Das Bundesverfassungsgericht gilt als großer Innovator. Dieses dominante Bild ergänzt der Essay, motiviert durch das 70. Jubiläum des Bundesverfassungsgerichts, um die These eines konservativen Gerichts. In einigen Bereichen scheint das Gericht eher als Konservator denn als Innovator aufzutreten. Entgegen der vorherrschenden Auffassung zeigen die Autoren auf, dass, wo und warum das Bundesverfassungsgericht konservativ und konservierend judiziert. Sie ergänzen damit die dominante Erzählung vom Gericht als Treiber dogmatischer Neuerungen durch die bisher unterbelichtet gebliebene Perspektive des Konservatismus in der bundesverfassungsgerichtlichen Rechtsprechung. Der Essay entwickelt dazu eine Skala des dogmatischen Konservatismus: Vom Bewahren und Beharren über das Bremsen bis hin zum Musealisieren. In vier ausgewählten Themengebieten - der Staatsrichtung der Grundrechte, dem Staatskirchenrecht, dem Verhältnis zur Gubernative und der europäischen Integration - analysieren die Autoren zentrale Judikate mithilfe dieser Skalierung. Sie beziehen dabei zugleich die hinter der Dogmatik stehenden strategischen und (staats)politischen Erwägungen der Karlsruher Rechtsprechung mit ein.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Wolfgang Janisch lässt sich von den Rechtswissenschaftlern Andreas Kulick und Johann Justus Vasel Karlsruhes konservative Seite ausleuchten. Zum 70. des Bundesverfassungsgerichts werden für Janisch so seine Sicht auf das Staatskirchenrecht und die Neigung Karlsruhes erkennbar, der Exekutive ein zu großes Gewicht einzuräumen, siehe Corona-Krise. Auch das Europa-Kapitel findet Janisch aufschlussreich, wenn auch nicht sehr überraschend, zeigt es doch, inwieweit Karlsruhe den deutschen Staat vor einem übermächtigen Europa in Schutz zu nehmen sucht. Dass Karlsruher Recht nicht nur Innovation bedeutet, nimmt Janisch als Lehre aus der Lektüre mit.
© Perlentaucher Medien GmbH
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