Überlebenskünstler, Kletterprofi, Sympathieträger
Mit akrobatischen Sprüngen turnt es durch die Baumwipfel, um wenig später an sicherem Ort die erbeuteten Nüsse zu verstecken: Kaum ein Tier lässt sich im Park, im Wald oder im eigenen Garten so gut beobachten wie das Eichhörnchen. Doch was wissen wir eigentlich über die kleinen Nager? Der Biologe und Bestsellerautor Josef H. Reichholf gibt äußerst unterhaltsam Antwort auf alle denkbaren Fragen und bezieht dabei auch andere Vertreter der weitläufigen Hörnchenverwandtschaft mit ein, etwa das 16 Gramm leichte Afrikanische Zwerghörnchen oder das sechseinhalb Kilogramm schwere Graumurmeltier. Eine spannende Naturkunde, die uns die munteren Sympathieträger mit anderen Augen sehen lässt.
Mit akrobatischen Sprüngen turnt es durch die Baumwipfel, um wenig später an sicherem Ort die erbeuteten Nüsse zu verstecken: Kaum ein Tier lässt sich im Park, im Wald oder im eigenen Garten so gut beobachten wie das Eichhörnchen. Doch was wissen wir eigentlich über die kleinen Nager? Der Biologe und Bestsellerautor Josef H. Reichholf gibt äußerst unterhaltsam Antwort auf alle denkbaren Fragen und bezieht dabei auch andere Vertreter der weitläufigen Hörnchenverwandtschaft mit ein, etwa das 16 Gramm leichte Afrikanische Zwerghörnchen oder das sechseinhalb Kilogramm schwere Graumurmeltier. Eine spannende Naturkunde, die uns die munteren Sympathieträger mit anderen Augen sehen lässt.
Für jeden Tierfreund ist dieses Buch ein schöner Lesegenuss. TV für mich 20211029
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.11.2019Mensch, du Eichhörnchen!
Anpassungsfähige Kosmopoliten: Josef H. Reichholf geht mit Sciurus vulgaris durch dick und dünn und zeigt, dass man dabei viel lernen kann.
Von Kai Spanke
Wenn ein Eichhörnchen im Gullydeckel feststeckt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis engagierte Menschen erste Hilfe leisten. Vor drei Jahren rückte in München die Tierrettung aus, um Olivio - Namen sind in diesen Fällen schnell gefunden - aus seiner misslichen Lage zu befreien. Nur wenige Monate später war dessen Artgenosse Gulliver zwischen Kanalisation und Oberwelt eingeklemmt. Im vergangenen Sommer rief ein notleidendes Eichhörnchen in Dortmund sogar die Feuerwehr auf den Plan. Jedes Mal nahm die Presse Anteil am Schicksal der Nager und berichtete über deren Genesungsprozess. Nicht ohne Grund. Der Naturschutzbund Deutschland erklärt: "Auf der Beliebtheitsskala von uns Menschen rangieren Eichhörnchen ganz oben."
Insofern ist es kaum einsichtig, dass fortwährend neue Abhandlungen über Vögel, Bienen und Wölfe erscheinen, während Eichhörnchen vor allem als Kinderbuch-Stars Karriere machen. Dem setzt der Biologe Josef H. Reichholf nun den Essay "Das Leben der Eichhörnchen" entgegen. Leser naturkundlicher Werke werden sich wundern: Warum nicht das "geheime Leben"? Tatsächlich wäre das überstrapazierte Adjektiv hier angebracht gewesen, denn vieles über diese niedlichen Tiere ist sogar erklärten Naturfreunden unbekannt. Gehören etwa die roten und schwarzbraunen Eichhörnchen, die sich in Deutschland beobachten lassen, zur selben Art? Halten sie Winterschlaf? Wen müssen sie fürchten? Und warum sehen sie so nett aus?
Unter den mehr als 2280 Nagetierarten, deren Spektrum von winzigen Mäusen über den kompakt gebauten Biber bis hin zum fünfzig Kilogramm schweren Capybara, einem Verwandten des Meerschweinchens, reicht, fallen Eichhörnchen durch ihre schlanke, in die Länge gezogene Statur auf. Die Stupsnase und das freundliche Gesicht mit den verhältnismäßig weit nach vorne gerichteten Augen wollen nicht recht dazu passen, haben aber eine wichtige Funktion. Tiere mit kurzer Schnauze verfügen über einen eher schwachen Geruchssinn, was die häufig umso besseren Augen aufwiegen.
Wegen der akrobatischen Manöver, die das Eichhörnchen im Astwerk vollführt, ist es auf tiefenscharfes Sehen angewiesen. Die Nahorientierung läuft, wie auch bei Katzen, über die Vibrissen. Diese feinen Haare neben der Nase sind bei Säugetieren mit langer Schnauze weniger bedeutsam, nehmen sie die Welt doch hauptsächlich über den Geruch wahr. Ratten etwa fühlen sich in der Finsternis besonders wohl und beschnuppern ausgiebig ihre Umgebung; Eichhörnchen schauen sich lieber um und meiden das Zwielicht.
Es gehört zu Reichholfs Stärken, Zusammenhänge darzulegen und nicht bloß Wissenshäppchen aufzutürmen. Er diskutiert Fragen des Stoffwechsels und Nestbaus, er bespricht die Beziehung zwischen Geburtenrate und Entwicklungsgeschwindigkeit des Nachwuchses, er vergleicht europäische Eichhörnchen mit amerikanischen Grauhörnchen und erkennt in der Feindseligkeit gegen den Fremdling einen Mangel an Sachkenntnis. Bei alldem kommen auch jene Leser auf ihre Kosten, die finden, Biologie sei immer nur so viel wert, wie sie Mathematik enthält.
Besonders anschaulich gelingen Reichholf jene Abschnitte, in denen er Eichhörnchen und Mensch miteinander vergleicht. So lernen wir manches über komplizierte Beziehungen, die für alle Säugetiere gelten: Wie verhalten sich Sauerstoffverbrauch und Körpergröße zueinander? Was sagt die relative Darmlänge über den Aufwand an Energie, der nötig ist, bis die Nahrung zur Ernährung wird? Welche Verbindung besteht zwischen der Zusammensetzung der Muttermilch und dem Spieltrieb?
Mit spitzbübischer Freude und fachlichem Ernst stellt Reichholf regelmäßig Thesen auf, die so in keinem Schulbuch zu finden sind. Zum Beispiel glaubt er, die Vogelfeder habe sich als Mülldeponie für schädliche Schwefelverbindungen entwickelt und der Mensch sei in Zeiten des Überflusses vom Jäger und Sammler zum sesshaften Bierbrauer geworden. Nun veranschaulicht er, wie Eichhörnchen gängige ökologische Konzepte an ihre Grenzen bringen. Die Nager kommen vom europäischen Westen bis in den fernen Osten vor, sie leben in Gegenden auf Meeresniveau und im Hochgebirge, man findet sie in Wäldern und Städten. Einige von ihnen sind im Jahresverlauf einer Temperaturspanne von rund siebzig Grad ausgesetzt. So liegt folgender Schluss nahe: "Für Ökologen, die das sogenannte Habitat einer Tierart wissenschaftlich zutreffend beschreiben möchten, sind die Eichhörnchen ein Albtraum."
Dass eine statisch gedachte, gleichsam am Reißbrett systematisierte Natur zum Ideal bürokratischer Schreibtischökologen geworden ist, hat der Autor bereits in seiner Monographie über "stabile Ungleichgewichte" kritisiert. Diesen Gedanken greift er jetzt abermals auf, um zu illustrieren, wie schwammig die Idee einer "ökologischen Nische" wird, wenn ein dreihundert Gramm leichter Nager seine kosmopolitische Seite hervorkehrt. Solche nach wie vor gebräuchlichen Kategorien stammen aus einer Zeit, als die Ökologie noch eine deskriptive und keine analytische Disziplin war. Inzwischen erscheint es am sinnvollsten, ökologische Nischen als "die unterschiedlichen Fähigkeiten der verschiedenen Lebewesen zu verstehen".
Allerdings versucht auch Reichholf manchmal, seine Leser zu überzeugen, indem er Erlebnisse einfach beschreibt. Der zweite Teil des Buchs handelt von der Verwandtschaft der Eichhörnchen, im dritten Abschnitt geht es um deren "Nachtausgabe" - die Siebenschläfer. Einer von ihnen lebte in der Küche von Familie Reichholf und hörte auf den Namen Schmurksi. Voller Empathie und Begeisterung erinnert sich der Autor an den kleinen Bilch und seine Eskapaden. Bei den im Plauderton gehaltenen Passagen wird die Beschreibung zum Argument - für den heuristischen Wert der teilnehmenden Beobachtung und für eine kritische Haltung gegenüber den geltenden Naturschutzbestimmungen. Wer heute ein verwaistes Eichhörnchen aufnehmen und pflegen möchte, braucht eine artenschutzrechtliche Ausnahmeerlaubnis. Die Forstwirtschaft wiederum darf "bei der Holzernte genehmigungsfrei die Nester mit den kleinen Jungen darin vernichten".
In David Lodges Roman "Therapie" sagt der Erzähler: "Sollte es so etwas wie eine Wiedergeburt geben, hätte ich nichts dagegen, das nächste Mal als Eichhörnchen auf die Welt zu kommen." Nach der Lektüre von Reichholfs Buch mag man sich diesem Statement nicht ohne weiteres anschließen, denn das Leben der Nager ist mühsam und hart. Sie müssen ohne Winterschlaf durch die kalte Jahreszeit kommen und sich vor versierten Jägern wie Marder und Habicht in Acht nehmen. Für uns allerdings sind sie ideale Wegweiser, mit deren Hilfe wir die Mechanismen und Grundlagen der Natur besser verstehen.
Josef H. Reichholf: "Das Leben der Eichhörnchen". Mit Illustrationen von Johann Brandstetter. Carl Hanser Verlag, München 2019.
176 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Anpassungsfähige Kosmopoliten: Josef H. Reichholf geht mit Sciurus vulgaris durch dick und dünn und zeigt, dass man dabei viel lernen kann.
Von Kai Spanke
Wenn ein Eichhörnchen im Gullydeckel feststeckt, ist es nur eine Frage der Zeit, bis engagierte Menschen erste Hilfe leisten. Vor drei Jahren rückte in München die Tierrettung aus, um Olivio - Namen sind in diesen Fällen schnell gefunden - aus seiner misslichen Lage zu befreien. Nur wenige Monate später war dessen Artgenosse Gulliver zwischen Kanalisation und Oberwelt eingeklemmt. Im vergangenen Sommer rief ein notleidendes Eichhörnchen in Dortmund sogar die Feuerwehr auf den Plan. Jedes Mal nahm die Presse Anteil am Schicksal der Nager und berichtete über deren Genesungsprozess. Nicht ohne Grund. Der Naturschutzbund Deutschland erklärt: "Auf der Beliebtheitsskala von uns Menschen rangieren Eichhörnchen ganz oben."
Insofern ist es kaum einsichtig, dass fortwährend neue Abhandlungen über Vögel, Bienen und Wölfe erscheinen, während Eichhörnchen vor allem als Kinderbuch-Stars Karriere machen. Dem setzt der Biologe Josef H. Reichholf nun den Essay "Das Leben der Eichhörnchen" entgegen. Leser naturkundlicher Werke werden sich wundern: Warum nicht das "geheime Leben"? Tatsächlich wäre das überstrapazierte Adjektiv hier angebracht gewesen, denn vieles über diese niedlichen Tiere ist sogar erklärten Naturfreunden unbekannt. Gehören etwa die roten und schwarzbraunen Eichhörnchen, die sich in Deutschland beobachten lassen, zur selben Art? Halten sie Winterschlaf? Wen müssen sie fürchten? Und warum sehen sie so nett aus?
Unter den mehr als 2280 Nagetierarten, deren Spektrum von winzigen Mäusen über den kompakt gebauten Biber bis hin zum fünfzig Kilogramm schweren Capybara, einem Verwandten des Meerschweinchens, reicht, fallen Eichhörnchen durch ihre schlanke, in die Länge gezogene Statur auf. Die Stupsnase und das freundliche Gesicht mit den verhältnismäßig weit nach vorne gerichteten Augen wollen nicht recht dazu passen, haben aber eine wichtige Funktion. Tiere mit kurzer Schnauze verfügen über einen eher schwachen Geruchssinn, was die häufig umso besseren Augen aufwiegen.
Wegen der akrobatischen Manöver, die das Eichhörnchen im Astwerk vollführt, ist es auf tiefenscharfes Sehen angewiesen. Die Nahorientierung läuft, wie auch bei Katzen, über die Vibrissen. Diese feinen Haare neben der Nase sind bei Säugetieren mit langer Schnauze weniger bedeutsam, nehmen sie die Welt doch hauptsächlich über den Geruch wahr. Ratten etwa fühlen sich in der Finsternis besonders wohl und beschnuppern ausgiebig ihre Umgebung; Eichhörnchen schauen sich lieber um und meiden das Zwielicht.
Es gehört zu Reichholfs Stärken, Zusammenhänge darzulegen und nicht bloß Wissenshäppchen aufzutürmen. Er diskutiert Fragen des Stoffwechsels und Nestbaus, er bespricht die Beziehung zwischen Geburtenrate und Entwicklungsgeschwindigkeit des Nachwuchses, er vergleicht europäische Eichhörnchen mit amerikanischen Grauhörnchen und erkennt in der Feindseligkeit gegen den Fremdling einen Mangel an Sachkenntnis. Bei alldem kommen auch jene Leser auf ihre Kosten, die finden, Biologie sei immer nur so viel wert, wie sie Mathematik enthält.
Besonders anschaulich gelingen Reichholf jene Abschnitte, in denen er Eichhörnchen und Mensch miteinander vergleicht. So lernen wir manches über komplizierte Beziehungen, die für alle Säugetiere gelten: Wie verhalten sich Sauerstoffverbrauch und Körpergröße zueinander? Was sagt die relative Darmlänge über den Aufwand an Energie, der nötig ist, bis die Nahrung zur Ernährung wird? Welche Verbindung besteht zwischen der Zusammensetzung der Muttermilch und dem Spieltrieb?
Mit spitzbübischer Freude und fachlichem Ernst stellt Reichholf regelmäßig Thesen auf, die so in keinem Schulbuch zu finden sind. Zum Beispiel glaubt er, die Vogelfeder habe sich als Mülldeponie für schädliche Schwefelverbindungen entwickelt und der Mensch sei in Zeiten des Überflusses vom Jäger und Sammler zum sesshaften Bierbrauer geworden. Nun veranschaulicht er, wie Eichhörnchen gängige ökologische Konzepte an ihre Grenzen bringen. Die Nager kommen vom europäischen Westen bis in den fernen Osten vor, sie leben in Gegenden auf Meeresniveau und im Hochgebirge, man findet sie in Wäldern und Städten. Einige von ihnen sind im Jahresverlauf einer Temperaturspanne von rund siebzig Grad ausgesetzt. So liegt folgender Schluss nahe: "Für Ökologen, die das sogenannte Habitat einer Tierart wissenschaftlich zutreffend beschreiben möchten, sind die Eichhörnchen ein Albtraum."
Dass eine statisch gedachte, gleichsam am Reißbrett systematisierte Natur zum Ideal bürokratischer Schreibtischökologen geworden ist, hat der Autor bereits in seiner Monographie über "stabile Ungleichgewichte" kritisiert. Diesen Gedanken greift er jetzt abermals auf, um zu illustrieren, wie schwammig die Idee einer "ökologischen Nische" wird, wenn ein dreihundert Gramm leichter Nager seine kosmopolitische Seite hervorkehrt. Solche nach wie vor gebräuchlichen Kategorien stammen aus einer Zeit, als die Ökologie noch eine deskriptive und keine analytische Disziplin war. Inzwischen erscheint es am sinnvollsten, ökologische Nischen als "die unterschiedlichen Fähigkeiten der verschiedenen Lebewesen zu verstehen".
Allerdings versucht auch Reichholf manchmal, seine Leser zu überzeugen, indem er Erlebnisse einfach beschreibt. Der zweite Teil des Buchs handelt von der Verwandtschaft der Eichhörnchen, im dritten Abschnitt geht es um deren "Nachtausgabe" - die Siebenschläfer. Einer von ihnen lebte in der Küche von Familie Reichholf und hörte auf den Namen Schmurksi. Voller Empathie und Begeisterung erinnert sich der Autor an den kleinen Bilch und seine Eskapaden. Bei den im Plauderton gehaltenen Passagen wird die Beschreibung zum Argument - für den heuristischen Wert der teilnehmenden Beobachtung und für eine kritische Haltung gegenüber den geltenden Naturschutzbestimmungen. Wer heute ein verwaistes Eichhörnchen aufnehmen und pflegen möchte, braucht eine artenschutzrechtliche Ausnahmeerlaubnis. Die Forstwirtschaft wiederum darf "bei der Holzernte genehmigungsfrei die Nester mit den kleinen Jungen darin vernichten".
In David Lodges Roman "Therapie" sagt der Erzähler: "Sollte es so etwas wie eine Wiedergeburt geben, hätte ich nichts dagegen, das nächste Mal als Eichhörnchen auf die Welt zu kommen." Nach der Lektüre von Reichholfs Buch mag man sich diesem Statement nicht ohne weiteres anschließen, denn das Leben der Nager ist mühsam und hart. Sie müssen ohne Winterschlaf durch die kalte Jahreszeit kommen und sich vor versierten Jägern wie Marder und Habicht in Acht nehmen. Für uns allerdings sind sie ideale Wegweiser, mit deren Hilfe wir die Mechanismen und Grundlagen der Natur besser verstehen.
Josef H. Reichholf: "Das Leben der Eichhörnchen". Mit Illustrationen von Johann Brandstetter. Carl Hanser Verlag, München 2019.
176 S., Abb., geb., 20,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main