Dieses neue Lexikon mit seinen 4000 Einträgen zu Personen aus dem Kulturbetrieb der NS-Zeit ist ein konkurrenzloses Nachschlagewerk, das in die Handbibliothek derer gehört, die sich mit Nationalsozialismus beschäftigen. Interessant ist das Werk auch deshalb, weil der Autor so weit wie möglich auch die Nachkriegskarrieren recherchiert hat.Verzeichnet sind die wichtigsten oder bekanntesten Personen aus Adel, Archiv- und Büchereiwesen, bildender Kunst, Film, Geisteswissenschaft, Kunstgeschichte, Literatur, Musik (einschließlich Unterhaltungs-, Film- und auch Militärmusik), Rundfunk, Theater, etc.Hunderte der genehmsten Schauspieler, Schriftsteller, Maler, Architekten, Komponisten, Dirigenten, Musiker etc. waren 1944 in einer systematisch rubrizierten "Gottbegnadeten-Liste" (sic!) des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda unter Joseph Goebbels aufgeführt worden, was für die Genannten handfeste materielle Vorteile bedeutete. Viele Profiteure und Karierristen huldigten Hitler als dem "ersten Künstler der deutschen Nation", viele von ihnen sind selbst in Auschwitz zur Unterhaltung der SS aufgetreten.Das Lexikon dokumentiert darüber hinaus Hunderte von Opfern der damaligen Kulturpolitik: Verfemte und Verfolgte, die ins Exil gehen mussten bzw. ermordet worden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.04.2007Was aus den Tätern, Mitläufern und Opfern wurde
Karrieren von Künstlern im "Dritten Reich"
"In diesen heil'gen Hallen kennt man die Rache nicht", sang der Bassist Hans Erl 1938 in der Festhalle - und wurde von seinen späteren Henkern freigelassen. "Nach dem Osten abgewandert", vermeldete 1942 die Gestapo.
Hans Erl und Franz Konwitschny. Bassist am Opernhaus Frankfurt der eine, Frankfurter Generalmusikdirektor der andere. Als der Dirigent Konwitschny 1938 die Stelle antrat, hatte der Sänger Erl seine längst verloren - als Jude 1933 entlassen. Doch einen großen Auftritt hatte Erl noch. Im November 1938, als Konwitschny schon in Frankfurt dirigierte, sang er in der Festhalle. Sein Publikum waren Gestapo- und SS-Leute sowie jüdische Frankfurter, die nach der Pogromnacht von diesen ins KZ Buchenwald befördert werden sollten.
Die Szene ist zu einer Frankfurter Legende geworden. "Was sind Sie von Beruf?", fragte ein Obergruppenführer den Festgenommenen. "Ich bin Opernsänger." "Dann singen Sie mal die Arie aus der ,Zauberflöte' und singen sich damit frei." Erl sang vom Balkon der Festhalle: "In diesen heil'gen Hallen kennt man die Rache nicht" - und war frei. Allerdings nur vorübergehend. Die letzte Nachricht über den Bassisten stammt vom 30. September 1942, verfasst von der Gestapo: "Der vorbezeichnete Jude ist am 11. 6. 1942 nach dem Osten abgewandert." "Nach dem Osten abgewandert" war die Standardformel für die Verschleppung in ein Vernichtungslager. Im Falle Erls hieß es Majdanek.
Und was ist aus dem Dirigenten Franz Konwitschny geworden, der in normalen Zeiten im Frankfurter Opernhaus Erl die Einsätze gegeben hätte? Nach dem Krieg wurde er Opernchef in Hannover und Hamburg, 1949 Gewandhauskapellmeister in Leipzig, 1953 Generalmusikdirektor der Staatsoper Dresden und 1955 der Deutschen Staatsoper in Ost-Berlin. "Einer der namhaftesten Musiker des sowjetischen Besatzungsgebietes", heißt es nach seinem Tod 1962 im Deutschen-Bühnen-Jahrbuch. Was soll man Konwitschny vorwerfen? Dass er 1937 in die NSDAP eingetreten war? Dass er, wie es in den Frankfurter Magistratsakten heißt, seit dem 1. Juli 1923 Mitglied der Bruderpartei der NSDAP in der Tschechoslowakei war? Dass er 1942 einen Auftritt als Gastdirigent im Getto Litzmannstadt hatte? Der Autor Ernst Klee wirft Konwitschny gar nichts vor. Er registriert in seinem "Kulturlexikon zum Dritten Reich" lediglich, was er in Akten, Jahrbüchern, Programmen und anderen öffentlich zugänglichen Dokumenten über Kulturschaffende während der Nazizeit gefunden hat. "Wer war was vor und nach 1945?" lautet seine Frage und auch der Untertitel seines Kulturlexikons, das jetzt im S. Fischer-Verlag erschienen ist.
Vorher und nachher. Zum Beispiel Lothar Baumgarten. 1912 in Frankfurt geboren. Hat seine Theaterkarriere als Bühnenbildner bei den hiesigen Städtischen Bühnen begonnen. Von 1935 bis 1945 war er Leiter der Dekorationswerkstatt am Schauspielhaus Breslau. Der Autor Klee hat eine merkwürdige Ankündigung entdeckt. "Am Montag, den 15. März 1943, 20 Uhr, findet das 2. Gastspiel des Schauspielhauses Breslau statt. Zur Aufführung gelangt das Lustspiel ,Die drei Eisbären' . . . Bühnenbild: Nach Ideen Lothar Baumgartens hergestellt in den Werkstätten der Waffen-SS Auschwitz." Bei dem Gastspiel handelte es sich um eine Veranstaltung der Truppenbetreuung, den Text hat die Kommandantur von Auschwitz als Rundschreiben herausgegeben. Nachher, nach dem Krieg, war Baumgarten Gast am Fritz-Rémond-Theater, von 1985 an dessen Leiter. Wie viel er von Auschwitz wusste, kann niemand mehr sagen.
Bernhard Hahnefeld war ein Verleger. Ein furchtbarer Verleger, muss man sagen, denn er veröffentlichte Karl Blessingers Werk "Lexikon der Juden in der Musik". Wer hier aufgeführt wurde, dessen Todesurteil war faktisch geschrieben. Doch ein Gutes hat selbst dieses fürchterliche Lexikon. Es bewahrte die Namen von ermordeten jüdischen Musikern, von denen man sonst nichts wüsste: Rosalie Dürkheim etwa, Klavierlehrerin in Frankfurt. Gestorben 1942 in Treblinka. Nicht zu vergessen Magda Spiegel, Frankfurts Opernstar, eine der größten Sängerinnen des deutschsprachigen Raums, wie der Musikkenner Theodor Adorno schrieb. "Spiegel ist am 28. 9. 1942 nach Theresienstadt verbracht worden. Die Ruhegeldzahlung ist am 1. 9. 1942 eingestellt worden", vermeldet ihre Personalakte an den Bühnen.
4000 Namen enthält Klees Buch. Namen von Tätern, Vordenkern, Mitläufern, Widerständlern, Opfern. Die damalige kulturelle Elite Deutschlands. Einige zählten dann zur nachmaligen. Henri Nannen etwa, der Gründer des "Stern". Im Munzinger-Archiv heißt es über ihn, er sei 1937 wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt in ein Verfahren verwickelt gewesen, von der Universität relegiert und mit einem journalistischen Arbeitsverbot belegt worden. Das Arbeitsverbot sei allerdings dank der Fürsprache des Münchener Kunstverlegers Hugo Bruckmann wiederaufgehoben worden. Vielleicht war Nannen ein innerer Gegner des Naziregimes. So, wie Hans Filbinger nach der Überzeugung von Ministerpräsident Günther Oettinger ein Nazi-Gegner war. Freilich nicht ein Gegner, der seine Gegnerschaft in Taten ausdrückte.
Auch bei Nannen kann der Widerstand wohl nur in Gedanken stattgefunden haben. Worauf seine schriftlichen Hinterlassenschaften allerdings wenig hinweisen. 1939 schrieb Nannen unter anderem: "Die Erneuerung des deutschen Menschen aber ist das Werk des Führers, er hat ihm den neuen und doch ewigen alten Glauben an sich selbst und an das Schicksal seines Volkes zurückgegeben." Klee bewertet den Fall nicht, sagt nicht, ob Nannen ein Widerständler, ein Opfer, ein Mitläufer oder ein Opportunist war. Er breitet, wie bei allen anderen, nur seine Belege aus.
HANS RIEBSAMEN
Ernst Klee: "Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945". S. Fischer-Verlag, Frankfurt. 29,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Karrieren von Künstlern im "Dritten Reich"
"In diesen heil'gen Hallen kennt man die Rache nicht", sang der Bassist Hans Erl 1938 in der Festhalle - und wurde von seinen späteren Henkern freigelassen. "Nach dem Osten abgewandert", vermeldete 1942 die Gestapo.
Hans Erl und Franz Konwitschny. Bassist am Opernhaus Frankfurt der eine, Frankfurter Generalmusikdirektor der andere. Als der Dirigent Konwitschny 1938 die Stelle antrat, hatte der Sänger Erl seine längst verloren - als Jude 1933 entlassen. Doch einen großen Auftritt hatte Erl noch. Im November 1938, als Konwitschny schon in Frankfurt dirigierte, sang er in der Festhalle. Sein Publikum waren Gestapo- und SS-Leute sowie jüdische Frankfurter, die nach der Pogromnacht von diesen ins KZ Buchenwald befördert werden sollten.
Die Szene ist zu einer Frankfurter Legende geworden. "Was sind Sie von Beruf?", fragte ein Obergruppenführer den Festgenommenen. "Ich bin Opernsänger." "Dann singen Sie mal die Arie aus der ,Zauberflöte' und singen sich damit frei." Erl sang vom Balkon der Festhalle: "In diesen heil'gen Hallen kennt man die Rache nicht" - und war frei. Allerdings nur vorübergehend. Die letzte Nachricht über den Bassisten stammt vom 30. September 1942, verfasst von der Gestapo: "Der vorbezeichnete Jude ist am 11. 6. 1942 nach dem Osten abgewandert." "Nach dem Osten abgewandert" war die Standardformel für die Verschleppung in ein Vernichtungslager. Im Falle Erls hieß es Majdanek.
Und was ist aus dem Dirigenten Franz Konwitschny geworden, der in normalen Zeiten im Frankfurter Opernhaus Erl die Einsätze gegeben hätte? Nach dem Krieg wurde er Opernchef in Hannover und Hamburg, 1949 Gewandhauskapellmeister in Leipzig, 1953 Generalmusikdirektor der Staatsoper Dresden und 1955 der Deutschen Staatsoper in Ost-Berlin. "Einer der namhaftesten Musiker des sowjetischen Besatzungsgebietes", heißt es nach seinem Tod 1962 im Deutschen-Bühnen-Jahrbuch. Was soll man Konwitschny vorwerfen? Dass er 1937 in die NSDAP eingetreten war? Dass er, wie es in den Frankfurter Magistratsakten heißt, seit dem 1. Juli 1923 Mitglied der Bruderpartei der NSDAP in der Tschechoslowakei war? Dass er 1942 einen Auftritt als Gastdirigent im Getto Litzmannstadt hatte? Der Autor Ernst Klee wirft Konwitschny gar nichts vor. Er registriert in seinem "Kulturlexikon zum Dritten Reich" lediglich, was er in Akten, Jahrbüchern, Programmen und anderen öffentlich zugänglichen Dokumenten über Kulturschaffende während der Nazizeit gefunden hat. "Wer war was vor und nach 1945?" lautet seine Frage und auch der Untertitel seines Kulturlexikons, das jetzt im S. Fischer-Verlag erschienen ist.
Vorher und nachher. Zum Beispiel Lothar Baumgarten. 1912 in Frankfurt geboren. Hat seine Theaterkarriere als Bühnenbildner bei den hiesigen Städtischen Bühnen begonnen. Von 1935 bis 1945 war er Leiter der Dekorationswerkstatt am Schauspielhaus Breslau. Der Autor Klee hat eine merkwürdige Ankündigung entdeckt. "Am Montag, den 15. März 1943, 20 Uhr, findet das 2. Gastspiel des Schauspielhauses Breslau statt. Zur Aufführung gelangt das Lustspiel ,Die drei Eisbären' . . . Bühnenbild: Nach Ideen Lothar Baumgartens hergestellt in den Werkstätten der Waffen-SS Auschwitz." Bei dem Gastspiel handelte es sich um eine Veranstaltung der Truppenbetreuung, den Text hat die Kommandantur von Auschwitz als Rundschreiben herausgegeben. Nachher, nach dem Krieg, war Baumgarten Gast am Fritz-Rémond-Theater, von 1985 an dessen Leiter. Wie viel er von Auschwitz wusste, kann niemand mehr sagen.
Bernhard Hahnefeld war ein Verleger. Ein furchtbarer Verleger, muss man sagen, denn er veröffentlichte Karl Blessingers Werk "Lexikon der Juden in der Musik". Wer hier aufgeführt wurde, dessen Todesurteil war faktisch geschrieben. Doch ein Gutes hat selbst dieses fürchterliche Lexikon. Es bewahrte die Namen von ermordeten jüdischen Musikern, von denen man sonst nichts wüsste: Rosalie Dürkheim etwa, Klavierlehrerin in Frankfurt. Gestorben 1942 in Treblinka. Nicht zu vergessen Magda Spiegel, Frankfurts Opernstar, eine der größten Sängerinnen des deutschsprachigen Raums, wie der Musikkenner Theodor Adorno schrieb. "Spiegel ist am 28. 9. 1942 nach Theresienstadt verbracht worden. Die Ruhegeldzahlung ist am 1. 9. 1942 eingestellt worden", vermeldet ihre Personalakte an den Bühnen.
4000 Namen enthält Klees Buch. Namen von Tätern, Vordenkern, Mitläufern, Widerständlern, Opfern. Die damalige kulturelle Elite Deutschlands. Einige zählten dann zur nachmaligen. Henri Nannen etwa, der Gründer des "Stern". Im Munzinger-Archiv heißt es über ihn, er sei 1937 wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt in ein Verfahren verwickelt gewesen, von der Universität relegiert und mit einem journalistischen Arbeitsverbot belegt worden. Das Arbeitsverbot sei allerdings dank der Fürsprache des Münchener Kunstverlegers Hugo Bruckmann wiederaufgehoben worden. Vielleicht war Nannen ein innerer Gegner des Naziregimes. So, wie Hans Filbinger nach der Überzeugung von Ministerpräsident Günther Oettinger ein Nazi-Gegner war. Freilich nicht ein Gegner, der seine Gegnerschaft in Taten ausdrückte.
Auch bei Nannen kann der Widerstand wohl nur in Gedanken stattgefunden haben. Worauf seine schriftlichen Hinterlassenschaften allerdings wenig hinweisen. 1939 schrieb Nannen unter anderem: "Die Erneuerung des deutschen Menschen aber ist das Werk des Führers, er hat ihm den neuen und doch ewigen alten Glauben an sich selbst und an das Schicksal seines Volkes zurückgegeben." Klee bewertet den Fall nicht, sagt nicht, ob Nannen ein Widerständler, ein Opfer, ein Mitläufer oder ein Opportunist war. Er breitet, wie bei allen anderen, nur seine Belege aus.
HANS RIEBSAMEN
Ernst Klee: "Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945". S. Fischer-Verlag, Frankfurt. 29,90 Euro
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
"Erschreckend" für Rezensent Rudolf Walter ist die Kontinuität, mit der Biografien von NS-Mitläufern nach dem Krieg einfach so weiter liefen, beispielsweise in einer Studienkommission zur Erwachsenenbildung in Schleswig-Holstein. Und einer von Hitlers handverlesenen Lieblingsschriftstellerinnen sei noch 1979 eine Sonderbriefmarke gewidmet worden. Dass Ernst Klee hier mit "scharfen Charakterisierungen" nicht hinter dem Berg halte, wertet der Rezensent als "Verdienst" seiner auf jahrzehntelangen Recherchen beruhenden Arbeit. Bei den 4000 ausgewählten Namen des Kulturlexikons komme es naturgemäß zu Überlappungen mit dem vor vier Jahren erschienen "Personenlexikon zum Dritten Reich". Wenig "überzeugend" aus Sicht des Rezensenten sei hingegen, wenn Personen und Gruppen angeführt würden, die entweder nichts mit Kultur zu tun oder aber lange vor der Nazizeit gelebt hätten. Ernst Klees Aufnahme in das Verzeichnis bleibe hier eine Begründung schuldig. Solche Einwände schmälerten aber gleichwohl nicht die grundsätzliche Bedeutung des Werkes und auch nicht seinen praktischen Wert als Nachschlagwerk. Der Autor untertreibe keineswegs, wenn er selbst von einem "lexikalischen Mahnmal" spreche.
© Perlentaucher Medien GmbH
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