In den vergangenen 150 Jahren wurden von der Entdeckung des Penizillins über die Entschlüsselung der menschlichen DNS bis zum Nachweis des Higgs-Bosons kolossale Fortschritte gemacht. Doch an einer der drängendsten Fragen der Menschheitsgeschichte - Wo liegt der Ursprung der menschlichen Sprache? - scheitert die Wissenschaft bis heute. Das hat, wie Tom Wolfe genüsslich darlegt, führende Forscher von Charles Darwin bis Noam Chomsky jedoch zu keiner Zeit davon abgehalten, grandiose Erfolge zu verkünden, die gar keine waren, Konkurrenten zu diffamieren, anstatt eigene Fehler einzugestehen, und generell des Kaisers neue Kleider in den schillerndsten Farben zu beschreiben.
In Das Königreich der Sprache vertritt Wolfe die These, wonach die Sprache die erste kulturelle Leistung des Menschen und somit nicht mit der Evolutiontheorie oder wissenschaftlicher Systematik zu erklären ist.
In Das Königreich der Sprache vertritt Wolfe die These, wonach die Sprache die erste kulturelle Leistung des Menschen und somit nicht mit der Evolutiontheorie oder wissenschaftlicher Systematik zu erklären ist.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.04.2017Der Wolfe ist dem Wolfe ein Mensch
Mit viel Furor hat Tom Wolfe ein neues Buch geschrieben. Es heißt "Das Königreich der Sprache". Nur wovon handelt dieser Text?
Zu den stärksten Wirkungen, welche Tom Wolfes neues Buch auf den mit Tom Wolfe vertrauten Leser hat, gehört diese hier: Man möchte, kaum ist man fertig mit der Lektüre, noch einmal Wolfes frühere Essays lesen, "Das gemalte Wort" oder "Mit dem Bauhaus leben". Nicht weil "Das Königreich der Sprache" so interessant und provokant wäre: sondern weil dieser Text so erstaunlich durcheinander, so konsequent konfus ist, dass man sich fragt, ob man wirklich alle Sinne beieinanderhatte, damals, als man die alten Essays von Tom Wolfe zwar als halbstark geschrieben und etwas grob gedacht empfand. Aber eben doch als goldrichtig und wahrheitsstiftend in ihrem Furor gegen alle Autoritäten des Geistes- und Kunstbetriebs.
Den Furor hat Tom Wolfe noch immer; nur hat der seine Richtung und seinen Gegner verloren. Er kann sich jetzt gegen alles richten, was (oder wen) Tom Wolfe entweder nicht auf Anhieb versteht. Oder prinzipiell nicht mag. Oder wer zufällig im Weg herumsteht, wenn Wolfes Prosa richtig schlechte Laune hat. Es fängt an mit dem Hohn und der Verachtung, die Tom Wolfe ergreifen, als er, in den unverständlichen Windungen des Internets, die Auskunft bekommt, dass prominente Sprachwissenschaftler zugegeben hätten, dass sie die Entstehung der Sprache im evolutionären Prozess nicht stichhaltig erklären könnten - wo doch, so Wolfe, wörtlich, in der Zeit seit der Formulierung der Evolutionstheorie, Einstein die Lichtgeschwindigkeit entdeckt (!) habe, Watson und Crick die DNA, und so fort. Alles Deppen.
Es geht weiter damit, dass Wolfe, im ersten Teil, Charles Darwin als einen machtversessenen Trottel schildert, in Teil zwei macht er das Gleiche mit Noam Chomsky - auch diese beiden hätten, einerseits, versagt vor der Aufgabe, die Entstehung der Sprache zu erklären. Und andererseits hätten sie jeden Trick angewandt, um sich trotzdem die geistige Hegemonie zu sichern.
Das hätte dieses Buch werden können, wenn Wolfe fleißiger und sorgfältiger gearbeitet hätte: ein Essay über die Macht und wie man sie erobert und behauptet im Reich des Geistes. Aber dazu hätte er Darwins und Chomskys Theorien, die Argumente ihrer Unterstützer und ihrer Gegner ein wenig genauer studieren müssen. Wo hätte er dann aber die Zeit und den Platz hergenommen, um, am Schluss des Textes, noch zu verkünden, dass er, Wolfe, das Rätsel im Wesentlichen gelöst habe? An Barthes' "Reich der Zeichen" lehnt sich dieser Titel nur zufällig an.
Man kann sich den Text nur so erklären, dass auch Tom Wolfe mit hundertfünfzig Jahren Verspätung gemerkt hat, welche Kränkung des Menschen die Evolutionstheorie bedeutet. Nur dass er diese Kränkung nicht hinnehmen wollte, und so hat er einen Text verfasst, der zeigen soll, dass er jedenfalls, Tom Wolfe, den Tieren, von denen er stammen soll, nichts verdankt. Tom Wolfe ist nicht das Produkt der Evolution. Tom Wolfe hat sich selbst erschaffen, inklusive seiner Sprache, seines Stils, seiner Marotten, die besonders deutlich sichtbar sind, weil der alte Wolfe hier konsequent den Stil des jungen Wolfe imitiert. "Einst wart ihr Affen, und auch jetzt ist der Mensch mehr Affe, als irgend ein Affe", schrieb Nietzsche, der, 130 Jahre vor Tom Wolfe, die Konsequenzen der Kränkung besser verstanden hatte.
CLAUDIUS SEIDL
Tom Wolfe: "Das Königreich der Sprache". Deutsch von Yvonne Badal, Blessing-Verlag, 224 Seiten, 19,99 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Mit viel Furor hat Tom Wolfe ein neues Buch geschrieben. Es heißt "Das Königreich der Sprache". Nur wovon handelt dieser Text?
Zu den stärksten Wirkungen, welche Tom Wolfes neues Buch auf den mit Tom Wolfe vertrauten Leser hat, gehört diese hier: Man möchte, kaum ist man fertig mit der Lektüre, noch einmal Wolfes frühere Essays lesen, "Das gemalte Wort" oder "Mit dem Bauhaus leben". Nicht weil "Das Königreich der Sprache" so interessant und provokant wäre: sondern weil dieser Text so erstaunlich durcheinander, so konsequent konfus ist, dass man sich fragt, ob man wirklich alle Sinne beieinanderhatte, damals, als man die alten Essays von Tom Wolfe zwar als halbstark geschrieben und etwas grob gedacht empfand. Aber eben doch als goldrichtig und wahrheitsstiftend in ihrem Furor gegen alle Autoritäten des Geistes- und Kunstbetriebs.
Den Furor hat Tom Wolfe noch immer; nur hat der seine Richtung und seinen Gegner verloren. Er kann sich jetzt gegen alles richten, was (oder wen) Tom Wolfe entweder nicht auf Anhieb versteht. Oder prinzipiell nicht mag. Oder wer zufällig im Weg herumsteht, wenn Wolfes Prosa richtig schlechte Laune hat. Es fängt an mit dem Hohn und der Verachtung, die Tom Wolfe ergreifen, als er, in den unverständlichen Windungen des Internets, die Auskunft bekommt, dass prominente Sprachwissenschaftler zugegeben hätten, dass sie die Entstehung der Sprache im evolutionären Prozess nicht stichhaltig erklären könnten - wo doch, so Wolfe, wörtlich, in der Zeit seit der Formulierung der Evolutionstheorie, Einstein die Lichtgeschwindigkeit entdeckt (!) habe, Watson und Crick die DNA, und so fort. Alles Deppen.
Es geht weiter damit, dass Wolfe, im ersten Teil, Charles Darwin als einen machtversessenen Trottel schildert, in Teil zwei macht er das Gleiche mit Noam Chomsky - auch diese beiden hätten, einerseits, versagt vor der Aufgabe, die Entstehung der Sprache zu erklären. Und andererseits hätten sie jeden Trick angewandt, um sich trotzdem die geistige Hegemonie zu sichern.
Das hätte dieses Buch werden können, wenn Wolfe fleißiger und sorgfältiger gearbeitet hätte: ein Essay über die Macht und wie man sie erobert und behauptet im Reich des Geistes. Aber dazu hätte er Darwins und Chomskys Theorien, die Argumente ihrer Unterstützer und ihrer Gegner ein wenig genauer studieren müssen. Wo hätte er dann aber die Zeit und den Platz hergenommen, um, am Schluss des Textes, noch zu verkünden, dass er, Wolfe, das Rätsel im Wesentlichen gelöst habe? An Barthes' "Reich der Zeichen" lehnt sich dieser Titel nur zufällig an.
Man kann sich den Text nur so erklären, dass auch Tom Wolfe mit hundertfünfzig Jahren Verspätung gemerkt hat, welche Kränkung des Menschen die Evolutionstheorie bedeutet. Nur dass er diese Kränkung nicht hinnehmen wollte, und so hat er einen Text verfasst, der zeigen soll, dass er jedenfalls, Tom Wolfe, den Tieren, von denen er stammen soll, nichts verdankt. Tom Wolfe ist nicht das Produkt der Evolution. Tom Wolfe hat sich selbst erschaffen, inklusive seiner Sprache, seines Stils, seiner Marotten, die besonders deutlich sichtbar sind, weil der alte Wolfe hier konsequent den Stil des jungen Wolfe imitiert. "Einst wart ihr Affen, und auch jetzt ist der Mensch mehr Affe, als irgend ein Affe", schrieb Nietzsche, der, 130 Jahre vor Tom Wolfe, die Konsequenzen der Kränkung besser verstanden hatte.
CLAUDIUS SEIDL
Tom Wolfe: "Das Königreich der Sprache". Deutsch von Yvonne Badal, Blessing-Verlag, 224 Seiten, 19,99 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Durchaus verdienstvoll findet Rezensent Helmut Höge Tom Wolfes Versuch, die beiden Feldforscher Alfred Russel Wallace und Daniel L. Everett in Erinnerung zu rufen. In dem überraschend schmalen Pamphlet des amerikanischen Schriftstellers erfährt er nicht nur, weshalb Wallace an Stelle von Darwin die Urheberschaft an der Evolutionstheorie für sich beanspruchen kann, sondern liest auch, wie es dazu kam, dass Chomsky Everett den Rang als oberster Sprachtheoretiker der USA ablief. Auf Wolfes Versuch, eine eigene Sprachtheorie zu entwickeln, hätte Höge allerdings gern verzichten können.
© Perlentaucher Medien GmbH
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»Lesenswert und sehr witzig.« David Eisermann, WDR 5