Produktdetails
- Verlag: Diogenes
- Seitenzahl: 138
- Abmessung: 190mm
- Gewicht: 198g
- ISBN-13: 9783257017083
- ISBN-10: 3257017081
- Artikelnr.: 24191331
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.09.2007Steigendes Entsetzen
Hartmut Lange: „Das Konzert”
Wer Unmögliches versucht, tut gut daran, dies möglichst unauffällig zu tun. So zumindest geht der 1937 in Berlin geborene Erzähler Hartmut Lange in seiner Novelle „Das Konzert” von 1988 vor. Mit schlichten Sätzen, ohne jeden outrierten Kunstanspruch erschafft er ein Berlin, das zwar ganz der Erscheinungszeit des Buches angehört, aber so nie existiert hat. Denn Lange lässt hier die Geister von Juden auftreten, fast allesamt ermordet von den Nationalsozialisten.
Da ist Frau Altenschul, „die elegante, zierliche, den Dingen des schönen Scheins zugetane Jüdin”, die im Geisterreich, das sich wie selbstverständlich über das Berlin der Lebenden und Nachgeborenen legt, versucht, jenes Leben fortzusetzen, das durch ihre Ermordung unmöglich wurde: „Besser es gibt unter den Toten ein blühendes Berlin als gar kein Berlin.”
Dieser nur auf den ersten Seiten skurrile Gedanke hat gewaltige Folgen. Denn den genialen Pianisten Lewanski, achtundzwanzigjährig in Litzmannstadt, „dem eigentlichen Lodz”, ermordet, wollen nicht nur die Geister der Juden hören. Sondern auch jene Gespenster, die – wo auch sonst? – in der unterirdischen Ruine des Führerbunkers ihr Unwesen treiben. Und so nimmt der Leser mit immer größeren Entsetzen und mit steigender Beklemmung wahr, dass die nur knapp 140-seitige Novelle auf eine Versöhnung zwischen den ermordeten Juden und ihren Mördern zutreibt.
Dass diese zuletzt in Form eines Konzerts Lewanskis im Führerbunker misslingt, ist weniger der Political Correctness des Autors geschuldet als Beethoven. Dessen Klaviersonate opus 109 wird dabei zur Zentralgestalt des Buchs, ein Stück, dessen gallertartig aufbrechende Trillerwüsten mitten in der Wiederholung des finalen Variationsthemas für Lewanski zum zentralen Problem werden. Der insistierende Verweis auf Beethovens Missa solemnis klärt denn auch, woher Lewanskis Probleme rühren, vielleicht auch, woher Hartmut Lange eventuell entscheidende Anregungen für dieses Buch empfangen hat. Heißt es doch so treffend in „Verfremdetes Hauptwerk”, Theodor W. Adornos Missa solemnis-Studie, über den von Beethoven in seinem Spätwerk eingeschlagenen Sonderweg: „Etwas in seinem Ingenium, das Tiefste wohl, weigerte sich, was unversöhnt ist, im Bilde zu versöhnen.” REINHARD J. BREMBECK
Hartmut Lange Foto: Friedrich B./SV-Bilderdienst
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Hartmut Lange: „Das Konzert”
Wer Unmögliches versucht, tut gut daran, dies möglichst unauffällig zu tun. So zumindest geht der 1937 in Berlin geborene Erzähler Hartmut Lange in seiner Novelle „Das Konzert” von 1988 vor. Mit schlichten Sätzen, ohne jeden outrierten Kunstanspruch erschafft er ein Berlin, das zwar ganz der Erscheinungszeit des Buches angehört, aber so nie existiert hat. Denn Lange lässt hier die Geister von Juden auftreten, fast allesamt ermordet von den Nationalsozialisten.
Da ist Frau Altenschul, „die elegante, zierliche, den Dingen des schönen Scheins zugetane Jüdin”, die im Geisterreich, das sich wie selbstverständlich über das Berlin der Lebenden und Nachgeborenen legt, versucht, jenes Leben fortzusetzen, das durch ihre Ermordung unmöglich wurde: „Besser es gibt unter den Toten ein blühendes Berlin als gar kein Berlin.”
Dieser nur auf den ersten Seiten skurrile Gedanke hat gewaltige Folgen. Denn den genialen Pianisten Lewanski, achtundzwanzigjährig in Litzmannstadt, „dem eigentlichen Lodz”, ermordet, wollen nicht nur die Geister der Juden hören. Sondern auch jene Gespenster, die – wo auch sonst? – in der unterirdischen Ruine des Führerbunkers ihr Unwesen treiben. Und so nimmt der Leser mit immer größeren Entsetzen und mit steigender Beklemmung wahr, dass die nur knapp 140-seitige Novelle auf eine Versöhnung zwischen den ermordeten Juden und ihren Mördern zutreibt.
Dass diese zuletzt in Form eines Konzerts Lewanskis im Führerbunker misslingt, ist weniger der Political Correctness des Autors geschuldet als Beethoven. Dessen Klaviersonate opus 109 wird dabei zur Zentralgestalt des Buchs, ein Stück, dessen gallertartig aufbrechende Trillerwüsten mitten in der Wiederholung des finalen Variationsthemas für Lewanski zum zentralen Problem werden. Der insistierende Verweis auf Beethovens Missa solemnis klärt denn auch, woher Lewanskis Probleme rühren, vielleicht auch, woher Hartmut Lange eventuell entscheidende Anregungen für dieses Buch empfangen hat. Heißt es doch so treffend in „Verfremdetes Hauptwerk”, Theodor W. Adornos Missa solemnis-Studie, über den von Beethoven in seinem Spätwerk eingeschlagenen Sonderweg: „Etwas in seinem Ingenium, das Tiefste wohl, weigerte sich, was unversöhnt ist, im Bilde zu versöhnen.” REINHARD J. BREMBECK
Hartmut Lange Foto: Friedrich B./SV-Bilderdienst
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»Der Meister unter den phantastischen Rationalisten.« Edelgard Abenstein / Deutschlandradio Kultur Deutschlandradio Kultur