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Was sind das eigentlich für Leute, die Riesen? Sie sind etwa zehn Meter groß; in Italien wurden sie um 1478 erstmals gesichtet. Gewöhnlich lebten sie in den wenig besiedelten Gegenden der Erde, etwa in der Wüste zwischen Libyen und Marokko. In den Städten wurden sie leicht zur Gefahr: Wenn ein Riese tot umfiel, konnte es passieren, dass er mehrere Menschen unter sich begrub. Es ist nicht sicher, ob die Riesen zu den Säugetieren gehören. Vielleicht sind sie auch Reptilien und aus dem Ei geschlüpft, jedenfalls kennen sie Vater und Mutter nicht. Daher rührt wohl ihre soziale und emotionale…mehr

Produktbeschreibung
Was sind das eigentlich für Leute, die Riesen? Sie sind etwa zehn Meter groß;
in Italien wurden sie um 1478 erstmals gesichtet. Gewöhnlich lebten sie in den
wenig besiedelten Gegenden der Erde, etwa in der Wüste zwischen Libyen und
Marokko. In den Städten wurden sie leicht zur Gefahr: Wenn ein Riese tot umfiel,
konnte es passieren, dass er mehrere Menschen unter sich begrub.
Es ist nicht sicher, ob die Riesen zu den Säugetieren gehören. Vielleicht sind
sie auch Reptilien und aus dem Ei geschlüpft, jedenfalls kennen sie Vater und
Mutter nicht. Daher rührt wohl ihre soziale und emotionale Inkompetenz ? die
meist männlichen Riesen sind naiv wie Kinder, tapsig, sexuell vollkommen hilflos.
Wegen ihrer Unfähigkeit, für Fortpflanzung zu sorgen, sind die Riesen
schließlich ausgestorben, das heißt, sie sind einfach verschwunden.
Die Riesenforscher suchten lange nach Spuren, haben auch ein paar Knochen
gefunden und stellen nun die Frage, ob wir Menschen womöglich degenerierte
Riesen sind.
Ein parodistisches Feuerwerk voll komischer Bezüge zwischen Mythen und
Gegenwart. Eine Geschichtensammlung mit Spitzen und Pointen ? als würdiger
Nachfolger der "Kurzen Lebensläufe der Idioten".
Autorenporträt
Ermanno Cavazzoni wurde 1947 in Reggio Emilia geboren. Er ist Dozent an der Universität von Bologna. Sein erster Roman, "Poema dei lunatici", lieferte die Vorlage zu dem Film "Die Stimme des Mondes" von Federico Fellini.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2011

Viel zu groß geraten und leider ausgestorben

Was charakterisiert einen klassischen Riesen? Der Italiener Ermanno Cavazzoni schreibt eine verspielte Naturgeschichte der größten aller Lebewesen.

Der klassische Riese ist acht Meter groß, einzelne Exemplare sogar zehn, abgesehen von Anomalien. Unverkennbar tritt er zum ersten Mal 1478 in Italien auf." Das Leben der schwergewichtigen Art ist leider kurz, 1547 neigt es sich bereits dem Ende zu: Was dann noch folgt, sind Schwundstufen, Riesen als Leitern etwa oder als Windmühlen wie bei Don Quijote; eines der letzten Kapitel ihrer Kollektivbiographie trägt den leicht depressiven Titel "Die DNA ist im Eimer" - Riesen, die wie Bohnen und Kröten aussehen, sind in der Tat zum Verzweifeln. Zurück also zur Blütezeit: Was charakterisiert den klassischen Riesen? Ermanno Cavazzoni widmet dem wahrhaft gigantischen Thema "Das kleine Buch der Riesen".

Welche Unterarten gibt es? Cavazzoni nennt kriegswillige und wilde Riesen. Wie kleiden sie sich? Die wilden Riesen recyceln Alteisen, die kriegswilligen haben richtige Panzer. Welche Munition wird verschossen? "Die Riesen, egal ob wild oder nicht, sind vom Gewicht und von den Dingen, die viel wiegen, fasziniert. Manchmal lassen sie sich auf einem Berg nieder, an dessen Fuß eine Abtei liegt, und fangen sofort an, vier oder fünf Kilo schwere Steine in die Luft zu werfen, die überwiegend auf die Abtei fallen." So möchte man in einem fort zitieren: zu den Reittieren, zum Kampfverhalten, zur Ernährung, zum Familienleben - mit trockenem Humor reiht Cavazzoni eine Pointe an die andere. Dabei führt er einen, wenn man es sich recht überlegt, an der Nase herum: Er beweist noch dem unwilligsten Leser mit schlitzohriger Unverschämtheit, dass er ihm wirklich jedes Thema vorsetzen kann, sogar Riesen - das Buch wird er trotzdem und gerne lesen.

Wer möchte nicht wissen, warum die Riesen der Bretagne eine Mafia bilden oder wie ihr verschrobenes Sexualleben aussieht? Beltramo und Sperante, zwei prächtige Kerle, fangen Mädchen, wissen dann aber nichts mit ihnen anzufangen. Sie versuchen, ihre Esskultur zu vermitteln, servieren Vipern und Nattern - ohne Erfolg: "Doch sind die beiden von einer Art rauhbeinigen Zuneigung beseelt, die wissenschaftlich der Methode Montessori entspricht, sogar mit diesbezüglichem didaktischen Material, aber sie versuchen auf impotente Weise auch hinter das Geheimnis des Sex zu kommen. Sie wirken wie zwei eifersüchtige pädophile Onkel", so das wenig schmeichelhafte Fazit. Allerdings können sie ebenso hart zupacken, Jungfrauen mit Ketten peitschen; im Unterschied zum Marquis de Sade peitscht und flucht ein Riese jedoch "ohne theologisches Bewusstsein".

Spätestens hier wird deutlich, dass Cavazzoni nicht etwa wild fabuliert; auch ist sein Band kaum für Kinder geeignet, der niedliche deutsche Titel führt in die Irre. "Die Naturgeschichte der Riesen" heißt der Band im Italienischen, und der Verlag hätte wohl daran getan, diesen einfach zu übernehmen: Er drückt perfekt das Bandespiel zwischen "wissenschaftlichem" Anspruch und spielerischer Phantasie aus; nicht umsonst ist der in Bologna lehrende Ästhetikdozent Cavazzoni Mitglied des OpLePo (Opificio di Letteratura Potenziale), dem italienischen Äquivalent zum französischen OuLiPo, einem Literaturlaboratorium also, das der Einbildungskraft gerade durch ein formales Korsett auf die Sprünge helfen will. Das hat Cavazzoni etwa in dem abgründig komischen Band "Die nutzlosen Schriftsteller" getan, der die sieben Todsünden und andere Faktoren zu neunundvierzig Geschichten über Schriftsteller kombiniert, die gern auch mal aufblasbar sein dürfen.

In "Das kleine Buch der Riesen" hingegen pflegt Cavazzoni die Philologie: Seine Geschichten stützen sich auf Quellen aus dem 15. bis 18. Jahrhundert, die wichtigste Inspiration ist "Il Morgante" (um 1478) von Luigi Pulci, ein pseudoheroisches Epos, in dem eine ganze Kohorte von Riesen auftritt. Die historische Gelehrsamkeit (Cavazzoni hat Pulci ediert) wird mit Lust an der interpretativen Wucherung in eine pseudozoologische Erzählung transformiert.

Warum, wozu? Die Antwort darauf gibt Cavazzoni schon auf den ersten Seiten: "Heute, wo es keine Riesen mehr gibt, nicht einmal als optische Täuschung, muss man schon Glück haben, gelegentlich einen zu Gesicht zu bekommen, zum Beispiel in einer großen, hufenförmigen Zirruswolke, wenn am Himmel ein Sturmwind gerade vorüber ist." Er fährt fort: "Wie der, den ich heute um 16.30 Uhr vom Hügel der TV-Relaisstation aus gesehen habe, wo ich ab und zu mit dem Rad hinauffahre." Die kindliche Lust daran, in Wolken märchenhafte Gestalten wiederzuerkennen: Gerade weil er Vorlagen sucht und gekonnt verwandelt, gelingt es Cavazzoni, ein monströses Plädoyer für die Einbildungskraft zu halten - für die Fähigkeit, sich noch vom schwersten Gegenstand aus in die luftigste Höhe zu phantasieren.

NIKLAS BENDER

Ermanno Cavazzoni: "Das kleine Buch der Riesen".

Aus dem Italienischen von Marianne Schneider. Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2010. 144 S., geb., 15,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht weniger als ein Plädoyer für die Fantasie ist das, und Niklas Bender ist hellauf begeistert. Warum nicht seine historische und philologische Gelehrsamkeit beim Thema Riesen verballern? Der kindlich verspielte Ästhetikdozent mit dem trockenen Humor und der Unverschämtheit eines Spaßmachers überzeugt den Rezensenten auf ganzer Linie. Bald schon kann er nicht mehr aus und muss alles erfahren über die Spezies der Riesen, über ihre Blüte und ihren Niedergang, ihre Kleider- und Nahrungspräferenzen und sexuelle Unbedarftheit. Nichts für Kinder, warnt der Rezensent, aber für Leute mit Lust an ein bisschen intellektuellem und interpretatorischem Irrwitz umso mehr.

© Perlentaucher Medien GmbH