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Produktdetails
  • Verlag: Verlag Antje Kunstmann
  • Originaltitel: Stuart
  • Artikelnr. des Verlages: 97427
  • Seitenzahl: 318
  • Deutsch
  • Abmessung: 215mm x 145mm x 215mm
  • Gewicht: 508g
  • ISBN-13: 9783888974274
  • ISBN-10: 3888974275
  • Artikelnr.: 20770987
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Alexander Masters wurde in New York geboren und lebt in Cambridge. Er studierte Physik und Mathematik und arbeitete eine Zeit lang in der Obdachlosenhilfe. Sein Debüt "Das kurze Leben des Stuart Shorter" wurde mit dem "Guardian First Book Award" ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.04.2006

Sandwiches aus der Hölle
Alexander Masters hat die klischeefreie und witzige Biographie eines Penners geschrieben

Stuart fand die erste Fassung seiner Biographie stinklangweilig. Er wollte lieber etwas "im Stil von Tom Clancy".

Kaum ein Genre ist trotz öffentlichen Zuspruchs so verödet wie die Biographie. Die ewig gleichen Schwarzweißbilder vom Haus der Großeltern, die verwickelten Familienverhältnisse mütterlicherseits, unscharfe Fotos von schielenden Vorfahren, die frühen Jahre, die Irrwege, die Beinahe-Katastrophen, die Weggefährten - jedes aufgeschriebene Leben gleicht dem anderen, und noch die spannendste Figur verlangt vom Leser die unendliche Langmut, die stets erwartbaren und nie überraschenden Dreh- und Angelpunkte des Lebenslaufs wie große Offenbarungen wegzulesen. Vorgetäuschtes Interesse und simulierte Erkenntnis, das sind Disziplinen, in denen Leser von Biographien geschult sind.

Kann auch am Gegenstand liegen: Es werden ja nur die Lebensgeschichten von entweder besonders wertvollen oder besonders diabolischen Menschen aufgeschrieben, nie soll das Vorurteil der Leser allzusehr erschüttert werden oder wenn, dann in nur allzu berechenbaren Richtungen: Der Reiche war früher arm, der Böse wäre beinahe ein Guter geworden, der Fromme war mal ein Sünder, aber für alles gibt es gute Gründe, keine Sorge und gute Nacht.

Alexander Masters hat mit "Das kurze Leben des Stuart Shorter" alles anders gemacht. Er hat die Biographie eines Penners geschrieben. Nicht die eines Clochards mit goldenem Herzen, sondern eines gewalttätigen, drogenabhängigen, unberechenbaren Chaoten. Und er schreibt darüber, wie es ist, so ein Leben aufzuschreiben, das sich gegen die Konventionen des Genres sperrt, und wie die Sandwiches aus der Hölle schmecken, die Stuart ihm bei Arbeitstreffen zubereitet: Speck-Sandwiches, deren obere Brotscheibe die Form von Stuarts Hand angenommen hat und aus denen seitlich Ketchup und Margarine fließen.

In der ersten Szene des Buches steht Stuart im Arbeitszimmer des Autors, in der Hand eine gestreifte Tesco-Plastiktüte, in der die erste Fassung des Manuskripts steckt, das Resultat zweijähriger Arbeit: "Alexander", verkündet Stuart sein Verdikt, "es ist stinklangweilig." Stuart wünschte sich einen Bestseller, eine Geschichte "so im Stil von Tom Clancy", mit Verfolgungsjagden, Geheimagenten und allem Drum und Dran. Und dann gab er dem Autor einen in der Tat genialen Tip: "Erzähl es rückwärts!"

So lernen wir Stuart Shorter gleich als chaotischen, aggressiven, messerbegeisterten Intensivtäter kennen und gehen Jahr um Jahr zurück in ein Leben, das man sich besser als Zeichentrickfilm vorstellen kann: Dauernd saust ein Zehn-Tonnen-Gewicht herunter, öffnet sich eine Falltür in unendliche Tiefen oder explodiert ein fetter Knaller unterm Sessel.

Nichts liegt diesem Buch ferner als sozialromantische Betrachtungen über das gute Herz der armen Seelen. Im Umgang mit Chaos-Pennern wie Stuart rät der Autor eigentlich nur eines: das Weite zu suchen, wenn sie auftauchen.

Alexander Masters ist aus sehr eindeutigen Motiven in die Obdachlosenfürsorgeszene geraten: Er wollte das Geld. Der Amerikaner studierte in Cambridge Mathematik und fand einen Job als Pressemitteilungsschreiber bei Wintercomfort, einer karitativen Tee- und Suppenküche für die Obdachlosen der beschaulichen Universitätsstadt. Er freute sich über den schönen Stundenlohn von neun Pfund und darüber, daß er, wenn er morgens früh ankam, von der Klientel der Einrichtung nichts mitbekam. Das änderte sich erst, als eines Tages die Staatsmacht eingriff und die Leiter von Wintercomfort mitnahm. Ruth Wyne und John Brock wurden festgenommen, weil eine Beobachtungskamera aufgezeichnet hatte, wie auf dem Hof der Einrichtung ein Drogendeal lief. Zwar wurden dort keine Drogen toleriert, wer mit so was erwischt wurde, flog raus, aber die Geschehnisse auf dem Hof waren nicht richtig zu kontrollieren. Die beiden wanderten ins Gefängnis, Mitarbeiter, Freunde und Klienten von Wintercomfort organisierten eine Kampagne, um gegen die ungerechte Verurteilung zu protestieren. Und da trat Stuart in Alexanders Leben. Um der Kampagne mehr Überzeugungskraft zu verleihen, reiste Stuart immer mit zu den Protestmeetings, baute sich mit seinem verbeulten Schädel, der langen Narbe am Hals und den "Fuck"-Tattoos auf den Händen vor dem wohlmeinenden, linksliberalen Publikum auf und erklärte, John und Ruth hätten einen Orden dafür verdient, sich tagtäglich mit Typen wie ihm abgeben zu müssen, und das gab jedes Mal standing ovations.

Bei aller Lakonik und offenen Distanz zum Phänomen des kriminellen, drogensüchtigen Stuart Shorter bemüht sich Masters in beeindruckender Weise, dessen Begrifflichkeiten und Weltsicht nachzuvollziehen, und schwankt darin zwischen Staunen, Abscheu und Bewunderung. Stets betont er dabei, wie komplex und unvorhersehbar Stuarts Leben verläuft: Montags kann er noch nicht wissen, ob er donnerstags nicht im Heim, im Knast oder sonstwo endet. Es ist ein Alltag, der zwischen Klebstoff und Heroin, zwischen Selbst- und Fremdzerstörung pendelt, und wenn es einmal abwärtsgeht, dann richtig. Oft sind übrigens ein regelmäßiges Einkommen und eine Wohnung der Ausgangspunkt für die nächstgrößere Katastrophe, weil dann die Erinnerungen hochkommen, oder, wie Stuart es ausdrückt: "Manchmal wird es so schlimm, daß einem nichts Besseres einfällt, als noch einen draufzusetzen."

Stuarts Bruder Gavvy hat sich irgendwann umgebracht, also will Stuart, der auch permanent danach trachtet, aus dem Leben zu gehen, seinen Tod als Mord kaschieren, damit seine Mutter, die tapfere, immer loyale Judith, nicht mit zwei Selbstmorden fertig werden muß. Erst später erfährt der Leser, daß Gavvy sowohl Stuart als auch ihre gemeinsame Schwester und alle möglichen anderen Kinder mißbraucht hat. Stuart hat einen feinen Riecher für Pädophile und ein Grundmißtrauen gegenüber dem "System", den Fürsorgeeinrichtungen, die ihn als Kind, der vor seinem höllischen Elternhaus floh, in Heime steckten und dort anderen Pädophilen zuführten. Das Buch nutzt den chronologischen Rückwärtsgang sehr geschickt, um Überraschungsmomente einzuführen, in denen sich scheinbar paranoide Vorstellungen Stuarts schlicht als wahr erweisen oder vermeintlich treusorgende Erzieher als die eigentlichen Peiniger.

"Das kurze Leben des Stuart Shorter" ist keine Anklage gegen die britische Gesellschaft, New Labour, die Klassengesellschaft oder sonstwas. Wenn überhaupt, dann hatte einer wie Stuart zeitlebens eher zuviel Geld als zuwenig und bekam jedes Mal, wenn er sich dazu aufraffte, danach zu fragen, mehr Hilfe, als er vertragen konnte. Noch bevor die letzte Fassung des Buchs erstellt war, lief Stuart Shorter vor den 23-Uhr-15-Zug nach London. "Das kurze Leben des Stuart Shorter" gewann dann den begehrten "Guardian First Book Award", und man fragt sich, wie Alexander Masters ohne den dreifachen Stuart als Objekt, Lektor und Quälgeist ein zweites Buch schreiben will.

NILS MINKMAR

Alexander Masters: "Das kurze Leben des Stuart Shorter". Aus dem Englischen von Malte Krutzsch, Kunstmann-Verlag. 320 Seiten, 19,90 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Ein merkwürdiges Buch sei das, findet Sebastian Domsch: In England erschien "Das kurze Leben des Obdachlosen Stuart Shorter" als Biografie , in Deutschland nun trägt es den Untertitel Roman auf den Deckeln - mit einem paradoxen Effekt: "Als Romanfigur ist Stuart unglaubwürdig, als unwahrscheinliches Subjekt einer Biografie ist er unglaublich." Denn Stuart nervt, wo er nur kann: Den Rezensenten sowieso, aber auch den Autor Alexander Masters, der nicht ohne sozialpädagogische Absichten die Geschichte des schwierigen Freundes und Obdachlosen Stuart rückwärts berichtend bis in die Kindheit ergründen will. Und dabei immer wieder an dessen wiederborstigen Dummheiten zu scheitern droht. Genau dies rettet das Buch allerdings vor der "Betroffenheitsfalle", findet Domsch. In seinen besten Momenten entstehe so das ruppiges Porträt eines Außernseiters, der den Leser "durch seine noch im Verlierertum charismatische Art gefangen nimmt und für kurze Zeit verzaubern" kann.

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