Nach seinem autofiktionalen Roman »Die Welt im Rücken«, der auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises stand und in 22 Sprachen übersetzt wurde, liefert Thomas Melle mit seinem neuen Buch eine literarische Bestandsaufnahme einer Gesellschaft getrieben von Sehnsucht, eben nach dem leichten Leben.
Jan und Kathrin hatten mal alles, ihr leichtes Leben ließ sie schweben durch eine Welt, die dem schönen Paar vor allem wohlgesonnen war. Doch dieser Zustand ist ihnen abhanden gekommen. Zu schnell verändert sich die Welt um sie herum und sie selbst fühlen nur Stillstand, sind gefangen in den Konventionen der Ehe und des bürgerlichen Lebens. Kathrin war mal eine gehypte Schriftstellerin, heute fristet sie ihr Dasein als Aushilfslehrerin und versucht, sich bei einer Sexparty wieder zu spüren. Jan, ein berühmter TV-Journalist, wird geplagt von einem anonymen Erpresser, der Nacktfotos von ihm als Internatsschüler verschickt. Während ihr Mann panisch fürchtet, dass sein schreckliches Geheimnis ans Licht kommen könnte, begehrt Kathrin ausgerechnet den wunderschönen und mysteriösen Freund ihrer Tochter Lale, der dazu noch ihr Schüler ist.
Jan und Kathrin hatten mal alles, ihr leichtes Leben ließ sie schweben durch eine Welt, die dem schönen Paar vor allem wohlgesonnen war. Doch dieser Zustand ist ihnen abhanden gekommen. Zu schnell verändert sich die Welt um sie herum und sie selbst fühlen nur Stillstand, sind gefangen in den Konventionen der Ehe und des bürgerlichen Lebens. Kathrin war mal eine gehypte Schriftstellerin, heute fristet sie ihr Dasein als Aushilfslehrerin und versucht, sich bei einer Sexparty wieder zu spüren. Jan, ein berühmter TV-Journalist, wird geplagt von einem anonymen Erpresser, der Nacktfotos von ihm als Internatsschüler verschickt. Während ihr Mann panisch fürchtet, dass sein schreckliches Geheimnis ans Licht kommen könnte, begehrt Kathrin ausgerechnet den wunderschönen und mysteriösen Freund ihrer Tochter Lale, der dazu noch ihr Schüler ist.
Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Helmut Böttiger bekommt mit Thomas Melles neuem Roman "Das leichte Leben" einen Einblick in die "narzisstische Medien- und Kulturszene". Der Autor erzählt von dem erfolgreichen Redakteur Jan und seiner als Schriftstellerin gescheiterten Ehefrau Kathrin, beide etwa Mitte vierzig, und deren Lebenskrisen, die sie auf verschiedene Arten und Weisen zu überwinden versuchen - Jan wird mit dem erlittenen Missbrauch erpresst, Kathrin besucht muss der Versuchung widerstehen, eine Affäre mit dem jungen, rätselhaften Freund ihrer Tochter zu beginnen, offenbart uns Böttiger. Der Rezensent liest diesen Plot-getrieben Roman nicht unbedingt als Gesellschaftskritik, sondern als einen Blick unter der Oberfläche. Die Dialoge findet Böttiger pointenreich und authentisch, nur der Schluss irritiert ihn.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.09.2022Auswege aus
der Eintönigkeit
Thomas Melle erzählt in „Das leichte Leben“
von den Abgründen gut situierter Existenzen. Aber
lässt sich darüber noch etwas Originelles sagen?
VON ERIKA THOMALLA
Die Auffassung, dass die Ehe das Grab der Liebe sei, ist so alt wie der moderne Roman. Seit die Ehe keine politischen, religiösen und ökonomischen Funktionen mehr erfüllt, sondern sich allein durch die romantische Liebe legitimiert, enden fast alle Eheromane mit Betrug, Trennung oder Gewalttaten. Über eine glückliche Ehe, heißt es, lässt sich nichts erzählen.
Doch auch über die Gründe für unglückliche Ehen scheint inzwischen alles geschrieben worden zu sein. Noch die jüngsten Neuauflagen des alten Themas, etwa Bodo Kirchhoffs „Die Liebe in groben Zügen“ (2012) oder Arno Geigers „Alles über Sally“ (2010), arbeiten sich an dem Spannungsverhältnis zwischen der Gleichförmigkeit der Ehe und der Instabilität romantischer Gefühle sowie sexueller Begierden ab – wenn auch mit der Pointe, dass es in beiden Fällen nicht zum Ende der Beziehung kommt.
Es überrascht deshalb, wenn ein so viel beachteter Autor wie Thomas Melle, dem von der Kritik in der Vergangenheit eine ausgeprägte Nähe zur Gegenwart bescheinigt wurde, jetzt ausgerechnet einen Eheroman vorlegt. Melles literarische Texte hatten zuletzt öfter Protagonisten, die soziale Außenseiter waren – sei es durch ihren sozioökonomischen Status, wie die Discounter-Mitarbeiterin Denise im Roman „3000 Euro“ (2014), oder durch ihre psychische Disposition, wie Melles literarisches Ich in der autobiografischen Erzählung „Die Welt im Rücken“ (2016). Die Stärke von Melles Schreiben zeigte sich immer dann, wenn er versuchte, den Alltag randständiger Existenzen und die Normalität von Grenzerfahrungen greifbar zu machen.
Der neue Roman, „Das leichte Leben“, verfolgt ein umgekehrtes Vorhaben: Er erzählt von den Abgründen gut situierter Existenzen in der „Mitte“ der Gesellschaft. Der Roman, sagte der Autor jüngst im Interview mit der Zeit, werfe die Frage auf, was passiert, wenn die „Lügengebilde“ der bürgerlichen Lebensform kollabieren. Moderne Paare würden sich oft an „Normen“ orientieren, die aus „restriktiven Zeiten“ stammen – und spät erkennen, dass Liebe und Sex als „untrennbares Team“ dauerhaft nicht funktionieren.
Bereits diese Beschreibung, die wie die Zusammenfassung eines Großteils aller Eheromane anmutet, weckt Zweifel, ob es über die „Lügengebilde“ und „Schattenseiten“ des bürgerlichen Lebens wirklich noch so viel Originelles zu erzählen und Schockierendes aufzudecken gibt. Noch überraschter ist man dann aber von dem Plot des Romans, der in der Fülle skandalträchtiger Elemente und dramatischer Klischees kaum zu übertreffen ist.
Kathrin und Jan sind seit langem verheiratet, haben zwei jugendliche Kinder und sind gleichermaßen unzufrieden mit ihrem eingeschlafenen Liebesleben. Beide wünschten sich einmal „das große bürgerliche Leben“, werden nun aber vom Alltag eingeholt und suchen einen Ausweg aus dessen Eintönigkeit. Kathrin, früher einmal vielversprechende Jungschriftstellerin, inzwischen Lehrerin an einem sozialintegrativen Gymnasium, nimmt auf Einladung ihrer polyamourösen Freundin Catharina an einer Sexparty teil, um anschließend ein erotisches Interesse an ihrem minderjährigen Schüler Keanu, dem Freund der Tochter Lalle, zu entwickeln, mit dem sie am Ende eine sexuelle Beziehung eingeht. Jan, der für einen Boulevard-Fernsehsender arbeitet, entfremdet sich von Kathrin anfangs eher unfreiwillig: Er wird von einem Unbekannten mit einem Nacktbild erpresst, das während seiner Schulzeit an einem katholischen Internat entstanden ist. Ein ehemaliger Lehrer mit pädophilen Neigungen hatte die Schüler dazu aufgefordert, sich zu entkleiden, um sie dann abzulichten. Die Auseinandersetzung mit diesem Missbrauch führt Jan in eine Identitätskrise. Nach dem gescheiterten Versuch, eine Affäre mit einer Praktikantin des TV-Senders anzufangen, flüchtet er sich in Bordellbesuche und einen exzessiven Lebensstil.
Was bereits jetzt wie die Handlung einer Vorabendserie im Unterhaltungsfernsehen klingt, wird Kapitel für Kapitel durch weitere, teilweise unterhaltsam erzählte, inhaltlich aber ans Groteske grenzende dramatische Szenen ergänzt. So beginnt Kathrin, angestachelt durch ihre Leidenschaft für den minderjährigen Keanu, einen Liebesroman zu schreiben, der es ihrem Umfeld nur allzu leicht macht, die autobiografischen Vorbilder zu identifizieren. Doch noch vor der Publikation kommt es zum Eklat, als Kathrins Verleger sie bei einer Abendveranstaltung auffordert, mit ihm ins Bett zu gehen – und sie ihm als Antwort in sein „glänzendes pustelndes Krötengesicht“ spuckt. Dass Kathrin daraufhin nahegelegt wird, die Publikation ihres Romans zu verschieben, während der Verleger keine Konsequenzen fürchten muss, wirkt in einem Roman aus dem Jahr 2022 eher unplausibel.
Melle fährt einiges auf, um die „Fassade des bürgerlichen Lebens“ einzureißen: Missbrauch, Betrug, Neid, Erpressung, Orgien, Pädophilie, sexuelle Dienstleistungen, Raubüberfälle, Brandstiftung, Verschwörungstheorien, Übergriffe aller Art. Man ist etwas ratlos, ob Kategorien wie die der poetischen Wahrscheinlichkeit auf den Roman überhaupt noch anwendbar sind, oder ob man es eher mit der Parodie eines Familienromans zu tun hat. Dann aber würde nichts mehr aufgedeckt oder enttarnt, sondern nur noch das Aufdecken selbst parodiert.
Es gibt einige Momente im Roman, die eine ironische Distanz zum Erzählten markieren. Zu Beginn sehen sich Catharina und Jan im Theater eine dramatische Fassung von Thomas Manns „Tod in Venedig“ an und belustigen sich darüber, wie das Publikum „schockiert und satt“ die fiktionalen „Katastrophen“ ansieht, um sodann in ihr eigenes „dreckiges“ Leben zurückzukehren. Am Ende bricht Kathrin ihrerseits mit Keanu zu einem Liebesurlaub nach Venedig auf. Der Versuch, den Zwängen der Bürgerlichkeit zu entkommen und ein neues, selbstbestimmtes und „leichtes“ Leben zu beginnen, erweist sich als schlechte Nachahmung literarischer Vorlagen. Doch auch wenn der Roman die Deutung nahelegt, dass es keine einfache Alternative zwischen einem spießigen, beengten und einem freien, zwanglosen Leben gibt, wirkt Melles Dekonstruktion der modernen Familie heillos veraltet und überdreht. Die echten Dramen unglücklicher Beziehungen sind vermutlich oft sehr viel weniger grell und skandalös – und gerade deshalb sehr viel schwieriger zu erzählen.
Der Versuch, den Zwängen zu
entkommen, gerät zur billigen
Kopie literarischer Vorlagen
Thomas Melle: Das leichte Leben. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 352 Seiten, 24 Euro.
Die Stärke seines Schreibens zeigte sich bislang immer dann, wenn er versuchte, den Alltag randständiger Existenzen und die Normalität von Grenzerfahrungen greifbar zu machen: Thomas Melle.
Foto: Regina Schmeken
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
der Eintönigkeit
Thomas Melle erzählt in „Das leichte Leben“
von den Abgründen gut situierter Existenzen. Aber
lässt sich darüber noch etwas Originelles sagen?
VON ERIKA THOMALLA
Die Auffassung, dass die Ehe das Grab der Liebe sei, ist so alt wie der moderne Roman. Seit die Ehe keine politischen, religiösen und ökonomischen Funktionen mehr erfüllt, sondern sich allein durch die romantische Liebe legitimiert, enden fast alle Eheromane mit Betrug, Trennung oder Gewalttaten. Über eine glückliche Ehe, heißt es, lässt sich nichts erzählen.
Doch auch über die Gründe für unglückliche Ehen scheint inzwischen alles geschrieben worden zu sein. Noch die jüngsten Neuauflagen des alten Themas, etwa Bodo Kirchhoffs „Die Liebe in groben Zügen“ (2012) oder Arno Geigers „Alles über Sally“ (2010), arbeiten sich an dem Spannungsverhältnis zwischen der Gleichförmigkeit der Ehe und der Instabilität romantischer Gefühle sowie sexueller Begierden ab – wenn auch mit der Pointe, dass es in beiden Fällen nicht zum Ende der Beziehung kommt.
Es überrascht deshalb, wenn ein so viel beachteter Autor wie Thomas Melle, dem von der Kritik in der Vergangenheit eine ausgeprägte Nähe zur Gegenwart bescheinigt wurde, jetzt ausgerechnet einen Eheroman vorlegt. Melles literarische Texte hatten zuletzt öfter Protagonisten, die soziale Außenseiter waren – sei es durch ihren sozioökonomischen Status, wie die Discounter-Mitarbeiterin Denise im Roman „3000 Euro“ (2014), oder durch ihre psychische Disposition, wie Melles literarisches Ich in der autobiografischen Erzählung „Die Welt im Rücken“ (2016). Die Stärke von Melles Schreiben zeigte sich immer dann, wenn er versuchte, den Alltag randständiger Existenzen und die Normalität von Grenzerfahrungen greifbar zu machen.
Der neue Roman, „Das leichte Leben“, verfolgt ein umgekehrtes Vorhaben: Er erzählt von den Abgründen gut situierter Existenzen in der „Mitte“ der Gesellschaft. Der Roman, sagte der Autor jüngst im Interview mit der Zeit, werfe die Frage auf, was passiert, wenn die „Lügengebilde“ der bürgerlichen Lebensform kollabieren. Moderne Paare würden sich oft an „Normen“ orientieren, die aus „restriktiven Zeiten“ stammen – und spät erkennen, dass Liebe und Sex als „untrennbares Team“ dauerhaft nicht funktionieren.
Bereits diese Beschreibung, die wie die Zusammenfassung eines Großteils aller Eheromane anmutet, weckt Zweifel, ob es über die „Lügengebilde“ und „Schattenseiten“ des bürgerlichen Lebens wirklich noch so viel Originelles zu erzählen und Schockierendes aufzudecken gibt. Noch überraschter ist man dann aber von dem Plot des Romans, der in der Fülle skandalträchtiger Elemente und dramatischer Klischees kaum zu übertreffen ist.
Kathrin und Jan sind seit langem verheiratet, haben zwei jugendliche Kinder und sind gleichermaßen unzufrieden mit ihrem eingeschlafenen Liebesleben. Beide wünschten sich einmal „das große bürgerliche Leben“, werden nun aber vom Alltag eingeholt und suchen einen Ausweg aus dessen Eintönigkeit. Kathrin, früher einmal vielversprechende Jungschriftstellerin, inzwischen Lehrerin an einem sozialintegrativen Gymnasium, nimmt auf Einladung ihrer polyamourösen Freundin Catharina an einer Sexparty teil, um anschließend ein erotisches Interesse an ihrem minderjährigen Schüler Keanu, dem Freund der Tochter Lalle, zu entwickeln, mit dem sie am Ende eine sexuelle Beziehung eingeht. Jan, der für einen Boulevard-Fernsehsender arbeitet, entfremdet sich von Kathrin anfangs eher unfreiwillig: Er wird von einem Unbekannten mit einem Nacktbild erpresst, das während seiner Schulzeit an einem katholischen Internat entstanden ist. Ein ehemaliger Lehrer mit pädophilen Neigungen hatte die Schüler dazu aufgefordert, sich zu entkleiden, um sie dann abzulichten. Die Auseinandersetzung mit diesem Missbrauch führt Jan in eine Identitätskrise. Nach dem gescheiterten Versuch, eine Affäre mit einer Praktikantin des TV-Senders anzufangen, flüchtet er sich in Bordellbesuche und einen exzessiven Lebensstil.
Was bereits jetzt wie die Handlung einer Vorabendserie im Unterhaltungsfernsehen klingt, wird Kapitel für Kapitel durch weitere, teilweise unterhaltsam erzählte, inhaltlich aber ans Groteske grenzende dramatische Szenen ergänzt. So beginnt Kathrin, angestachelt durch ihre Leidenschaft für den minderjährigen Keanu, einen Liebesroman zu schreiben, der es ihrem Umfeld nur allzu leicht macht, die autobiografischen Vorbilder zu identifizieren. Doch noch vor der Publikation kommt es zum Eklat, als Kathrins Verleger sie bei einer Abendveranstaltung auffordert, mit ihm ins Bett zu gehen – und sie ihm als Antwort in sein „glänzendes pustelndes Krötengesicht“ spuckt. Dass Kathrin daraufhin nahegelegt wird, die Publikation ihres Romans zu verschieben, während der Verleger keine Konsequenzen fürchten muss, wirkt in einem Roman aus dem Jahr 2022 eher unplausibel.
Melle fährt einiges auf, um die „Fassade des bürgerlichen Lebens“ einzureißen: Missbrauch, Betrug, Neid, Erpressung, Orgien, Pädophilie, sexuelle Dienstleistungen, Raubüberfälle, Brandstiftung, Verschwörungstheorien, Übergriffe aller Art. Man ist etwas ratlos, ob Kategorien wie die der poetischen Wahrscheinlichkeit auf den Roman überhaupt noch anwendbar sind, oder ob man es eher mit der Parodie eines Familienromans zu tun hat. Dann aber würde nichts mehr aufgedeckt oder enttarnt, sondern nur noch das Aufdecken selbst parodiert.
Es gibt einige Momente im Roman, die eine ironische Distanz zum Erzählten markieren. Zu Beginn sehen sich Catharina und Jan im Theater eine dramatische Fassung von Thomas Manns „Tod in Venedig“ an und belustigen sich darüber, wie das Publikum „schockiert und satt“ die fiktionalen „Katastrophen“ ansieht, um sodann in ihr eigenes „dreckiges“ Leben zurückzukehren. Am Ende bricht Kathrin ihrerseits mit Keanu zu einem Liebesurlaub nach Venedig auf. Der Versuch, den Zwängen der Bürgerlichkeit zu entkommen und ein neues, selbstbestimmtes und „leichtes“ Leben zu beginnen, erweist sich als schlechte Nachahmung literarischer Vorlagen. Doch auch wenn der Roman die Deutung nahelegt, dass es keine einfache Alternative zwischen einem spießigen, beengten und einem freien, zwanglosen Leben gibt, wirkt Melles Dekonstruktion der modernen Familie heillos veraltet und überdreht. Die echten Dramen unglücklicher Beziehungen sind vermutlich oft sehr viel weniger grell und skandalös – und gerade deshalb sehr viel schwieriger zu erzählen.
Der Versuch, den Zwängen zu
entkommen, gerät zur billigen
Kopie literarischer Vorlagen
Thomas Melle: Das leichte Leben. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 352 Seiten, 24 Euro.
Die Stärke seines Schreibens zeigte sich bislang immer dann, wenn er versuchte, den Alltag randständiger Existenzen und die Normalität von Grenzerfahrungen greifbar zu machen: Thomas Melle.
Foto: Regina Schmeken
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 22.09.2022Verfall einer Idee von Familie
Manisch sexuell, enttäuschend konventionell: Thomas Melles neuer Roman "Das leichte Leben"
Schon wieder Familienkatastrophen?" Das sagt nicht (nur) der Rezensent, sondern die Hauptfigur von Thomas Melles neuem Roman, Jan Drescher, ein halbprominenter Fernsehmoderator, der ein Boulevardmagazin verantwortet, sich aber eigentlich als seriöser Kulturjournalist versteht. Kaum etwas ödet ihn so sehr an wie Theatervorstellungen, die er "gekünstelt" nennt: "Immer sitzen sie da und sind steif und glücklich, dann saufen sie, dann passiert irgendeine Katastrophe und es tanzen irgendwelche Gespenster der Vergangenheit, und schließlich zerfleischen sie sich wie Zombies." Das - und vielleicht steckt darin schon der Melle-Schalk, diese unerbittliche Selbsterkenntnis -, das also ist eine ziemlich treffende Beschreibung der Handlung des vorliegenden Romans.
Öde ist das alles nicht, eher rasant, lautstark, ungefiltert, obszön, tragisch, hier und da witzig, vor allem aber schmerzironisch, hauptstädtisch mithin irgendwie, aber leider doch auch (da wirkt der selbstreflexive Abwehrzauber nicht) gekünstelt. Kalkuliert. Behauptet. Als wäre ein Plan zu erfüllen gewesen. Alle Figuren, so gegenwartsanalytisch sie sich geben - neben Jan stehen vor allem seine Ehefrau Kathrin, ein zur Lehrerin mutiertes One-Hit-Literaturwunder, sowie der von Kathrin ungehörig begehrte Schüler-Beau Keanu im Fokus -, wirken zusammengesetzt aus urbanen Lifestyle-Klischees. Was das Leben dieser Figuren, das sie sich als "leichtes" vorgestellt hatten, beschwert und herabzieht, ist ein lange zurückliegender Missbrauchskontext sowie eine recht gewöhnliche Midlife-Krise. Die Dreschers: einst "Szenepaar" auf Koks, dann glückliche Kleinfamilie (zwei Kinder, Lale und Severin), jetzt ein Konglomerat aus falschen Beteuerungen und unerfülltem Begehren.
Die Leser sehen nicht nur dem Verfall einer Familie zu, sondern dem Verfall einer neobürgerlichen Idee von Familie. Gescheitert am modernen Individualismus. Und doch erreicht "Das leichte Leben" nie die erzählerische Intensität und emotionale Wucht des vorangegangenen Buchs, des zum Weltbestseller avancierten Selbsterforschungsmemoirs "Die Welt im Rücken" (2016), in dem sich Melle, damals noch Rowohlt-Autor, seiner zuvor bereits mehrfach literarisch verarbeiteten bipolaren Störung rückhaltlos stellte, aber das in einer so elaborierten sprachlichen Form und Verdichtung tat, dass da jemand vor den Augen der bass erstaunten Leserschaft die Kontrolle über den Wahn zu gewinnen schien. Freilich gibt der Wahn so leicht nicht auf. Es folgte ein abermaliger Absturz in die Manie, dann in die Depression, die laut Melle eben erst abgeklungen ist.
Trotzdem blieb dem Autor genug Zeit, einen großen Roman fertigzustellen. Inhaltlich knüpft der an das Theaterstück "Bilder von uns" (2016) an, das Jans Geschichte als Nukleus bereits enthielt. Mit seinem Velvet-Underground-Motto - "Watch out, the world's behind you" - deutet das Buch dezent an, dass auch sein Personal die Welt im Rücken hat. Denn obwohl diesmal kein direktes Alter Ego des Autors auftaucht, anders als in "Sickster" und "3000 Euro", teilen die Figuren manche Erfahrungen mit ihm. So fragt sich der Außenseiter Keanu ("gelähmt, zugetackert, geknebelt und getapet"), warum er nicht einfach dazugehören kann. Und auch Melle hat eine katholische Schule besucht, die später als Ort des Missbrauchs enttarnt wurde. Im Roman erreichen Jan anrüchige Kinderfotos von ihm selbst, begleitet von der Forderung, endlich aktiv zu werden. Bravourös gelingt es, die Verunsicherung des Helden nachvollziehbar zu machen, seine sich bis zum Exzess steigernde Verdrängung der Übergriffe durch einen Pater. So unterschreibt Jan gar eine Solidaritätserklärung für das Internat, nur um sich nicht als Opfer sehen zu müssen. Da hat er die Bodenhaftung längst verloren.
Zu Beginn des Romans scheint die Welt der Dreschers noch in Ordnung zu sein, zumindest die Fassade steht und leuchtet. Jan erklimmt soeben den Höhepunkt seiner Karriere. Die Entfremdung in der Ehe aber schreitet längst voran. Jans Gattin, ebenso neidisch wie schnippisch, verachtet ihn insgeheim längst. Er hat dafür ein Auge auf die junge Mitarbeiterin "Johanna (oder Jasmin?)" geworfen. So fade wie dieser Prospekt - Frau und Mann der oberen Mittelschicht gefangen in einer erlahmten Erfolgsehe - ist auch Kathrins panisch sexueller Ausbruchsversuch. Auf einer privaten Sexparty gibt sie sich mehreren Männern hin ("Ich Hündin!"), lebt eine Freiheitsphantasie aus, um danach von Krankheitsängsten geplagt zu werden. Und doch steigt sie in diesem Moment zur Herrin ihrer Lüste auf, wird manisch sexuell. Viele Pornos werden konsumiert in diesem Buch, viel wird masturbiert, viel vorgestellt, viel gevögelt. Und ja, Melle kann Sex so beschreiben, dass es nie peinlich oder langweilig wird, aber eine ganze Handlung trägt das noch lange nicht, sondern wirkt irgendwann nur noch obsessiv, weil aus all der Verausgabung inhaltlich nichts folgt.
Das ahnt natürlich auch der Autor. Deshalb vermutlich hat er als Inkarnation des Begehrens diese leicht unwirklich scheinende Figur eingeführt: Keanu, fremdländisch, schön wie die Sünde, Objekt wie Subjekt der Begierde (er selbst begehrt Lale und Kathrin). Keanu steht einerseits für die anmutige Unschuld (Kathrin kommt gleich der "Dornauszieher" in den Sinn), andererseits für reine Gefahr. Er soll mit zugerichteten Videos im Netz bereits ein Mädchen in den Selbstmord getrieben haben. In ihm rumort die dunkle Wut der Unterschicht. Sex erscheint ihm als "feindliche Übernahme", nicht als Vereinigung. Dass die Welt für ihn dabei so etwas wie ein Computerspiel mit verschiedenen Leveln ist, eine Simulation also (was die umständlich erklärte "Matrix"-Provenienz seines Namens zusätzlich verdeutlicht), das ist eine erstaunlich abgegriffene Metaphorik. Bestenfalls Neunzigerjahre.
Mit der Anziehung zwischen "Lolitus" Keanu und Kathrin steht Jans Päderastie-Erfahrung also ein romantisch, schließlich sogar kitschig verbrämtes Spiegelmotiv mit Nabokov-Anleihen gegenüber, das sich einer klaren Aussage verweigert, aber wohl zeigen soll, dass auch auf diesem Feld die Dinge komplexer sind, als es in eine Boulevard-Schlagzeile passt. Kathrin will ihr Begehren auch noch in einem Buch verarbeiten, was das Anstücken einiger Literaturbetriebsszenen erlaubt. Aber auch die bleiben seltsam anämisch. Der Verleger lädt Kathrin zum Sex ein; das Buch wird nie erscheinen.
Es finden sich gestochen scharfe Beobachtungen in diesem Roman, etwa über die Befriedigung, die das Geräusch des Zigarettenziehens früher auslöste: "ein lautstarkes Ratschen . . ., dessen Negativ nach der Entnahme der Packung, wenn man die Metall-Schublade wieder in den Schacht des Automaten wuchtete, den akustischen Vorgang komplettierte". Wortgewaltig wirken manche Introspektionen: "er mochte, wie wahrscheinlich die halbe Welt, den Ausdruck 'freie Radikale', machte ihn sich zu eigen; im Unterschied zur halben Welt aber wusste er von Wikipedia, dass diese Molekülfragmente . . . immer nur zur Alterung und Auslöschung eines Systems beitrugen. Das gefiel ihm." Und in einigen Passagen rund um die Tochter Lale läuft der Autor kurz zu großer Form auf.
Doch die bedrückend konventionelle Zentralhandlung mit ihren blass bleibenden, selbstbezogenen Figuren (nicht einmal Zombies), für deren Allerweltsprobleme, triviale Ausflüchte und hölzerne Dialoge - alles so ausgedacht wie aktualitätsbeflissen wirkend - das Interesse der Leser bis zum Schluss überschaubar bleiben dürfte, gibt Melles aufregendem Talent zum freien, radikalen, entrückt rauschhaften Erzählen einfach keinen Raum. Er sitzt hier ebenso in einem Käfig wie seine erschöpften Figuren, und es bleibt zu wünschen, dass er diesen bald sprengt. OLIVER JUNGEN
Thomas Melle:
"Das leichte Leben". Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 344 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Manisch sexuell, enttäuschend konventionell: Thomas Melles neuer Roman "Das leichte Leben"
Schon wieder Familienkatastrophen?" Das sagt nicht (nur) der Rezensent, sondern die Hauptfigur von Thomas Melles neuem Roman, Jan Drescher, ein halbprominenter Fernsehmoderator, der ein Boulevardmagazin verantwortet, sich aber eigentlich als seriöser Kulturjournalist versteht. Kaum etwas ödet ihn so sehr an wie Theatervorstellungen, die er "gekünstelt" nennt: "Immer sitzen sie da und sind steif und glücklich, dann saufen sie, dann passiert irgendeine Katastrophe und es tanzen irgendwelche Gespenster der Vergangenheit, und schließlich zerfleischen sie sich wie Zombies." Das - und vielleicht steckt darin schon der Melle-Schalk, diese unerbittliche Selbsterkenntnis -, das also ist eine ziemlich treffende Beschreibung der Handlung des vorliegenden Romans.
Öde ist das alles nicht, eher rasant, lautstark, ungefiltert, obszön, tragisch, hier und da witzig, vor allem aber schmerzironisch, hauptstädtisch mithin irgendwie, aber leider doch auch (da wirkt der selbstreflexive Abwehrzauber nicht) gekünstelt. Kalkuliert. Behauptet. Als wäre ein Plan zu erfüllen gewesen. Alle Figuren, so gegenwartsanalytisch sie sich geben - neben Jan stehen vor allem seine Ehefrau Kathrin, ein zur Lehrerin mutiertes One-Hit-Literaturwunder, sowie der von Kathrin ungehörig begehrte Schüler-Beau Keanu im Fokus -, wirken zusammengesetzt aus urbanen Lifestyle-Klischees. Was das Leben dieser Figuren, das sie sich als "leichtes" vorgestellt hatten, beschwert und herabzieht, ist ein lange zurückliegender Missbrauchskontext sowie eine recht gewöhnliche Midlife-Krise. Die Dreschers: einst "Szenepaar" auf Koks, dann glückliche Kleinfamilie (zwei Kinder, Lale und Severin), jetzt ein Konglomerat aus falschen Beteuerungen und unerfülltem Begehren.
Die Leser sehen nicht nur dem Verfall einer Familie zu, sondern dem Verfall einer neobürgerlichen Idee von Familie. Gescheitert am modernen Individualismus. Und doch erreicht "Das leichte Leben" nie die erzählerische Intensität und emotionale Wucht des vorangegangenen Buchs, des zum Weltbestseller avancierten Selbsterforschungsmemoirs "Die Welt im Rücken" (2016), in dem sich Melle, damals noch Rowohlt-Autor, seiner zuvor bereits mehrfach literarisch verarbeiteten bipolaren Störung rückhaltlos stellte, aber das in einer so elaborierten sprachlichen Form und Verdichtung tat, dass da jemand vor den Augen der bass erstaunten Leserschaft die Kontrolle über den Wahn zu gewinnen schien. Freilich gibt der Wahn so leicht nicht auf. Es folgte ein abermaliger Absturz in die Manie, dann in die Depression, die laut Melle eben erst abgeklungen ist.
Trotzdem blieb dem Autor genug Zeit, einen großen Roman fertigzustellen. Inhaltlich knüpft der an das Theaterstück "Bilder von uns" (2016) an, das Jans Geschichte als Nukleus bereits enthielt. Mit seinem Velvet-Underground-Motto - "Watch out, the world's behind you" - deutet das Buch dezent an, dass auch sein Personal die Welt im Rücken hat. Denn obwohl diesmal kein direktes Alter Ego des Autors auftaucht, anders als in "Sickster" und "3000 Euro", teilen die Figuren manche Erfahrungen mit ihm. So fragt sich der Außenseiter Keanu ("gelähmt, zugetackert, geknebelt und getapet"), warum er nicht einfach dazugehören kann. Und auch Melle hat eine katholische Schule besucht, die später als Ort des Missbrauchs enttarnt wurde. Im Roman erreichen Jan anrüchige Kinderfotos von ihm selbst, begleitet von der Forderung, endlich aktiv zu werden. Bravourös gelingt es, die Verunsicherung des Helden nachvollziehbar zu machen, seine sich bis zum Exzess steigernde Verdrängung der Übergriffe durch einen Pater. So unterschreibt Jan gar eine Solidaritätserklärung für das Internat, nur um sich nicht als Opfer sehen zu müssen. Da hat er die Bodenhaftung längst verloren.
Zu Beginn des Romans scheint die Welt der Dreschers noch in Ordnung zu sein, zumindest die Fassade steht und leuchtet. Jan erklimmt soeben den Höhepunkt seiner Karriere. Die Entfremdung in der Ehe aber schreitet längst voran. Jans Gattin, ebenso neidisch wie schnippisch, verachtet ihn insgeheim längst. Er hat dafür ein Auge auf die junge Mitarbeiterin "Johanna (oder Jasmin?)" geworfen. So fade wie dieser Prospekt - Frau und Mann der oberen Mittelschicht gefangen in einer erlahmten Erfolgsehe - ist auch Kathrins panisch sexueller Ausbruchsversuch. Auf einer privaten Sexparty gibt sie sich mehreren Männern hin ("Ich Hündin!"), lebt eine Freiheitsphantasie aus, um danach von Krankheitsängsten geplagt zu werden. Und doch steigt sie in diesem Moment zur Herrin ihrer Lüste auf, wird manisch sexuell. Viele Pornos werden konsumiert in diesem Buch, viel wird masturbiert, viel vorgestellt, viel gevögelt. Und ja, Melle kann Sex so beschreiben, dass es nie peinlich oder langweilig wird, aber eine ganze Handlung trägt das noch lange nicht, sondern wirkt irgendwann nur noch obsessiv, weil aus all der Verausgabung inhaltlich nichts folgt.
Das ahnt natürlich auch der Autor. Deshalb vermutlich hat er als Inkarnation des Begehrens diese leicht unwirklich scheinende Figur eingeführt: Keanu, fremdländisch, schön wie die Sünde, Objekt wie Subjekt der Begierde (er selbst begehrt Lale und Kathrin). Keanu steht einerseits für die anmutige Unschuld (Kathrin kommt gleich der "Dornauszieher" in den Sinn), andererseits für reine Gefahr. Er soll mit zugerichteten Videos im Netz bereits ein Mädchen in den Selbstmord getrieben haben. In ihm rumort die dunkle Wut der Unterschicht. Sex erscheint ihm als "feindliche Übernahme", nicht als Vereinigung. Dass die Welt für ihn dabei so etwas wie ein Computerspiel mit verschiedenen Leveln ist, eine Simulation also (was die umständlich erklärte "Matrix"-Provenienz seines Namens zusätzlich verdeutlicht), das ist eine erstaunlich abgegriffene Metaphorik. Bestenfalls Neunzigerjahre.
Mit der Anziehung zwischen "Lolitus" Keanu und Kathrin steht Jans Päderastie-Erfahrung also ein romantisch, schließlich sogar kitschig verbrämtes Spiegelmotiv mit Nabokov-Anleihen gegenüber, das sich einer klaren Aussage verweigert, aber wohl zeigen soll, dass auch auf diesem Feld die Dinge komplexer sind, als es in eine Boulevard-Schlagzeile passt. Kathrin will ihr Begehren auch noch in einem Buch verarbeiten, was das Anstücken einiger Literaturbetriebsszenen erlaubt. Aber auch die bleiben seltsam anämisch. Der Verleger lädt Kathrin zum Sex ein; das Buch wird nie erscheinen.
Es finden sich gestochen scharfe Beobachtungen in diesem Roman, etwa über die Befriedigung, die das Geräusch des Zigarettenziehens früher auslöste: "ein lautstarkes Ratschen . . ., dessen Negativ nach der Entnahme der Packung, wenn man die Metall-Schublade wieder in den Schacht des Automaten wuchtete, den akustischen Vorgang komplettierte". Wortgewaltig wirken manche Introspektionen: "er mochte, wie wahrscheinlich die halbe Welt, den Ausdruck 'freie Radikale', machte ihn sich zu eigen; im Unterschied zur halben Welt aber wusste er von Wikipedia, dass diese Molekülfragmente . . . immer nur zur Alterung und Auslöschung eines Systems beitrugen. Das gefiel ihm." Und in einigen Passagen rund um die Tochter Lale läuft der Autor kurz zu großer Form auf.
Doch die bedrückend konventionelle Zentralhandlung mit ihren blass bleibenden, selbstbezogenen Figuren (nicht einmal Zombies), für deren Allerweltsprobleme, triviale Ausflüchte und hölzerne Dialoge - alles so ausgedacht wie aktualitätsbeflissen wirkend - das Interesse der Leser bis zum Schluss überschaubar bleiben dürfte, gibt Melles aufregendem Talent zum freien, radikalen, entrückt rauschhaften Erzählen einfach keinen Raum. Er sitzt hier ebenso in einem Käfig wie seine erschöpften Figuren, und es bleibt zu wünschen, dass er diesen bald sprengt. OLIVER JUNGEN
Thomas Melle:
"Das leichte Leben". Roman.
Kiepenheuer & Witsch, Köln 2022. 344 S., geb., 24,- Euro.
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»Melle ist ein Analytiker und Künstler zugleich, sein Roman hat eine fesselnde Spannung.« Roland Mischke Aachener Zeitung 20230109
Rezensentin Erika Thomalla kann nicht finden, dass Thomas Melle in seinem neuen Roman, der laut Thomalla überraschenderweise ein Eheroman ist, die Dynamiken einer Ehekrise von heute überzeugend wiedergibt. Zu grell und klischeehaft sind ihr die Versatzstücke, die Melle auffährt, Missbrauch, Betrug, Erpressung, Orgien, Verschwörungstheorien gehören dazu, wie in einer Vorabendserien reihen sich die dramatischen Ereignisse aneinander. Melles dekonstruktive Analyse des bürgerlichen Ehelebens scheint ihr andererseits aber auch nicht von genügend ironischer Distanz geprägt, als dass man das Buch für eine Parodie eines Familienromans halten könnte.
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