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1823. Von einem Tag auf den anderen verliert der Korsar Roberto Cofresi seine Arbeit: Aus politischen Rücksichten werden alle Kaperbriefe für ungültig erklärt. Roberto Cofresi macht weiter - auf eigene Faust und eigene Rechnung. Das bringt seiner Familie den Wohlstand, ihm das Interesse schöner Frauen und die Feindschaft dreier Nationen. Ein einfühlsam erzählter Roman, der eine geschichtliche Umbruchphase schildert, in der sich das Leben der Menschen grundlegend veränderte.

Produktbeschreibung
1823. Von einem Tag auf den anderen verliert der Korsar Roberto Cofresi seine Arbeit: Aus politischen Rücksichten werden alle Kaperbriefe für ungültig erklärt. Roberto Cofresi macht weiter - auf eigene Faust und eigene Rechnung. Das bringt seiner Familie den Wohlstand, ihm das Interesse schöner Frauen und die Feindschaft dreier Nationen. Ein einfühlsam erzählter Roman, der eine geschichtliche Umbruchphase schildert, in der sich das Leben der Menschen grundlegend veränderte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.07.1999

Strandung auf der Schatzinsel
Hoheit über seichtes Gewässer: Angelika Mechtels Piraterie

Alle, die mit auf Kaperfahrt fahren, müssen Männer mit Bärten sein. Das war auch auf Puerto Rico im frühen neunzehnten Jahrhundert so, nur hießen die Seeräuber dort natürlich nicht, wie es das Lied will, Jan und Hein und Klas und Pit, sondern Antonio und Carlos, Pablo und Vincente. Der berühmteste hieß Roberto Cofresí, entstammte einem Habsburger Adelsgeschlecht und wurde in der Blüte seiner Jahre hingerichtet, nachdem er als tollkühner Schrecken der Meere seiner Familie zu beträchtlichem Wohlstand verholfen hatte.

Daß Don Roberto, wie man ihn ehrerbietig nannte, mit den gekaperten Ladungen europäischer und amerikanischer Handelsschiffe die Geschäfte auf der Karibik-Insel belebte und überdies ein friedfertiger Freibeuter war, der das Töten ablehnte, gab ihm das Zeug zum Volkshelden und zur Legendengestalt. Vor einigen Jahren errichtete man ihm sogar ein Denkmal an der Bucht von Boquerón, wo Angelika Mechtel lebt, wenn sie nicht in Köln wohnt. So fand die Autorin, die sich mit ihrem 1994 erschienenen Werk über Friederike Caroline Neuber das Genre des historisch-biographischen Romans erobert hatte, die nächste Herausforderung direkt vor der Zweithaustür: Auf die "Prinzipalin" folgte, warum auch nicht, der Pirat.

Im Fall des furchtlosen Don Roberto war freilich die Materiallage ungleich dürftiger als bei der Neuberin. Zwar verstauben in puertoricanischen und amerikanischen Archiven amtliche Dokumente und Zeitungsartikel, die sich auf die Verhaftung und Exekution des maritimen Banditen Cofresí beziehen. Aber weder er noch seine Verwandten haben Aufzeichnungen privaterer Natur hinterlassen, wie Angelika Mechtel bedauernd anmerkt. Allerdings scheint der Seeräuberalltag so aufreibend gewesen zu sein, daß besinnliche Tätigkeiten wie die Verfertigung von Tagebüchern oder die Pflege einer Korrespondenz schlecht dazu gepaßt hätten. Was die Akten offenließen, also eine Menge, hat die Wahlpuertoricanerin Mechtel mit landesverliebter Einfühlung und deutscher Gründlichkeit ergänzt: Kurz und heldenhaft war das Leben des Don Roberto, lang ist der Roman und heroisch der Fleiß, der ihn hervorgebracht hat.

Von den "piratenspezifischen" (Mechtel) Recherchen der Verfasserin können wir allemal profitieren. Wer weiß schon, daß Anno 1823 ganze Korsarenscharen in der Karibik von der Arbeitslosigkeit bedroht und zum sozialen Abstieg verdammt waren? Hatten sie bis dahin im Auftrag der spanischen Krone ihre Raubzüge als hochangesehenes Handwerk betrieben, das die Kolonien preisgünstig mit Handelswaren versorgte und dem Mutterland die Gewässerhoheit sicherte, wurden sie nun von einem Tag auf den anderen zu gemeinen Kriminellen degradiert, weil der Hof in Madrid aus politischen Rücksichten die sogenannten Kaperbriefe für ungültig erklärte.

Roberto Cofresí, jüngster und hitzköpfigster Sohn des aus Triest eingewanderten Grafen Franz von Kupferschein, hat eine schwangere Frau aus holländischem Geblüt, eine Tochter und eine reizende Schwägerin zu versorgen und will die neuen Verhältnisse nicht hinnehmen. Mit ein paar Kumpanen klaut er den heruntergekommenen Schoner "Miralinda" aus dem Hafen von Patillas, versteckt sich auf Puerto Ricos kleiner Schwesterinsel La Mona und kapert fortan auf eigene Rechnung. Die geht zunächst auf, weil seine Brüder gute Beziehungen zu den Hafenbehörden unterhalten, die Kaufleute an seiner Beute interessiert sind und korrupte Beamte ihn protegieren. Aber der Wind hat sich gedreht. Unter dem Druck der Vereinigten Staaten und anderer geschädigter Nationen sieht sich die Kolonialregierung gezwungen, hart durchzugreifen. Don Roberto und seine Getreuen werden nach längerer Verfolgungsjagd dingfest gemacht und am 29. März 1825 öffentlich erschossen.

Angelika Mechtel, um die Schilderung der piratischen Umtriebe wie der politischen Umbrüche mit großem Ernst bemüht, hat die Tragik des Freibeuters erkannt: Er war ein lebender Anachronismus, ein vorindustrielles Fossil, das dem Zeitgeist die Gefolgschaft verweigerte. "Darüber, daß das neue Jahrhundert bereits ein schillerndes Versprechen auf die Zukunft abgab, machte er sich keine Gedanken. Er wußte nicht, daß die Dampfmaschine erfunden war, daß es in einigen Jahrzehnten ein erstes Elektrizitätswerk in New York geben würde. Der Lauf der Zeit bekam eine andere Geschwindigkeit. Das hatte er noch nicht bemerkt. Es interessierte ihn auch nicht."

Daß das Schicksal dieses karibischen Klaus Störtebeker breitere Leserschichten jenseits von Puerto Rico interessieren könnte, ist eine waghalsige Annahme. Das wußte wohl auch die Autorin, die zur Sicherheit die Andeutung einer Liebesgeschichte in ihr Seestück eingebaut hat. Don Roberto, so spekuliert sie, fühlt sich zeitweilig hin- und hergerissen zwischen seiner stolzen, spröden Gattin Anna und deren sinnlicher, schwärmerisch veranlagter Schwester Juana, die den Schwager zum Helden ihrer romantischen Phantasien macht. Er hat ihr Lord Byrons Korsarenballade vorgelesen, als sie noch ein Kind war, und nun träumt sie davon, als Galionsfigur den Bug seines Schiffes zu zieren, während er von ihrem trotzigen Schmollmund und ihren Zuckerwasserlocken um den Schlaf gebracht wird. Was empfängliche Gemüter über eine gewisse Strecke bei der Stange hält, endet indes enttäuschend mit einem Vergewaltigungsversuch, bei dem die Seeräuberbraut in spe angewidert feststellt, daß ihr Kaper-Kapitän "nach Rum und saurem Magen" stinkt.

Ahnungslose Juana! Es muß als Zeichen von Dekadenz gedeutet werden, daß Robertos Mannschaft in ihrem Schlupfwinkel die "Kurzweil der Körperpflege" entdeckt. Piraten, die sich die Zähne putzen und sich in Erwartung von Freudenmädchen die Wangen "glatt wie einen Kinderpopo" rasieren lassen, sind zum Untergang verurteilt. Männer mit Bärten und strengem Geruch verlangte das Gewerbe, das zu den ältesten der Welt gehörte und doch nicht überlebensfähig war. Angelika Mechtel erzählt, wie die Ära der "einäugigen und holzbeinigen Glücksritter mit ihren Schatzkisten und schillernden Geschichten" zu Ende ging. Was ihrem Roman fehlt, ist der Enterhaken, mit dem verwegenere Schriftsteller unsere Aufmerksamkeit an sich ziehen und von unserer Leselust Besitz ergreifen. Aber vermutlich gibt es keine bessere Reiselektüre für einen Urlaub auf Puerto Rico.

KRISTINA MAIDT-ZINKE

Angelika Mechtel: "Das kurze heldenhafte Leben des Don Roberto". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999. 431 S., geb., 42,- DM.

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