„Vielleicht ist es die Aussicht auf das nahende Ende, die den Drang in mir weckt, den Weg noch einmal rückwärts zu beschreiten. Ich sage das nur so dahin, letztlich weiß ich es nicht, ich habe da keine Erfahrung. Ich werde zum ersten Mal alt.“
Als Jean-Pierre im Krankenhaus erwacht, kann er sich
nicht erinnern, wie er überhaupt dorthin gekommen ist. Scheinbar hat sich der 67jährige schwer…mehr„Vielleicht ist es die Aussicht auf das nahende Ende, die den Drang in mir weckt, den Weg noch einmal rückwärts zu beschreiten. Ich sage das nur so dahin, letztlich weiß ich es nicht, ich habe da keine Erfahrung. Ich werde zum ersten Mal alt.“
Als Jean-Pierre im Krankenhaus erwacht, kann er sich nicht erinnern, wie er überhaupt dorthin gekommen ist. Scheinbar hat sich der 67jährige schwer verletzt, als er in die Seine stürzte und nur einem jungen Mann ist zu verdanken, dass er dabei nicht ertrunken ist.
So richtig glücklich schätzt er sich aber nicht. Wie auch? Ans Bett gefesselt zu sein und ohne jede Privatsphäre ist schließlich kein Vergnügen. Mürrisch und mit viel Sarkasmus fügt der Eigenbrötler sich in sein Schicksal und beginnt vor lauter Langeweile, seine Memoiren zu schreiben. Viel erwartet der kinderlose Witwer nicht mehr vom Leben und die Menschen, die in seinem Krankenzimmer ein- und ausgehen sind - mit Ausnahme einer netten Krankenschwester - alle nervig. Aber so nach und nach wird er sie besser kennenlernen, die 14jährige Maeve, die ständig seinen Laptop leihen oder den jungen Polizisten, der unbedingt herausbekommen will, wieso Jean-Pierre ins Wasser stürzte…
Was habe ich dieses Buch wieder geliebt! Ich hatte große Erwartungen, nach „Das Labyrinth der Wörter“ und „Der Poet der kleinen Dinge“ – und die wurden nicht enttäuscht.
Jean-Pierre, so griesgrämig er auch erscheint, eroberte gleich mein Herz. Gemeinsam mit ihm blickt der Leser zurück auf sein Leben, erfährt Gutes und Schlechtes, teilt schöne und weniger schöne Erinnerungen. Den Stil, in dem er berichtet, finde ich wunderbar! Er ist zugleich leicht, humorvoll, sarkastisch, selbstkritisch und poetisch. Immer wieder las ich Sätze oder ganze Abschnitte mehrfach, einfach, weil ich sie so schön fand oder dabei loslachen musste. Ein paar Beispiele:
„Ich will ja nicht angeben, aber so mit sechs, sieben Jahren hatte ich in Sachen gesetzlich verbotene Straftaten schon einiges ausprobiert. Raubüberfall, Nötigung, Erpressung…“
„Nein: Ich hatte nicht versucht, mir das Leben zu nehmen. Ich bin nicht selbstmordgefährdet. Das erledigt sich mit der Zeit von selbst.“
„Denken ist eine ungesunde Beschäftigung, die ich in der Regel lieber vermeide.“
„Ich hätte es besser trotzdem getan, auch auf die Gefahr hin, Blödsinn zu reden. Eine Dummheit, die von Herzen kommt, ist leichter zu verzeihen als ein bequemes Schweigen.“
Aber das Buch befasst sich ja nicht nur mit Erinnerungen. Jean-Pierre lernt – gezwungenermaßen – eine Reihe von Menschen kennen und erfährt, dass jenseits von seinem Tellerrand auch noch andere Schicksale existieren. Und dass es wirklich nicht schaden kann, sich auch im Alter noch mal zu ändern.
„Ich kritisiere die Idioten, wo ich nur kann, aber selber könnte ich in ihrer Mannschaft als Mittelstürmer spielen.“
Im Grunde, fällt mir gerade auf, passt das Buch hervorragend zur nahenden Weihnachtszeit (obwohl es kein Weihnachtsbuch ist). Ein mürrischer alter Einzelgänger, der andere Menschen schätzen lernt und für sich eine neue Perspektive findet – das kommt einem doch bekannt vor? Die Entwicklung, die die Handlung nimmt, ist somit nicht überraschend, aber das Buch ist so schön und liebevoll geschrieben, dass man einfach eintauchen und sich wohlfühlen kann.
Fazit: Wunderschön, poetisch, humorvoll und voller Herzenswärme. Das ideale Buch für einen nasskalten Tag, zu genießen mit einer kuscheligen Decke und einer schönen Tasse Tee.