Vom Lachen der Killer wird in zahlreichen Fällen erzählt, auch die deutschen Wehrmachtssoldaten sollen einander in englischer Kriegsgefangenschaft ihre Gräueltaten mit großer Heiterkeit berichtet haben. Hinter dem Lachen verbirgt sich aber auch die andere Seite der Tötungslust: die kalte Rationalität der Rede, wenn die Täter ihre Taten öffentlich begründen. So kommt Anders Breiviks Verteidigung vor Gericht dem Text eines Statistikseminars über Einwandererzahlen in Norwegen nahe. Theweleits Essay entlarvt die Begründungssprache als Deckmantel der Tötungslust, denn, so die provokante Kritik des Autors, begründen lässt sich alles, doch glauben sollte man davon eher nichts.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.2015Kein Boden unter den Füßen
Breivik und andere Killer: Klaus Theweleit über die Tötungslust junger Männer
Der Schock sitzt tief nach den Anschlägen von Paris. Wieder einmal. Und wieder ringt man um Erklärungen. Warum sind junge Menschen zu solchen Taten fähig? Klaus Theweleits Abhandlung über die Täterpsyche, die sich schwerpunktmäßig mit einer Analyse des Denkens und Fühlens des norwegischen Mörders und selbsternannten "Tempelritters" Anders Breivik befasst, scheint das Buch der Stunde zu sein. Es bietet durchaus eine Antwort, doch aufsehenerregend ist sie nicht.
Die Theorie ist exakt dieselbe wie in den gloriosen "Männerphantasien", Theweleits Buch aus den späten Siebzigern, das aus Literatur und Selbstzeugnissen ein Psychogramm des "nicht zu Ende geborenen" "soldatischen Mannes" im Faschismus extrahierte. Was für die Freikorps-Generation galt, so der Autor heute (der damit auch Markenschutz betreibt), gelte schlicht für alle von der eigenen Sexualität überforderten jungen Männer, die aus dem Raster fielen: Sie fühlten sich "des eigenen Lebendigseins nicht sicher", im körperlichen Sinne "fragmentiert" und stellten - im Extremfall - durch Töten die eigene körperliche Ganzheit wieder her.
Die sexuell konnotierte "Mordlust" ist einer der Kernbegriffe des Buches. Theweleit erkennt im oft kolportierten, für die Opfer und deren Angehörige unerträglichen "Lachen der Täter" während des Mordens (Breivik soll regelrecht gejubelt haben) ein Kennzeichen dieser Lust. Es sei die orgiastische "Begleiteruption zur eigenen Selbstgeburt". Zum Täter könne dabei jeder werden. Es brauche nur Vereinsamung, körperliche Verunsicherung und den Anschluss an einen "Ganzheits-Überkörper".
Wie stets bei Theweleit kommt die Theorie nicht nur im Pop-Sound daher, sondern verschmilzt mit zahllosen Beispielen - die diesmal vom ewigen Abschlachten künden. Die Roten Khmer sind dabei strukturell ununterscheidbar von islamistischen Terroristen, Nationalsozialisten, Hutu-Milizen, amerikanischen Soldaten oder indonesischen Kommunistenjägern. Pausenlos wird hier gemordet, gefoltert und verhöhnt, werden Frauen vergewaltigt, Kinder geschlachtet, Mütter gepfählt, und das stets in Form einer Feier, als "Mordsspaß". Es ist der pure Stoff, in seiner Drastik kaum erträglich. Als Materialgrundlage dienen neben Romanen und Filmen vor allem Zeitungsartikel. Ausgiebig kommt auch Breiviks "Manifest" zu Wort.
Über diesen Weg, der selbst einen szientistischen Exkurs in Anlehnung an den Neurowissenschaftler António Damásio nicht scheut, gelangt Theweleit aber doch nur wieder zur Behauptung der Selbstheilung qua Massaker: "Wenn alles ringsum voller Blut ist - aber nicht von unserem eigenen! -, sind wir heil." Mit Spott werden Akademiker überzogen, die vermeintlich anderer Meinung sind. Micha Brumlik trifft es, weil er von der "Befriedigung sadistischer Gelüste" spricht, statt die Normalität der Täter zu betonen.
Dem Sozialpsychologen Harald Welzer und dem Militärhistoriker Sönke Neitzel unterstellt Theweleit wiederum, die "moralische Reinerhaltung unserer ,kämpfenden Truppe'" im Sinn zu haben, wenn sie in den von ihnen herausgegebenen Protokollen abgehörter deutscher Soldatengespräche aus dem Jahre 1943 den "Referenzrahmen", also das Normengefüge im Krieg, als Erklärung für Exzesse heranziehen oder auf das häufige Ausschmücken von Erzählungen hinweisen statt auf die "persönliche Freude am Töten".
Es liegt nahe, auf die Ähnlichkeit all der Erzählungen über das von Hohnlachen und Vergewaltigungen begleitete Töten abzuheben. Aber ließe sich nicht wenigstens fragen, ob in den Darstellungen zusätzlich - Stichwort Ausschmückung - eine gewaltpornographische Dimension mitschwingt, ob es also gewisse "Spiel mir das Lied von Tod"-Muster gibt, die in der Realität vielleicht gar nachgestellt werden?
Dafür spräche, dass der eindrücklichste Beleg dieser Verbindung von Lust und Töten sich als aus der Ferne erdachter Roman erweist. Auch auf ein weiteres Problem stößt uns der Autor selbst. Stolz teilt er mit, es sei vielen Journalisten aufgefallen, dass Breiviks nicht nur antiislamisches, sondern vor allem antiweibliches "Manifest" weitgehend "aus Theweleit herleitbar" sei. Und schließlich kann Theweleit nicht erklären, warum Täter durchaus nicht immer beim Töten lachen. In Paris waren die Mörder laut Augenzeugen ruhig, ernst und entschlossen.
Was man über den IS-Terror lernen kann, geht vor allem aus den zitierten Artikeln hervor. In den wenigen Passagen, die Handlungsvorschläge enthalten, klingt Theweleit dann gar nicht mehr so unvertraut: "Helfen würden nur Beziehungen, Liebschaften, gute, tragfähige Gruppen oder Vereine und natürlich ein guter Arbeitsplatz", all das also, was "Boden unter den Füßen" gibt und eigentlich der Inhalt von Integration sein sollte. Jeden Terrormord und jedes militärische Massaker mit dem Modell Breivik zu erklären greift aber wohl zu kurz.
OLIVER JUNGEN.
Klaus Theweleit: "Das Lachen der Täter". Breivik u.a. Psychogramm der Tötungslust. Residenz Verlag, Salzburg 2015. 246 S., br., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Breivik und andere Killer: Klaus Theweleit über die Tötungslust junger Männer
Der Schock sitzt tief nach den Anschlägen von Paris. Wieder einmal. Und wieder ringt man um Erklärungen. Warum sind junge Menschen zu solchen Taten fähig? Klaus Theweleits Abhandlung über die Täterpsyche, die sich schwerpunktmäßig mit einer Analyse des Denkens und Fühlens des norwegischen Mörders und selbsternannten "Tempelritters" Anders Breivik befasst, scheint das Buch der Stunde zu sein. Es bietet durchaus eine Antwort, doch aufsehenerregend ist sie nicht.
Die Theorie ist exakt dieselbe wie in den gloriosen "Männerphantasien", Theweleits Buch aus den späten Siebzigern, das aus Literatur und Selbstzeugnissen ein Psychogramm des "nicht zu Ende geborenen" "soldatischen Mannes" im Faschismus extrahierte. Was für die Freikorps-Generation galt, so der Autor heute (der damit auch Markenschutz betreibt), gelte schlicht für alle von der eigenen Sexualität überforderten jungen Männer, die aus dem Raster fielen: Sie fühlten sich "des eigenen Lebendigseins nicht sicher", im körperlichen Sinne "fragmentiert" und stellten - im Extremfall - durch Töten die eigene körperliche Ganzheit wieder her.
Die sexuell konnotierte "Mordlust" ist einer der Kernbegriffe des Buches. Theweleit erkennt im oft kolportierten, für die Opfer und deren Angehörige unerträglichen "Lachen der Täter" während des Mordens (Breivik soll regelrecht gejubelt haben) ein Kennzeichen dieser Lust. Es sei die orgiastische "Begleiteruption zur eigenen Selbstgeburt". Zum Täter könne dabei jeder werden. Es brauche nur Vereinsamung, körperliche Verunsicherung und den Anschluss an einen "Ganzheits-Überkörper".
Wie stets bei Theweleit kommt die Theorie nicht nur im Pop-Sound daher, sondern verschmilzt mit zahllosen Beispielen - die diesmal vom ewigen Abschlachten künden. Die Roten Khmer sind dabei strukturell ununterscheidbar von islamistischen Terroristen, Nationalsozialisten, Hutu-Milizen, amerikanischen Soldaten oder indonesischen Kommunistenjägern. Pausenlos wird hier gemordet, gefoltert und verhöhnt, werden Frauen vergewaltigt, Kinder geschlachtet, Mütter gepfählt, und das stets in Form einer Feier, als "Mordsspaß". Es ist der pure Stoff, in seiner Drastik kaum erträglich. Als Materialgrundlage dienen neben Romanen und Filmen vor allem Zeitungsartikel. Ausgiebig kommt auch Breiviks "Manifest" zu Wort.
Über diesen Weg, der selbst einen szientistischen Exkurs in Anlehnung an den Neurowissenschaftler António Damásio nicht scheut, gelangt Theweleit aber doch nur wieder zur Behauptung der Selbstheilung qua Massaker: "Wenn alles ringsum voller Blut ist - aber nicht von unserem eigenen! -, sind wir heil." Mit Spott werden Akademiker überzogen, die vermeintlich anderer Meinung sind. Micha Brumlik trifft es, weil er von der "Befriedigung sadistischer Gelüste" spricht, statt die Normalität der Täter zu betonen.
Dem Sozialpsychologen Harald Welzer und dem Militärhistoriker Sönke Neitzel unterstellt Theweleit wiederum, die "moralische Reinerhaltung unserer ,kämpfenden Truppe'" im Sinn zu haben, wenn sie in den von ihnen herausgegebenen Protokollen abgehörter deutscher Soldatengespräche aus dem Jahre 1943 den "Referenzrahmen", also das Normengefüge im Krieg, als Erklärung für Exzesse heranziehen oder auf das häufige Ausschmücken von Erzählungen hinweisen statt auf die "persönliche Freude am Töten".
Es liegt nahe, auf die Ähnlichkeit all der Erzählungen über das von Hohnlachen und Vergewaltigungen begleitete Töten abzuheben. Aber ließe sich nicht wenigstens fragen, ob in den Darstellungen zusätzlich - Stichwort Ausschmückung - eine gewaltpornographische Dimension mitschwingt, ob es also gewisse "Spiel mir das Lied von Tod"-Muster gibt, die in der Realität vielleicht gar nachgestellt werden?
Dafür spräche, dass der eindrücklichste Beleg dieser Verbindung von Lust und Töten sich als aus der Ferne erdachter Roman erweist. Auch auf ein weiteres Problem stößt uns der Autor selbst. Stolz teilt er mit, es sei vielen Journalisten aufgefallen, dass Breiviks nicht nur antiislamisches, sondern vor allem antiweibliches "Manifest" weitgehend "aus Theweleit herleitbar" sei. Und schließlich kann Theweleit nicht erklären, warum Täter durchaus nicht immer beim Töten lachen. In Paris waren die Mörder laut Augenzeugen ruhig, ernst und entschlossen.
Was man über den IS-Terror lernen kann, geht vor allem aus den zitierten Artikeln hervor. In den wenigen Passagen, die Handlungsvorschläge enthalten, klingt Theweleit dann gar nicht mehr so unvertraut: "Helfen würden nur Beziehungen, Liebschaften, gute, tragfähige Gruppen oder Vereine und natürlich ein guter Arbeitsplatz", all das also, was "Boden unter den Füßen" gibt und eigentlich der Inhalt von Integration sein sollte. Jeden Terrormord und jedes militärische Massaker mit dem Modell Breivik zu erklären greift aber wohl zu kurz.
OLIVER JUNGEN.
Klaus Theweleit: "Das Lachen der Täter". Breivik u.a. Psychogramm der Tötungslust. Residenz Verlag, Salzburg 2015. 246 S., br., 22,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 22.06.2015Ringkampf mit
dem Weltgeist
In seinem Buch „Das Lachen der Täter“
analysiert Klaus Theweleit die brutalen
Fantasien von Breivik, Hitler und IS
VON FRITZ GÖTTLER
Ob ich euer König werden will?“, fragt der Massenmörder, der gehandelt hat, um die kaputte Welt aufzurütteln und in Ordnung zu bringen: „Werd’s mir überlegen, ob ihr es VERDIENT . . . Da werdet ihr mich stehen sehen. In voller Größe! Oh, mir wird ganz superschwarz vor Augen. Kopf in den Wolken. Ringkampf mit dem Weltgeist, dem falschen. Ich krieg ihn! Ich krieg ihn unter! . . . Fünf Kilo zugelegt im Kopf in den letzten neun Monaten. Gedanken von Gewicht! Zentnerschwer, wenn sie zur Welt kommen. 50 Kilo Sprengstoff in jedem einzelnen Satz. Und er springt auf euch. Drückt euch zu Brei. Macht euch platt.“
Eine Männerfantasie aus dem Jahr 2012, der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik vor Gericht. Kein O-Ton, der Monolog – innerer wie äußerer – ist imaginiert von Klaus Theweleit, zum Finale seines neuen Buchs über das „Lachen der Täter“. Breivik ist seine Präzedenzfigur, der Killer, dem das Lachen nicht überhebliche Beigabe seines mörderischen Handelns ist, sondern Zentrum. Im Lachen findet er Freiheit, gewinnt er sich selbst. Theweleit entwickelt das in seiner bewährten Manier, sprunghaft und assoziativ, zwischen Coolness und Pathos, ohne Scheu vor Spekulation und Kalauern. Er praktiziert erzählende Analyse, in der Tradition der Traumdeutung von Freud und der Mythen des Alltags von Barthes.
Der erste lachende Killer, der uns präsentiert wird, kommt aus dem Kino, Henry Fonda, der all American hero, der 1968 zum eiskalten Kinokiller mutiert, als er einen kleinen Jungen erschießt, aus nächster Nähe. „Fondas Colt hat einen überlangen Lauf; seine Augen strahlen das strahlendste Blau. Er lächelt, und drückt ab: C’era una volta il West = Once Upon a Time in the West; dt. Spiel mir das Lied von Tod.“ Mit diesem Lächeln ist damals der Western selbst gestorben.
Danach im Buch kommt dann das Lächeln von Breivik, als er am 22. Juli 2011 auf der Insel Utøya 69 meist junge Menschen erschießt. Es folgen die grinsenden Gangster aus Indonesien, die Mitte der Sechziger eine grausame Kommunistenhatz absolvierten und sich Jahrzehnte später fröhlich daran erinnern, sie süffig noch einmal nachspielen mit den Mitteln des Hollywoodkinos, im Film „The Act of Killing“ von Joshua Oppenheimer. Weiter: Die Massentötungen der Nazis im Zweiten Weltkrieg, die Massaker des Pol-Poth-Regimes in Kambodscha, die Folterungen und Tötungen der Armee in Guatemala in den Achtzigern, die Gemetzel in Ruanda 1995, die der Theatermacher Milo Rau im Stück „Hate Radio“ auf die Bühne brachte, schließlich die Feldzüge des IS mit seinen unerbittlichen Hinrichtungsvideos. Noch nicht im Buch: der neunfache Mord in der Kirche in Charleston.
Eine Montage des Grauens und der Gräuel. Theweleit zitiert und kommentiert alle möglichen Quellen, Zeitungsartikel – viele auch aus der SZ –, Soziologen und Kulturtheoretiker wie Olivier Roy oder Susan Sontag, aber auch Romane oder Filme. Die Beschreibungen sparen die Brutalitäten der Täter nicht aus, vielleicht fehlen deshalb diesmal die Bilder und Fotogramme, die sonst in den Theweleit-Büchern so lebendig und eigenwillig den Verlauf des Textes durchsetzen.
Das Buch ist eine Rückkehr zu den „Männerphantasien“, der großen Studie, in der Theweleit Ende der Siebziger am Beispiel der deutschen Freikorps-Soldaten den Typus des faschistischen, gewalttätigen Mannes entwickelte. Der in der Gruppe mordet und im Morden Selbstermächtigung und Selbstbestätigung erfährt, dem das Zerstören und Vergewaltigen und schließlich das Morden zu einer Art sexuellem Akt wird. Nur über seinen Körper kann dieser Typus beschrieben werden, er ist nach den extremen Brutalitäten von Nationalsozialismus und Stalinismus selten geworden, mit dem Beginn der Globalisierung und dem Erstarken der einstigen Dritten Welt wieder zurückgekehrt. Die spezifische Ideologie, der er sich jeweils unterordnet – die der Templer, des Antisemitismus, des Islamismus – ist sekundär – in diesem Sinne ist Breivik bei Theweleit frei flottierend: Faschist, Dschihadist, Tempelritter. Sie alle sehen ihren Körper, zusammengehalten durch Zucht und Ordnung, bedroht durch einen zersetzenden Mix aus Marxismus und Feminismus – die Frauen und ihre Sexualität sind vor allem bedrohlich und ziehen Hass auf sich. Schuld an der Unordnung: die Frankfurter Schule, Marcuse, Wilhelm Reich, die Auflösung der patriarchalischen Familie, Feminismus, Sexualisierung. Nur stärkste Naivität schafft eine solche Ironie.
Die bedrohten pubertären Körper reagieren mit Enthemmung. „Das Gelächter ist das orgiastische Gefühl der Killer. Töten ist das zentrale Mittel dieser Körper zum Erreichen des Spannungsausgleichs . . . Nur das Töten erleichtert ihn so, wie andere Menschen etwa der Liebesakt oder das Anhören einer geliebten Musik. Körperlich energetisch sind das ,vergleichbare‘ Vorgänge. Der Unterschied liegt in der grundlegenden Differenz der Körperorganisation.“ Die Radikalität, mit der Theweleit komplexe politische Vorgänge auf ihren physiologischen Unterbau reduziert, bringt einen beim Lesen immer wieder aus dem Konzept, auch er ist in seinem Schreiben bereit zur Emphase, zur Ekstase. Das unfassbar Böse, das als Kategorie in den Reaktionen auf die von ihm gesammelten Killeraktionen gern beschworen wird, lässt er zur Erklärung nicht gelten, auch die Versuche nicht, diese Mörder als Patienten zu beschreiben – Schizophrener, Borderliner, Narziss. Das „Lachen der Killer“ ist ein politisches Buch, das heißt, es ist pädagogisch und therapeutisch. Theweleit glaubt an die Normalität, ans Individuum und seine Geschlossenheit. Und an Bob Dylan: „While others say don’t hate nothing at all except hatred.“
Klaus Theweleit: Das Lachen der Täter: Breivik u. a. Psychogramm der Tötungslust. Residenz Verlag, St. Pölten Salzburg Wien. 246 Seiten, 22,90 Euro. E-Book 13,99 Euro.
Schizophrene oder Borderliner,
nur als Patienten kann man
diese Mörder nicht beschreiben
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Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
dem Weltgeist
In seinem Buch „Das Lachen der Täter“
analysiert Klaus Theweleit die brutalen
Fantasien von Breivik, Hitler und IS
VON FRITZ GÖTTLER
Ob ich euer König werden will?“, fragt der Massenmörder, der gehandelt hat, um die kaputte Welt aufzurütteln und in Ordnung zu bringen: „Werd’s mir überlegen, ob ihr es VERDIENT . . . Da werdet ihr mich stehen sehen. In voller Größe! Oh, mir wird ganz superschwarz vor Augen. Kopf in den Wolken. Ringkampf mit dem Weltgeist, dem falschen. Ich krieg ihn! Ich krieg ihn unter! . . . Fünf Kilo zugelegt im Kopf in den letzten neun Monaten. Gedanken von Gewicht! Zentnerschwer, wenn sie zur Welt kommen. 50 Kilo Sprengstoff in jedem einzelnen Satz. Und er springt auf euch. Drückt euch zu Brei. Macht euch platt.“
Eine Männerfantasie aus dem Jahr 2012, der norwegische Massenmörder Anders Behring Breivik vor Gericht. Kein O-Ton, der Monolog – innerer wie äußerer – ist imaginiert von Klaus Theweleit, zum Finale seines neuen Buchs über das „Lachen der Täter“. Breivik ist seine Präzedenzfigur, der Killer, dem das Lachen nicht überhebliche Beigabe seines mörderischen Handelns ist, sondern Zentrum. Im Lachen findet er Freiheit, gewinnt er sich selbst. Theweleit entwickelt das in seiner bewährten Manier, sprunghaft und assoziativ, zwischen Coolness und Pathos, ohne Scheu vor Spekulation und Kalauern. Er praktiziert erzählende Analyse, in der Tradition der Traumdeutung von Freud und der Mythen des Alltags von Barthes.
Der erste lachende Killer, der uns präsentiert wird, kommt aus dem Kino, Henry Fonda, der all American hero, der 1968 zum eiskalten Kinokiller mutiert, als er einen kleinen Jungen erschießt, aus nächster Nähe. „Fondas Colt hat einen überlangen Lauf; seine Augen strahlen das strahlendste Blau. Er lächelt, und drückt ab: C’era una volta il West = Once Upon a Time in the West; dt. Spiel mir das Lied von Tod.“ Mit diesem Lächeln ist damals der Western selbst gestorben.
Danach im Buch kommt dann das Lächeln von Breivik, als er am 22. Juli 2011 auf der Insel Utøya 69 meist junge Menschen erschießt. Es folgen die grinsenden Gangster aus Indonesien, die Mitte der Sechziger eine grausame Kommunistenhatz absolvierten und sich Jahrzehnte später fröhlich daran erinnern, sie süffig noch einmal nachspielen mit den Mitteln des Hollywoodkinos, im Film „The Act of Killing“ von Joshua Oppenheimer. Weiter: Die Massentötungen der Nazis im Zweiten Weltkrieg, die Massaker des Pol-Poth-Regimes in Kambodscha, die Folterungen und Tötungen der Armee in Guatemala in den Achtzigern, die Gemetzel in Ruanda 1995, die der Theatermacher Milo Rau im Stück „Hate Radio“ auf die Bühne brachte, schließlich die Feldzüge des IS mit seinen unerbittlichen Hinrichtungsvideos. Noch nicht im Buch: der neunfache Mord in der Kirche in Charleston.
Eine Montage des Grauens und der Gräuel. Theweleit zitiert und kommentiert alle möglichen Quellen, Zeitungsartikel – viele auch aus der SZ –, Soziologen und Kulturtheoretiker wie Olivier Roy oder Susan Sontag, aber auch Romane oder Filme. Die Beschreibungen sparen die Brutalitäten der Täter nicht aus, vielleicht fehlen deshalb diesmal die Bilder und Fotogramme, die sonst in den Theweleit-Büchern so lebendig und eigenwillig den Verlauf des Textes durchsetzen.
Das Buch ist eine Rückkehr zu den „Männerphantasien“, der großen Studie, in der Theweleit Ende der Siebziger am Beispiel der deutschen Freikorps-Soldaten den Typus des faschistischen, gewalttätigen Mannes entwickelte. Der in der Gruppe mordet und im Morden Selbstermächtigung und Selbstbestätigung erfährt, dem das Zerstören und Vergewaltigen und schließlich das Morden zu einer Art sexuellem Akt wird. Nur über seinen Körper kann dieser Typus beschrieben werden, er ist nach den extremen Brutalitäten von Nationalsozialismus und Stalinismus selten geworden, mit dem Beginn der Globalisierung und dem Erstarken der einstigen Dritten Welt wieder zurückgekehrt. Die spezifische Ideologie, der er sich jeweils unterordnet – die der Templer, des Antisemitismus, des Islamismus – ist sekundär – in diesem Sinne ist Breivik bei Theweleit frei flottierend: Faschist, Dschihadist, Tempelritter. Sie alle sehen ihren Körper, zusammengehalten durch Zucht und Ordnung, bedroht durch einen zersetzenden Mix aus Marxismus und Feminismus – die Frauen und ihre Sexualität sind vor allem bedrohlich und ziehen Hass auf sich. Schuld an der Unordnung: die Frankfurter Schule, Marcuse, Wilhelm Reich, die Auflösung der patriarchalischen Familie, Feminismus, Sexualisierung. Nur stärkste Naivität schafft eine solche Ironie.
Die bedrohten pubertären Körper reagieren mit Enthemmung. „Das Gelächter ist das orgiastische Gefühl der Killer. Töten ist das zentrale Mittel dieser Körper zum Erreichen des Spannungsausgleichs . . . Nur das Töten erleichtert ihn so, wie andere Menschen etwa der Liebesakt oder das Anhören einer geliebten Musik. Körperlich energetisch sind das ,vergleichbare‘ Vorgänge. Der Unterschied liegt in der grundlegenden Differenz der Körperorganisation.“ Die Radikalität, mit der Theweleit komplexe politische Vorgänge auf ihren physiologischen Unterbau reduziert, bringt einen beim Lesen immer wieder aus dem Konzept, auch er ist in seinem Schreiben bereit zur Emphase, zur Ekstase. Das unfassbar Böse, das als Kategorie in den Reaktionen auf die von ihm gesammelten Killeraktionen gern beschworen wird, lässt er zur Erklärung nicht gelten, auch die Versuche nicht, diese Mörder als Patienten zu beschreiben – Schizophrener, Borderliner, Narziss. Das „Lachen der Killer“ ist ein politisches Buch, das heißt, es ist pädagogisch und therapeutisch. Theweleit glaubt an die Normalität, ans Individuum und seine Geschlossenheit. Und an Bob Dylan: „While others say don’t hate nothing at all except hatred.“
Klaus Theweleit: Das Lachen der Täter: Breivik u. a. Psychogramm der Tötungslust. Residenz Verlag, St. Pölten Salzburg Wien. 246 Seiten, 22,90 Euro. E-Book 13,99 Euro.
Schizophrene oder Borderliner,
nur als Patienten kann man
diese Mörder nicht beschreiben
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Hochaktuell ist Klaus Theweleits Buch "Das Lachen der Täter" in jedem Fall, meint Rezensent Oliver Jungen, sein Urteil fällt aber eher verhalten aus: Zwar kann der Kritiker Theweleits im typischen "Pop-Sound" vorgetragener These einer sexuell konnotierten "Mordlust" bei Tätern wie Anders Breivik, den Roten Khmer, Nationalsozialisten, islamistischen Terroristen, aber auch amerikanischen Soldaten durchaus folgen, muss aber feststellen, dass das Erklärungsmodell zu kurz greift. Nicht jeder Täter lache etwa beim Töten, notiert der Kritiker, der auch nicht immer mit der Auswahl der von dem Autor zur Untermauerung seiner These herangezogenen Filme, Romane und Zeitungsartikel einverstanden ist. Auch Theweleits Spott über Akademiker, die anderer Meinung sind, hat dem Rezensenten missfallen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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