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Neben Produktion und Verbreitung ist die Rezeption das dritte große Forschungsgebiet der Kunstgeschichte. In der Regel erfolgt dabei eine Fokussierung auf die individuelle Rezeption. Das Kunstpublikum. Eine kurze Geschichte untersucht dagegen erstmals die Bedeutung eines notwendigen, aber meist übersehenen Akteurs im Kunstbetrieb. Bildliche und schriftliche Zeugnisse aus allen Zeiten dokumentieren das Verhalten des Publikums und die unterschiedlichen Beurteilungen durch Künstlerinnen und Künstler, Sammlerinnen und Sammler sowie Kritikerinnen und Kritiker.
Bätschmann zeigt auf, dass die
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Produktbeschreibung
Neben Produktion und Verbreitung ist die Rezeption das dritte große Forschungsgebiet der Kunstgeschichte. In der Regel erfolgt dabei eine Fokussierung auf die individuelle Rezeption. Das Kunstpublikum. Eine kurze Geschichte untersucht dagegen erstmals die Bedeutung eines notwendigen, aber meist übersehenen Akteurs im Kunstbetrieb. Bildliche und schriftliche Zeugnisse aus allen Zeiten dokumentieren das Verhalten des Publikums und die unterschiedlichen Beurteilungen durch Künstlerinnen und Künstler, Sammlerinnen und Sammler sowie Kritikerinnen und Kritiker.

Bätschmann zeigt auf, dass die Sachverständigen im Kunstsystem stets zwischen zwei Extremen schwanken: Sie stehen dem Publikum entweder skeptisch gegenüber und verachten dessen Geschmack oder sie schmeicheln der Masse und wollen ihren Applaus.

OSKAR BÄTSCHMANN (_1943) gehört zu den wichtigsten Kunsthistorikern unserer Zeit. Er lehrte in Zürich, Freiburg i.Br., Gießen und Bern und hatte längere Forschungsaufenthalte am Getty Center, Santa Monica, an der Bibliotheca Hertziana, Rom, sowie am Center for Advanced Study in the Visual Arts an der National Gallery of Art, Washington, D.C. Bätschmanns Bücher, darunter Einführung in die kunstgeschichtliche Hermeneutik und Ausstellungskünstler, gelten als Klassiker des Fachs.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.01.2024

Unterhaltungen im Bildersaal

Vom kleinen Kennerkreis zu den an die Hand

genommenen Besuchern heutiger Museen: Oskar Bätschmann schreibt eine kurze Geschichte des Kunstpublikums.

Ohne Publikum wäre die Kunst ein einsames Geschäft: Die Werke wollen ausgestellt, betrachtet und besprochen werden. Was weiß man aber Genaueres über das Kunstpublikum, diese schwer zu erfassende Größe? Einzelne Museumsbesucher haben ein klar erkennbares Profil hinterlassen - Paul Valéry beispielsweise, der in seinem Essay "Das Problem der Museen" die "autoritäre Geste" beklagt, mit der man ihm am Eingang den Gehstock aus der Hand nimmt und ihm dann auch noch das Rauchen in den Bildersälen untersagt. Aber auch gemessen an den gut dokumentierten Biographien der Künstler und ihrer Auftraggeber bleibt das allgemeine Publikum vergleichsweise konturlos.

In der Regel gilt es "als passiver und stummer Empfänger, dem nach Belieben eine Meinung zugeteilt werden kann", so Oskar Bätschmann in seiner Studie "Das Kunstpublikum. Eine kurze Geschichte". In der kunsthistorischen Forschung war es vor allem die Rezeptionsästhetik, die den Adressaten der Kunst eine entscheidende Rolle zugestanden hat. Dieser stark an der Literaturwissenschaft orientierte Ansatz verfährt jedoch, wie ihr prominentester Vertreter Wolfgang Kemp formuliert, "werkorientiert": Gefragt wird nach dem idealen Betrachter, den ein Werk als sein Gegenüber entwirft, weniger nach dem tatsächlichen Publikum, seinem Verhalten und seiner sozialen Struktur.

Ganz trennen lässt sich dieser ästhetische Ansatz vom Anliegen Bätschmanns freilich nicht, wie seine Betrachtung von Giuseppe Pellizza da Volpedos Gemälde "Der vierte Stand" (1901) zeigt. Eine Phalanx von Arbeitern marschiert hier direkt auf die Bildbetrachter zu - zum einen die Zeitgenossen des Malers, einhundert Jahre später aber auch Joseph Beuys, der Volpedos Gemälde zum Vorbild seiner Selbstinszenierung als Revolutionär nahm ("Die Revolution sind wir"). Außer Acht hingegen bleiben bei Bätschmann zu Recht die Messverfahren der empirischen Rezeptionsforschung - in der Regel eine verunglückte Mimikry der Naturwissenschaften, die Museumsbesucher als Laborratten adressiert oder nach dem Muster der Kundenüberwachung im Supermarkt die Verweildauer vor den Werken kontrolliert.

Bätschmann hingegen interessiert das Publikum nicht als vermessbarer Körper, sondern in seinen sich wandelnden Bedeutungen und Funktionen. Seine Darstellung beginnt in der Frühen Neuzeit, einer Epoche, der die moderne Vorstellung einer allgemeinen Kunstöffentlichkeit noch fremd war. Wenn Leon Battista Alberti in seiner Autobiographie vom "Publikum" spricht, versteht es sich für ihn von selbst, dass damit nur die überschaubare Klasse der "ehrenwerten Männer" gemeint sein kann. Im achtzehnten Jahrhundert malt der Brite Johann Joseph Zoffany im Auftrag der Königin eine fiktive Zusammenkunft von Adligen, die auf ihrer Grand Tour in den Florentiner Uffizien zusammenkommen. Im Umkreis der Werke steigert man die eigene Bedeutung, und die Gentlemen, so Bätschmann, sind auch "blasiert genug, ihre Anwesenheit für eine Nobilitierung der Kunstwerke zu halten".

Das Ideal exklusiver Kennerschaft hat sich bekanntlich nicht halten lassen. Spätestens die Autoren der Aufklärung kritisierten die Privatisierung der Werke in den fürstlichen Sammlungen: als idealer Adressat der Kunst galt fortan die gesamte Menschheit. Im neunzehnten Jahrhundert hält das Publikum dann auch zunehmend Einzug in die Bildwelten selbst. Die Künstler machen sich Gedanken darüber, mit wem sie es zu tun haben, zeigen ihr Publikum im guten Fall als empfindsames Gegenüber, im schlechten als feixende Masse, die von Kunst keine Ahnung, aber eine vernichtende Meinung dazu hat - wie jener grinsende Herr mit Zylinder auf einer Lithographie Honoré Daumiers, dessen Selbstgefälligkeit der missachtete Künstler nur zu entgegnen weiß: "Idiot von Bürger, hau ab."

Erhellend ist hier Bätschmanns Verweis auf das besondere Interesse des neunzehnten Jahrhunderts am Phänomen der Masse. In den Dreißigerjahren hatte der belgische Sozialstatistiker Adolphe Quetelet das Konstrukt des Durchschnittsmenschen begründet, und am Ende des Jahrhunderts legte Gustave Le Bon seiner "Psychologie der Masse" den Gedanken zugrunde, dass die Menge eine den einzelnen Menschen übersteigende "Kollektivseele" ausbilde.

Mit starken Thesen hält der Autor sich zurück, und mitunter mäandert der Text ein wenig unentschieden zwischen diversen Motiven und Exkursen hin und her. Zur Ausarbeitung des Themas werde es einer "Verdichtung in materieller und methodologischer Hinsicht bedürfen", bemerkt der Autor selbst. Die Stärke dieser kurzen Geschichte des Kunstpublikums liegt jedoch in der Anschaulichkeit ihrer Fallstudien und der Vielfalt des Bildmaterials, beides Ergebnis des beeindruckenden historischen Wissens des Autors.

Mit Bätschmanns bis in die Moderne reichender Geschichte des Kunstpublikums ist aber auch die Grundlage für eine Betrachtung bis in unsere Tage gelegt. Hier wären neue und andere Vorstellungsbilder zu benennen, beispielsweise der pädagogische Impuls, die Museumsbesucher "abzuholen" - als handele es sich um eine bedürftige Schar orientierungsloser Passanten an einer Bushaltestelle. Am Beispiel des New Yorker Museum of Modern Art skizziert Bätschmann selbst einige der neuen Zugangsbedingungen. Dazu zählt eine äußerst differenzierte Hierarchie vom gewöhnlichen Museumsbesucher, für den die üblichen Öffnungszeiten gelten, über die einfache Mitgliedschaft mit Rabatt im Museumsshop bis hin zur finanzkräftigen Elite, der man persönliche Treffen mit dem Direktor anbietet und die Möglichkeit, den üppigen Jahresbeitrag von der Steuer abzusetzen. Die Geschichte des Kunstpublikums, so zeigt dieses lesenswerte Buch, war vieles und jedenfalls keine Geschichte fortschreitender Demokratisierung. PETER GEIMER

Oskar Bätschmann: "Das Kunstpublikum". Eine kurze Geschichte.

Hatje Cantz Verlag, Berlin 2023. 200 S., Abb., br., 24,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Empfehlenswert mit ein paar Einschränkungen findet Rezensent Peter Geimer Oskar Bätschmanns Buch über das Publikum der Kunst, das in der frühen Neuzeit ansetzt und den beständigen und keineswegs zielgerichteten Wandel des Publikumsbegriffs zum Thema hat. Die kunsthistorische Rezeptionsästhetik geht, führt Geimer aus, zumeist vom Werk aus und eben nicht vom Publikum selbst, und in mancher Hinsicht trifft das auch auf Bätschmanns Ansatz zu, etwa wenn er ein Gemälde Pellizza da Volpedos zum Ausgangspunkt seiner Betrachtungen nimmt. Stark ist das besprochene Buch hingegen, findet Geimer, in der Materialfülle, auch was die beigefügten Bilder betrifft, sowie in den Fallstudien. Auch, dass die statistische Publikumserfassung außen vor bleibt, gefällt dem Rezensenten, der sich außerdem über Anmerkungen zur Genese des Begriffs der Masse freut. Etwas mehr Stringenz hätte dem Buch freilich gut getan, so Geimer.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Die Geschichte des Kunstpublikums, so zeigt dieses lesenswerte Buch, war vieles und jedenfalls keine Geschichte fortschreitender Demokratisierung. « FAZ, 03.01.2024