank Stremmer, in einem früheren Leben (und Roman) gutbezahlter, schlagfertiger und sarkastisch die Sinnlosigkeit des eigenen Tuns zelebrierender Hochfinanzmauscheleienschönredner, ist inzwischen - immer noch schlagfertig, neurotisch und verzweifelt, immer noch in Genf - für die gelungene Karikatur einer überheblichen, ja neokolonialistischen Nichtregierungsorganisation namens "Global Enhancement Foundation (GEF)" tätig: ein Schelm im System, der für selbiges (und sich) wieder nur Verachtung übrig hat. Alle anderen GEF-Mitarbeiter hingegen sind von der eigenen vermeintlichen Relevanz geblendet, am stärksten der Executive Chairman Raphael Gonzales-Blanco, den man intern nur "RGB" nennt: "Nächstes Jahr geht der Trottel in Rente, es zieht ihn zurück auf seine Landgüter, aber vorher wurde noch genügend Geld vom Communications-Etat abgezweigt, um ein völlig irres Buchprojekt zu finanzieren." Für die Erstellung dieser RGB-Lobhudelbiographie unter dem Codenamen "Valparaiso" wurden Stremmer und sein Kollege Erik Lynberg eingestellt. Die beiden PR-Strategen begleiten den absolutistischen Boss auf diverse Reisen, zuletzt eben nach Afrika.
Für das Memoirenbuch tun sie jedoch einfach gar nichts, weil es offenbar genügt, alle Beteiligten mit improvisierten Schmeicheleien bei Laune zu halten. Stremmer feilt stattdessen an einer nachgerade blödsinnigen Zwiebel-Novelle herum und wirft sich mit Vehemenz dem Taedium vitae in die Arme. Das Einzige, was dem so wattiert vor sich hinlebenden Zyniker, der irgendwann überrascht feststellt, dass man ihm auch noch mehrere Wochen Urlaub aufnötigt ("Wovon?"), einen Rest von Lebenskitzel verschafft, ist - leider - Geschlechtsverkehr. "Leider" muss man sagen, denn dieser zweite Handlungsstrang, der sich schnell in den Vordergrund spielt, hat anders als der parodistische Entwicklungshilfe-Plot gar keine Richtung mehr und erstaunlich wenig Pep.
Die Struktur des Buches ergibt sich denn auch schlicht durch die alberne, dem Therapeuten aufgenötigte Wette Frank Stremmers, sich umbringen zu dürfen, wenn er ein Jahr lang jeden Monat eine andere Frau ins Bett bekommt ("verbraucht"), ohne dafür zu zahlen. Mit einem Rachefeldzug habe das nichts zu tun, eher mit gesteigerter Aufwartung: eine "Abschiedstournee". Was sich hier verabschiedet, ist aber vor allem die Handlung. In überraschungsarmen Wiederholungsschleifen werden nun tatsächlich alle zwölf Eroberungen von der Anbahnung bis zum Vollzug akkumuliert, und da sind Stremmers bezahlte Erholungs-Kopulationen nicht einmal eingerechnet.
Unverkennbar orientiert sich Höhtker damit an Michel Houellebecq, allerdings abgelenkt ins Lottmannsche. Und doch fehlt sowohl die politisch dringliche Kaputtheit der Helden Houellebecqs als auch die programmatische Verlogenheit, die Joachim Lottmanns Bücher auszeichnet. Unser Womanizer aus Genf ist weder subversiver Menschenfeind noch altersgeiler Pop-Onkel, sondern lediglich ein deprimierter Pick-up-Artist mit echter Schwäche für Frauen. Ein koketter Sexismus ist quasi konstitutiv: Der selbst waidwunde Frank inszeniert sich als alles Weibliche taxierender Jäger-Mann im Sinne der Evolution, der sich um hysterische Gender-Debatten nicht weiter schert und gerade damit beim anderen Geschlecht beeindruckende Erfolge einfährt. Das kann man schmierig finden (die hysterische Fraktion), frech oder glaubhaft (offenbar soll Frank ziemlich schnuckelig aussehen), doch all das ändert nichts an der Tatsache, dass dies als Romangrundlage allzu dürftig ist.
Auch der flotte, pointierte Werbetexter-Stil ist nicht elaboriert oder gar literarisch genug, um das Interesse wachzuhalten, zumal das Lektorat eine Reihe von orthographischen und grammatischen Fehlern durchgehen ließ. Den selbstgefälligen Ton interner (E-Mail-)Unternehmenskommunikation imitiert Höhtker zwar ziemlich treffend, ebenso den kläglichen Yuppie-Smalltalk von Karrieristen, aber beides wirkt allenfalls mittellustig und weitgehend ziellos. Weil sich der Erzähler für einen hochkreativen und gewitzten Kopf hält, sind zudem ständig kursive Passagen eingestreut, in denen ohne weitere Bedeutung ulkige Biographien von Nebenfiguren im gerafften Lexikonstil imaginiert werden - auch das eher aufdringlich. Und spätestens die zehnte platte Hommage an Brüste, Hintern oder "Tight Gaps" dürfte nicht einmal mehr verhuschte Erotika-Liebhaber antörnen.
Übrig bleiben einige gute Dialoge mit dem Therapeuten, manches gelungene Bild (meist verschüttet unter berghoch aufgetürmten Metaphern) und hier und da ein schöner Satz: "Der See verarbeitete die Abendsonne." Man kann sich ein wenig amüsieren bei dieser Farce über die eitle Gutmenschen-Industrie. Was das Buch aber auf der Longlist für den diesjährigen Deutschen Buchpreis zu suchen hatte, bleibt ein Geheimnis.
OLIVER JUNGEN
Christoph Höhtker: "Das Jahr der Frauen". Roman.
Weissbooks Verlag, Frankfurt am Main 2017. 252 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Romanfiguren müssen nicht sympathisch sein, daran erinnert Rainer Moritz noch einmal angesichts des misogynen, suizidalen Protagonisten in Christoph Höhtkers "Das Jahr der Frauen". Der geht mit seinem Therapeuten die geschmacklose Wette ein, dass er seinem Leben nur dann ein Ende bereiten wird dürfen, wenn er innerhalb eines Jahres zwölf Frauen "verbrauche", fasst der Rezensent zusammen. Angesichts der Thematik und des Vokabulars darf man während der Lektüre weder realistische noch politisch korrekte Erwartungen haben, warnt Moritz. Der zynische Witz und die "schrägen" Einfälle dieser bösen Abrechnung mit Psychotherapeuten und ruhmsüchtigen Philanthropen macht dem Kritiker, der bisweilen an Houellebecq denken muss, aber so viel Spaß, dass er sogar dem äußerst unaufmerksamen Lektorat verzeiht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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