Ein großes Gedankenexperiment, in dem Sprüche und ihre Widersprüche, Sätze und ihre Gegensätze sich als die Extreme eines poetischen Möglichkeitssinns zeigen. Zwischen poetischer Emphase und wissenschaftlich genährtem Skeptizismus, zwischen Religion und Säkularität, zwischen Mythos und Ratio entfaltet sich das Labyrinth dieser Gedanken. Karl Valentin und Wittgenstein werden ebenso paraphrasiert und manchmal auch parodiert wie Nietzsche und Novalis, Hegel und Kant.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.04.2005Hier wird nichts weggeworfen
Paradoxgroßhandel: Franz Josef Czernins Sprachexperimente
Dem Ingenieur ist bekanntlich nichts zu schwör. Franz Josef Czernin auch nicht, er ist der Daniel Düsentrieb der experimentellen Lyrik und des Aphorismus, unermüdlich erfindet er Wort- und Begriffsgebilde nach der Devise "Es wird nichts weggeworfen". Ob Sätze von Platon, Kant, Hegel, Lichtenberg oder Foucault, ob von de Sade, Goethe, Novalis, Borges oder auch Karl Valentin: Ein jegliches findet in Czernins neuestem aphoristischen Irrgarten seine Verwendung. In diesem, dem jüngsten, soll in einer an die Sprachmagie der Kabbala gemahnenden Kombinatorik ausprobiert werden, wie weit sich das Behaupten von Denkmöglichkeiten treiben läßt. Der Aphorismus wird dabei zum Medium einer dialektischen Bewegung der Begriffe: "etwas behaupten, damit man es für wahr halten kann, und etwas für wahr halten, damit man es behaupten kann."
Das Buch liest sich passagenweise wie eine entfesselte Fortsetzung der letzten Notate Ludwig Wittgensteins "Über Gewißheit", befreit nämlich von den Beschränkungen des common sense und der Frage nach dem, was der Fall ist: also dem Sosein der Welt: "alles, was gedacht werden kann, ist mindestens zu einem zeitpunkt wahr." Das eröffnet ein Feld unreglementierter Erkenntnis, auf dem virtuell die Trennung von Wort und Sache rückgängig gemacht wird. Das Wort soll zurück zum Fleisch, der Körper erlöst werden in seiner wörtlichen Gestalt. Die Behauptung aber will "selbst die wahrheit werden, die sie verspricht". Die Poesie aber soll womöglich wieder jener reinen Sprache nahekommen, in der sie jenseits des Meinens ist, was sie darstellt.
Czernins Kurzprosa folgt wie seine Lyrik einem vitalistischen Impuls, der das Vorgedachte symbolisch zurückführt zur Präsenz, aber ohne das Rechthaberische und Verschwörerische, das der dissidentischen Aphoristik der Moderne anhaftet. Die bevorzugte rhetorische Form Czernins ist daher das vergnügt abgewandelte Paradox als Infragestellung dessen, was man meint, meinen zu müssen, als Einspruch gegen einen Vermittlungsbetrieb, dessen Ideal die glatt funktionierende Kommunikation ist.
Dieses Labyrinth scheint den Leser auf verschlungenen Pfaden in eine Welt der Freiheit des Geistes führen zu wollen, in der ein poetisches und organisches Denken jegliche Geltungsansprüche dem Nonsens überliefert. Aber das Labyrinth dieser Sätze ist eine zusammengesetzte Metapher und hat daher wie sein mythisches Urbild keinen Ausgang. Auch Czernins Syllogismen sind nach einem Wort Ciorans in der Summe eine "Schule der folgenlosen Anwandlungen", in der nicht ohne absurde Pedanterie am Ausweglosen herumgebastelt wird. So kommt der Leser nach mancher Erheiterung zum Schluß ziemlich müde zum Eingang wieder heraus und ist ungefähr so klug als wie zuvor.
FRIEDMAR APEL
Franz Josef Czernin: "Das Labyrinth erst erfindet den roten Faden". Einführung in die Organik. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2005. 192 S. geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Paradoxgroßhandel: Franz Josef Czernins Sprachexperimente
Dem Ingenieur ist bekanntlich nichts zu schwör. Franz Josef Czernin auch nicht, er ist der Daniel Düsentrieb der experimentellen Lyrik und des Aphorismus, unermüdlich erfindet er Wort- und Begriffsgebilde nach der Devise "Es wird nichts weggeworfen". Ob Sätze von Platon, Kant, Hegel, Lichtenberg oder Foucault, ob von de Sade, Goethe, Novalis, Borges oder auch Karl Valentin: Ein jegliches findet in Czernins neuestem aphoristischen Irrgarten seine Verwendung. In diesem, dem jüngsten, soll in einer an die Sprachmagie der Kabbala gemahnenden Kombinatorik ausprobiert werden, wie weit sich das Behaupten von Denkmöglichkeiten treiben läßt. Der Aphorismus wird dabei zum Medium einer dialektischen Bewegung der Begriffe: "etwas behaupten, damit man es für wahr halten kann, und etwas für wahr halten, damit man es behaupten kann."
Das Buch liest sich passagenweise wie eine entfesselte Fortsetzung der letzten Notate Ludwig Wittgensteins "Über Gewißheit", befreit nämlich von den Beschränkungen des common sense und der Frage nach dem, was der Fall ist: also dem Sosein der Welt: "alles, was gedacht werden kann, ist mindestens zu einem zeitpunkt wahr." Das eröffnet ein Feld unreglementierter Erkenntnis, auf dem virtuell die Trennung von Wort und Sache rückgängig gemacht wird. Das Wort soll zurück zum Fleisch, der Körper erlöst werden in seiner wörtlichen Gestalt. Die Behauptung aber will "selbst die wahrheit werden, die sie verspricht". Die Poesie aber soll womöglich wieder jener reinen Sprache nahekommen, in der sie jenseits des Meinens ist, was sie darstellt.
Czernins Kurzprosa folgt wie seine Lyrik einem vitalistischen Impuls, der das Vorgedachte symbolisch zurückführt zur Präsenz, aber ohne das Rechthaberische und Verschwörerische, das der dissidentischen Aphoristik der Moderne anhaftet. Die bevorzugte rhetorische Form Czernins ist daher das vergnügt abgewandelte Paradox als Infragestellung dessen, was man meint, meinen zu müssen, als Einspruch gegen einen Vermittlungsbetrieb, dessen Ideal die glatt funktionierende Kommunikation ist.
Dieses Labyrinth scheint den Leser auf verschlungenen Pfaden in eine Welt der Freiheit des Geistes führen zu wollen, in der ein poetisches und organisches Denken jegliche Geltungsansprüche dem Nonsens überliefert. Aber das Labyrinth dieser Sätze ist eine zusammengesetzte Metapher und hat daher wie sein mythisches Urbild keinen Ausgang. Auch Czernins Syllogismen sind nach einem Wort Ciorans in der Summe eine "Schule der folgenlosen Anwandlungen", in der nicht ohne absurde Pedanterie am Ausweglosen herumgebastelt wird. So kommt der Leser nach mancher Erheiterung zum Schluß ziemlich müde zum Eingang wieder heraus und ist ungefähr so klug als wie zuvor.
FRIEDMAR APEL
Franz Josef Czernin: "Das Labyrinth erst erfindet den roten Faden". Einführung in die Organik. Carl Hanser Verlag, München und Wien 2005. 192 S. geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Arbeit des Autors Franz Josef Czernin fordert dem Rezensenten Hans Jürgen Balmes vollste Bewunderung ab. Er nennt es ein "bemerkenswertes und wunderbares, ein merkwürdiges" Buch, das gleichzeitig "Fundgrube" und "Arbeitstollen" sei. Dementsprechend lässt er sich in seiner Rezension voll auf die Themen ein, die das Buch bereit hält. Da wären die Ideen von Novalis und Borges, die Czernin gegeneinander antreten lässt. Auch das Verhältnis von Wissenschaft und Poesie interessiert den Autor, und der Rezensent entdeckt in seinem Blickwinkel auf diese Ideen viel Interessantes: Themen wie "das Ich oder das Individuum, der Mensch als Gattung, der Stein als Prinzip der Schwerkraft" werden reflektiert. Trotz alledem kommt der Humor nach Meinung des Rezensenten nicht zu kurz: "Hintersinn darf auch an Slapstick grenzen."
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH