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Das dem Umfang nach kleine Werk wurde einen Monat vor Akutagawas Selbstmord ( am 24. Juli 1927) abgeschlossen und posthum veröffentlicht. Diese Lebenssumme präsentiert sich in einer für uns recht erstaunlichen Form, nämlich knapp, kahl, aussparend und symbolisch verdichtend. Der existentielle Druck, unter dem der dem Selbsmord nahe Dichter steht, ist ebenso deutlich wie die Beherrschtheit, Distanzierungsfähigkeit des Schreibenden, der in 51 kurzen Kapiteln sein Leben abschreitet, innehaltend bei Episoden und Einzelheiten, die, von der alltäglichen Umgebung befreit, Bedeutungskraft gewinnen, Gefühle aufrufen, anrühren.…mehr

Produktbeschreibung
Das dem Umfang nach kleine Werk wurde einen Monat vor Akutagawas Selbstmord ( am 24. Juli 1927) abgeschlossen und posthum veröffentlicht. Diese Lebenssumme präsentiert sich in einer für uns recht erstaunlichen Form, nämlich knapp, kahl, aussparend und symbolisch verdichtend. Der existentielle Druck, unter dem der dem Selbsmord nahe Dichter steht, ist ebenso deutlich wie die Beherrschtheit, Distanzierungsfähigkeit des Schreibenden, der in 51 kurzen Kapiteln sein Leben abschreitet, innehaltend bei Episoden und Einzelheiten, die, von der alltäglichen Umgebung befreit, Bedeutungskraft gewinnen, Gefühle aufrufen, anrühren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.11.1997

Verliebt in ein leeres Grundstück
Strenge Rückblicke: Ryunosuke Akutagawas "Leben eines Narren"

Vermutlich braucht man nicht mehr als eine Stunde, um Akutagawas Text "Das Leben eines Narren" zu lesen, der in der vorliegenden deutschen Übersetzung 57 Seiten umfaßt. Doch der Umfang ist die eine, das Gewicht eine ganz andere Sache. Es scheint sich hier zu bewahrheiten, was schon des öfteren im Blick auf japanische Literatur beobachtet wurde - daß ihre besonderen Stärken in der Kürze liegen. (Auch wenn, was der Wahrheit zuliebe hinzugefügt werden muß, einige der großen Epen der Weltliteratur wie die "Geschichte vom leuchtenden Prinzen Genji" oder die "Geschichte von Aufstieg und Fall des Geschlechts der Taira" ebenfalls der japanischen Literatur entstammen.)

Der Autor Ryunosuke Akutagawa (1892 bis 1927) gehört zu den wenigen japanischen Schriftstellern seiner Zeit, die schon zu Lebzeiten in westliche Sprachen übersetzt wurden. Akira Kurosawas preisgekrönter Film "Rashomon", der das japanische Kino nach dem Zweiten Weltkrieg schlagartig international berühmt machte, geht auf zwei Erzählungen dieses Autors zurück. Noch heute zählt Akutagawa zu den meistübersetzten Autoren seiner Sprache.

Berühmt ist Akutagawa vor allem ob der Vielfalt und Vielschichtigkeit seiner literarischen Stoffe und der stilistischen Brillanz seiner historischen Erzählungen, Novellen, Humoresken, satirischen Prosaskizzen und Essays. Er schöpft aus japanischen Volkssagen ebenso wie aus der Bibel und kennt sich in der Literatur des ostasiatischen wie des okzidentalen Raums hervorragend aus. Westliche Leser werden bei der Lektüre seiner Texte selten jene Fremdheitserfahrungen machen, die ihnen den Zugang zu anderen, oft auch zeitgenössischen japanischen Autoren teilweise verstellen. Denn Akutagawa ist vor allem eins: ein moderner Intellektueller, dessen individuelle Erfahrungswelt uns so nah oder so fern ist wie, sagen wir, diejenige von Karl Kraus oder Elias Canetti.

Akutagawa war kein Anhänger der seinerzeit so beliebten autobiographischen Bekenntnisliteratur. Er scheute davor zurück, das eigene Leben literarisch zu entblößen. Niemand stand der eindimensionalen Egozentrik des sogenannten "Ich-Romans" ferner als dieser selbstkritische Skeptiker, der seine Stil-Experimente mit kühlem Intellekt ausführte und zu dessen markantesten Texten jene Erzählung "Rashomon" zählt, in der die Unmöglichkeit der Wahrheitsfindung angesichts der Vielfalt einzelner Perspektiven demonstriert wird.

Akutagawa hat in den letzten Monaten seines Lebens einige kurze Texte verfaßt, die gleichwohl eindeutig auf das eigene Leben Bezug nehmen. Dazu gehören die postum veröffentlichten Prosaskizzen "Zahnräder", ein Dokument von quälender Eindringlichkeit (es endet mit den Sätzen: "Ich habe nicht mehr die Kraft weiterzuschreiben. Es ist eine unsägliche Qual, mit diesem Gefühl zu leben. Findet sich denn niemand, der mich im Schlaf sacht erdrosselt?"), ebenso wie der vorliegende Text und eine "Notiz für einen alten Freund". Bei letzterer handelt es sich um einen Brief an einen Schriftstellerfreund, dem er die Hintergründe für seinen Freitod und seine Überlegungen hinsichtlich eines möglichst ästhetischen Abgangs, nicht zuletzt aus Rücksichtnahme auf seine Frau und seine drei Söhne, dartut. Auch diesen Text enthält der soeben erschienene Band.

"Das Leben eines Narren" besteht aus 51 kurzen Stücken, die, in grob chronologischer Folge, einzelne Szenen und Momente dieses Künstlerlebens schlaglichtartig beleuchten. Das Stück Nummer 34 ist betitelt mit "Farbe": "In seinem dreißigsten Lebensjahr verliebte er sich unversehens in ein unbebautes Grundstück. Dort gab es nichts, lediglich zersplitterte Ziegel und Dachschindeln lagen verstreut auf dem moosbewachsenen Boden herum. Doch in seinen Augen war die Szene identisch mit einem Landschaftsbild von Cézanne. - Plötzlich erinnerte er sich an die leidenschaftlichen Gefühle, die ihn sieben, acht Jahre zuvor bewegt hatten. Und entdeckte gleichzeitig, daß er vor sieben, acht Jahren nichts über Farben gewußt hatte."

Wir begegnen einem japanischen Intellektuellen, der mit Literatur und Kunst mindestens ebenso intensive Erfahrungen verbindet wie mit der ihn umgebenden Realität. Die gesellschaftlichen Bedingungen, denen er ausgesetzt war, also "das Feudalzeitalter, das seine Schatten auf mich warf", habe er bewußt ausgespart, vertraut Akutagawa seinem Freund an. Dennoch fängt er in seinen scheinbar nebensächlichen Details gewidmeten Beobachtungen und kurzen Betrachtungen genug davon ein. Doch wichtiger ist ihm allemal die Kunst, verkörpert durch die Welt der Bücher. Eine Schlüsselszene für Akutagawa, zugleich der Beginn des Werks:

"Der Ort: der erste Stock einer Buchhandlung. Er, zwanzig Jahre, kletterte eine metallene Leiter hinauf, die an ein Bücherregal gelehnt war; er suchte nach neuen Büchern. Maupassant, Baudelaire, Strindberg, Ibsen, Shaw, Tolstoi . . ." Abschnitt 16 trägt den Titel: "Kopfkissen": "Er las ein Buch von Anatole France, wobei er seinen Skeptizismus, der nach Rosenblättern roch, als Kopfkissen benutzte. Er bemerkte nicht, daß mittlerweile selbst in diesem Kopfkissen ein Kentaur lebte." Akutagawa war, wie man bei der Lektüre feststellen wird, nicht zuletzt ein begnadeter Aphoristiker, den es sowohl in Japan als auch im Westen noch zu entdecken gilt.

In "Das Leben eines Narren" schreitet Akutagawa, der sich trotz aller Selbstzweifel seiner Bedeutung durchaus bewußt gewesen sein dürfte, die lichten und die düsteren Stationen seines Lebens ab. Es gibt Momente von haikuhafter Impressivität: "Im Wind, der erfüllt war vom Geruch der Algen, das Funkeln eines Schmetterlings. Einen kurzen Moment lang spürt er, wie der Schmetterling seine ausgedürrten Lippen mit den Flügeln berührte. Aber noch Jahre später leuchtete der Staub, den der Schmetterling auf seinen Lippen hinterlassen hatte." Am anderen Ende der Skala Desillusion und leise Verzweiflung: "Es stimmte: Der Dämon des Fin de siècle hielt ihn in seinen Klauen. Er beneidete die Menschen des Mittelalters, die auf Gott vertraut hatten. Aber ihm war es völlig unmöglich, an Gott zu glauben - an die Liebe Gottes zu glauben. An jenen Gott zu glauben, an den sogar Cocteau geglaubt hatte!"

Am 24. Juli 1927 beging Akutagawa mit einer Überdosis an Schlafmitteln Selbstmord in seinem Haus. Sein Tod erregte außergewöhnliches Aufsehen, und dies nicht nur in Literatenkreisen, auch wenn er den Schaffensfluß bei einer Reihe von Schriftstellerkollegen nachhaltig beeinflußt haben soll. Akutagawas Tod wurde eine symbolische Bedeutung zugesprochen - er galt als Fanal des Scheiterns eines weltoffenen, liberalen, individualistischen Geistes. Sein Name jedoch ist nicht nur in Verbindung mit dem nach ihm benannten, 1935 gestifteten Literaturpreis, der renommiertesten japanischen Auszeichnung für literarische Newcomer, lebendig geblieben. Von seinem Schaffen geht nach wie vor ein starker Reiz aus. Man hätte sich allerdings zu den verdienstvollen Anmerkungen des vorliegenden Bandes auch noch ein Nachwort gewünscht. Doch der Text ist andererseits stark genug, um für sich zu sprechen. Aus ihm spricht ein Mensch des zwanzigsten Jahrhunderts - scharfsinnig, zynisch, neurotisch, sensibel, individualistisch, reserviert und schwer zu fassen. IRMELA HIJIYA-KIRSCHNEREIT

Ryunosuke Akutagawa: "Das Leben eines Narren". Aus dem Japanischen übersetzt von Otto Putz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 1997. 83 S., geb., 18,80 DM.

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