Überlebenskünstler, Kletterprofi, Sympathieträger
Mit akrobatischen Sprüngen turnt es durch die Baumwipfel, um wenig später an sicherem Ort die erbeuteten Nüsse zu verstecken: Kaum ein Tier lässt sich im Park, im Wald oder im eigenen Garten so gut beobachten wie das Eichhörnchen. Doch was wissen wir eigentlich über die kleinen Nager? Der Biologe und Bestsellerautor Josef H. Reichholf gibt äußerst unterhaltsam Antwort auf alle denkbaren Fragen und bezieht dabei auch andere Vertreter der weitläufigen Hörnchenverwandtschaft mit ein, etwa das 16 Gramm leichte Afrikanische Zwerghörnchen oder das sechseinhalb Kilogramm schwere Graumurmeltier. Eine spannende Naturkunde, die uns die munteren Sympathieträger mit anderen Augen sehen lässt.
Mit akrobatischen Sprüngen turnt es durch die Baumwipfel, um wenig später an sicherem Ort die erbeuteten Nüsse zu verstecken: Kaum ein Tier lässt sich im Park, im Wald oder im eigenen Garten so gut beobachten wie das Eichhörnchen. Doch was wissen wir eigentlich über die kleinen Nager? Der Biologe und Bestsellerautor Josef H. Reichholf gibt äußerst unterhaltsam Antwort auf alle denkbaren Fragen und bezieht dabei auch andere Vertreter der weitläufigen Hörnchenverwandtschaft mit ein, etwa das 16 Gramm leichte Afrikanische Zwerghörnchen oder das sechseinhalb Kilogramm schwere Graumurmeltier. Eine spannende Naturkunde, die uns die munteren Sympathieträger mit anderen Augen sehen lässt.
Für jeden Tierfreund ist dieses Buch ein schöner Lesegenuss. TV für mich 20211029
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.10.2019Das Nagetier der Herzen
Eichhörnchen sind die Sympathieträger unter den Stadttieren. Ihre Munterkeit sollte man sich genauer anschauen, rät Josef Reichholf
Wenn ein buschiger, rostroter, elegant gebogener Eichhörnchenschwanz neben einem dünnen, spärlich behaarten, schlangenhaft zuckenden Rattenschwanz liegt, ist ziemlich klar, wie die Sympathien verteilt sind (Rattenfans müssen tapfer sein, wenn sie dieses Buch lesen). Vielleicht, überlegt der Evolutionsbiologe und Ökologe Josef Reichholf, verbinden Menschen mit dem fast nackten und deshalb räudig wirkenden Rattenschwanz „instinktiv Krankheit, weil räudigen Tieren die Haare ausgehen“; ein dicht behaarter Eichhörnchenschwanz signalisiert stattdessen das genaue Gegenteil. Weitere Sympathiepunkte ergattert das Eichhörnchen mit seinem rundlichen Kopf, den großen Augen und einer Munterkeit, die weder Verfettung noch zwielichtiges Hinter-der-Mülltonne-Herumlungern verträgt.
Vokabeln wie „zwielichtig“ würde Reichholf wohl eher vermeiden, weil es ihm nicht ums Psychologisieren geht. Ausschlaggebend sind Ernährung, Körpergröße und -temperatur, Nestbau und Lebensräume. Zudem vergleicht er den Sympathieträger unter den Stadttieren mit anderen Nagern, mit Vögeln oder mit Menschen, um das jeweils Spezifische des Eichhörnchen-Lebensstils herauszupräparieren. Wie viel wiegt es, was frisst es, und warum flitzt es so aufgedreht durch die Gegend? Wieso hält es keinen Winterschlaf, und warum spielt es mehr als etwa Ratten oder Vögel? Wie hängen Kohlenhydrate, Fette und Proteine mit Wachstumsphasen und Lebensweisen zusammen?
Wer sich bei einem populären Sachbuch über Eichhörnchen ein wenig vor Tierfabeln fürchtet, kann beruhigt sein. Hier geht es um knallharte Energiehaushaltsdebatten, und verblüffend ist, wie „Das Leben der Eichhörnchen“ dabei auch Nichtbiologen fesselt. Tier-Mensch-Vergleiche bedeuten bei Reichholf vor allem: Darmlängenvergleiche. „Menschen und Eichhörnchen entsprechen einander erstaunlich gut in der relativen Darmlänge“, klärt der Biologe auf, und die wiederum lässt Rückschlüsse auf den Energieaufwand für die Verdauung zu. Grob zusammengefasst. Die relative Darmlänge drückt aus, dass überschüssige Energie durch akrobatische Stunts und viel Bewegung abgearbeitet wird (Eichhörnchen) oder abgearbeitet werden sollte (Mensch).
Solche Hörnchen-Stunts – zum Beispiel ein Sprung aus der Baumkrone auf ein meterweit entferntes Haus – beschreibt Reichholf mit Liebe zum Detail: „Mit ausgebreiteten Beinen klatscht es an die Wand und verharrt einen Moment wie angeklebt. Das sieht aus, als ob ein plattgefahrenes Eichhörnchen an die Wand geworfen worden wäre. Dann schiebt es sich ruckartig empor bis zum zweiten Stock“, wo es Männchen macht und einen Balkon besteigt.
„Was uns an den Eichhörnchen so gefällt, ist tatsächlich ihr größtes Problem. Die Munterkeit kostet Energie, viel Energie. All das Hüpfen, Flitzen, Klettern und Ausprobieren, wo es etwas geben könnte, leistet der Körper nicht zum Nulltarif“, führt Reichholf aus. Nüsse, die Hauptnahrungsquelle der Hörnchen, bieten sich als Energielieferanten für Bewegung und Körperwärme an und enthalten zugleich Proteine, die zur Reproduktion benötigt werden. Bis genügend Proteine aufgenommen sind, entsteht ein Überschuss an Fetten und Kohlenhydraten, der in die hübsch anzuschauende Hektik übersetzt wird. Wie sehr Ernährung und Stoffwechsel das Leben bestimmen, zeigt sich dann auch bei der Spielfrage. Warum Menschen spielen, ist in der Geistesgeschichte lang und tiefgründig erörtert worden, von Johan Huizingas „Homo ludens“ bis zur aktuellen Spielpsychologie; warum Tiere spielen, ist ebenfalls noch nicht letztgültig geklärt. Reichholf geht hier, auch für Laien verständlich, gewissermaßen an die ernährungsberatende Grundsubstanz: Er erklärt, „dass Tiere umso ausgiebiger spielen, je mehr sie beim Wachsen Proteine verbrauchen“, und zeigt im Detail, wie sich die Zusammensetzung der Muttermilch auf Menschen-, Katzen- oder Eichhörnchenbabys auswirkt.
Aber der Biologe belässt es nicht beim Blick in die Energiehaushalte. Er vergleicht das Eichhörnchen mit seiner „Nachtausgabe“, dem Siebenschläfer – und erzählt voller Begeisterung und Empathie von „Schmurksi“, einem zahmen Vertreter dieser nachtaktiven Spezies. Der Winzling wurde bei Aufräumarbeiten in einem Gartenhäuschen entdeckt, mühevoll großgezogen und lebte jahrelang in der Wohnküche der Familie Reichholf. Mit seinen Kletterkunststücken verzauberte Schmurksi seine Mitbewohner; jetzt liefert er den Beweis dafür, welch hohen Stellenwert die teilnehmende Beobachtung im Tier-Mensch-Verhältnis hat.
„Tiere sind Lebewesen mit individuellen Eigenschaften, keine Objekte“, hält Reichholf fest. Ein zentrales Anliegen ist ihm ein neu zu denkender Arten- und Tierschutz; die Absurditäten, die sich auf beiden Feldern ergeben, prangert er an: die Massentierhaltung, die sich immer wieder mit ökonomischen Argumenten durchsetzt, oder eine Mentalität, die „heimisch“ und „fremd“ unterscheidet und das amerikanische Grauhörnchen als schädlichen Eindringling bewertet. Seine Aufnahme in die Schwarze Liste der invasiven Arten wird in dieser Hörnchenkunde mit klaren Worten verurteilt: „Xenophobie“.
Reichholf wirbt für Tiere, die sich in menschlichen Ballungsräumen eingerichtet haben. Tiere in der Stadt sind für ihn keine „Natur zweiter Klasse“, sondern fester Bestandteil einer Umwelt, die sich ständig verändert und sowieso nicht mehr in monolithische Natur-Kultur-Blöcke aufgeteilt werden kann. Kaum ein Tier führt das so kunstvoll vor wie das Eichhörnchen, der Nager der Herzen.
JUTTA PERSON
Die Munterkeit, die uns so
gefällt, kostet Energie,
viel Energie
Josef H. Reichholf:
Das Leben der Eichhörnchen.
Mit Illustrationen
von Johann Brandstetter.
Carl Hanser Verlag,
München 2019.
223 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Eichhörnchen sind die Sympathieträger unter den Stadttieren. Ihre Munterkeit sollte man sich genauer anschauen, rät Josef Reichholf
Wenn ein buschiger, rostroter, elegant gebogener Eichhörnchenschwanz neben einem dünnen, spärlich behaarten, schlangenhaft zuckenden Rattenschwanz liegt, ist ziemlich klar, wie die Sympathien verteilt sind (Rattenfans müssen tapfer sein, wenn sie dieses Buch lesen). Vielleicht, überlegt der Evolutionsbiologe und Ökologe Josef Reichholf, verbinden Menschen mit dem fast nackten und deshalb räudig wirkenden Rattenschwanz „instinktiv Krankheit, weil räudigen Tieren die Haare ausgehen“; ein dicht behaarter Eichhörnchenschwanz signalisiert stattdessen das genaue Gegenteil. Weitere Sympathiepunkte ergattert das Eichhörnchen mit seinem rundlichen Kopf, den großen Augen und einer Munterkeit, die weder Verfettung noch zwielichtiges Hinter-der-Mülltonne-Herumlungern verträgt.
Vokabeln wie „zwielichtig“ würde Reichholf wohl eher vermeiden, weil es ihm nicht ums Psychologisieren geht. Ausschlaggebend sind Ernährung, Körpergröße und -temperatur, Nestbau und Lebensräume. Zudem vergleicht er den Sympathieträger unter den Stadttieren mit anderen Nagern, mit Vögeln oder mit Menschen, um das jeweils Spezifische des Eichhörnchen-Lebensstils herauszupräparieren. Wie viel wiegt es, was frisst es, und warum flitzt es so aufgedreht durch die Gegend? Wieso hält es keinen Winterschlaf, und warum spielt es mehr als etwa Ratten oder Vögel? Wie hängen Kohlenhydrate, Fette und Proteine mit Wachstumsphasen und Lebensweisen zusammen?
Wer sich bei einem populären Sachbuch über Eichhörnchen ein wenig vor Tierfabeln fürchtet, kann beruhigt sein. Hier geht es um knallharte Energiehaushaltsdebatten, und verblüffend ist, wie „Das Leben der Eichhörnchen“ dabei auch Nichtbiologen fesselt. Tier-Mensch-Vergleiche bedeuten bei Reichholf vor allem: Darmlängenvergleiche. „Menschen und Eichhörnchen entsprechen einander erstaunlich gut in der relativen Darmlänge“, klärt der Biologe auf, und die wiederum lässt Rückschlüsse auf den Energieaufwand für die Verdauung zu. Grob zusammengefasst. Die relative Darmlänge drückt aus, dass überschüssige Energie durch akrobatische Stunts und viel Bewegung abgearbeitet wird (Eichhörnchen) oder abgearbeitet werden sollte (Mensch).
Solche Hörnchen-Stunts – zum Beispiel ein Sprung aus der Baumkrone auf ein meterweit entferntes Haus – beschreibt Reichholf mit Liebe zum Detail: „Mit ausgebreiteten Beinen klatscht es an die Wand und verharrt einen Moment wie angeklebt. Das sieht aus, als ob ein plattgefahrenes Eichhörnchen an die Wand geworfen worden wäre. Dann schiebt es sich ruckartig empor bis zum zweiten Stock“, wo es Männchen macht und einen Balkon besteigt.
„Was uns an den Eichhörnchen so gefällt, ist tatsächlich ihr größtes Problem. Die Munterkeit kostet Energie, viel Energie. All das Hüpfen, Flitzen, Klettern und Ausprobieren, wo es etwas geben könnte, leistet der Körper nicht zum Nulltarif“, führt Reichholf aus. Nüsse, die Hauptnahrungsquelle der Hörnchen, bieten sich als Energielieferanten für Bewegung und Körperwärme an und enthalten zugleich Proteine, die zur Reproduktion benötigt werden. Bis genügend Proteine aufgenommen sind, entsteht ein Überschuss an Fetten und Kohlenhydraten, der in die hübsch anzuschauende Hektik übersetzt wird. Wie sehr Ernährung und Stoffwechsel das Leben bestimmen, zeigt sich dann auch bei der Spielfrage. Warum Menschen spielen, ist in der Geistesgeschichte lang und tiefgründig erörtert worden, von Johan Huizingas „Homo ludens“ bis zur aktuellen Spielpsychologie; warum Tiere spielen, ist ebenfalls noch nicht letztgültig geklärt. Reichholf geht hier, auch für Laien verständlich, gewissermaßen an die ernährungsberatende Grundsubstanz: Er erklärt, „dass Tiere umso ausgiebiger spielen, je mehr sie beim Wachsen Proteine verbrauchen“, und zeigt im Detail, wie sich die Zusammensetzung der Muttermilch auf Menschen-, Katzen- oder Eichhörnchenbabys auswirkt.
Aber der Biologe belässt es nicht beim Blick in die Energiehaushalte. Er vergleicht das Eichhörnchen mit seiner „Nachtausgabe“, dem Siebenschläfer – und erzählt voller Begeisterung und Empathie von „Schmurksi“, einem zahmen Vertreter dieser nachtaktiven Spezies. Der Winzling wurde bei Aufräumarbeiten in einem Gartenhäuschen entdeckt, mühevoll großgezogen und lebte jahrelang in der Wohnküche der Familie Reichholf. Mit seinen Kletterkunststücken verzauberte Schmurksi seine Mitbewohner; jetzt liefert er den Beweis dafür, welch hohen Stellenwert die teilnehmende Beobachtung im Tier-Mensch-Verhältnis hat.
„Tiere sind Lebewesen mit individuellen Eigenschaften, keine Objekte“, hält Reichholf fest. Ein zentrales Anliegen ist ihm ein neu zu denkender Arten- und Tierschutz; die Absurditäten, die sich auf beiden Feldern ergeben, prangert er an: die Massentierhaltung, die sich immer wieder mit ökonomischen Argumenten durchsetzt, oder eine Mentalität, die „heimisch“ und „fremd“ unterscheidet und das amerikanische Grauhörnchen als schädlichen Eindringling bewertet. Seine Aufnahme in die Schwarze Liste der invasiven Arten wird in dieser Hörnchenkunde mit klaren Worten verurteilt: „Xenophobie“.
Reichholf wirbt für Tiere, die sich in menschlichen Ballungsräumen eingerichtet haben. Tiere in der Stadt sind für ihn keine „Natur zweiter Klasse“, sondern fester Bestandteil einer Umwelt, die sich ständig verändert und sowieso nicht mehr in monolithische Natur-Kultur-Blöcke aufgeteilt werden kann. Kaum ein Tier führt das so kunstvoll vor wie das Eichhörnchen, der Nager der Herzen.
JUTTA PERSON
Die Munterkeit, die uns so
gefällt, kostet Energie,
viel Energie
Josef H. Reichholf:
Das Leben der Eichhörnchen.
Mit Illustrationen
von Johann Brandstetter.
Carl Hanser Verlag,
München 2019.
223 Seiten, 20 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2019Mensch, du Eichhörnchen!
Anpassungsfähige Kosmopoliten: Josef H. Reichholf geht mit Sciurus vulgaris durch dick und dünn und zeigt, dass man dabei viel lernen kann.
Von Kai Spanke
Wenn ein Eichhörnchen im Gullydeckel feststeckt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis engagierte Menschen erste Hilfe leisten. Vor drei Jahren rückte in München die Tierrettung aus, um Olivio - Namen sind in diesen Fällen schnell gefunden - aus seiner misslichen Lage zu befreien. Nur wenige Monate später war dessen Artgenosse Gulliver zwischen Kanalisation und Oberwelt eingeklemmt. Im vergangenen Sommer rief ein notleidendes Eichhörnchen in Dortmund sogar die Feuerwehr auf den Plan. Jedes Mal nahm die Presse Anteil am Schicksal der Nager und berichtete über deren Genesungsprozess. Nicht ohne Grund. Der Naturschutzbund Deutschland erklärt: "Auf der Beliebtheitsskala von uns Menschen rangieren Eichhörnchen ganz oben."
Insofern ist es kaum einsichtig, dass fortwährend neue Abhandlungen über Vögel, Bienen und Wölfe erscheinen, während Eichhörnchen vor allem als Kinderbuch-Stars Karriere machen. Dem setzt der Biologe Josef H. Reichholf nun den Essay "Das Leben der Eichhörnchen" entgegen. Leser naturkundlicher Werke werden sich wundern: Warum nicht das "geheime Leben"? Tatsächlich wäre das überstrapazierte Adjektiv hier angebracht gewesen, denn vieles über diese niedlichen Tiere ist sogar erklärten Naturfreunden unbekannt. Gehören etwa die roten und schwarzbraunen Eichhörnchen, die sich in Deutschland beobachten lassen, zur selben Art? Halten sie Winterschlaf? Wen müssen sie fürchten? Und warum sehen sie so nett aus?
Unter den mehr als 2280 Nagetierarten, deren Spektrum von winzigen Mäusen über den kompakt gebauten Biber bis hin zum fünfzig Kilogramm schweren Capybara, einem Verwandten des Meerschweinchens, reicht, fallen Eichhörnchen durch ihre schlanke, in die Länge gezogene Statur auf. Die Stupsnase und das freundliche Gesicht mit den verhältnismäßig weit nach vorne gerichteten Augen wollen nicht recht dazu passen, haben aber eine wichtige Funktion. Tiere mit kurzer Schnauze verfügen über einen eher schwachen Geruchssinn, was die häufig umso besseren Augen aufwiegen.
Wegen der akrobatischen Manöver, die das Eichhörnchen im Astwerk vollführt, ist es auf tiefenscharfes Sehen angewiesen. Die Nahorientierung läuft, wie auch bei Katzen, über die Vibrissen. Diese feinen Haare neben der Nase sind bei Säugetieren mit langer Schnauze weniger bedeutsam, nehmen sie die Welt doch hauptsächlich über den Geruch wahr. Ratten etwa fühlen sich in der Finsternis besonders wohl und beschnuppern ausgiebig ihre Umgebung; Eichhörnchen schauen sich lieber um und meiden das Zwielicht.
Es gehört zu Reichholfs Stärken, Zusammenhänge darzulegen und nicht bloß Wissenshäppchen aufzutürmen. Er diskutiert Fragen des Stoffwechsels und Nestbaus, er bespricht die Beziehung zwischen Geburtenrate und Entwicklungsgeschwindigkeit des Nachwuchses, er vergleicht europäische Eichhörnchen mit amerikanischen Grauhörnchen und erkennt in der Feindseligkeit gegen den Fremdling einen Mangel an Sachkenntnis. Bei alldem kommen auch jene Leser auf ihre Kosten, die finden, Biologie sei immer nur so viel wert, wie sie Mathematik enthält.
Besonders anschaulich gelingen Reichholf jene Abschnitte, in denen er Eichhörnchen und Mensch miteinander vergleicht. So lernen wir manches über komplizierte Beziehungen, die für alle Säugetiere gelten: Wie verhalten sich Sauerstoffverbrauch und Körpergröße zueinander? Was sagt die relative Darmlänge über den Aufwand an Energie, der nötig ist, bis die Nahrung zur Ernährung wird? Welche Verbindung besteht zwischen der Zusammensetzung der Muttermilch und dem Spieltrieb?
Mit spitzbübischer Freude und fachlichem Ernst stellt Reichholf regelmäßig Thesen auf, die so in keinem Schulbuch zu finden sind. Zum Beispiel glaubt er, die Vogelfeder habe sich als Mülldeponie für schädliche Schwefelverbindungen entwickelt und der Mensch sei in Zeiten des Überflusses vom Jäger und Sammler zum sesshaften Bierbrauer geworden. Nun veranschaulicht er, wie Eichhörnchen gängige ökologische Konzepte an ihre Grenzen bringen. Die Nager kommen vom europäischen Westen bis in den fernen Osten vor, sie leben in Gegenden auf Meeresniveau und im Hochgebirge, man findet sie in Wäldern und Städten. Einige von ihnen sind im Jahresverlauf einer Temperaturspanne von rund siebzig Grad ausgesetzt. So liegt folgender Schluss nahe: "Für Ökologen, die das sogenannte Habitat einer Tierart wissenschaftlich zutreffend beschreiben möchten, sind die Eichhörnchen ein Albtraum."
Dass eine statisch gedachte, gleichsam am Reißbrett systematisierte Natur zum Ideal bürokratischer Schreibtischökologen geworden ist, hat der Autor bereits in seiner Monographie über "stabile Ungleichgewichte" kritisiert. Diesen Gedanken greift er jetzt abermals auf, um zu illustrieren, wie schwammig die Idee einer "ökologischen Nische" wird, wenn ein dreihundert Gramm leichter Nager seine kosmopolitische Seite hervorkehrt. Solche nach wie vor gebräuchlichen Kategorien stammen aus einer Zeit, als die Ökologie noch eine deskriptive und keine analytische Disziplin war. Inzwischen erscheint es am sinnvollsten, ökologische Nischen als "die unterschiedlichen Fähigkeiten der verschiedenen Lebewesen zu verstehen".
Allerdings versucht auch Reichholf manchmal, seine Leser zu überzeugen, indem er Erlebnisse einfach beschreibt. Der zweite Teil des Buchs handelt von der Verwandtschaft der Eichhörnchen, im dritten Abschnitt geht es um deren "Nachtausgabe" - die Siebenschläfer. Einer von ihnen lebte in der Küche von Familie Reichholf und hörte auf den Namen Schmurksi. Voller Empathie und Begeisterung erinnert sich der Autor an den kleinen Bilch und seine Eskapaden. Bei den im Plauderton gehaltenen Passagen wird die Beschreibung zum Argument - für den heuristischen Wert der teilnehmenden Beobachtung und für eine kritische Haltung gegenüber den geltenden Naturschutzbestimmungen. Wer heute ein verwaistes Eichhörnchen aufnehmen und pflegen möchte, braucht eine artenschutzrechtliche Ausnahmeerlaubnis. Die Forstwirtschaft wiederum darf "bei der Holzernte genehmigungsfrei die Nester mit den kleinen Jungen darin vernichten".
In David Lodges Roman "Therapie" sagt der Erzähler: "Sollte es so etwas wie eine Wiedergeburt geben, hätte ich nichts dagegen, das nächste Mal als Eichhörnchen auf die Welt zu kommen." Nach der Lektüre von Reichholfs Buch mag man sich diesem Statement nicht ohne weiteres anschließen, denn das Leben der Nager ist mühsam und hart. Sie müssen ohne Winterschlaf durch die kalte Jahreszeit kommen und sich vor versierten Jägern wie Marder und Habicht in Acht nehmen. Für uns allerdings sind sie ideale Wegweiser, mit deren Hilfe wir die Mechanismen und Grundlagen der Natur besser verstehen.
Josef H. Reichholf: "Das Leben der Eichhörnchen". Mit Illustrationen von Johann Brandstetter. Carl Hanser Verlag, München 2019.
176 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anpassungsfähige Kosmopoliten: Josef H. Reichholf geht mit Sciurus vulgaris durch dick und dünn und zeigt, dass man dabei viel lernen kann.
Von Kai Spanke
Wenn ein Eichhörnchen im Gullydeckel feststeckt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis engagierte Menschen erste Hilfe leisten. Vor drei Jahren rückte in München die Tierrettung aus, um Olivio - Namen sind in diesen Fällen schnell gefunden - aus seiner misslichen Lage zu befreien. Nur wenige Monate später war dessen Artgenosse Gulliver zwischen Kanalisation und Oberwelt eingeklemmt. Im vergangenen Sommer rief ein notleidendes Eichhörnchen in Dortmund sogar die Feuerwehr auf den Plan. Jedes Mal nahm die Presse Anteil am Schicksal der Nager und berichtete über deren Genesungsprozess. Nicht ohne Grund. Der Naturschutzbund Deutschland erklärt: "Auf der Beliebtheitsskala von uns Menschen rangieren Eichhörnchen ganz oben."
Insofern ist es kaum einsichtig, dass fortwährend neue Abhandlungen über Vögel, Bienen und Wölfe erscheinen, während Eichhörnchen vor allem als Kinderbuch-Stars Karriere machen. Dem setzt der Biologe Josef H. Reichholf nun den Essay "Das Leben der Eichhörnchen" entgegen. Leser naturkundlicher Werke werden sich wundern: Warum nicht das "geheime Leben"? Tatsächlich wäre das überstrapazierte Adjektiv hier angebracht gewesen, denn vieles über diese niedlichen Tiere ist sogar erklärten Naturfreunden unbekannt. Gehören etwa die roten und schwarzbraunen Eichhörnchen, die sich in Deutschland beobachten lassen, zur selben Art? Halten sie Winterschlaf? Wen müssen sie fürchten? Und warum sehen sie so nett aus?
Unter den mehr als 2280 Nagetierarten, deren Spektrum von winzigen Mäusen über den kompakt gebauten Biber bis hin zum fünfzig Kilogramm schweren Capybara, einem Verwandten des Meerschweinchens, reicht, fallen Eichhörnchen durch ihre schlanke, in die Länge gezogene Statur auf. Die Stupsnase und das freundliche Gesicht mit den verhältnismäßig weit nach vorne gerichteten Augen wollen nicht recht dazu passen, haben aber eine wichtige Funktion. Tiere mit kurzer Schnauze verfügen über einen eher schwachen Geruchssinn, was die häufig umso besseren Augen aufwiegen.
Wegen der akrobatischen Manöver, die das Eichhörnchen im Astwerk vollführt, ist es auf tiefenscharfes Sehen angewiesen. Die Nahorientierung läuft, wie auch bei Katzen, über die Vibrissen. Diese feinen Haare neben der Nase sind bei Säugetieren mit langer Schnauze weniger bedeutsam, nehmen sie die Welt doch hauptsächlich über den Geruch wahr. Ratten etwa fühlen sich in der Finsternis besonders wohl und beschnuppern ausgiebig ihre Umgebung; Eichhörnchen schauen sich lieber um und meiden das Zwielicht.
Es gehört zu Reichholfs Stärken, Zusammenhänge darzulegen und nicht bloß Wissenshäppchen aufzutürmen. Er diskutiert Fragen des Stoffwechsels und Nestbaus, er bespricht die Beziehung zwischen Geburtenrate und Entwicklungsgeschwindigkeit des Nachwuchses, er vergleicht europäische Eichhörnchen mit amerikanischen Grauhörnchen und erkennt in der Feindseligkeit gegen den Fremdling einen Mangel an Sachkenntnis. Bei alldem kommen auch jene Leser auf ihre Kosten, die finden, Biologie sei immer nur so viel wert, wie sie Mathematik enthält.
Besonders anschaulich gelingen Reichholf jene Abschnitte, in denen er Eichhörnchen und Mensch miteinander vergleicht. So lernen wir manches über komplizierte Beziehungen, die für alle Säugetiere gelten: Wie verhalten sich Sauerstoffverbrauch und Körpergröße zueinander? Was sagt die relative Darmlänge über den Aufwand an Energie, der nötig ist, bis die Nahrung zur Ernährung wird? Welche Verbindung besteht zwischen der Zusammensetzung der Muttermilch und dem Spieltrieb?
Mit spitzbübischer Freude und fachlichem Ernst stellt Reichholf regelmäßig Thesen auf, die so in keinem Schulbuch zu finden sind. Zum Beispiel glaubt er, die Vogelfeder habe sich als Mülldeponie für schädliche Schwefelverbindungen entwickelt und der Mensch sei in Zeiten des Überflusses vom Jäger und Sammler zum sesshaften Bierbrauer geworden. Nun veranschaulicht er, wie Eichhörnchen gängige ökologische Konzepte an ihre Grenzen bringen. Die Nager kommen vom europäischen Westen bis in den fernen Osten vor, sie leben in Gegenden auf Meeresniveau und im Hochgebirge, man findet sie in Wäldern und Städten. Einige von ihnen sind im Jahresverlauf einer Temperaturspanne von rund siebzig Grad ausgesetzt. So liegt folgender Schluss nahe: "Für Ökologen, die das sogenannte Habitat einer Tierart wissenschaftlich zutreffend beschreiben möchten, sind die Eichhörnchen ein Albtraum."
Dass eine statisch gedachte, gleichsam am Reißbrett systematisierte Natur zum Ideal bürokratischer Schreibtischökologen geworden ist, hat der Autor bereits in seiner Monographie über "stabile Ungleichgewichte" kritisiert. Diesen Gedanken greift er jetzt abermals auf, um zu illustrieren, wie schwammig die Idee einer "ökologischen Nische" wird, wenn ein dreihundert Gramm leichter Nager seine kosmopolitische Seite hervorkehrt. Solche nach wie vor gebräuchlichen Kategorien stammen aus einer Zeit, als die Ökologie noch eine deskriptive und keine analytische Disziplin war. Inzwischen erscheint es am sinnvollsten, ökologische Nischen als "die unterschiedlichen Fähigkeiten der verschiedenen Lebewesen zu verstehen".
Allerdings versucht auch Reichholf manchmal, seine Leser zu überzeugen, indem er Erlebnisse einfach beschreibt. Der zweite Teil des Buchs handelt von der Verwandtschaft der Eichhörnchen, im dritten Abschnitt geht es um deren "Nachtausgabe" - die Siebenschläfer. Einer von ihnen lebte in der Küche von Familie Reichholf und hörte auf den Namen Schmurksi. Voller Empathie und Begeisterung erinnert sich der Autor an den kleinen Bilch und seine Eskapaden. Bei den im Plauderton gehaltenen Passagen wird die Beschreibung zum Argument - für den heuristischen Wert der teilnehmenden Beobachtung und für eine kritische Haltung gegenüber den geltenden Naturschutzbestimmungen. Wer heute ein verwaistes Eichhörnchen aufnehmen und pflegen möchte, braucht eine artenschutzrechtliche Ausnahmeerlaubnis. Die Forstwirtschaft wiederum darf "bei der Holzernte genehmigungsfrei die Nester mit den kleinen Jungen darin vernichten".
In David Lodges Roman "Therapie" sagt der Erzähler: "Sollte es so etwas wie eine Wiedergeburt geben, hätte ich nichts dagegen, das nächste Mal als Eichhörnchen auf die Welt zu kommen." Nach der Lektüre von Reichholfs Buch mag man sich diesem Statement nicht ohne weiteres anschließen, denn das Leben der Nager ist mühsam und hart. Sie müssen ohne Winterschlaf durch die kalte Jahreszeit kommen und sich vor versierten Jägern wie Marder und Habicht in Acht nehmen. Für uns allerdings sind sie ideale Wegweiser, mit deren Hilfe wir die Mechanismen und Grundlagen der Natur besser verstehen.
Josef H. Reichholf: "Das Leben der Eichhörnchen". Mit Illustrationen von Johann Brandstetter. Carl Hanser Verlag, München 2019.
176 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main