Mit Germain Chaze, Mitte vierzig, von der Statur her ein grober, ungeschlachter Klotz von Mann, ist das Leben bisher nicht gerade wohlmeinend umgegangen. In die Welt geworfen von einer alleinerziehenden, weil sitzengelassenen Mutter, der er immer nur lästig war, von den Lehrern als Schwachkopf
abgestempelt, fristet er sein Dasein in einem Wohnwagen auf einem Stück Brachland in unmittelbarer Nähe…mehrMit Germain Chaze, Mitte vierzig, von der Statur her ein grober, ungeschlachter Klotz von Mann, ist das Leben bisher nicht gerade wohlmeinend umgegangen. In die Welt geworfen von einer alleinerziehenden, weil sitzengelassenen Mutter, der er immer nur lästig war, von den Lehrern als Schwachkopf abgestempelt, fristet er sein Dasein in einem Wohnwagen auf einem Stück Brachland in unmittelbarer Nähe seiner Mutter, auf dem er etwas Gemüse züchtet, hält sich mit Gelegenheitsarbeiten, die sonst keiner übernimmt, weil sie entweder zu schwer oder zu dreckig und eklig sind, über Wasser und schnitzt hin und wieder kleine Holzfiguren.
Einmal in der Woche gibt er sich - wie Germain es selbst ausdrückt, denn der ganze Roman ist aus seiner Sicht geschrieben - die Kante in der Kneipe, vögelt Annette ab und an und ist es gewohnt, von den anderen als der gutmütige, aber hoffnungslos ungebildete Bär beschmunzelt zu werden.
Nur, wenn es doch mal unerträglich für ihn wird und er Seelenfrieden benötigt, geht er in den Park. Dort zählt er die umherwuselnden Tauben und gibt ihnen sogar individuelle Namen, beobachtet ihr Verhalten und findet kurzfristig wieder Ruhe.
Da trifft er eines Tages an seinem Stammplatz eine zierliche, kleine alte Dame vor und sie beginnen, sich über unterschiedliche Bedeutungen und Interpretationen von Sätzen und Wörtern zu unterhalten. Zum ersten Mal überhaupt fühlt sich Germain als der Mensch angenommen, der er ist. Denn sie erkennt das brachliegende Potential, das in ihm schlummert, auf Anhieb.
Dies geschieht ganz allmählich und ohne Druck, bis ihm Margueritte, die ihm aus Büchern vorlas, ein Wörterbuch schenkt.
Als er das Buch ganz für sich selbst widerstrebend ausprobiert, findet er die Bedeutung des Wortes Labyrinth nicht darin, weil er einfach nicht weiß, wie es korrekt buchstabiert wird und auf die freundliche Nachfrage von Margueritte, ob ihm das Wörterbuch denn dabei helfe - wie sie es ihm gerne vermittelt hätte - neue Begriffswelten zu erschließen, bricht sein ganzer Frust aus ihm heraus. Er erzählt ihr sein bisheriges Leben und es wird klar, wie sehr er darunter gelitten hatte, von - aus seiner Perspektive gesehen - gebildeteren Menschen verachtet zu werden.
Sanft und unauffällig hilft ihm Margueritte immer weiter, sich selbst in der Welt der Wörter zurecht zu finden und Germain verändert seine ganze Einstellung und sein Selbstbewußtsein steigt. Er schreibt schon lange nicht mehr seinen Namen auf die Stele der Gefallenen, beeindruckt seine Zechkameraden durch sich ständig steigerndes Wissen und sogar seine Beziehung zu Annette wandelt sich zu einer echten Liebe.
Da eröffnet ihm Margueritte, dass sie an einer unheilbaren Augenkrankheit leidet, die die Erblindung zur Folge haben wird und sie ihm in absehbarer Zeit leider keine Bücher mehr vorlesen werden kann. Auch sonst wird die über sechzigjährige zierliche Dame sichtbar immer hinfälliger und unsicherer im Straßenverkehr.
Germain sieht sich gezwungen, seinen eigenen Stolz und seine bislang verständliche Zurückhaltung und Angst, abgewiesen und abgelehnt zu werden, aufzugeben und zu handeln.
Natürlich werde ich nicht verraten, wie es weiter geht, um den Lesern die eigene Entdeckerfreude nicht zu nehmen.
Aber mich hat an diesem Buch am meisten beeindruckt, mit welcher Achtung, Respekt und Würde man sich doch begegnen kann, wenn man nur will und wie man, ohne es direkt zu schreiben, doch beschreiben kann, dass Charakter und innere Stärke auf keinen Fall von Körpergröße, Bildung und Äusserlichkeiten abhängt.