In einer Zeit zunehmender Verstädterung brauchen wir eine neue Sicht auf das Landleben. Es ist keineswegs Ausdruck überholter Verhältnisse, es ist vielmehr Grundlage für die Dynamik und Spezialisierung in den Städten und Zentren. Der bekannte Geograph und Alpenforscher Werner Bätzing hält das Land mit seinen Traditionen und Kulturlandschaften für unverzichtbar. Daher mündet sein so fundiertes wie nachdenkliches Buch in Leitideen für die Zukunft des Landlebens.
Gibt es heute noch ein Leben auf dem Land, das nicht städtisch geprägt ist? Und brauchen wir in der modernen Welt überhaupt ein Landleben? Oder ist es nur noch ein romantisches Relikt aus der vergangenen Zeit? Wer das Landleben verstehen will, so der bekannte Geograph und Alpenforscher Werner Bätzing, muss Landwirtschaft, bäuerliche Kulturlandschaften, Dorfleben, Traditionen sowie die engen Verflechtungen zischen Ihnen kennen. Da das Land aber stets in einem engen Austausch mit der Stadt steht, muss er auch verstehen, welche Auswirkungen die Industrielle Revolution, die Entdeckung des Landes als "schöne Landschaft", der wirtschaftliche und demographische Wandel, die Entstehung der Konsumgesellschaft und das Erstarken des Neoliberalismus auf das Landleben besitzen - andernfalls besteht die Gefahr, das Land zu stark als Idylle wahrzunehmen. Bätzings breit angelegte und historisch fundierte Darstellung steht quer zu den üblichen Sichtweisen und lässt das Landleben in einem völlig neuem Licht erscheinen.
Gibt es heute noch ein Leben auf dem Land, das nicht städtisch geprägt ist? Und brauchen wir in der modernen Welt überhaupt ein Landleben? Oder ist es nur noch ein romantisches Relikt aus der vergangenen Zeit? Wer das Landleben verstehen will, so der bekannte Geograph und Alpenforscher Werner Bätzing, muss Landwirtschaft, bäuerliche Kulturlandschaften, Dorfleben, Traditionen sowie die engen Verflechtungen zischen Ihnen kennen. Da das Land aber stets in einem engen Austausch mit der Stadt steht, muss er auch verstehen, welche Auswirkungen die Industrielle Revolution, die Entdeckung des Landes als "schöne Landschaft", der wirtschaftliche und demographische Wandel, die Entstehung der Konsumgesellschaft und das Erstarken des Neoliberalismus auf das Landleben besitzen - andernfalls besteht die Gefahr, das Land zu stark als Idylle wahrzunehmen. Bätzings breit angelegte und historisch fundierte Darstellung steht quer zu den üblichen Sichtweisen und lässt das Landleben in einem völlig neuem Licht erscheinen.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.03.2020Das Dorf soll wieder attraktiv werden
Es begann mit der Sesshaftwerdung: Werner Bätzing legt eine Geschichte des Landlebens vor, die sich auch für dessen Zukunft interessiert.
Die Zukunft ist urban, so fasst der aktuelle UN-Bericht zur Weltbevölkerung die Perspektiven einer rasanten demographischen Entwicklung zusammen. Im Jahr 2008 haben zum ersten Mal in der Geschichte mehr Menschen in der Stadt gelebt als auf dem Land, und sollte sich der gegenwärtige Trend fortsetzen, werden es im Jahr 2050 weltweit mehr als zwei Drittel sein. Nur auf die Industrieländer bezogen, ist die Prognose noch drastischer: Dort würde lediglich etwa jeder achte Einwohner im ländlichen Raum verbleiben.
Gegen das deprimierende Szenario von menschenleeren Einöden, die im besseren Fall Naturschutzgebiete und im schlechteren agroindustrielle Monokulturen sind, hat der Kulturgeograph Werner Bätzing ein engagiertes Buch geschrieben. Bätzing hat jahrelang an der Universität Erlangen gelehrt und sich immer wieder für den Erhalt der typischen ländlichen Strukturen vor allem in der Alpenregion starkgemacht. Er kennt also sowohl die Geschichte des Lebens auf dem Land wie auch die realen Gegebenheiten. Beides verbindet er zu einer weit ausholenden Darstellung, die mit der Sesshaftwerdung der Menschen einsetzt und mit "Leitideen zur Aufwertung des Landlebens" endet.
Vor allen Dingen scheut er sich nicht, gleich zu Anfang seine "eigene normative Position" kenntlich zu machen. Sie lautet, dass Stadt und Land zwar verschieden, jedoch komplementär aufeinander bezogen sind, und dass ein "gutes Leben" nur im Zusammenspiel beider möglich ist. Schließlich, so scheint er all jenen ins Stammbuch schreiben zu wollen, für die das Urbane die Norm darstellt, liegt die Quelle aller Kultur auf dem Land, konnten Städte erst in dem Moment entstehen, als durch die Bestellung des Bodens ein Überschuss an Lebensmitteln erzeugt wurde. Ihre Verarbeitung brachte handwerkliche Spezialisierungen hervor, der Handel mit ihnen wurde auf den ersten Schriftzeugnissen festgehalten.
Auch wenn Bätzings historischer Abriss notwendigerweise kursorisch ist, macht er in seinen stärksten Passagen sichtbar, durch welche epochalen Schübe das Leben und das Wirtschaften auf dem Land in einer Weise geprägt wurden, deren Auswirkungen bis heute sichtbar sind. Dazu gehören technische Innovationen wie Düngemittel, verbesserte Nutzpflanzen oder Landmaschinen, in deren Gefolge immer weniger Arbeitskräfte immer mehr Lebensmittel produzieren konnten. Mit der Nutzung fossiler Energieträger in der industriellen Revolution konzentrierte sich die wirtschaftliche Aktivität in den Fabriken auf vergleichsweise kleine Flächen und brachte eine Raumstruktur hervor, wie sie in ihren Grundzügen bis heute besteht.
Die wahrscheinlich größte Zäsur ereignete sich schließlich in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als technische und ökonomische Neuerungen mit raumplanerischen Maßnahmen ineinandergriffen. Im Gefolge der neuen stadtplanerischen Leitideen, wie sie 1933 in der "Charta von Athen" formuliert worden waren, zerfiel auch auf dem Dorf die Einheit von Wirtschaften und Leben. Die Zersiedlung der Landschaft nahm ihren Weg, in der die Funktionen des Arbeitens in Industrie- oder Gewerbegebiete ausgelagert wurden und die des Wohnens in Vorstadtsiedlungen, die weder Stadt noch Land sind und daher treffend Zwischenstadt-Strukturen heißen.
Unter dieser Aufteilung litten allerdings viele Städte, aus deren Zentren der Einzelhandel verschwand, nicht weniger als das Land. Nun kann man einem Buch über das Landleben nicht unbedingt zum Vorwurf machen, dass die Stadt nur sehr am Rande vorkommt, doch bleibt die Komplementarität der beiden Lebensweisen über weite Strecken bloße Behauptung. Dass das moderne großstädtische Wirtschaften unsere Lebensgrundlagen zerstöre, während sich das Landleben in enger Auseinandersetzung mit der Natur abspiele, dass das Leben auf dem Land nur in Gemeinschaft gelinge, während in der sonstigen modernen Welt der Individualismus herrsche, würde man wohl eher den Stereotypen zurechnen, deren Entstehung Bätzing in anderen Passagen so überzeugend nachzeichnet. Dort analysiert er, wie im Zeitalter der beginnenden Industrialisierung das idyllische Landleben und die schöne Landschaft verklärt werden, aber sich auch die Kluft zwischen den fortschrittlichen Bürgern und den konservativen Landbewohnern auftut. Einen scharfen Blick hat er ebenfalls für manches Kulissenhafte, etwa wenn Traditionen nicht mehr mit Leben erfüllt sind, sondern als Schaubräuche weitergeführt werden, in denen die Landbewohner sich sozusagen selbst spielen. Der Tourismus auf der Suche nach dem unverfälschten Landleben tat dazu sein Übriges.
Was also ist zu tun, damit das Leben auf dem Land wieder attraktiver wird? Die Frage hat in Zeiten der populistischen Kritik an den städtischen Eliten, die die kulturellen und sozialen Standards setzen, eine nicht zu unterschätzende politische Dimension, die man bei Bätzing gerne konkreter benannt sehen würde. Letztlich sind die Maßnahmen, die er vorschlägt, wenig überraschend und teilweise von der Politik bereits in Förderformate gegossen: Investitionen in Infrastruktur, etwa für die Bereitstellung von schnellem Internet, öffentlicher Nahverkehr, wohnortnahe Schulen und medizinische Versorgung. Stellenweise argumentiert Bätzing gegen seine eigenen Analysen der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Kräfte, die in der Veränderung des Landlebens am Werk sind. Denn so wünschenswert es wäre, wenn die Bauern stärker in kleinräumigen Strukturen produzierten und regional vermarkteten, dürften sich die Konzentrationsprozesse doch nicht von heute auf morgen gegen die herrschenden Bedingungen umkehren lassen. Der frischeste Eindruck, den man im Zentrum von Berlin vor wenigen Wochen zu diesem Thema gewinnen konnte, war der von Tausenden protestierenden Bauern auf ihren imposanten Traktoren.
Auch die Sanierung von Dorfkernen steht bereits auf der Liste der Fördermaßnahmen, die allerdings angesichts der gegenwärtigen Dimension des Wohnungsbedarfs vermutlich kaum einen nennenswerten Effekt haben dürften, wenn es darum geht, den Siedlungsbau auf der grünen Wiese einzudämmen. Vielleicht liegt die größte Chance für das Land in Zeiten des Wohnungsmangels tatsächlich weniger in förderpolitischen Maßnahmen als vielmehr in der bloßen Tatsache, dass das Wohnen in der Stadt für viele unerschwinglich wird.
SONJA ASAL.
Werner Bätzing: "Das Landleben". Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform.
C. H. Beck Verlag, München 2020. 302 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Es begann mit der Sesshaftwerdung: Werner Bätzing legt eine Geschichte des Landlebens vor, die sich auch für dessen Zukunft interessiert.
Die Zukunft ist urban, so fasst der aktuelle UN-Bericht zur Weltbevölkerung die Perspektiven einer rasanten demographischen Entwicklung zusammen. Im Jahr 2008 haben zum ersten Mal in der Geschichte mehr Menschen in der Stadt gelebt als auf dem Land, und sollte sich der gegenwärtige Trend fortsetzen, werden es im Jahr 2050 weltweit mehr als zwei Drittel sein. Nur auf die Industrieländer bezogen, ist die Prognose noch drastischer: Dort würde lediglich etwa jeder achte Einwohner im ländlichen Raum verbleiben.
Gegen das deprimierende Szenario von menschenleeren Einöden, die im besseren Fall Naturschutzgebiete und im schlechteren agroindustrielle Monokulturen sind, hat der Kulturgeograph Werner Bätzing ein engagiertes Buch geschrieben. Bätzing hat jahrelang an der Universität Erlangen gelehrt und sich immer wieder für den Erhalt der typischen ländlichen Strukturen vor allem in der Alpenregion starkgemacht. Er kennt also sowohl die Geschichte des Lebens auf dem Land wie auch die realen Gegebenheiten. Beides verbindet er zu einer weit ausholenden Darstellung, die mit der Sesshaftwerdung der Menschen einsetzt und mit "Leitideen zur Aufwertung des Landlebens" endet.
Vor allen Dingen scheut er sich nicht, gleich zu Anfang seine "eigene normative Position" kenntlich zu machen. Sie lautet, dass Stadt und Land zwar verschieden, jedoch komplementär aufeinander bezogen sind, und dass ein "gutes Leben" nur im Zusammenspiel beider möglich ist. Schließlich, so scheint er all jenen ins Stammbuch schreiben zu wollen, für die das Urbane die Norm darstellt, liegt die Quelle aller Kultur auf dem Land, konnten Städte erst in dem Moment entstehen, als durch die Bestellung des Bodens ein Überschuss an Lebensmitteln erzeugt wurde. Ihre Verarbeitung brachte handwerkliche Spezialisierungen hervor, der Handel mit ihnen wurde auf den ersten Schriftzeugnissen festgehalten.
Auch wenn Bätzings historischer Abriss notwendigerweise kursorisch ist, macht er in seinen stärksten Passagen sichtbar, durch welche epochalen Schübe das Leben und das Wirtschaften auf dem Land in einer Weise geprägt wurden, deren Auswirkungen bis heute sichtbar sind. Dazu gehören technische Innovationen wie Düngemittel, verbesserte Nutzpflanzen oder Landmaschinen, in deren Gefolge immer weniger Arbeitskräfte immer mehr Lebensmittel produzieren konnten. Mit der Nutzung fossiler Energieträger in der industriellen Revolution konzentrierte sich die wirtschaftliche Aktivität in den Fabriken auf vergleichsweise kleine Flächen und brachte eine Raumstruktur hervor, wie sie in ihren Grundzügen bis heute besteht.
Die wahrscheinlich größte Zäsur ereignete sich schließlich in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts, als technische und ökonomische Neuerungen mit raumplanerischen Maßnahmen ineinandergriffen. Im Gefolge der neuen stadtplanerischen Leitideen, wie sie 1933 in der "Charta von Athen" formuliert worden waren, zerfiel auch auf dem Dorf die Einheit von Wirtschaften und Leben. Die Zersiedlung der Landschaft nahm ihren Weg, in der die Funktionen des Arbeitens in Industrie- oder Gewerbegebiete ausgelagert wurden und die des Wohnens in Vorstadtsiedlungen, die weder Stadt noch Land sind und daher treffend Zwischenstadt-Strukturen heißen.
Unter dieser Aufteilung litten allerdings viele Städte, aus deren Zentren der Einzelhandel verschwand, nicht weniger als das Land. Nun kann man einem Buch über das Landleben nicht unbedingt zum Vorwurf machen, dass die Stadt nur sehr am Rande vorkommt, doch bleibt die Komplementarität der beiden Lebensweisen über weite Strecken bloße Behauptung. Dass das moderne großstädtische Wirtschaften unsere Lebensgrundlagen zerstöre, während sich das Landleben in enger Auseinandersetzung mit der Natur abspiele, dass das Leben auf dem Land nur in Gemeinschaft gelinge, während in der sonstigen modernen Welt der Individualismus herrsche, würde man wohl eher den Stereotypen zurechnen, deren Entstehung Bätzing in anderen Passagen so überzeugend nachzeichnet. Dort analysiert er, wie im Zeitalter der beginnenden Industrialisierung das idyllische Landleben und die schöne Landschaft verklärt werden, aber sich auch die Kluft zwischen den fortschrittlichen Bürgern und den konservativen Landbewohnern auftut. Einen scharfen Blick hat er ebenfalls für manches Kulissenhafte, etwa wenn Traditionen nicht mehr mit Leben erfüllt sind, sondern als Schaubräuche weitergeführt werden, in denen die Landbewohner sich sozusagen selbst spielen. Der Tourismus auf der Suche nach dem unverfälschten Landleben tat dazu sein Übriges.
Was also ist zu tun, damit das Leben auf dem Land wieder attraktiver wird? Die Frage hat in Zeiten der populistischen Kritik an den städtischen Eliten, die die kulturellen und sozialen Standards setzen, eine nicht zu unterschätzende politische Dimension, die man bei Bätzing gerne konkreter benannt sehen würde. Letztlich sind die Maßnahmen, die er vorschlägt, wenig überraschend und teilweise von der Politik bereits in Förderformate gegossen: Investitionen in Infrastruktur, etwa für die Bereitstellung von schnellem Internet, öffentlicher Nahverkehr, wohnortnahe Schulen und medizinische Versorgung. Stellenweise argumentiert Bätzing gegen seine eigenen Analysen der wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Kräfte, die in der Veränderung des Landlebens am Werk sind. Denn so wünschenswert es wäre, wenn die Bauern stärker in kleinräumigen Strukturen produzierten und regional vermarkteten, dürften sich die Konzentrationsprozesse doch nicht von heute auf morgen gegen die herrschenden Bedingungen umkehren lassen. Der frischeste Eindruck, den man im Zentrum von Berlin vor wenigen Wochen zu diesem Thema gewinnen konnte, war der von Tausenden protestierenden Bauern auf ihren imposanten Traktoren.
Auch die Sanierung von Dorfkernen steht bereits auf der Liste der Fördermaßnahmen, die allerdings angesichts der gegenwärtigen Dimension des Wohnungsbedarfs vermutlich kaum einen nennenswerten Effekt haben dürften, wenn es darum geht, den Siedlungsbau auf der grünen Wiese einzudämmen. Vielleicht liegt die größte Chance für das Land in Zeiten des Wohnungsmangels tatsächlich weniger in förderpolitischen Maßnahmen als vielmehr in der bloßen Tatsache, dass das Wohnen in der Stadt für viele unerschwinglich wird.
SONJA ASAL.
Werner Bätzing: "Das Landleben". Geschichte und Zukunft einer gefährdeten Lebensform.
C. H. Beck Verlag, München 2020. 302 S., geb., 26,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Diese Kulturgeschichte des Landlebens analysiert die Stadt-Land-Beziehung und ist wegen mangelnder Anschaulichkeit, akademischem Ton und Hang zur Abstraktion "eher anstrengend als lustvoll" zu lesen, findet Rezensent Stefan Reinecke. Für die Erkenntnis, dass Landflucht und Idealisierung des Landlebens zwei Seiten derselben Medaille sind, da beide mit der Arbeitssituation in Städten zu tun haben, dankt der Kritiker dem Autor trotzdem. Und auch wenn er die Rettungsmaßnahmen, die Werner Bätzing am Ende seines Buches für das Landleben vorschlägt, schwammig und wenig neu findet, versteht Reinecke, dass sie in Anbetracht der desolaten Aussichten für das Land kaum wirkungsvoller ausfallen konnten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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