Produktdetails
- Verlag: Primus Verlag GmbH
- ISBN-13: 9783896781178
- ISBN-10: 3896781170
- Artikelnr.: 24338016
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Als stoffreiche und klar formulierte Synthese zur politischen Geschichte Griechenlands des fünften und vierten Jahrhunderts begrüßt Uwe Walter den Band. Ihn scheint es gerade zu freuen, dass hier ein Buch die Demokratie in Athen im engeren Sinne politisch betrachte und nacherzähle. Anders als Christian Meiers großes Athen-Buch dokumentiere Welwei alle seine Erkenntnisse anhand der Quellen und der neuesten Sekundärliteratur. Welwei zeige zwar auch, wie unvernünftig die Athener häufig gehandelt hätten, aber er unterstreiche doch die Vernunft des gesamten Geschehensprozesses. Walter stellt das Buch den großen angelsächsischen Werken zur Epoche ebenbürtig zur Seite.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999Großpolisgehabe
Karl-Wilhelm Welweis Studie über die athenische Demokratie entlarvt antike Weisheit als Machtpolitik / Von Uwe Walter
Vor einigen Jahren veröffentlichte Karl-Wilhelm Welwei in einer Fachzeitschrift eine Rezension zu Christian Meiers "Athen". Darin nannte er das Werk große Historie, bedauerte aber das Fehlen von Anmerkungen und Hinweisen zur wissenschaftlichen Forschungsliteratur. Diese Rüge war keineswegs eine reflexhaft-banale Ermahnung zur Einhaltung zünftiger Standards. Wer mit der Materie nicht vertraut sei, so Welwei damals, gewinne keine rechte Vorstellung über die Fülle des Strittigen. "Der unvorbereitete Leser muss sich einer Führung anvertrauen, die von hoher Warte aus das Ganze überblickt, aber nicht immer auf schwer erkennbare Stellen in einem farbenprächtigen Panorama hinweist."
Welweis eigene, auf prächtige Farben konsequent verzichtende Darstellung dokumentiert die Grundlagen und damit auch die Grenzen der historischen Rekonstruktion in einem wissenschaftlichen Apparat auf aktuellem Stand und kann daher auch als Handbuch benutzt werden. Doch es sind andere, historiographische Grundentscheidungen, die es erlauben, das Buch auch als "Anti-Meier" zu lesen. Die auffälligste ist vielleicht, dass Welweis durch Disposition und Sprachduktus das verführerische, weil so nahe liegende Gift des großen Momentes vermeidet. Sein Athen muss nicht durch das Nadelöhr bei Salamis schlüpfen, um in die Weltpolitik aufzubrechen, nicht den Areopag entmachten, um den Durchbruch zur Demokratie zu bewerkstelligen, und es erleidet 404 zwar eine katastrophale Niederlage, aber das Abenteuer dieser Stadt ist damit noch nicht zu Ende, denn ihre spätere Geschichte hat mit der davor viel zu tun, und sie wird deshalb auch erzählt, wenn auch nicht mehr ganz so ausführlich. Erzählt in einer beinahe provozierend unmodisch-auktorialen Weise, in unaufdringlicher Prosa, nüchtern mitteilend, umsichtig begründend und immer mit vernünftigem common sense.
In der strikt chronologischen Organisation des ganz auf das politische Geschehen im engeren Sinne konzentrierten Berichts steckt zugleich die Hauptthese des Buches: Die Geschichte Athens zwischen den Reformen des Kleisthenes im ausgehenden sechsten Jahrhundert und dem endgültigen Verlust der außenpolitischen Selbstständigkeit im Jahre 338 vor Christus bildete ein Kontinuum ohne wesentliche Brüche. Schon in den Vorgängen, die zum Sturz der Tyrannis in Athen führten, manifestierte sich der Anspruch der Bürgerschaft auf Selbstbestimmung und Teilhabe am politischen Prozess. Die Landkarte Attikas und die Erfahrungen mit den unausrottbaren Adelsrivalitäten zwangen danach zu besonderen institutionellen Maßnahmen, um die Machtkämpfe der sozialen Elite einzuhegen und Integration, Gleichheit und Partizipation aller Bürger zu organisieren. Doch im Mittelpunkt der Ordnung stand - fast - immer der verwirklichte Anspruch der Bürgerschaft, die Politik Athens selbst zu gestalten. Sowohl die Kommunikation der athenischen "Politiker" mit der Volksversammlung als auch den institutionellen Ausbau der demokratischen Ordnung sieht Welwei konsequent unter diesem Axiom.
Die Demokratie der klassischen Zeit bildete eine Einheit, in der trotz nicht selten unterschiedlicher Auffassungen bei aktuellen Entscheidungen dennoch ein schichtenübergreifender, belastbarer Konsens über die Ziele der Außenpolitik und die Prinzipien des demokratischen Systems bestand. Fundamentalkritiker wie Platon haben dagegen zwar das Zerrbild einer vernunftlosen Pöbelherrschaft entworfen, das im Verlauf der europäischen Geistesgeschichte lange nachwirken sollte. Mit dessen Spätblüte, den einschlägigen wilhelminischen Professorenverdikten, zu fechten, kommt dem Autor aber zu Recht nicht mehr in den Sinn. Vielleicht liegt an dieser Stelle auch die tiefere Vernunft einer zunächst irritierenden Entscheidung Welweis, nämlich die athenische Demokratie als Gegenstand des zeitgenössischen Diskurses und den Streit um ihre Legitimität weitgehend, sowie den gesamten kulturellen Apparat zu ihrer Festigung und Überhöhung vollständig auszuklammern. Die tagtäglich in den Demen und Phylen, durch Bauten und Denkmäler, beim Fest und im Theater erneuerte bürgerstaatliche Mentalität wird schlankweg vorausgesetzt, die Demokratie primär in ihrem geschlossenen Handeln nach außen vorgeführt.
In Welweis historiographischem Zugriff fördert die Erzählung die Hermeneutik. Die unleugbaren Exzesse athenischer Politik vor allem im Peloponnesischen Krieg, wie die Vergewaltigung des neutralen Melos, der Arginusenprozess oder die Hinrichtung des Sokrates, werden nicht beschönigt, aber durch Kontextualisierung verständlich gemacht, wenn auch unverkennbar ist, dass sich der Autor die Perspektive der Athener bisweilen mehr als notwendig zu Eigen gemacht hat. Es entspringt aber nicht einer apologetischen Absicht, sondern wohl eher der Reserve gegen ein theoriegeleitetes und oft vorschnelles Feststellen engster Beziehungen zwischen Demokratie und Imperialismus, wenn Welwei ebendiese Beziehungen in den denkbar weiten Rahmen der politischen Vernetzung des gesamten griechischen Siedlungsgebietes und der angrenzenden Räume einordnet und die von der athenischen Volksversammlung und ihren führenden Repräsentanten wie Kimon und Perikles, aber auch Kleon und Demosthenes verfolgte Politik zumindest nachvollziehbar zu machen sucht. Umso nachdrücklicher vermag er dann grundsätzliche Fehleinschätzungen und überspannte Ziele, zumal im vierten Jahrhundert, festzustellen.
Man kann mit guten Gründen die unverkennbare und gerade nach schweren Rückschlägen ungebrochene Machtdynamik Athens, aber auch das letztliche Scheitern der athenischen Großmachtpolitik mit den tief verwurzelten ethisch-politischen Leitbildern in Zusammenhang bringen, die von allen Griechen geteilt wurden und letztlich ihre strukturelle Unfähigkeit zur Außenpolitik bedingten. Gerade Welweis Schilderung der griechischen Verhältnisse im vierten Jahrhundert, nach dem Ende der bipolaren Konstellation des fünften, macht das deutlich. Die dominierende Wettbewerbs- und Vergeltungsethik prägte in dieser Perspektive auch die auf Sicherung und Erweiterung der eigenen Herrschaft zielende Politik Athens seit der Gründung des Ersten Attischen Seebundes im Jahre 478.
Diese Politik war aus dem Wirrwarr der zwischengemeindlichen Beziehungen entstanden; es fehlte ihr jeder Ansatz zu einem übergreifenden Ordnungskonzept. So blieb sie an ihre Wurzeln im agonalen Streit um die Vorherrschaft gebunden und konnte sich nichts anderes denken als die Tyrannis einer Polis über andere. Welwei bestreitet keineswegs, dass die athenische Machtpolitik ein Herrschaftsinstrumentarium entwickelte, das nach griechischen Kriterien eine Unterdrückung freier Gemeinwesen bedeutete und damit der Idee der Polis schlechthin widersprach. Aber Welwei sieht seine Aufgabe als Historiker nicht im deduktiven Ableiten des Geschehens aus seinen strukturellen und mentalen Bedingungen, sondern er entwickelt es so genau wie möglich aus den jeweils aktuellen Zielen und Möglichkeiten athenischer Politik, Diplomatie und Kriegführung.
Wie unvernünftig die Athener dabei oft genug handelten, schildert Welwei genau. Doch mit gleicher Deutlichkeit unterstreicht er die von allen Intentionen losgelöste Vernunft des gesamten Geschehensprozesses: Eine Großpolis war Athen schon vor den Perserkriegen, und nach dem Sieg von Salamis war eine Rückkehr in den Winkel nicht mehr möglich. Die strategische Mittellage zwischen Sparta und Persien und die neuen Möglichkeiten trieben den Staat mit der größten Bürgerschaft in ganz Griechenland zu einer im Innern stets unumstrittenen Großmachtpolitik. Der dauernde Kampf um die Macht aber, so Welwei mit Blick auf die Lage vor Ausbruch des großen Krieges gegen Sparta, verstrickte die politischen Akteure in eine Zwangsläufigkeit des Geschehens, der sich niemand entziehen konnte. "Das seit langem vertraute Denken in politischen Kräfterelationen führte insofern in den Jahren vor Ausbruch des Peloponnesischen Krieges in eine Sackgasse, aus der die Athener letztlich nicht mehr herausfanden, als der Zwang zur Sicherung und Erhaltung der Macht die Entscheidungen in den beiden Großpoleis Athen und Sparta zu diktieren schien." Ein Präventivkriegssyndrom bestimmte dann auch den Entschluss zur Sizilischen Expedition im Jahre 415.
An den impliziten Vergleich mit 1914 lassen sich gewiss weitere Überlegungen anknüpfen. Als stoffreiche und klar formulierte Synthese zur politischen Geschichte Griechenlands des fünften und vierten Jahrhunderts aus athenischer Sicht verdient Welweis Buch in jedem Fall ein Willkommen und kann den auf diesem Feld bisher dominierenden Werken in englischer Sprache ebenbürtig zur Seite gestellt werden.
Karl-Wilhelm Welwei: "Das klassische Athen". Demokratie und Machtpolitik im 5. und 4. Jahrhundert. Primus Verlag, Darmstadt 1999. 468 S., 4 Karten, geb., 98,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karl-Wilhelm Welweis Studie über die athenische Demokratie entlarvt antike Weisheit als Machtpolitik / Von Uwe Walter
Vor einigen Jahren veröffentlichte Karl-Wilhelm Welwei in einer Fachzeitschrift eine Rezension zu Christian Meiers "Athen". Darin nannte er das Werk große Historie, bedauerte aber das Fehlen von Anmerkungen und Hinweisen zur wissenschaftlichen Forschungsliteratur. Diese Rüge war keineswegs eine reflexhaft-banale Ermahnung zur Einhaltung zünftiger Standards. Wer mit der Materie nicht vertraut sei, so Welwei damals, gewinne keine rechte Vorstellung über die Fülle des Strittigen. "Der unvorbereitete Leser muss sich einer Führung anvertrauen, die von hoher Warte aus das Ganze überblickt, aber nicht immer auf schwer erkennbare Stellen in einem farbenprächtigen Panorama hinweist."
Welweis eigene, auf prächtige Farben konsequent verzichtende Darstellung dokumentiert die Grundlagen und damit auch die Grenzen der historischen Rekonstruktion in einem wissenschaftlichen Apparat auf aktuellem Stand und kann daher auch als Handbuch benutzt werden. Doch es sind andere, historiographische Grundentscheidungen, die es erlauben, das Buch auch als "Anti-Meier" zu lesen. Die auffälligste ist vielleicht, dass Welweis durch Disposition und Sprachduktus das verführerische, weil so nahe liegende Gift des großen Momentes vermeidet. Sein Athen muss nicht durch das Nadelöhr bei Salamis schlüpfen, um in die Weltpolitik aufzubrechen, nicht den Areopag entmachten, um den Durchbruch zur Demokratie zu bewerkstelligen, und es erleidet 404 zwar eine katastrophale Niederlage, aber das Abenteuer dieser Stadt ist damit noch nicht zu Ende, denn ihre spätere Geschichte hat mit der davor viel zu tun, und sie wird deshalb auch erzählt, wenn auch nicht mehr ganz so ausführlich. Erzählt in einer beinahe provozierend unmodisch-auktorialen Weise, in unaufdringlicher Prosa, nüchtern mitteilend, umsichtig begründend und immer mit vernünftigem common sense.
In der strikt chronologischen Organisation des ganz auf das politische Geschehen im engeren Sinne konzentrierten Berichts steckt zugleich die Hauptthese des Buches: Die Geschichte Athens zwischen den Reformen des Kleisthenes im ausgehenden sechsten Jahrhundert und dem endgültigen Verlust der außenpolitischen Selbstständigkeit im Jahre 338 vor Christus bildete ein Kontinuum ohne wesentliche Brüche. Schon in den Vorgängen, die zum Sturz der Tyrannis in Athen führten, manifestierte sich der Anspruch der Bürgerschaft auf Selbstbestimmung und Teilhabe am politischen Prozess. Die Landkarte Attikas und die Erfahrungen mit den unausrottbaren Adelsrivalitäten zwangen danach zu besonderen institutionellen Maßnahmen, um die Machtkämpfe der sozialen Elite einzuhegen und Integration, Gleichheit und Partizipation aller Bürger zu organisieren. Doch im Mittelpunkt der Ordnung stand - fast - immer der verwirklichte Anspruch der Bürgerschaft, die Politik Athens selbst zu gestalten. Sowohl die Kommunikation der athenischen "Politiker" mit der Volksversammlung als auch den institutionellen Ausbau der demokratischen Ordnung sieht Welwei konsequent unter diesem Axiom.
Die Demokratie der klassischen Zeit bildete eine Einheit, in der trotz nicht selten unterschiedlicher Auffassungen bei aktuellen Entscheidungen dennoch ein schichtenübergreifender, belastbarer Konsens über die Ziele der Außenpolitik und die Prinzipien des demokratischen Systems bestand. Fundamentalkritiker wie Platon haben dagegen zwar das Zerrbild einer vernunftlosen Pöbelherrschaft entworfen, das im Verlauf der europäischen Geistesgeschichte lange nachwirken sollte. Mit dessen Spätblüte, den einschlägigen wilhelminischen Professorenverdikten, zu fechten, kommt dem Autor aber zu Recht nicht mehr in den Sinn. Vielleicht liegt an dieser Stelle auch die tiefere Vernunft einer zunächst irritierenden Entscheidung Welweis, nämlich die athenische Demokratie als Gegenstand des zeitgenössischen Diskurses und den Streit um ihre Legitimität weitgehend, sowie den gesamten kulturellen Apparat zu ihrer Festigung und Überhöhung vollständig auszuklammern. Die tagtäglich in den Demen und Phylen, durch Bauten und Denkmäler, beim Fest und im Theater erneuerte bürgerstaatliche Mentalität wird schlankweg vorausgesetzt, die Demokratie primär in ihrem geschlossenen Handeln nach außen vorgeführt.
In Welweis historiographischem Zugriff fördert die Erzählung die Hermeneutik. Die unleugbaren Exzesse athenischer Politik vor allem im Peloponnesischen Krieg, wie die Vergewaltigung des neutralen Melos, der Arginusenprozess oder die Hinrichtung des Sokrates, werden nicht beschönigt, aber durch Kontextualisierung verständlich gemacht, wenn auch unverkennbar ist, dass sich der Autor die Perspektive der Athener bisweilen mehr als notwendig zu Eigen gemacht hat. Es entspringt aber nicht einer apologetischen Absicht, sondern wohl eher der Reserve gegen ein theoriegeleitetes und oft vorschnelles Feststellen engster Beziehungen zwischen Demokratie und Imperialismus, wenn Welwei ebendiese Beziehungen in den denkbar weiten Rahmen der politischen Vernetzung des gesamten griechischen Siedlungsgebietes und der angrenzenden Räume einordnet und die von der athenischen Volksversammlung und ihren führenden Repräsentanten wie Kimon und Perikles, aber auch Kleon und Demosthenes verfolgte Politik zumindest nachvollziehbar zu machen sucht. Umso nachdrücklicher vermag er dann grundsätzliche Fehleinschätzungen und überspannte Ziele, zumal im vierten Jahrhundert, festzustellen.
Man kann mit guten Gründen die unverkennbare und gerade nach schweren Rückschlägen ungebrochene Machtdynamik Athens, aber auch das letztliche Scheitern der athenischen Großmachtpolitik mit den tief verwurzelten ethisch-politischen Leitbildern in Zusammenhang bringen, die von allen Griechen geteilt wurden und letztlich ihre strukturelle Unfähigkeit zur Außenpolitik bedingten. Gerade Welweis Schilderung der griechischen Verhältnisse im vierten Jahrhundert, nach dem Ende der bipolaren Konstellation des fünften, macht das deutlich. Die dominierende Wettbewerbs- und Vergeltungsethik prägte in dieser Perspektive auch die auf Sicherung und Erweiterung der eigenen Herrschaft zielende Politik Athens seit der Gründung des Ersten Attischen Seebundes im Jahre 478.
Diese Politik war aus dem Wirrwarr der zwischengemeindlichen Beziehungen entstanden; es fehlte ihr jeder Ansatz zu einem übergreifenden Ordnungskonzept. So blieb sie an ihre Wurzeln im agonalen Streit um die Vorherrschaft gebunden und konnte sich nichts anderes denken als die Tyrannis einer Polis über andere. Welwei bestreitet keineswegs, dass die athenische Machtpolitik ein Herrschaftsinstrumentarium entwickelte, das nach griechischen Kriterien eine Unterdrückung freier Gemeinwesen bedeutete und damit der Idee der Polis schlechthin widersprach. Aber Welwei sieht seine Aufgabe als Historiker nicht im deduktiven Ableiten des Geschehens aus seinen strukturellen und mentalen Bedingungen, sondern er entwickelt es so genau wie möglich aus den jeweils aktuellen Zielen und Möglichkeiten athenischer Politik, Diplomatie und Kriegführung.
Wie unvernünftig die Athener dabei oft genug handelten, schildert Welwei genau. Doch mit gleicher Deutlichkeit unterstreicht er die von allen Intentionen losgelöste Vernunft des gesamten Geschehensprozesses: Eine Großpolis war Athen schon vor den Perserkriegen, und nach dem Sieg von Salamis war eine Rückkehr in den Winkel nicht mehr möglich. Die strategische Mittellage zwischen Sparta und Persien und die neuen Möglichkeiten trieben den Staat mit der größten Bürgerschaft in ganz Griechenland zu einer im Innern stets unumstrittenen Großmachtpolitik. Der dauernde Kampf um die Macht aber, so Welwei mit Blick auf die Lage vor Ausbruch des großen Krieges gegen Sparta, verstrickte die politischen Akteure in eine Zwangsläufigkeit des Geschehens, der sich niemand entziehen konnte. "Das seit langem vertraute Denken in politischen Kräfterelationen führte insofern in den Jahren vor Ausbruch des Peloponnesischen Krieges in eine Sackgasse, aus der die Athener letztlich nicht mehr herausfanden, als der Zwang zur Sicherung und Erhaltung der Macht die Entscheidungen in den beiden Großpoleis Athen und Sparta zu diktieren schien." Ein Präventivkriegssyndrom bestimmte dann auch den Entschluss zur Sizilischen Expedition im Jahre 415.
An den impliziten Vergleich mit 1914 lassen sich gewiss weitere Überlegungen anknüpfen. Als stoffreiche und klar formulierte Synthese zur politischen Geschichte Griechenlands des fünften und vierten Jahrhunderts aus athenischer Sicht verdient Welweis Buch in jedem Fall ein Willkommen und kann den auf diesem Feld bisher dominierenden Werken in englischer Sprache ebenbürtig zur Seite gestellt werden.
Karl-Wilhelm Welwei: "Das klassische Athen". Demokratie und Machtpolitik im 5. und 4. Jahrhundert. Primus Verlag, Darmstadt 1999. 468 S., 4 Karten, geb., 98,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main