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Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 07.11.2001

Wer aus mir trinkt
Das „Afrika-Lexikon”: Eine bezaubernde Quelle nicht nur für Perlenfischer
„Perlensprache” ist ein zauberhaftes Wort. Aus der Kindheit meinen wir es zu kennen. Es erinnert uns an etwas, aber wenn wir darüber nachdenken, merken wir wahrscheinlich, dass wir es nie zuvor gehört haben. Etwas Wehmütiges verbindet sich damit, etwas leider Vergangenes, das wir aber nicht genau bestimmen können, weil wir das Wort nicht genau bestimmen können. Es ist, als berge es ein Geheimnis, das wir einmal gekannt, aber vergessen haben. Ein Buch, in dem das Wort „Perlensprache” erklärt wird, muss ein zauberhaftes Buch sein.
Das „Afrika-Lexikon”, das Jacob E. Mabe in den Verlagen Peter Hammer und J.B. Metzler herausgegeben hat, ist seiner ganzen Anlage nach das Gegenteil einer Märchensammlung. Staubtrocken, wie Lexika nun einmal sind, will es nichts als wissenschaftlich fundierte Sachkenntnisse vermitteln. Den politisch-ökonomischen Entwicklungen, dem Alltagsleben sowie modernen Denkweisen und Künsten gibt es breiten Raum, während es das Exotische, das Geheimnisvolle oder gar Atavistische eher knapp behandelt oder in seiner Fremdheit relativiert.
Und doch ist etwas Zauberhaftes an diesem Buch. Man hält es in der Hand, man blättert darin, liest sich hier fest, dann dort, folgt den Querverweisen und fühlt sich allmählich wie auf einer Reise, bei der man nicht ahnt, was einen als nächstes hinter dem nächsten Strauch, auf der nächsten Seite erwarten könnte. Natürlich fesselt einen auf Anhieb das Rätselhafte, Unbekannte mehr als jene Stichwörter, die nicht spezifisch für Afrika sind. Mogho Naba, Monomotapia oder Nilotisch – schon dem Klang nach eröffnen solche nie gehörten, aber wichtigen Begriffe eine Welt, so dass zumindest der Laie immer wieder neu darüber staunt, wie wenig er wusste.
Mythen und Klischees
Im wörtlichen wie im übertragenen Sinn ist Afrika ein unbeschriebenes Blatt. Gewiss, zahlreiche Wissenschaften widmen sich dem Kontinent, großartige Studien, glänzende Reportagen, detaillierte Statistiken analysieren, beschreiben und vermessen ihn. Europäische Schriftsteller haben Regionen wie das Niltal, die Sahara oder das Kongobecken literarisch besiedelt. Aber ins allgemeine westliche Bewusstsein sind vergleichsweise wenige Informationen gedrungen, und das Wenige verrät häufig mehr über unsere Wahrnehmung als über den Gegenstand. Selbst die negativen oder romantischen Klischees sind zwar festgefügt, aber nicht eben zahlreich, denkt man an die Vielfalt der Mythen, die sich um Asien oder Amerika ranken.
Von den Medien nicht zu reden, die Afrika meist nur bei Katastrophen, Kriegen und Umstürzen zum Thema erheben, ist auch die allgemein verständliche wissenschaftliche Literatur tatsächlich relativ begrenzt. Mögen sich in den letzten Jahren neben der populären afrikanischen Musik auch einige Dichter wie Wole Soyinka oder Nagib Mahfus in Europa durchgesetzt haben, so ist doch von der aktuellen künstlerischen Produktion nur ein winziger Ausschnitt bekannt, sind ganze Literaturen vollständig unübersetzt. Bislang gab es kein einziges deutsches Nachschlagewerk, das zuverlässig und umfassend über den Kontinent Auskunft gegeben hätte. Auch daher ist mit dem „Afrika-Lexikon”, wenn nicht ein Wunder, so doch ein lange gehegter Wunsch in Erfüllung gegangen.
Man merkt dem Buch an, dass es das erste seiner Art ist. Indem es beinahe alles abdecken möchte, die Kultur im weitesten Sinne, aber auch die Wirtschaft, die Technologie, Geologie, alte und neue Politik und von Kino über Kindheit zur Kirche vieles andere mehr, kann es zwar einzelnen Themen genauer nachgehen, muss aber dafür andere nicht minder gewichtige Aspekte und Regionen notgedrungen mit einigen Stichwörtern abhandeln. Vor allem in den Länderartikeln sind die Hinweise teilweise so knapp, dass sie kaum über die Informationen hinausgehen, die in der seriösen Tagespresse vorausgesetzt werden. Wenn man etwa Geschichte und Politik Libyens im zwanzigsten Jahrhundert auf drei kurze Sätze oder die Angaben zur Literatur des Landes auf einen einzigen Autor beschränkt, kann man darauf auch verzichten.
Der umfassende Ansatz wirft zudem ein grundsätzliches Problem auf. So sehr sich das Lexikon darum bemüht, die Vielfalt und Divergenz des Kontinents darzustellen, wird dieser doch in vielen Artikeln zu sehr als Einheit behandelt. Das führt dazu, dass die Darstellungen sich auch dort häufig auf die Regionen südlich der Sahara konzentrieren, wo sie der Form nach den ganzen Kontinent abdecken.
Die Besonderheiten etwa der Mittelmeerländer, die sich kulturell und politisch oft mehr nach Europa und zum Nahen Osten orientieren, werden in den Überblicksartikeln oft nur gestreift. Neben vielen soliden Beiträgen, etwa zur arabischen Literatur oder zur Ägyptologie, finden sich unter den Artikeln über den Norden Afrikas auffallend viele Ungenauigkeiten, gerade in Bezug auf den Islam und die moderne Geschichte. Hier macht sich das Fehlen eines Islamwissenschaftlers unter den elf Fachkoordinatoren bemerkbar.
Bei dem umfassenden Ansatz des Projektes bleibt es nicht aus, dass angesichts der unendlichen Möglichkeiten nicht immer erkennbar ist, nach welcher Logik die einzelnen Stichwörter am Ende ausgewählt wurden. Zudem wirken die Zahlen und Statistiken nicht durchweg zuverlässig. Das liegt unter anderem daran, dass die Daten in der Regel einfach dem „Human Development Report” der Vereinten Nationen entnommen sind, der sich wiederum häufig auf offizielle nationale Erhebungen bezieht. So kommen zum Beispiel bei einzelnen Ländern Alphabetisierungsraten und Einschulungsraten zustande, die höher sind, als es der Realität entsprechen dürfte. Auch andere Ungereimtheiten hätten, wären die Daten sorgfältiger abgeglichen worden, vermieden werden können: So ist an einer Stelle von 150 bis 170 Millionen Arabern die Rede, während im anschließenden Artikel die Anzahl der arabischen Muttersprachler mit 220 Millionen angegeben wird.
Die Kritik, die man an Einzelheiten des Lexikons üben kann, wiegt jedoch nichts gegen seinen Nutzen. Kaum jemand, der sich mit Afrika genauer beschäftigt, wird künftig auf dieses Werk verzichten können. Schwachstellen sind bei einem Lexikon ohne Vorläufer beinah zu erwarten und können in zukünftigen Auflagen nach und nach verbessert werden. Besonders, wo es Begriffe, Abkürzungen oder spezifische Phänomene erklärt, konkurriert das Afrika-Lexikon jetzt schon mit den teuren und für Laien schwer zugänglichen, internationalen Nachschlagewerken wie der „Encyclopedia of Africa South of the Sahara”. Enorm hilfreich sind auch die Überblicksartikel zu sozio-ökonomischen Themen wie Migration, Staat, Gesellschaft, Außenwirtschaft, Aids oder Wasser, die nicht spezifisch für Afrika sind, die dortige Situation aber kenntnisreich vermitteln.
Am schönsten aber an dem Lexikon ist, jedenfalls für den ausschweifend phantasierenden Rezensenten, dass man zwischen all diesen nützlichen Fakten immer wieder auf jene Stichwörter trifft, die für kaum einen journalistischen oder sozialwissenschaftlichen Aufsatz zu gebrauchen sind und all den richtigen und lobenswerten Bemühungen, Afrika nicht zu exotisieren, entgegenstehen.
Rot und Schwarz
Bei der Perlensprache, die vor allem bei den Zulus verbreitet ist, werden den Farben bestimmte Bedeutungen zugeordnet. Wer in dieser Sprache einen Brief verschicken will, fädelt verschiedenfarbige Perlen in einer bestimmten Reihenfolge auf. Meist richten sich die Bedeutungen nach Phänomen der Natur und des Alltags. So steht Rot für die Liebe und Schwarz für die Heirat. Rot ist das Feuer, das ist klar. Schwarz ist nicht etwa die Trauer, sondern der Lederschurz der Frau.
Ein Kontinent, der die Menschen lehrt, mit zwei Perlen einen erotischen Liebesbrief zu schreiben, – noch dazu einen so erotischen – bleibt ein zauberhafter Kontinent.
NAVID KERMANI
JACOBE.MABE(Hg.): DasAfrika-Lexikon. Ein Kontinent in tausend Stichwörtern. Metzler Verlag, Stuttgart 2001. 719 Seiten mit Abbildungen, 129,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001

Explosives Diesseits von Afrika
Schwarzer Kontinent, lexikalisch erhellt / Von Reinhart Kößler

Einen Kontinent in rund tausend Stichwörtern darzustellen ist ein ehrgeiziges Projekt, das Vielfalt verspricht und die Garantie bietet, daß Benutzer beim Blättern auf immer Neues, Unbekanntes stoßen. Wer das vorliegende Lexikon mit dieser Erwartung zur Hand nimmt, wird nicht enttäuscht: Neben knappen Artikeln zu den einundfünfzig unabhängigen Staaten, aber auch über Territorien außerafrikanischer Staaten wie die Kanarischen Inseln (Spanien), Réunion (Frankreich) und Sankt Helena (Großbritannien) sowie solche mit ungeklärtem Status wie die Westsahara stehen Überblicke über wesentliche Aspekte wie Geologie, Naturschutz, Sprachen, Musik, Kunst, Literatur, Landwirtschaft, Industrie und Religion, aber auch Tropenkrankheiten, um nur einige Bereiche zu nennen.

Orientieren sich die Beiträge zu "Strukturanpassung" und "Verschuldung" weitgehend an den Vorgaben der internationalen Finanzinstitutionen, so kommt zu den Stichworten "peripherer Kapitalismus" und "Self-Reliance" mit Samir Amin einer ihrer prominentesten Kritiker mit einem Plädoyer für die Integration von Großregionen gegenüber dem "zunehmenden Globalisierungszwang" zu Wort, während Rolf Hofmeier die aktuelle Bedeutung des in Afrika während der sechziger und siebziger Jahre vieldiskutierten Konzeptes der "kollektiven Eigenständigkeit" gerade vor diesem Hintergrund bezweifelt. Die weitreichenden, hier angesprochenen Zusammenhänge werden in ausführlicheren Beiträgen näher erläutert, etwa wenn im Artikel "Kolonialismus" nicht zuletzt die Exportfixierung der afrikanischen Volkswirtschaften bilanziert oder in "Außenwirtschaft" die Kontinuität der auf Rohstoffe und Agrarprodukte festgelegten Exportstruktur ebenso aufgezeigt wird wie die Nettokapitalabflüsse der neunziger Jahre.

Die Krise Afrikas kommt vor allem auch darin zum Ausdruck, daß der Kontinent bald nach dem hoffnungsvollen Aufbruch der Demokratiebewegungen um 1989/91 auch im vergangenen Jahrzehnt in besonderem Maß durch Kriege, zumal durch Bürgerkriege erschüttert wurde. Wo sich diese Konflikte in ethnischen Gegensätzen artikulieren, machen die entsprechenden Artikel ("Ethnizität", "indirekte Herrschaft", "Stamm", "Tribalismus") deutlich, daß es sich hier in aller Regel nicht um die oft berufenen uralten Feindschaften handelt. Die heutigen ethnischen Gruppen sind vielmehr größtenteils Resultat jüngerer Wanderungen, vor allem aber externer Einwirkungen wie christlicher Mission und Kolonialverwaltung. Das ändert nichts an der Bedeutung ethnischer Loyalitäten, die aber formbarer sind, als oft angenommen wird.

Eine wichtige Dimension ethnischer Vielfalt sind die Folgen sich überschneidender Rechtssysteme ("Gewohnheitsrecht", "Recht"). Die Lösung der Probleme des Kontinents ist vor diesem Hintergrund nicht trennbar von der Überwindung der bestehenden Entwicklungsblockaden. Wie auch die Beiträge des Lexikons zeigen, zählen dazu externe Faktoren wie die Abschließung der Agrarmärkte der Industrieländer oder neopatrimoniale, klientelistische Strukturen in den Staatsapparaten, die bis zur Kleptokratie, zum Raubstaat gehen. Die Bedeutung einer lebendigen "Zivilgesellschaft" zur "Artikulierung und Verwirklichung diverser Interessen bzw. Rechte" und als "relativ autonomes Gegengewicht zu staatlichem Handeln" (Henning Melber) erscheint dann ebenso offenkundig, wie die Forderung schwer einlösbar ist, bedenkt man die materiellen Vorbedingungen effektiver Interessenorganisation in einem ungünstigen lokalen wie internationalen Umfeld.

Um so auffälliger ist das Fehlen einiger Stichwörter im Hinblick auf neuere Tendenzen in der Entwicklungszusammenarbeit: etwa "good governance", womit funktionierende, Menschen- und Eigentumsrechte achtende Staatlichkeit bezeichnet wird; oder auch "Konditionalität", die Praxis, Zusammenarbeit an Bedingungen wie Marktöffnung, aber auch Demokratie zu knüpfen. Eine weitere auffällige Leerstelle ist "Globalisierung" als übergreifende Fragestellung und gerade für Afrika höchst ambivalenter Prozeß. Das Lexikon reicht weit über die angedeuteten sozioökonomischen Fragestellungen hinaus und kann sich wohl schon deshalb nirgends einer Vollständigkeit auch nur nähern. Zweifellos liegt ein Großteil der Faszination Afrikas in seinen dynamischen, kreativen Leistungen in der Musik, in der bildenden ebenso wie in den darstellenden Künsten. Ihnen wird hier gelegentlich mit großer Liebe zum Detail nachgegangen, bis hin zur Darstellung etwa einzelner Musikinstrumente. Gerade hier fasziniert die beständige Integration fremder Elemente, die Auseinandersetzung mit der Moderne.

Ähnliches gilt für die Kreolisierung von Sprachen. Afrika präsentiert sich so bei allen Problemen als alles andere denn rückständig, vielmehr als schöpferisch und dynamisch. Die Vielfalt und der Facettenreichtum des Kontinents können dabei nur angedeutet werden. Wenn ein gewisses regionales Übergewicht bei der Darstellung Westafrikas liegt, so mag dies auch Ausdruck des Diskussionsstandes in vielen Bereichen der deutschen Forschung sein.

"Das Afrika-Lexikon". Ein Kontinent in 1000 Stichwörtern. Hrsg. von Jacob E. Mabe. Peter Hammer Verlag, Wuppertal, und J.B.Metzler Verlag, Stuttgart 2001. 720 S., Abb., geb., 129,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Ganz bezaubert ist Navid Kermani von dem Afrika-Lexikon von Jakob E. Mabe, das zwar wie alle anderen Lexika "wissenschaftlich fundierte Sachkenntnisse vermitteln" wolle, aber gleichzeitig zu einer spannenden Reise in eine unbekannte Welt einzuladen scheine. Dennoch weist der Rezensent zunächst auf viele Schwachstellen des Werkes hin. Viele Länderartikel seien z.B. so kurz gehalten, dass man sie hätte besser weglassen sollen, meint Kermani. Auch fällt ihm auf, dass es bei der Auswahl der Informationen ein Ungleichgewicht zugunsten der Regionen südlich der Sahara gebe, wohingegen die Mittelmeerländer "in den Überblicksartikeln häufig nur gestreift" würden. Auch bedauert er das Fehlen eines Islamwissenschaftlers unter den Fachkoordinatoren, da sich Ungenauigkeiten gerade in Bezug auf den Islam und die moderne Geschichte bemerkbar machten. Schließlich zweifelt Kermani manchmal an der Zuverlässigkeit der Zahlen und Statistiken in diesem Band. Dennoch: Insgesamt betont er den Wert dieses Buches und die Pionierarbeit des Herausgeberteams, denn ein ähnliches Buch über Afrika sei bisher nicht erschienen und die Kenntnisse in der westlichen Welt dementsprechend lückenhaft oder von den Medien manipuliert, findet Kermani.

© Perlentaucher Medien GmbH