Produktdetails
- Verlag: Peter Hammer Verlag
- ISBN-13: 9783872948854
- ISBN-10: 3872948857
- Artikelnr.: 24136397
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001Explosives Diesseits von Afrika
Schwarzer Kontinent, lexikalisch erhellt / Von Reinhart Kößler
Einen Kontinent in rund tausend Stichwörtern darzustellen ist ein ehrgeiziges Projekt, das Vielfalt verspricht und die Garantie bietet, daß Benutzer beim Blättern auf immer Neues, Unbekanntes stoßen. Wer das vorliegende Lexikon mit dieser Erwartung zur Hand nimmt, wird nicht enttäuscht: Neben knappen Artikeln zu den einundfünfzig unabhängigen Staaten, aber auch über Territorien außerafrikanischer Staaten wie die Kanarischen Inseln (Spanien), Réunion (Frankreich) und Sankt Helena (Großbritannien) sowie solche mit ungeklärtem Status wie die Westsahara stehen Überblicke über wesentliche Aspekte wie Geologie, Naturschutz, Sprachen, Musik, Kunst, Literatur, Landwirtschaft, Industrie und Religion, aber auch Tropenkrankheiten, um nur einige Bereiche zu nennen.
Orientieren sich die Beiträge zu "Strukturanpassung" und "Verschuldung" weitgehend an den Vorgaben der internationalen Finanzinstitutionen, so kommt zu den Stichworten "peripherer Kapitalismus" und "Self-Reliance" mit Samir Amin einer ihrer prominentesten Kritiker mit einem Plädoyer für die Integration von Großregionen gegenüber dem "zunehmenden Globalisierungszwang" zu Wort, während Rolf Hofmeier die aktuelle Bedeutung des in Afrika während der sechziger und siebziger Jahre vieldiskutierten Konzeptes der "kollektiven Eigenständigkeit" gerade vor diesem Hintergrund bezweifelt. Die weitreichenden, hier angesprochenen Zusammenhänge werden in ausführlicheren Beiträgen näher erläutert, etwa wenn im Artikel "Kolonialismus" nicht zuletzt die Exportfixierung der afrikanischen Volkswirtschaften bilanziert oder in "Außenwirtschaft" die Kontinuität der auf Rohstoffe und Agrarprodukte festgelegten Exportstruktur ebenso aufgezeigt wird wie die Nettokapitalabflüsse der neunziger Jahre.
Die Krise Afrikas kommt vor allem auch darin zum Ausdruck, daß der Kontinent bald nach dem hoffnungsvollen Aufbruch der Demokratiebewegungen um 1989/91 auch im vergangenen Jahrzehnt in besonderem Maß durch Kriege, zumal durch Bürgerkriege erschüttert wurde. Wo sich diese Konflikte in ethnischen Gegensätzen artikulieren, machen die entsprechenden Artikel ("Ethnizität", "indirekte Herrschaft", "Stamm", "Tribalismus") deutlich, daß es sich hier in aller Regel nicht um die oft berufenen uralten Feindschaften handelt. Die heutigen ethnischen Gruppen sind vielmehr größtenteils Resultat jüngerer Wanderungen, vor allem aber externer Einwirkungen wie christlicher Mission und Kolonialverwaltung. Das ändert nichts an der Bedeutung ethnischer Loyalitäten, die aber formbarer sind, als oft angenommen wird.
Eine wichtige Dimension ethnischer Vielfalt sind die Folgen sich überschneidender Rechtssysteme ("Gewohnheitsrecht", "Recht"). Die Lösung der Probleme des Kontinents ist vor diesem Hintergrund nicht trennbar von der Überwindung der bestehenden Entwicklungsblockaden. Wie auch die Beiträge des Lexikons zeigen, zählen dazu externe Faktoren wie die Abschließung der Agrarmärkte der Industrieländer oder neopatrimoniale, klientelistische Strukturen in den Staatsapparaten, die bis zur Kleptokratie, zum Raubstaat gehen. Die Bedeutung einer lebendigen "Zivilgesellschaft" zur "Artikulierung und Verwirklichung diverser Interessen bzw. Rechte" und als "relativ autonomes Gegengewicht zu staatlichem Handeln" (Henning Melber) erscheint dann ebenso offenkundig, wie die Forderung schwer einlösbar ist, bedenkt man die materiellen Vorbedingungen effektiver Interessenorganisation in einem ungünstigen lokalen wie internationalen Umfeld.
Um so auffälliger ist das Fehlen einiger Stichwörter im Hinblick auf neuere Tendenzen in der Entwicklungszusammenarbeit: etwa "good governance", womit funktionierende, Menschen- und Eigentumsrechte achtende Staatlichkeit bezeichnet wird; oder auch "Konditionalität", die Praxis, Zusammenarbeit an Bedingungen wie Marktöffnung, aber auch Demokratie zu knüpfen. Eine weitere auffällige Leerstelle ist "Globalisierung" als übergreifende Fragestellung und gerade für Afrika höchst ambivalenter Prozeß. Das Lexikon reicht weit über die angedeuteten sozioökonomischen Fragestellungen hinaus und kann sich wohl schon deshalb nirgends einer Vollständigkeit auch nur nähern. Zweifellos liegt ein Großteil der Faszination Afrikas in seinen dynamischen, kreativen Leistungen in der Musik, in der bildenden ebenso wie in den darstellenden Künsten. Ihnen wird hier gelegentlich mit großer Liebe zum Detail nachgegangen, bis hin zur Darstellung etwa einzelner Musikinstrumente. Gerade hier fasziniert die beständige Integration fremder Elemente, die Auseinandersetzung mit der Moderne.
Ähnliches gilt für die Kreolisierung von Sprachen. Afrika präsentiert sich so bei allen Problemen als alles andere denn rückständig, vielmehr als schöpferisch und dynamisch. Die Vielfalt und der Facettenreichtum des Kontinents können dabei nur angedeutet werden. Wenn ein gewisses regionales Übergewicht bei der Darstellung Westafrikas liegt, so mag dies auch Ausdruck des Diskussionsstandes in vielen Bereichen der deutschen Forschung sein.
"Das Afrika-Lexikon". Ein Kontinent in 1000 Stichwörtern. Hrsg. von Jacob E. Mabe. Peter Hammer Verlag, Wuppertal, und J.B.Metzler Verlag, Stuttgart 2001. 720 S., Abb., geb., 129,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Schwarzer Kontinent, lexikalisch erhellt / Von Reinhart Kößler
Einen Kontinent in rund tausend Stichwörtern darzustellen ist ein ehrgeiziges Projekt, das Vielfalt verspricht und die Garantie bietet, daß Benutzer beim Blättern auf immer Neues, Unbekanntes stoßen. Wer das vorliegende Lexikon mit dieser Erwartung zur Hand nimmt, wird nicht enttäuscht: Neben knappen Artikeln zu den einundfünfzig unabhängigen Staaten, aber auch über Territorien außerafrikanischer Staaten wie die Kanarischen Inseln (Spanien), Réunion (Frankreich) und Sankt Helena (Großbritannien) sowie solche mit ungeklärtem Status wie die Westsahara stehen Überblicke über wesentliche Aspekte wie Geologie, Naturschutz, Sprachen, Musik, Kunst, Literatur, Landwirtschaft, Industrie und Religion, aber auch Tropenkrankheiten, um nur einige Bereiche zu nennen.
Orientieren sich die Beiträge zu "Strukturanpassung" und "Verschuldung" weitgehend an den Vorgaben der internationalen Finanzinstitutionen, so kommt zu den Stichworten "peripherer Kapitalismus" und "Self-Reliance" mit Samir Amin einer ihrer prominentesten Kritiker mit einem Plädoyer für die Integration von Großregionen gegenüber dem "zunehmenden Globalisierungszwang" zu Wort, während Rolf Hofmeier die aktuelle Bedeutung des in Afrika während der sechziger und siebziger Jahre vieldiskutierten Konzeptes der "kollektiven Eigenständigkeit" gerade vor diesem Hintergrund bezweifelt. Die weitreichenden, hier angesprochenen Zusammenhänge werden in ausführlicheren Beiträgen näher erläutert, etwa wenn im Artikel "Kolonialismus" nicht zuletzt die Exportfixierung der afrikanischen Volkswirtschaften bilanziert oder in "Außenwirtschaft" die Kontinuität der auf Rohstoffe und Agrarprodukte festgelegten Exportstruktur ebenso aufgezeigt wird wie die Nettokapitalabflüsse der neunziger Jahre.
Die Krise Afrikas kommt vor allem auch darin zum Ausdruck, daß der Kontinent bald nach dem hoffnungsvollen Aufbruch der Demokratiebewegungen um 1989/91 auch im vergangenen Jahrzehnt in besonderem Maß durch Kriege, zumal durch Bürgerkriege erschüttert wurde. Wo sich diese Konflikte in ethnischen Gegensätzen artikulieren, machen die entsprechenden Artikel ("Ethnizität", "indirekte Herrschaft", "Stamm", "Tribalismus") deutlich, daß es sich hier in aller Regel nicht um die oft berufenen uralten Feindschaften handelt. Die heutigen ethnischen Gruppen sind vielmehr größtenteils Resultat jüngerer Wanderungen, vor allem aber externer Einwirkungen wie christlicher Mission und Kolonialverwaltung. Das ändert nichts an der Bedeutung ethnischer Loyalitäten, die aber formbarer sind, als oft angenommen wird.
Eine wichtige Dimension ethnischer Vielfalt sind die Folgen sich überschneidender Rechtssysteme ("Gewohnheitsrecht", "Recht"). Die Lösung der Probleme des Kontinents ist vor diesem Hintergrund nicht trennbar von der Überwindung der bestehenden Entwicklungsblockaden. Wie auch die Beiträge des Lexikons zeigen, zählen dazu externe Faktoren wie die Abschließung der Agrarmärkte der Industrieländer oder neopatrimoniale, klientelistische Strukturen in den Staatsapparaten, die bis zur Kleptokratie, zum Raubstaat gehen. Die Bedeutung einer lebendigen "Zivilgesellschaft" zur "Artikulierung und Verwirklichung diverser Interessen bzw. Rechte" und als "relativ autonomes Gegengewicht zu staatlichem Handeln" (Henning Melber) erscheint dann ebenso offenkundig, wie die Forderung schwer einlösbar ist, bedenkt man die materiellen Vorbedingungen effektiver Interessenorganisation in einem ungünstigen lokalen wie internationalen Umfeld.
Um so auffälliger ist das Fehlen einiger Stichwörter im Hinblick auf neuere Tendenzen in der Entwicklungszusammenarbeit: etwa "good governance", womit funktionierende, Menschen- und Eigentumsrechte achtende Staatlichkeit bezeichnet wird; oder auch "Konditionalität", die Praxis, Zusammenarbeit an Bedingungen wie Marktöffnung, aber auch Demokratie zu knüpfen. Eine weitere auffällige Leerstelle ist "Globalisierung" als übergreifende Fragestellung und gerade für Afrika höchst ambivalenter Prozeß. Das Lexikon reicht weit über die angedeuteten sozioökonomischen Fragestellungen hinaus und kann sich wohl schon deshalb nirgends einer Vollständigkeit auch nur nähern. Zweifellos liegt ein Großteil der Faszination Afrikas in seinen dynamischen, kreativen Leistungen in der Musik, in der bildenden ebenso wie in den darstellenden Künsten. Ihnen wird hier gelegentlich mit großer Liebe zum Detail nachgegangen, bis hin zur Darstellung etwa einzelner Musikinstrumente. Gerade hier fasziniert die beständige Integration fremder Elemente, die Auseinandersetzung mit der Moderne.
Ähnliches gilt für die Kreolisierung von Sprachen. Afrika präsentiert sich so bei allen Problemen als alles andere denn rückständig, vielmehr als schöpferisch und dynamisch. Die Vielfalt und der Facettenreichtum des Kontinents können dabei nur angedeutet werden. Wenn ein gewisses regionales Übergewicht bei der Darstellung Westafrikas liegt, so mag dies auch Ausdruck des Diskussionsstandes in vielen Bereichen der deutschen Forschung sein.
"Das Afrika-Lexikon". Ein Kontinent in 1000 Stichwörtern. Hrsg. von Jacob E. Mabe. Peter Hammer Verlag, Wuppertal, und J.B.Metzler Verlag, Stuttgart 2001. 720 S., Abb., geb., 129,80 DM.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Ganz bezaubert ist Navid Kermani von dem Afrika-Lexikon von Jakob E. Mabe, das zwar wie alle anderen Lexika "wissenschaftlich fundierte Sachkenntnisse vermitteln" wolle, aber gleichzeitig zu einer spannenden Reise in eine unbekannte Welt einzuladen scheine. Dennoch weist der Rezensent zunächst auf viele Schwachstellen des Werkes hin. Viele Länderartikel seien z.B. so kurz gehalten, dass man sie hätte besser weglassen sollen, meint Kermani. Auch fällt ihm auf, dass es bei der Auswahl der Informationen ein Ungleichgewicht zugunsten der Regionen südlich der Sahara gebe, wohingegen die Mittelmeerländer "in den Überblicksartikeln häufig nur gestreift" würden. Auch bedauert er das Fehlen eines Islamwissenschaftlers unter den Fachkoordinatoren, da sich Ungenauigkeiten gerade in Bezug auf den Islam und die moderne Geschichte bemerkbar machten. Schließlich zweifelt Kermani manchmal an der Zuverlässigkeit der Zahlen und Statistiken in diesem Band. Dennoch: Insgesamt betont er den Wert dieses Buches und die Pionierarbeit des Herausgeberteams, denn ein ähnliches Buch über Afrika sei bisher nicht erschienen und die Kenntnisse in der westlichen Welt dementsprechend lückenhaft oder von den Medien manipuliert, findet Kermani.
© Perlentaucher Medien GmbH
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