Produktdetails
  • Verlag: Frankfurter Verlagsanstalt
  • Originaltitel: EL vano ayer
  • Seitenzahl: 347
  • Erscheinungstermin: 26. August 2008
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 470g
  • ISBN-13: 9783627001520
  • ISBN-10: 3627001524
  • Artikelnr.: 23846247
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Autorenporträt
Isaac Rosa, 1974 in Sevilla geboren, gilt als eine der bemerkenswertesten literarischen Stimmen Spaniens. Für sein historisch-moralisches Meisterstück »Das Leben in Rot« wurde der 1974 geborene Isaac Rosa mit dem renommierten Premio internacional de novela »Rómulo Gallegos« ausgezeichnet. Der Roman wurde in mehrere Sprachen übersetzt und 2008 unter der Regie von Andreés Linares verfilmt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.11.2008

Das Lied von der Folter ist ein Choral

Meisterhaft seziert Isaac Rosa im Roman "Das Leben in Rot" Francos Polizeistaat.

Von Paul Ingendaay

Madrid in den sechziger Jahren. Studenten rebellieren gegen die Franco-Diktatur. Illegale linke Gruppierungen rekrutieren auf dem Campus Gefolgsleute. Es kommt zu Straßenschlachten, Polizeiverhören und Folter. Aus dieser Zeit pickt sich der Roman "Das Leben in Rot" (El vano ayer) zwei Figuren heraus, die kaum etwas miteinander zu tun zu haben scheinen außer einem einzigen zweistündigen Treffen, von dem niemand weiß, worum es sich drehte. Julio Denis, ein ältlicher Literaturprofessor, wird nach den Chaostagen hastig außer Landes gebracht. Und André Sánchez, studentischer Verbindungsmann zu einer kommunistischen Zelle, verschwindet nach einer Welle von Festnahmen spurlos von der Szene. Hat der harmlos scheinende Experte für Barocklyrik ihn verraten? Wurde Sánchez von Francos Geheimdienst ermordet? Was die beiden ungleichen Männer miteinander zu tun gehabt haben könnten, das erzählt der Spanier Isaac Rosa in einer sich immer tiefer bohrenden fiktionalen Untersuchung. Manchmal sagen die Fragen mehr als die Antworten. Das ist in diesem fulminanten Roman der Fall. Seit Rafael Chirbes' "Der lange Marsch" (Deutsch 1998) hat es kein besseres Buch über die Franco-Diktatur mehr gegeben.

Man muss das so deutlich sagen, weil die Schwächen unübersehbar sind und sich außerdem schon auf den ersten zehn Seiten zeigen. Jedem Leser kann nur empfohlen werden, den kurzen Streifzug durchs Theoriegestrüpp durchzuhalten, danach kommen fette Weiden. Wie so viele ambitionierte Literaten will Isaac Rosa erst einmal das Erzählen neu erfinden, bevor er sich traut, das Wort zu ergreifen. Der Erzähler führt also eine Debatte mit sich selbst, in welchem Ton er schreiben, welches Genre er wählen und welche literarischen Finten er anwenden könnte, um seinen eigenen hohen Ansprüchen zu genügen. Gähn. Leider ist er kein Calvino und sagt es in so geschwollenen Sätzen, dass man sich erst gegängelt, dann genervt fühlt. Ralph Amanns Übersetzung verstärkt den mehligen Eindruck durch Hispanismen und grammatikalische Patzer, die das Lektorat nicht hätte durchwinken dürfen. Später schwingt sich die Übersetzung, genau wie der Roman, zu schöner Höhe auf; ein kleines Rätsel.

Tief im Inneren des Buchs tickt eine rundheraus erstaunliche literarische Intelligenz. Es hat ja schon eine Flut von spanischen Bürgerkriegs- und Diktaturromanen gegeben, und längst ist das Thema bei den Kitschproduzenten angekommen. Isaac Rosa, gebürtig aus Sevilla, ist von ganz anderem Kaliber. Er weiß um den billigen Trost durch Heldengeschichten und kennt alle Tricks der Doku-Fiction. Er erzählt die Story also in verschiedenen Entwürfen, die allesamt eine gewisse Plausibilität besitzen, aber nicht alle zugleich wahr sein können. Das Bild zittert, und es kommt bis zum Ende nicht zur Ruhe. Wie im Cantus Planus alter Kirchenchoräle fluten einzelne Stimmen durch den Raum, oft anonym, und liefern ihre Version der Ereignisse. Ein Student, der sich retten kann; ein berittener Polizist, der durch einen Sturz zum Invaliden wird; ein Anarchist, der brutale Foltern erleidet. Selbst ein Apologet der Unterdrückung kommt ausführlich zu Wort und darf dem Erzähler manipulativen Umgang mit den Fakten vorwerfen. Das "Wir" dieses Buches ist immer stärker als der Einzelne, denn Geschichte wird von Gruppen gemacht.

Isaac Rosa hat sich bewusst an Randfiguren gehalten. Mit ihnen lässt sich die Geschichte viel besser erzählen, denn es geht um den Wert, der dem Individuum in Zeiten der Repression noch zugesprochen wird. Man braucht einen starken Magen, um die langen Folterszenen zu lesen, doch sie haben ihren präzisen Sinn. Sie berauschen sich nicht an der Gewalt, sondern nehmen das Wesen der Folter selbst ins Visier. Inmitten dieses Polizeistaat-Ambientes wächst der einsame, etwas schusselige Professor Julio Denis zum Helden von tragikomischer Größe. Die Einfühlung in diesen Eigenbrötler voller verdrängter Sehnsüchte ist bemerkenswert, sein Abstieg im Pariser Exil ein Schauerstück mit Bartleby-Qualitäten. Vielleicht ist es nur eine dumme Verwechslung mit dem Namen eines Helden aus Schundromanen, die den armen Professor in den Strudel reißt; es wäre der tumben Polizei würdig und ein abgrundtief böser Kommentar über das Verhältnis von Geschichte und Fiktion. Dass es dem Autor gelingt, die Handlung in einen Nebel aus Spekulationen zu tauchen, zugleich aber ein spannendes Buch über den franquistischen Überwachungsstaat zu schreiben, ist eine Meisterleistung.

Isaac Rosa, Jahrgang 1974, hat die hier geschilderten Ereignisse nicht selbst erlebt und bewahrt nicht einmal eine ferne Erinnerung an den greisen Diktator. Ein weiterer Beleg dafür, dass das Kapital der Literatur nicht Zeitgenossenschaft, sondern künstlerisches Reflexionsvermögen ist. In Rosas Radiographie des Franco-Regimes erfährt man alles über die nachwirkenden Deformierungen, die die Diktatur in der spanischen Gesellschaft hinterlassen hat, von Denkfaulheit und Angstreflexen bis zur vorauseilenden Demut. "Das Leben in Rot" stellt aber auch eine Warnung an die Adresse der Optimisten und Träumer dar: Nur weil spätere Generationen es "Vergangenheitsbewältigung" nennen, sollten sie noch lange nicht sicher sein, das Wesen der Barbarei begriffen zu haben.

Isaac Rosa: "Das Leben in Rot". Roman. Aus dem Spanischen übersetzt von Ralph Amann. Frankfurter Verlagsanstalt, Frankfurt am Main 2008. 347 S., geb., 22,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Paul Ingendaay kann's nicht fassen. Was Isaac Rosas "Radiografie des Franco-Regimes" nach einem schnarchlangweiligen Anfang mit Erzählernabelschau und anderen theoretischen Sperenzien zu bieten hat, hält er für das beste zum Thema seit Chirbes' "Der lange Marsch". Immer tiefer folgt er dem Autor bei seiner "bohrenden fiktionalen Untersuchung" und stößt dabei nicht nur auf literarische Intelligenz vom Feinsten. Die vielen, "oft anonymen" Stimmen und Entwürfe, mittels deren Rosa erzählt, geben laut Ingendaay auch ein adäquates Bild von den Verhältnissen und dem Wert des Individuums zu Zeiten der Repression sowie von den nachwirkenden Deformierungen. Dem Leser empfiehlt Ingendaay Durchhaltevermögen fürderhin nur noch bezüglich der langen Folterszenen. Ein "spannendes" Buch über den franquistischen Folterstaat, das dem Rezensenten als Beweis gilt, dass meisterhaftes Erzählen historischer Ereignisse nicht unbedingt die Zeitgenossenschaft des Autors verlangt, sehr wohl aber künstlerisches Reflexionsvermögen.

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