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Fünfzehn Frauen aus Erfurt schreiben seit ihrem Abitur im Jahre 1932 ein Tagebuch, in das reihum jede von ihnen Erlebnisse und Gedanken über ihr Leben schreibt. Dieses Klassenbuch führt aus zeitgenössischer Perspektive durch die Kriegs- und die Nachkriegszeit des geteilten Deutschlands bis in das Jahr 1976 und schildert die sehr privaten, aber gleichzeitig auch typischen Frauenschicksale. "Eine Frauengeneration zwischen Tradition und Moderne." (Deutschlandfunk)

Produktbeschreibung
Fünfzehn Frauen aus Erfurt schreiben seit ihrem Abitur im Jahre 1932 ein Tagebuch, in das reihum jede von ihnen Erlebnisse und Gedanken über ihr Leben schreibt. Dieses Klassenbuch führt aus zeitgenössischer Perspektive durch die Kriegs- und die Nachkriegszeit des geteilten Deutschlands bis in das Jahr 1976 und schildert die sehr privaten, aber gleichzeitig auch typischen Frauenschicksale. "Eine Frauengeneration zwischen Tradition und Moderne." (Deutschlandfunk)
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.1997

Der vorgesehene Wandervogel
Was das Leben so schreibt: Fünfzehn Frauen und ein Klassenbuch

Zwei Weltkriege, zwei Notzeiten, zwei Diktaturen - wer 1914 in Deutschland geboren wurde, gehört einer über die Maßen belasteten Generation an. Erinnerungen und Briefe aus dieser Zeit sind individuelle Zeugnisse, sie können ein authentisches Bild sein. "Das Klassenbuch", das fünfzehn Abiturientinnen aus Erfurt seit 1932 geführt haben, erweitert solche persönlichen Aufzeichnungen zu einem größeren Ausschnitt, es läßt Vergleiche zu und Zeittypisches erkennen.

Eins fällt auf: fast ebenso aufschlußreich wie die Mitteilungen in dieser Chronik ist das, was verschwiegen wird: Meinungen über die politischen Verhältnisse. Außer überzeugten Parteigängern - unter diesen fünfzehn höheren Töchtern sind es nur wenige - wagte in der Nazizeit wie in den vierzig Jahren DDR niemand etwas anderes als familiäre Nachrichten weiterzugeben; es konnte lebensgefährlich sein.

Drei der ehemaligen Abiturienten bekennen sich allerdings mit forcierter Begeisterung zu ihrem Beruf als Reichsarbeitsführerin. "Die Vorsehung hat es so gewollt", schreibt der "Wandervogel a. D." Änne über ihre Karriere. Ganz freiwillig scheint aber auch sie die braungraue Uniform nicht angezogen zu haben. Als Krankenschwester hatte sie keine Arbeit gefunden.

Keine der Klassenbriefschreiberinnen erwähnt Hitler oder andere NS-Mächtige; aber auch vom Schicksal der Juden und anderer Verfolgter ist nie die Rede. Selbst die junge Frau, die in einem Heim für Behinderte angestellt war und bis tief in die Nacht Berichte anfertigen mußte, deutet mit keinem Wort an, daß ihre Schutzbefohlenen in Gefahr waren. Wie in einem Kokon haben sich die jungen Frauen in ihrem Privatleben eingeschlossen. Von dem, was um sie her vor sich geht, bleiben sie scheinbar unberührt.

Die Berufsaussichten für die Schulabgängerinnen von 1932 waren miserabel. Kaum eine der Erfurter Abiturientinnen konnte ihre Träume von Selbstbestimmung und einer befriedigenden Ausbildung und Tätigkeit verwirklichen. Die meisten lernten Nähen und Kochen, bevor sie eine Lehrstelle in einer Bibliothek oder in einer Apotheke annehmen mußten. Das Abitur öffnete ihnen keineswegs größere Chancen auf dem Arbeitsmarkt, auf dem auch die Männer Schlange standen. Eva Jantzen, die Mitherausgeberin dieses "Klassenbuchs", ist die Ausnahme: sie konnte ihr Wunschfach, Kunstgeschichte, studieren und schon nach vier Jahren mit der Promotion abschließen. Sie scheint überhaupt das Glückskind dieser Klasse zu sein. Als Frau eines Wissenschaftlers, der nach dem Krieg das Deutsche Archäologische Institut in Athen leitete, lebte sie viele Jahre weit weniger belastet als ihre Klassenkameradinnen in Griechenland.

Nach dem Abitur dachten die wenigsten zunächst an Heirat, aber dann wurde eine nach der anderen doch Ehefrau und Mutter und pries ihren neuen Status als das "einzig Wahre und Beglückende". Die Ehe fand allerdings für viele nur in Urlaubswochen statt, die Männer waren im Krieg, die Frauen mußten allein für die Familie sorgen. Anfangs wünschte sich die Krankenschwester Hilde noch, "selbst unserem Vaterland zum Sieg zu verhelfen". Und eine andere schreibt "von der Größe der Zeit", die ihr geholfen habe, sich "in eine große Gemeinschaft einzuordnen", für sie ist "der Heldentod" ihres Mannes keine Phrase. Die meisten schließen ihre Eintragung in das Klassenbuch jedoch mit dem Wunsch, daß "dieser schreckliche Krieg bald ein Ende findet". Eine bekennt sich dazu, froh zu sein, daß der eine Bruder einen Arm, der andere ein Bein verloren hat und damit vor Gefangenschaft oder Tod in Rußland gerettet ist.

Eindrucksvoll sind die Berichte von Luftangriffen, vom Wiedersehen in der zerbombten Heimatstadt, von der Flucht oder vom gefährlichen Übergang von einem Teil Deutschlands zum anderen. Jahrelang wurden alle Kräfte für das Überleben gebraucht. Und es dauerte für die meisten noch lange, bis die erste eigene Wohnung bezogen werden konnte. Deutlich wird auch der Unterschied zwischen Ost und West. Der Sohn der Pfarrfrau im Thüringer Wald setzt sich heimlich nach Westberlin ab, weil er daheim trotz bester Zensuren nicht zum Studium zugelassen wird. Seine Mutter wagt das zu schreiben, nachdem ihr Mann die Pfarrstelle verloren hat.

Der gute Vorsatz, den Rundbrief möglichst schnell zu ergänzen und weiter zu schicken, ließ sich nicht einhalten. Doch obwohl die Verbindung untereinander zeitweise abriß - einmal sogar neun Jahre unterbrochen war -, konnte sie doch immer wieder vertrauensvoll aufgenommen werden. Das "Klassenbuch", mittlerweile ein dickleibiges Konvolut, mußte oftmals durch den Eisernen Vorhang geschmuggelt werden und mehrfach Mittelmeer und Atlantik überqueren. Es bündelt nicht nur die Geschichte von fünfzehn deutschen Frauen des Jahrgangs 1914, es ist auch zu einem lebendigen Stück Zeitgeschichte geworden. MARIA FRISÉ

Eva Jantzen, Merith Niehuss (Hrsg.): "Das Klassenbuch. Geschichte einer Frauengeneration". Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek 1997. 280 S., br., 16,90 DM.

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