Vor der Kulisse des geheimnisvoll-magischen Schwarzwaldes erzählt das berühmte Märchen 'Das kalte Herz' von Wilhelm Hauff die wahrhaft faustische Geschichte vom Köhlerburschen Peter Munk, der für seinen Wunsch nach Reichtum und sozialer Anerkennung seine Seele verkauft. Geltungsdrang, Magie, Absturz und am Ende die Erkenntnis wahrer Werte - alles, was eine große Erzählung braucht!Die zeitlose Aktualität des Textes setzt der Illustrator Christian Sobeck kraftvoll-mystisch in Szene und erschließt so eine eigenständige Ebene der Hauffschen Märchenerzählung.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Über eine "spektakuläre Buchgestaltung" freut sich Rezensent Tilman Spreckelsen bei dieser von Christian Sobeck illustrierten Neuauflage von Wilhelm Hauffs Märchen "Das kalte Herz". In der 1827 verfassten Geschichte um den Kohlenmunk-Peter, der sich im Austausch für Reichtum einen Stein in die Brust setzen lässt, spiegeln sich die Ängste wider, die die damalige Gesellschaft angesichts der neuen kapitalistischen Methoden empfand, so der Kritiker. Die Naturgeister, die Peter aufsucht, inkarnieren die Gegensätze: das Glasmännlein steht für das altbewährte und das traditionelle Handwerk, der Holländermichel für Profitorientierung und brutale Naturausbeutung, aber eben auch für das Neue. In Sobecks schwarz-weißen Bildern wird die düstere Schwarzwald-Landschaft zum Protagonisten, bemerkt der Kritiker und ist beeindruckt von der Hingabe, mit der der Künstler die "Naturgewalten" aufs Papier gebracht hat. Mit klaren Linien inszeniert Sobeck den Konflikt zwischen Alt und Neu, so Spreckelsen, weiß dabei, Details "gekonnt auszuleuchten" und biete den Lesern eine neue interessante Interpretation der Geschichte zu bieten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 10.05.2023Zwischen Glasmännlein und Holländermichel
Christian Sobeck illustriert Hauffs "Das kalte Herz"
An den Kapitalismus haben wir uns inzwischen gewöhnt, an die Unterwerfung der Landschaft auch, und die Globalisierung ist uns derart vertraut, dass uns ihre schlimmsten Auswüchse oft nur ein Achselzucken abnötigen. In Wilhelm Hauffs Märchen "Das kalte Herz" ist das noch anders. Der geniale Autor, damals Mitte zwanzig und schon am Ende seines Lebens, beschreibt 1827 die Faszination und den Schrecken dieser Wirtschaftsform ganz frisch und unmittelbar am Beispiel einer traditionellen Gesellschaft, in der sich Risse auftun, weil die einen von den Möglichkeiten, die der Fernhandel bietet, fasziniert sind, während die anderen an dem seit Langem üblichen Erwerbsmodell festhalten und bloß nichts ändern wollen.
Hauffs Protagonist, der Kohlenmunk-Peter, träumt vom leichten Geld und endet, nachdem er unfassbare Verbrechen begangen hat, im Schoß der Tradition: Er wollte nie in die Fußstapfen seines Vaters treten und Köhler sein; am Ende des Märchens ist er dankbar dafür, genau das zu tun. Zwei Geister des Schwarzwaldes verkörpern diese beiden Modelle: Das kleine, listige Glasmännlein steht für die Tradition, der grobe und nicht besonders helle Holländermichel für den Aufbruch, den er schon im Namen trägt. Peter lässt sich zuerst mit dem Glasmännlein ein und erhält wunschgemäß eine Glashütte von ihm, wirtschaftet diese allerdings aus Unerfahrenheit zugrunde und sucht nun Hilfe beim Holländermichel. Der fordert dafür Peters Herz, an dessen Stelle er eine steinerne Prothese zu setzen verspricht, und verkauft ihm diesen Tausch als einen Zugewinn für den jungen Schwarzwälder, denn er werde dadurch von einer lästigen Instanz erlöst, die mit ihrem Moralisieren und ihren Bedenken seinem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg nur im Wege stehe. Peter willigt ein.
Hauffs Märchen ist vielfach ediert und auch in anderen Medien adaptiert worden; alle paar Jahre gibt es eine Neuverfilmung, die eigene, oft bildmächtige Akzente setzt (F.A.Z. vom 20. Oktober 2016) und die sich zum zentralen Konflikt des Helden verhalten muss: Ist es nicht doch eine Verlockung, sich der neuen Zeit ganz hingeben zu können ohne den lästigen Mahner in der eigenen Brust? Und ist der Tausch des lebendigen Herzens gegen einen Stein nicht geradezu die Voraussetzung für die Teilhabe an dem fortschrittlichen Wirtschaften, das in dieser Zeit in den Schwarzwald eingezogen ist und die Kreise immer weiter zieht, bis eben das Rhein-Mündungsdelta in Holland mit seinen Möglichkeiten des Profits in den Blick der Schwarzwälder gerät?
Wer sich jedenfalls heute in irgendeiner Weise mit diesem Märchen beschäftigt, wird um diese Dimension nicht herumkommen. Soeben ist eine feine Edition von "Das kalte Herz" im Verlag 8 grad erschienen, die der Grafiker Christian Sobeck illustriert hat. Die Buchgestaltung ist spektakulär: Die fadengebundenen Seiten sind jeweils so gefaltet, dass der Leser zum normalen Umblättern auch noch aufblättern muss, denn hinter jeweils einer umgeklappten Grafik verbergen sich zwei Textseiten.
Sobecks schwarz-weiße Bilder schwelgen in der Düsternis der Landschaft, sie neigen zu eher klaren als filigranen Konturen und gewinnen dem Zusammenprall zwischen den Menschen und den beiden Geistern einiges ab, mehr noch: Was immer außer dem Glasmännlein und dem Holländermichel noch die Bühne betritt, spielt gegenüber den Naturgeistern eine Nebenrolle, und jedes der Details, die Sobeck gekonnt ausleuchtet und in den Vordergrund zieht, schlägt sie um Längen.
An ihre Stelle tritt die Landschaft als Protagonist, und das dürfte fraglos in Hauffs Sinn sein. Sobeck inszeniert die Naturgewalten hingebungsvoll, er wählt gern eine Perspektive, die das Geschehen aus einigem Abstand betrachtet und so eine Distanz auch des Lesers zu den Geschehnissen herstellt. Der Analyse dessen, was Hauff in seinem Märchen verhandelt, tut diese Wahl entschieden gut, ebenso die Schlaglichter, die Sobeck setzt, wenn er dann doch stärker ins Detail geht.
Was ist es, das den Kohlenmunk-Peter so antreibt, dass er seinen moralischen Kompass dafür loswerden will? Sobecks Illustrationen liefern eine Antwort dazu, die tief in der Landschaft verwurzelt ist. Und er ergänzt, was Hauff nur andeutet. Denn dass es gute Gründe gibt, die triste Tradition gegen etwas anderes einzutauschen, machen diese Bilder unaufdringlich deutlich. TILMAN SPRECKELSEN
Wilhelm Hauff, Christian Sobeck: "Das kalte Herz". Ein Märchen aus dem Schwarzwald.
Verlag 8 grad, Freiburg 2023. 103 S., geb., Abb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Christian Sobeck illustriert Hauffs "Das kalte Herz"
An den Kapitalismus haben wir uns inzwischen gewöhnt, an die Unterwerfung der Landschaft auch, und die Globalisierung ist uns derart vertraut, dass uns ihre schlimmsten Auswüchse oft nur ein Achselzucken abnötigen. In Wilhelm Hauffs Märchen "Das kalte Herz" ist das noch anders. Der geniale Autor, damals Mitte zwanzig und schon am Ende seines Lebens, beschreibt 1827 die Faszination und den Schrecken dieser Wirtschaftsform ganz frisch und unmittelbar am Beispiel einer traditionellen Gesellschaft, in der sich Risse auftun, weil die einen von den Möglichkeiten, die der Fernhandel bietet, fasziniert sind, während die anderen an dem seit Langem üblichen Erwerbsmodell festhalten und bloß nichts ändern wollen.
Hauffs Protagonist, der Kohlenmunk-Peter, träumt vom leichten Geld und endet, nachdem er unfassbare Verbrechen begangen hat, im Schoß der Tradition: Er wollte nie in die Fußstapfen seines Vaters treten und Köhler sein; am Ende des Märchens ist er dankbar dafür, genau das zu tun. Zwei Geister des Schwarzwaldes verkörpern diese beiden Modelle: Das kleine, listige Glasmännlein steht für die Tradition, der grobe und nicht besonders helle Holländermichel für den Aufbruch, den er schon im Namen trägt. Peter lässt sich zuerst mit dem Glasmännlein ein und erhält wunschgemäß eine Glashütte von ihm, wirtschaftet diese allerdings aus Unerfahrenheit zugrunde und sucht nun Hilfe beim Holländermichel. Der fordert dafür Peters Herz, an dessen Stelle er eine steinerne Prothese zu setzen verspricht, und verkauft ihm diesen Tausch als einen Zugewinn für den jungen Schwarzwälder, denn er werde dadurch von einer lästigen Instanz erlöst, die mit ihrem Moralisieren und ihren Bedenken seinem wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Erfolg nur im Wege stehe. Peter willigt ein.
Hauffs Märchen ist vielfach ediert und auch in anderen Medien adaptiert worden; alle paar Jahre gibt es eine Neuverfilmung, die eigene, oft bildmächtige Akzente setzt (F.A.Z. vom 20. Oktober 2016) und die sich zum zentralen Konflikt des Helden verhalten muss: Ist es nicht doch eine Verlockung, sich der neuen Zeit ganz hingeben zu können ohne den lästigen Mahner in der eigenen Brust? Und ist der Tausch des lebendigen Herzens gegen einen Stein nicht geradezu die Voraussetzung für die Teilhabe an dem fortschrittlichen Wirtschaften, das in dieser Zeit in den Schwarzwald eingezogen ist und die Kreise immer weiter zieht, bis eben das Rhein-Mündungsdelta in Holland mit seinen Möglichkeiten des Profits in den Blick der Schwarzwälder gerät?
Wer sich jedenfalls heute in irgendeiner Weise mit diesem Märchen beschäftigt, wird um diese Dimension nicht herumkommen. Soeben ist eine feine Edition von "Das kalte Herz" im Verlag 8 grad erschienen, die der Grafiker Christian Sobeck illustriert hat. Die Buchgestaltung ist spektakulär: Die fadengebundenen Seiten sind jeweils so gefaltet, dass der Leser zum normalen Umblättern auch noch aufblättern muss, denn hinter jeweils einer umgeklappten Grafik verbergen sich zwei Textseiten.
Sobecks schwarz-weiße Bilder schwelgen in der Düsternis der Landschaft, sie neigen zu eher klaren als filigranen Konturen und gewinnen dem Zusammenprall zwischen den Menschen und den beiden Geistern einiges ab, mehr noch: Was immer außer dem Glasmännlein und dem Holländermichel noch die Bühne betritt, spielt gegenüber den Naturgeistern eine Nebenrolle, und jedes der Details, die Sobeck gekonnt ausleuchtet und in den Vordergrund zieht, schlägt sie um Längen.
An ihre Stelle tritt die Landschaft als Protagonist, und das dürfte fraglos in Hauffs Sinn sein. Sobeck inszeniert die Naturgewalten hingebungsvoll, er wählt gern eine Perspektive, die das Geschehen aus einigem Abstand betrachtet und so eine Distanz auch des Lesers zu den Geschehnissen herstellt. Der Analyse dessen, was Hauff in seinem Märchen verhandelt, tut diese Wahl entschieden gut, ebenso die Schlaglichter, die Sobeck setzt, wenn er dann doch stärker ins Detail geht.
Was ist es, das den Kohlenmunk-Peter so antreibt, dass er seinen moralischen Kompass dafür loswerden will? Sobecks Illustrationen liefern eine Antwort dazu, die tief in der Landschaft verwurzelt ist. Und er ergänzt, was Hauff nur andeutet. Denn dass es gute Gründe gibt, die triste Tradition gegen etwas anderes einzutauschen, machen diese Bilder unaufdringlich deutlich. TILMAN SPRECKELSEN
Wilhelm Hauff, Christian Sobeck: "Das kalte Herz". Ein Märchen aus dem Schwarzwald.
Verlag 8 grad, Freiburg 2023. 103 S., geb., Abb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main