Marktplatzangebote
8 Angebote ab € 1,50 €
  • Broschiertes Buch

Peter Wawerzinek, einst Stegreifpoet und Enfant terrible am Prenzlauer Berg, erzählt in 'Das Kind das ich war' die Geschichte einer Kindheit in Mecklenburg - umgeben von glubschäugigen Schollen und ausgemergelten FDGB-Kurgästen, verführt vom West-Fernsehen, das man eigentlich nicht sehen darf. Auch die Erzählung 'Mein Babylon' über das Leben in Künstler- und Szenekreisen unter der 'riesigen Käseglocke namens Prenzlauer Berg' ist von erstaunlicher Poesie, zart, wenn auch schonungslos im Rückblick, atmosphärisch dicht und voller Selbstironie.

Produktbeschreibung
Peter Wawerzinek, einst Stegreifpoet und Enfant terrible am Prenzlauer Berg, erzählt in 'Das Kind das ich war' die Geschichte einer Kindheit in Mecklenburg - umgeben von glubschäugigen Schollen und ausgemergelten FDGB-Kurgästen, verführt vom West-Fernsehen, das man eigentlich nicht sehen darf. Auch die Erzählung 'Mein Babylon' über das Leben in Künstler- und Szenekreisen unter der 'riesigen Käseglocke namens Prenzlauer Berg' ist von erstaunlicher Poesie, zart, wenn auch schonungslos im Rückblick, atmosphärisch dicht und voller Selbstironie.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.02.1996

Asyl für die Entwurzelten
Trübe, trübe: Peter Wawerzinek schildert seinen Prenzlauer Berg

Babylon, das ist Berlin, und zwar jener Teil, der im westlichen Sprachgebrauch "Ost-Berlin", im östlichen "Hauptstadt" genannt wurde. Doch nicht die gesamte Halbstadt dient der Erzählung als Schauplatz, sondern nur eins ihrer City-Reviere, allerdings das berühmteste unter ihnen: der Prenzlauer Berg. Diese Musenheimstätte in verfallenden Mietskasernen galt während der letzten DDR-Jahre als Spielwiese der Unangepaßten, ein Camelot junger Künstler mit vielen Tafelrunden, an denen freie Dichtung und freie Bilder entstanden. Nach der Wende, als so manche Akte ans Tageslicht kam, geriet der Bezirk in den Ruch, eher ein Experiment der Stasi gewesen zu sein: ein Freigehege, in dem die Unbotmäßigen nicht weniger effektiv, aber bedeutend unauffälliger als im üblichen Käfig unter Kontrolle gehalten wurden.

Das alles muß man im Kopf haben, um sich in der vorliegenden Erzählung zurechtzufinden. Denn der Autor Peter Wawerzinek, der als einstiger Insasse das Musengehege genau kannte, setzt diese Kenntnis auch bei seinen Lesern voraus. Er porträtiert den Prenzlauer Berg nicht, sondern tastet ihn mit einem Scanner ab, der aus Seelen und Gemütern seiner Figuren gebaut ist. Für die ist natürlich das meiste in ihrem Ambiente selbstverständlich, und das Selbstverständliche erklärt man nicht extra. Ein Zeitgeschichtskundiger, auch ein aufmerksamer Zeitungsleser mit gutem Gedächtnis, vermag das Vorenthaltene hinzuzudenken. Wer nicht Bescheid weiß, der wird sich vor dem Text oft fremd und von ihm ausgeschlossen fühlen.

Die Hauptperson heißt A. und spiegelt in mancherlei Einzelheiten den 1954 geborenen Autor wider. Wie einst Wawerzinek, so kommt auch der junge A. vom mecklenburgischen Land in die Großstadt Berlin, das Herz voller undeutlicher Sehnsüchte. Wie der Schriftsteller, so tummelt auch sein Geschöpf sich zunächst an der Kunsthochschule (der bekannten in Berlin-Weißensee, aber das wird nicht gesagt), gerät dann in den Sog des Künstlerviertels (dessen Name auch niemals genannt wird). Übrigens hat in Wawerzineks Darstellung der Prenzlauer Berg nichts von dem widerborstigen Charme, der ihm lange nachgerühmt wurde. Die realsozialistische Boheme gleicht hier eher einem trüben Asyl für Entwurzelte.

Im Verlauf der Handlung wächst A. zur Sammeldarstellung aller möglichen Typen, wie sie wohl im Bezirk zu finden waren: Er ist mal introvertierter, sich gegen alles abschottender Musenjünger; mal Angeber, der nur bramarbasiert und nichts hervorbringt; mal gefühlsstarker Liebhaber und Familienvater; mal Egomane, der sich keinerlei Liebesansprüche zumuten läßt. Wenn er pleite ist, jobbt er als Hilfsarbeiter in irgendwelchen Betrieben. Das verschafft ihm Kontakt mit dem Normalvolk sowie eine vage Witterung vom sich anbahnenden Niedergang Babylons. Denn während A.s Aufenthalt am Prenzlauer Berg erlebt die DDR ihre Endzeitkrise. Da aber sowohl DDR wie Krise nur subkutan vorkommen, erfaßt das nur der Kundige. Und selbst der reibt sich die Augen, wenn A. im Abschnitt XVIII unvermittelt durch den von der Wende veränderten Bezirk spaziert.

Wawerzinek hält seine Szene im Ungefähren, indem er in schneller Folge mal hier, mal dort einen Ausschnitt kurz aus der Dunkelheit hebt. Entsprechend ist sein Erzählmodus: Alle Sätze superkurz, Nebensätze nicht unter- oder nachgeordnet, sondern zu selbständigen Einheiten aufgewertet - ein atemloses Stakkato, gleich dem Keuchen eines gejagten Menschen, der keine Luft hat für seine Aussage und nicht den Nerv, auf seine Diktion zu achten. Mißgriffe im Ausdruck bleiben nicht aus, Kasussünden, Syntaxpatzer.

Schade drum. Denn im Grunde war hier ein kritischer Eingeweihter am Werk. Er hat nur seine Botschaft geringer geschätzt als den formalen Schnickschnack, mit dem er sie transportierte. SABINE BRANDT

Peter Wawerzinek: "Mein Babylon". Transit Buchverlag, Berlin 1995. 128 S. geb., 28,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr