"Nataschas Hände krochen tiefer und stießen auf etwas, das an den warmen Zylinderblock einer Rennmaschine denken ließ. Es mußte die Stelle sein, wo bei Sam die Gliedmaßen ansetzen, zärtlich führte sie die Hand darum herum und dann noch tiefer, bis sie an den ersten Ring seines mit kurzen Borsten besetzten Unterleibs stieß. 'Oh yeah, honey', murmelte Sam, 'I can feel it.'"
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.03.1998Pelewins Tierleben
Käfer und andere: Wo die Kreatur nichts Höheres bedeuten soll
Wiktor Pelewin ist ein junger russischer Schriftsteller, er lebt in Moskau. Vor drei Jahren erschien auf deutsch sein Roman "Omon hinterm Mond", eine bissige Abrechnung mit dem sowjetischen Illusionismus, jener Variante marxistischer Überbauerhellung, die Ungerade auch gerade sein ließ, wenn das vorderhand im Dienst der Arbeiterklasse Befindliche hinterhältig im Dienst der eigenen Sache stand. Jetzt liegt ein neuer Roman vor, eine Romanze aus bitterer Abgeklärtheit und ironischer Zuneigung, durchkomponiert und filigran gedacht.
Wer Fabeln im traditionellen Sinne erwartet, wo Tiere zu Trägern menschlicher Eigenschaften werden und auch sonst ihre unliebe Last mit allem Menschlichen haben, der wird enttäuscht werden. Pelewin möchte nicht belehren. Wenn er von Mistkäfern, Ameisen, Mücken erzählt, dann nicht, um im einen die andere Seite der Brüderlichkeit, in der anderen die falsche Gleichheit und in der dritten die blutsaugerische Freiheit zum Thema und zur Figur zu erheben. Pelewins Tiere sind der Bodensatz des Menschen, die Grundausstattung, das was bleibt, wenn Über- und Unterbau in eins fallen. Aus einem Tier läßt sich die Figur gewinnen, die ein Mensch abgäbe, würde er sich auf das Grundsätzliche, Leben, Sinn und Liebe, konzentrieren, ohne Ablenkungen durch die marxistische Basis, Essen, Geld und Karriere. Sobald der menschliche Hunger einmal gestillt ist, kommt das Tier zum Vorschein, nicht umgekehrt.
Wenn hier also von Tieren erzählt wird, dann sind nicht im sogenannten eigentlichen Sinne Menschen gemeint. Die erste Irritation beim Lesen entstammt diesem letztlich unnötigen Übersetzungsproblem von der Menschen- in die Tierwelt, das sich der Leser selbst macht. Pelewins Kunst ermöglicht den raschen Zusammenfall beider, ein Mistkäfer ist ein Mistkäfer. Es gibt keinen Unterschied zwischen einem Mistkäfer, der ein Tier ist, und einem Mistkäfer, mit dem ein Mensch gemeint ist. Die Eigenarten der Tiere sind Eigenarten für sich; sie stellen nichts vor, sie weisen nicht auf etwas anderes. Aus den Tieren werden Geschöpfe, ohne anthropomorphisierendes Pathos, was ihnen in den Fabeln bislang nicht gestattet wurde. Die Grenzen zwischen Mensch hier und Tier dort sind fließend, und man muß nur aufpassen, daß beim Erzählen und Lesen keine Unterscheidungen getroffen oder zugelassen werden, die unnötig, weil in der Ordnung von Tier und Mensch wären. Daß Pelewin diese Balance als Geschöpf hält, darin zeigt sich seine Kunstfertigkeit.
Seine Tiere haben Namen, heißen Arthur, Sam, Natascha. Sie reden, machen sich ihre Gedanken über den Sinn ihres tierischen Daseins, schlagen und küssen sich, bauen sich ihr Nest, rauchen Joints, gehen im Meer baden und ins Restaurant, fühlen sich allein und verlieben sich. Sie laufen einander über den Weg, ohne voneinander zu wissen, jedes mit sich, seinem Fortkommen, seinem Glück beschäftigt. Einige wollen selbstverständlich nach drüben, in die Vereinigten Staaten, wo es die schicken Autos gibt, wo irgendwie alles anders sein soll, nicht so eng, beschränkt und muffig. Aber mit den Wünschen wachsen die Dimensionen der Wirklichkeit nicht, die Illusionen halten sich einander die Waage und die Welt klein, und keine Gewißheit gibt es letztendlich darüber, in welchen Größenordnungen das Spiel vom Leben gespielt wird. Man muß aber nicht immer ins All hinausschießen, um nachzusehen, daß nach Groß noch ein Größer kommt, denn vor jedem Klein steht immer ein Kleiner, und so etwas sieht man schon, wenn man genauer hinschaut.
Alle Tiere sind Russen, bis auf Sam, die amerikanische Mücke, eingeflogen, um den russischen Markt zu testen, das so oft in Wallung geratene berühmte russische Blut, dessen Alkoholgehalt die abgebrühteste amerikanische Mücke ins Delirium schicken kann. Unter diesen Russen findet man die Leuchtkäfervariante auf den Existentialismus mit Wind, Sand und Lampen. Das russische Heim liegt im Dreck, unterirdisch, aber kuschelig gemütlich, eine Kuhle zum Kinderkriegen. Was das Leben im Innersten zusammenhält, das erfährt ein russischer Mistkäfer nur, wenn er mit beiden Händen tief in sich hineingreift. Und bei Russen, die tierisch gut drauf sind, heißt das Kraut, das einen illegal auf den Trip bringt, "Plan", und damit sind ganz neue Sätze möglich geworden, so, daß der Leninplan einem weniger gut schmeckt als der Marshallplan, was aber, sieht man es im großen und ganzen, im Rausch, auch wiederum nicht so wichtig ist. Sub specie animalis gedacht und gesehen, liegt Moskau auch nicht anderswo. EBERHARD RATHGEB
Wiktor Pelewin: "Das Leben der Insekten". Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Andreas Tretner. Reclam Verlag, Leipzig 1997. 209 S., geb., 29,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Käfer und andere: Wo die Kreatur nichts Höheres bedeuten soll
Wiktor Pelewin ist ein junger russischer Schriftsteller, er lebt in Moskau. Vor drei Jahren erschien auf deutsch sein Roman "Omon hinterm Mond", eine bissige Abrechnung mit dem sowjetischen Illusionismus, jener Variante marxistischer Überbauerhellung, die Ungerade auch gerade sein ließ, wenn das vorderhand im Dienst der Arbeiterklasse Befindliche hinterhältig im Dienst der eigenen Sache stand. Jetzt liegt ein neuer Roman vor, eine Romanze aus bitterer Abgeklärtheit und ironischer Zuneigung, durchkomponiert und filigran gedacht.
Wer Fabeln im traditionellen Sinne erwartet, wo Tiere zu Trägern menschlicher Eigenschaften werden und auch sonst ihre unliebe Last mit allem Menschlichen haben, der wird enttäuscht werden. Pelewin möchte nicht belehren. Wenn er von Mistkäfern, Ameisen, Mücken erzählt, dann nicht, um im einen die andere Seite der Brüderlichkeit, in der anderen die falsche Gleichheit und in der dritten die blutsaugerische Freiheit zum Thema und zur Figur zu erheben. Pelewins Tiere sind der Bodensatz des Menschen, die Grundausstattung, das was bleibt, wenn Über- und Unterbau in eins fallen. Aus einem Tier läßt sich die Figur gewinnen, die ein Mensch abgäbe, würde er sich auf das Grundsätzliche, Leben, Sinn und Liebe, konzentrieren, ohne Ablenkungen durch die marxistische Basis, Essen, Geld und Karriere. Sobald der menschliche Hunger einmal gestillt ist, kommt das Tier zum Vorschein, nicht umgekehrt.
Wenn hier also von Tieren erzählt wird, dann sind nicht im sogenannten eigentlichen Sinne Menschen gemeint. Die erste Irritation beim Lesen entstammt diesem letztlich unnötigen Übersetzungsproblem von der Menschen- in die Tierwelt, das sich der Leser selbst macht. Pelewins Kunst ermöglicht den raschen Zusammenfall beider, ein Mistkäfer ist ein Mistkäfer. Es gibt keinen Unterschied zwischen einem Mistkäfer, der ein Tier ist, und einem Mistkäfer, mit dem ein Mensch gemeint ist. Die Eigenarten der Tiere sind Eigenarten für sich; sie stellen nichts vor, sie weisen nicht auf etwas anderes. Aus den Tieren werden Geschöpfe, ohne anthropomorphisierendes Pathos, was ihnen in den Fabeln bislang nicht gestattet wurde. Die Grenzen zwischen Mensch hier und Tier dort sind fließend, und man muß nur aufpassen, daß beim Erzählen und Lesen keine Unterscheidungen getroffen oder zugelassen werden, die unnötig, weil in der Ordnung von Tier und Mensch wären. Daß Pelewin diese Balance als Geschöpf hält, darin zeigt sich seine Kunstfertigkeit.
Seine Tiere haben Namen, heißen Arthur, Sam, Natascha. Sie reden, machen sich ihre Gedanken über den Sinn ihres tierischen Daseins, schlagen und küssen sich, bauen sich ihr Nest, rauchen Joints, gehen im Meer baden und ins Restaurant, fühlen sich allein und verlieben sich. Sie laufen einander über den Weg, ohne voneinander zu wissen, jedes mit sich, seinem Fortkommen, seinem Glück beschäftigt. Einige wollen selbstverständlich nach drüben, in die Vereinigten Staaten, wo es die schicken Autos gibt, wo irgendwie alles anders sein soll, nicht so eng, beschränkt und muffig. Aber mit den Wünschen wachsen die Dimensionen der Wirklichkeit nicht, die Illusionen halten sich einander die Waage und die Welt klein, und keine Gewißheit gibt es letztendlich darüber, in welchen Größenordnungen das Spiel vom Leben gespielt wird. Man muß aber nicht immer ins All hinausschießen, um nachzusehen, daß nach Groß noch ein Größer kommt, denn vor jedem Klein steht immer ein Kleiner, und so etwas sieht man schon, wenn man genauer hinschaut.
Alle Tiere sind Russen, bis auf Sam, die amerikanische Mücke, eingeflogen, um den russischen Markt zu testen, das so oft in Wallung geratene berühmte russische Blut, dessen Alkoholgehalt die abgebrühteste amerikanische Mücke ins Delirium schicken kann. Unter diesen Russen findet man die Leuchtkäfervariante auf den Existentialismus mit Wind, Sand und Lampen. Das russische Heim liegt im Dreck, unterirdisch, aber kuschelig gemütlich, eine Kuhle zum Kinderkriegen. Was das Leben im Innersten zusammenhält, das erfährt ein russischer Mistkäfer nur, wenn er mit beiden Händen tief in sich hineingreift. Und bei Russen, die tierisch gut drauf sind, heißt das Kraut, das einen illegal auf den Trip bringt, "Plan", und damit sind ganz neue Sätze möglich geworden, so, daß der Leninplan einem weniger gut schmeckt als der Marshallplan, was aber, sieht man es im großen und ganzen, im Rausch, auch wiederum nicht so wichtig ist. Sub specie animalis gedacht und gesehen, liegt Moskau auch nicht anderswo. EBERHARD RATHGEB
Wiktor Pelewin: "Das Leben der Insekten". Roman. Aus dem Russischen übersetzt von Andreas Tretner. Reclam Verlag, Leipzig 1997. 209 S., geb., 29,80 DM.
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