Jeremy Fink steht vor einem unglaublichen Rätsel: Eine verschlossene Holzkiste, die den Sinn des Lebens verspricht - das ist alles, was sein verstorbener Vater ihm zu seinem 13. Geburtstag hinterlassen hat. Doch die Schlüssel dazu sind spurlos verschwunden! Neugierig machen sich Jeremy und seine beste Freundin Lizzy auf die Suche danach - und geraten in eine abenteuerliche Odyssee quer durch New York, voll skurriler Ereignisse, köstlicher Süßigkeiten, abgegriffener Spielkarten und wundersamer Begegnungen. Doch was sie am Ende ihrer Reise finden, übertrifft alles, was sie jemals zu hoffen gewagt hätten.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.02.2010Von einem, der auszog
Jeremy kriegt eine Kiste von seinem toten Vater. Aber wie geht sie auf? "Das Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst"
Was ist der Sinn des Lebens? Ein MacGuffin. Das klingt zwar wie Muffin, ist aber nichts zum Essen, auch wenn Jeremy das sicher sehr gefallen würde: Jeremy liebt nämlich Süßigkeiten und sammelt sogar welche, je deformierter, desto besser. Sein ganzer Stolz ist eine M&M-Erdnuss in der Länge seines kleines Fingers, und da Jeremy bald dreizehn wird, ist das schon sehr lang. Ein MacGuffin aber, so hat es sich der Filmregisseur Alfred Hitchcock für seine Thriller ausgedacht, ist ein heißbegehrter Gegenstand, dem alle nachjagen, die Guten wie die Bösen, bis zum bitteren Showdown: zum Beispiel ein Koffer, der Geheimdokumente enthält. Was die besagen, erfährt man meist nie, aber dafür halten sie die Handlung auf Trab.
Und genauso ist es auch im lustigen, traurigen, aufregenden Jugendbuch "Das Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst" der Amerikanerin Wendy Mass: Kurz vor seinem dreizehnten Geburtstag bekommt der New Yorker Schuljunge Jeremy ein Paket von seinem Vater, der seit langem tot ist. Es enthält eine Holzkassette. Auf dem Deckel steht: "Der Sinn des Lebens - für Jeremy Fink, zu öffnen an seinem 13. Geburtstag." Sieben Schlösser hat die Kiste. Aber die sieben Schlüssel dazu fehlen. Also macht sich Jeremy auf die Suche, gemeinsam mit seiner unerschrockenen Freundin Lizzy, die nebenan wohnt und schon weiß, wie man U-Bahn fahren kann. Jedenfalls sagt sie das.
Jeremys Vater kam ums Leben, als der Sohn acht war, ein Verkehrsunfall. Allerdings hatte ihm eine Wahrsagerin vorher prophezeit, dass er mit vierzig sterben würde. Mister Fink wurde nur neununddreißig, das war schon schrecklich genug für den kleinen Jungen und seine Mutter, die Weissagung macht es dann aber obendrein noch beklemmender. War es Bestimmung? Der Sinn seines Lebens?
Fünf Jahre nach dem Unfall also bekommt Jeremy ein Paket vom Vater. Nur wie öffnet er jetzt diese Kiste? Die Mutter hat keine Zweitschlüssel, auf dem Flohmarkt gibt es keine passenden, weil alle sieben Schlösser unterschiedlich sind, und auch im alten Büro des Vaters, in das Jeremy und Lizzy einbrechen, ist nichts zu finden - dafür werden sie entdeckt, von einem Polizisten gerüffelt und zu Sozialstunden verdonnert. Und das ausgerechnet in den großen Ferien.
Jeremy und Lizzy können es sich aussuchen: Müll aufsammeln im Central Park? Auf keinen Fall! Die andere Aufgabe klingt schon besser: Ein gewisser Mister Oswald löst sein Pfandhaus auf und braucht Hilfe, die Leihgaben an ihre alten Besitzer zu verteilen. Missmutig willigen die beiden ein, und damit fängt die Geschichte erst richtig an. Es wird ein abenteuerlicher, seltsamer Sommer, an dessen Ende, so viel darf man verraten, Jeremy ein Jahr älter und um einige Dutzend Erfahrungen reifer wird, alle sieben Schlüssel findet und in der Holzkiste etwas für sich entdeckt, das - dann hier lieber doch nicht verraten wird.
"Jeremy Fink and the Meaning of Life", so hat Wendy Mass ihr Buch im Original genannt, es spielt in einem New York voller Hintertüren und geheimnisvoller Erwachsener aus einem anderen Jahrhundert, das es vielleicht nie gegeben hat, die aber das Herz eines Kindes ergründen können, weil dort seit allen Jahrhunderten das Gleiche aufgehoben ist: Neugier, und Liebe, Angst und immer ein bisschen mehr Mut, als gut wäre. Es wird ja auch alles gut, Jeremy findet zum Schluss, was er sich ersehnt. Aber was er auf dem Weg dorthin aufsammelt, ist wichtiger als alle Geheimnisse, die ein MacGuffin je hüten könnte.
TOBIAS RÜTHER
Wendy Mass: "Das Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst". Aus dem Amerikanischen von Barbara Küper. Verlag cbj, München 2009. 352 S., geb., 14,95 [Euro]. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Jeremy kriegt eine Kiste von seinem toten Vater. Aber wie geht sie auf? "Das Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst"
Was ist der Sinn des Lebens? Ein MacGuffin. Das klingt zwar wie Muffin, ist aber nichts zum Essen, auch wenn Jeremy das sicher sehr gefallen würde: Jeremy liebt nämlich Süßigkeiten und sammelt sogar welche, je deformierter, desto besser. Sein ganzer Stolz ist eine M&M-Erdnuss in der Länge seines kleines Fingers, und da Jeremy bald dreizehn wird, ist das schon sehr lang. Ein MacGuffin aber, so hat es sich der Filmregisseur Alfred Hitchcock für seine Thriller ausgedacht, ist ein heißbegehrter Gegenstand, dem alle nachjagen, die Guten wie die Bösen, bis zum bitteren Showdown: zum Beispiel ein Koffer, der Geheimdokumente enthält. Was die besagen, erfährt man meist nie, aber dafür halten sie die Handlung auf Trab.
Und genauso ist es auch im lustigen, traurigen, aufregenden Jugendbuch "Das Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst" der Amerikanerin Wendy Mass: Kurz vor seinem dreizehnten Geburtstag bekommt der New Yorker Schuljunge Jeremy ein Paket von seinem Vater, der seit langem tot ist. Es enthält eine Holzkassette. Auf dem Deckel steht: "Der Sinn des Lebens - für Jeremy Fink, zu öffnen an seinem 13. Geburtstag." Sieben Schlösser hat die Kiste. Aber die sieben Schlüssel dazu fehlen. Also macht sich Jeremy auf die Suche, gemeinsam mit seiner unerschrockenen Freundin Lizzy, die nebenan wohnt und schon weiß, wie man U-Bahn fahren kann. Jedenfalls sagt sie das.
Jeremys Vater kam ums Leben, als der Sohn acht war, ein Verkehrsunfall. Allerdings hatte ihm eine Wahrsagerin vorher prophezeit, dass er mit vierzig sterben würde. Mister Fink wurde nur neununddreißig, das war schon schrecklich genug für den kleinen Jungen und seine Mutter, die Weissagung macht es dann aber obendrein noch beklemmender. War es Bestimmung? Der Sinn seines Lebens?
Fünf Jahre nach dem Unfall also bekommt Jeremy ein Paket vom Vater. Nur wie öffnet er jetzt diese Kiste? Die Mutter hat keine Zweitschlüssel, auf dem Flohmarkt gibt es keine passenden, weil alle sieben Schlösser unterschiedlich sind, und auch im alten Büro des Vaters, in das Jeremy und Lizzy einbrechen, ist nichts zu finden - dafür werden sie entdeckt, von einem Polizisten gerüffelt und zu Sozialstunden verdonnert. Und das ausgerechnet in den großen Ferien.
Jeremy und Lizzy können es sich aussuchen: Müll aufsammeln im Central Park? Auf keinen Fall! Die andere Aufgabe klingt schon besser: Ein gewisser Mister Oswald löst sein Pfandhaus auf und braucht Hilfe, die Leihgaben an ihre alten Besitzer zu verteilen. Missmutig willigen die beiden ein, und damit fängt die Geschichte erst richtig an. Es wird ein abenteuerlicher, seltsamer Sommer, an dessen Ende, so viel darf man verraten, Jeremy ein Jahr älter und um einige Dutzend Erfahrungen reifer wird, alle sieben Schlüssel findet und in der Holzkiste etwas für sich entdeckt, das - dann hier lieber doch nicht verraten wird.
"Jeremy Fink and the Meaning of Life", so hat Wendy Mass ihr Buch im Original genannt, es spielt in einem New York voller Hintertüren und geheimnisvoller Erwachsener aus einem anderen Jahrhundert, das es vielleicht nie gegeben hat, die aber das Herz eines Kindes ergründen können, weil dort seit allen Jahrhunderten das Gleiche aufgehoben ist: Neugier, und Liebe, Angst und immer ein bisschen mehr Mut, als gut wäre. Es wird ja auch alles gut, Jeremy findet zum Schluss, was er sich ersehnt. Aber was er auf dem Weg dorthin aufsammelt, ist wichtiger als alle Geheimnisse, die ein MacGuffin je hüten könnte.
TOBIAS RÜTHER
Wendy Mass: "Das Leben ist kurz, iss den Nachtisch zuerst". Aus dem Amerikanischen von Barbara Küper. Verlag cbj, München 2009. 352 S., geb., 14,95 [Euro]. Ab 12 J.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Auf wunderbar raffinierte Weise setze dieses Buch die von Alfred Hitchcock auf den Begriff gebrachte erzählerische Technik des MacGuffin ein, also das Einführen eines Gegenstands, den alle wollen, der als solcher aber für die Geschichte nicht weiter wichtig ist. Hier ist dies eine Kiste, die der dreizehnjährige Jeremy fünf Jahre nach dem Tod seines Vaters ausgehändigt bekommt. Sie hat sieben Schlösser, aber Jeremy hat keinen Schlüssel. Auf dem Weg bis zur Öffnung der Kiste am Ende des Buchs erlebt er nun mit seiner Freundin Lizzy allerlei Abenteuer in New York, wo dies Buch spielt. Unklar ist zwar, so Tobias Rüther in seiner Rezension, nicht der Ort, sehr wohl aber die genaue Zeit (und zwar auch nur das genaue Jahrhundert) der Handlung. Aber gerade diese zeitliche Ungeklärtheit ermögliche es der Autorin, überzeitliche Wahrheiten über die Erfahrung des Heranwachsens zu präsentieren. Das Ergebnis findet der Rezensent nicht weniger als "lustig, traurig und aufregend" zugleich.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Die Autorin versteht es, Leser jeden Alters auf die Reise nach dem Sinn des Lebens mitzunehmen."