Der neue Roman von Pawel Huelle, der auf einer realen Begebenheit basiert, spielt in einem Danzig in naher Zukunft. Der Maler Mateusz will, nach dem Vorbild Leonardo da Vincis, ein Bild des letzten Abendmahls malen und lädt seine Freunde zu einem Foto-Shooting ein, damit sie den Aposteln ihr Gesicht leihen. Drei dieser alten Freunde und den Erzähler, der Griechisch studiert und sich mit der Geschichte Jerusalems beschäftigt, lernt der Leser näher kennen, den Arzt Lewada, den Physikprofessor und Geschäftsmann Wybránski und den Religionswissenschaftler und Initiator von lukrativen "Wahrheitspilgerfahrten" Berdo.
Das Foto-Shooting konfrontiert alle mit ihrer Vergangenheit und mit ihren Lebensplänen, und was bei einem Gemälde über das letzte Abendmahl nahe liegt, geht es bei allen um Geld und Werte, Freiheit und Spiritualität, Kunst und Kommerz, aber auch um das Christentum und den Islam - in das Stadtbild von Danzig haben sich zu den Kirchtürmen auch die Minarette gesellt.
Der Roman, dessen Haupthandlung nur wenige Stunden eines einzigen Tages umfasst, bietet auf einer zweiten Zeitebene faszinierende geschichtliche Exkurse, die uns nach Ägypten oder Konstantinopel führen, auf einer dritten - noch etwas weiter in der Zukunft - erzählt er von der Zerstörung des Gemäldes durch angeheuerte Schläger.
Pawel Huelles dichter, brillanter, teils realistisch, teils satirisch erzählter Roman, der in Polen großes Aufsehen erregt hat, bietet ein Sittenbild der Gegenwart, der westlichen Gesellschaft und des Kunstbetriebs, ein nachdenkliches, aufwühlendes Buch.
Das Foto-Shooting konfrontiert alle mit ihrer Vergangenheit und mit ihren Lebensplänen, und was bei einem Gemälde über das letzte Abendmahl nahe liegt, geht es bei allen um Geld und Werte, Freiheit und Spiritualität, Kunst und Kommerz, aber auch um das Christentum und den Islam - in das Stadtbild von Danzig haben sich zu den Kirchtürmen auch die Minarette gesellt.
Der Roman, dessen Haupthandlung nur wenige Stunden eines einzigen Tages umfasst, bietet auf einer zweiten Zeitebene faszinierende geschichtliche Exkurse, die uns nach Ägypten oder Konstantinopel führen, auf einer dritten - noch etwas weiter in der Zukunft - erzählt er von der Zerstörung des Gemäldes durch angeheuerte Schläger.
Pawel Huelles dichter, brillanter, teils realistisch, teils satirisch erzählter Roman, der in Polen großes Aufsehen erregt hat, bietet ein Sittenbild der Gegenwart, der westlichen Gesellschaft und des Kunstbetriebs, ein nachdenkliches, aufwühlendes Buch.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.04.2009Die Liturgie von Gift und Galle
Die Hütchenspieler des Evangeliums und die kalte Wut in Polen: Pawel Huelles jüngster Roman „Das letzte Abendmahl”
Was ist denn hier passiert? Etwas muss diesen Roman in Stücke zerrissen haben. Alles liegt durcheinander, nichts passt mehr zusammen. Der Ich-Erzähler, auf den gleichen Namen wie sein Erfinder Pawel Huelle hörend, ringt um Fassung. Gewissenhaft moderierend, fast schon etwas umständlich im Ton, führt er über die Unfallstelle, nimmt Kapitel für Kapitel neuen Anlauf, um die Zusammenhänge wenigstens einzelner Fragmente zu klären. Kurzatmiger wird er, wenn polnische Gesellschafts-Granden durchs Bild schreiten. Mit diesen hat er so seine Schwierigkeiten, und ebenso mit dem Staat, den sie prägen.
An den Geburtsort dieses Staates aber führt „Das letzte Abendmahl”. Nach und nach formt sich aus den Fragmenten ein Werktag in Danzig, der Stadt von Leninwerft und Solidarnosc. Bloß, dass die Streikbewegung schon Jahrzehnte zurückliegt. Für den Nachmittag des Handlungstages hat der Maler Mateusz seine ehemaligen Solidarnosc-Freunde zu Fotoaufnahmen eingeladen, auch der Erzähler gehört zu ihnen. Die auf auseinanderzweigenden Wegen im Kapitalismus angekommenen Intellektuellen sollen in Pose der Apostel als Abendmahlsgesellschaft abgelichtet werden, später dann will Mateusz das Foto in klassischer Manier abmalen.
Die alte Revolution und ein spätes Rendezvous der Freunde; die Eucharistie und der ungebrochene Glaube eines Malers an ganzheitlich darstellende Kunst: Mateusz und seine vormaligen Streikgenossen hätten allen Anlass, anlässlich des anstehenden Foto-Termins jeder für sich noch einmal die Errungenschaften des Abendlandes Revue passieren zu lassen. Die Zeichen der Zeit aber sind nicht auf Revue gestellt in diesem dunklen und hintersinnigen Roman. Das Abendland ist noch nicht zu Ende, es ragt sogar nach vorn: Wie in einem Zerrspiegel liegt Danzig in naher Zukunft – so nah sogar, dass eigentlich alles ist wie immer, bloß, dass es vielleicht etwas offensichtlicher zu Tage tritt.
Minarette und Kirchtürme
Sichtbar wird so vor allem eines: Die ehemaligen Freunde und jetzigen Persönlichkeiten der polnischen Gesellschaft sind fast ohne Ausnahme mit Religion befasst, betreiben jedoch bloß ihren Ausverkauf. Im Polen dieses Romans, das nicht zu weit entfernt von der polnischen Wirklichkeit liegen muss, wird Glaube nur noch marktschreierisch an das Volk verramscht, er überschwemmt den Markt wie eine billige Ware. Schlagendes Bild dafür sind einige Minarette, die sich ohne größere Anfeindungen zu den Kirchtürmen des Danziger Stadtbilds gesellt haben – Konkurrenz belebt eben das Geschäft.
Konkurrenz aber trennt von der einen und unteilbaren Wahrheit. Händeringend fragt Pawel Huelle nach den Voraussetzungen, unter denen Menschen sich gemeinsam auf Werte beziehen können, wenn die Frontlinien nicht mehr so klar vorliegen wie zu Solidarnosc-Zeiten. Paradebeispiel dafür sind die scholastischen Reflexionen, die fast alle der im Roman vorgestellten ehemaligen Freunde bei ihrem Tagesgeschäft vor der Foto-Aufnahme betreiben und bei denen sie immer wieder auf das Wunder des Abendmahls stoßen. Die Verwandlung von Brot und Wein in Christi Leib und Blut könnte Wahrheit verheißen, Huelles bibelfeste Akademiker aber spielen virtuos und gelangweilt wie Hütchenspieler Evangelium gegen Evangelium aus.
Klarheit gibt es in ihrem Gerede nicht mehr, der Kapitalismus hat alle Gewissheiten bis zur Unkenntlichkeit abgewirtschaftet. Wohl gleichsam um der Verfallskurve bessere Tage entgegenzusetzen, träumt sich Huelles Erzähler in einzelnen Reflexionsschlenkern weit fort: In kristallklaren Bildern wird die Geschichte einer Jerusalem-Reise im 19. Jahrhundert berichtet. Im gelobten Land jener vergangenen Zeit scheinen Wissbegierde und Glaubensfestigkeit einander noch nicht entfremdet.
Frei nach Bulgakow spiegelt sich in der Urzelle Jerusalem das Geschehen nicht einfach, sondern tritt der Wirrnis wie zum Endgültigen verwandelt entgegen. Mit dem Unterschied nur, dass Huelle nicht Christus, sondern bloß Christuspilger auftreten lässt: Nicht mehr nach Wahrheit, nur noch nach möglichen Wegen zur Wahrheit wird gefragt in diesem pessimistischen Sittenbild.
Gallig und böse aber wird das alles erst durch die harthändige Streicheleinheit, die der Autor den wirklichen polnischen Verhältnissen zu verpassen versucht. Nicht nur nämlich hat Huelle als eine linksliberale Instanz seines Landes sich mit dem Vorbild des schlimmsten ehemaligen Solidarnosc-Freundes, eines längst ultrarechts geifernden Danziger Volkspfarrers, auch in Wirklichkeit mit Anfeindungen und Verleumdungsklagen beharkt. Sondern die Diagnose greift weiter: Bei Huelle herrscht kalte Wut in Polen, Lynchstimmung, weil jeder höchstens noch an sich selbst glaubt.
Von den Lebenswegen der Freunde bis hin zu Albträumen des Ich-Erzählers wird immer wieder von verzweiflungswürdig sinnloser Gewalt berichtet, die einzelne allein nach Maxime ihrer eigenen Raison ausüben. Der Danziger Werktag etwa ist grundiert von beiläufig mitgehörten Schreckensmeldungen: In einem stundenlangen Stau, der sich – gut und böse ausgedacht – auf der „Kaczynski-Allee” bildet, hört einer der Freunde im Radio von einer Serie von Einzeltäter-Bombenanschlägen in der ganzen Stadt, vergisst den Katastrophenalltag vor dem Wagenfenster aber bald schon wieder zugunsten seiner eigenen menschenfeindlichen Phantasien.
Von hier aus aber mündet die polnische Malaise in apokalyptische Visionen vom Brennen und Morden der ganzen Welt. Pawel Huelle, Jahrgang 1957, durfte eigentlich seit seinem Debüt „Weiser Dawidek” (1987, dt. 1990), dem wohl wichtigsten Roman der polnischen Wendejahre, als großer europäischer Erzähler der Balance und Mäßigung gelten. Wo „Weiser Dawidek” die Scherben der Danziger polnisch-deutschen Geschichte eine wie die andere barg und vorzeigte, bewegten sich die späteren Romane noch freundlicher zugeneigt und damit bisweilen vielleicht etwas gediegen durch das Jahrhundert aus Danziger Sicht.
Damit scheint es mit diesen albtraumhaften Deterritorialisierungen des Schreckens für immer vorbei. Nicht nur das klassisch gemalte Bild des Malers Mateusz wird am Ende des Romans von Attentätern zerstört, auch Pawel Huelles verzweifelt humanistisch erzählter Roman zerbricht am Aufprall mit der Gegenwart. FLORIAN KESSLER
PAWEL HUELLE: Das letzte Abendmahl. Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Renate Schmidgall. Verlag C.H.Beck, München 2009. 266 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Die Hütchenspieler des Evangeliums und die kalte Wut in Polen: Pawel Huelles jüngster Roman „Das letzte Abendmahl”
Was ist denn hier passiert? Etwas muss diesen Roman in Stücke zerrissen haben. Alles liegt durcheinander, nichts passt mehr zusammen. Der Ich-Erzähler, auf den gleichen Namen wie sein Erfinder Pawel Huelle hörend, ringt um Fassung. Gewissenhaft moderierend, fast schon etwas umständlich im Ton, führt er über die Unfallstelle, nimmt Kapitel für Kapitel neuen Anlauf, um die Zusammenhänge wenigstens einzelner Fragmente zu klären. Kurzatmiger wird er, wenn polnische Gesellschafts-Granden durchs Bild schreiten. Mit diesen hat er so seine Schwierigkeiten, und ebenso mit dem Staat, den sie prägen.
An den Geburtsort dieses Staates aber führt „Das letzte Abendmahl”. Nach und nach formt sich aus den Fragmenten ein Werktag in Danzig, der Stadt von Leninwerft und Solidarnosc. Bloß, dass die Streikbewegung schon Jahrzehnte zurückliegt. Für den Nachmittag des Handlungstages hat der Maler Mateusz seine ehemaligen Solidarnosc-Freunde zu Fotoaufnahmen eingeladen, auch der Erzähler gehört zu ihnen. Die auf auseinanderzweigenden Wegen im Kapitalismus angekommenen Intellektuellen sollen in Pose der Apostel als Abendmahlsgesellschaft abgelichtet werden, später dann will Mateusz das Foto in klassischer Manier abmalen.
Die alte Revolution und ein spätes Rendezvous der Freunde; die Eucharistie und der ungebrochene Glaube eines Malers an ganzheitlich darstellende Kunst: Mateusz und seine vormaligen Streikgenossen hätten allen Anlass, anlässlich des anstehenden Foto-Termins jeder für sich noch einmal die Errungenschaften des Abendlandes Revue passieren zu lassen. Die Zeichen der Zeit aber sind nicht auf Revue gestellt in diesem dunklen und hintersinnigen Roman. Das Abendland ist noch nicht zu Ende, es ragt sogar nach vorn: Wie in einem Zerrspiegel liegt Danzig in naher Zukunft – so nah sogar, dass eigentlich alles ist wie immer, bloß, dass es vielleicht etwas offensichtlicher zu Tage tritt.
Minarette und Kirchtürme
Sichtbar wird so vor allem eines: Die ehemaligen Freunde und jetzigen Persönlichkeiten der polnischen Gesellschaft sind fast ohne Ausnahme mit Religion befasst, betreiben jedoch bloß ihren Ausverkauf. Im Polen dieses Romans, das nicht zu weit entfernt von der polnischen Wirklichkeit liegen muss, wird Glaube nur noch marktschreierisch an das Volk verramscht, er überschwemmt den Markt wie eine billige Ware. Schlagendes Bild dafür sind einige Minarette, die sich ohne größere Anfeindungen zu den Kirchtürmen des Danziger Stadtbilds gesellt haben – Konkurrenz belebt eben das Geschäft.
Konkurrenz aber trennt von der einen und unteilbaren Wahrheit. Händeringend fragt Pawel Huelle nach den Voraussetzungen, unter denen Menschen sich gemeinsam auf Werte beziehen können, wenn die Frontlinien nicht mehr so klar vorliegen wie zu Solidarnosc-Zeiten. Paradebeispiel dafür sind die scholastischen Reflexionen, die fast alle der im Roman vorgestellten ehemaligen Freunde bei ihrem Tagesgeschäft vor der Foto-Aufnahme betreiben und bei denen sie immer wieder auf das Wunder des Abendmahls stoßen. Die Verwandlung von Brot und Wein in Christi Leib und Blut könnte Wahrheit verheißen, Huelles bibelfeste Akademiker aber spielen virtuos und gelangweilt wie Hütchenspieler Evangelium gegen Evangelium aus.
Klarheit gibt es in ihrem Gerede nicht mehr, der Kapitalismus hat alle Gewissheiten bis zur Unkenntlichkeit abgewirtschaftet. Wohl gleichsam um der Verfallskurve bessere Tage entgegenzusetzen, träumt sich Huelles Erzähler in einzelnen Reflexionsschlenkern weit fort: In kristallklaren Bildern wird die Geschichte einer Jerusalem-Reise im 19. Jahrhundert berichtet. Im gelobten Land jener vergangenen Zeit scheinen Wissbegierde und Glaubensfestigkeit einander noch nicht entfremdet.
Frei nach Bulgakow spiegelt sich in der Urzelle Jerusalem das Geschehen nicht einfach, sondern tritt der Wirrnis wie zum Endgültigen verwandelt entgegen. Mit dem Unterschied nur, dass Huelle nicht Christus, sondern bloß Christuspilger auftreten lässt: Nicht mehr nach Wahrheit, nur noch nach möglichen Wegen zur Wahrheit wird gefragt in diesem pessimistischen Sittenbild.
Gallig und böse aber wird das alles erst durch die harthändige Streicheleinheit, die der Autor den wirklichen polnischen Verhältnissen zu verpassen versucht. Nicht nur nämlich hat Huelle als eine linksliberale Instanz seines Landes sich mit dem Vorbild des schlimmsten ehemaligen Solidarnosc-Freundes, eines längst ultrarechts geifernden Danziger Volkspfarrers, auch in Wirklichkeit mit Anfeindungen und Verleumdungsklagen beharkt. Sondern die Diagnose greift weiter: Bei Huelle herrscht kalte Wut in Polen, Lynchstimmung, weil jeder höchstens noch an sich selbst glaubt.
Von den Lebenswegen der Freunde bis hin zu Albträumen des Ich-Erzählers wird immer wieder von verzweiflungswürdig sinnloser Gewalt berichtet, die einzelne allein nach Maxime ihrer eigenen Raison ausüben. Der Danziger Werktag etwa ist grundiert von beiläufig mitgehörten Schreckensmeldungen: In einem stundenlangen Stau, der sich – gut und böse ausgedacht – auf der „Kaczynski-Allee” bildet, hört einer der Freunde im Radio von einer Serie von Einzeltäter-Bombenanschlägen in der ganzen Stadt, vergisst den Katastrophenalltag vor dem Wagenfenster aber bald schon wieder zugunsten seiner eigenen menschenfeindlichen Phantasien.
Von hier aus aber mündet die polnische Malaise in apokalyptische Visionen vom Brennen und Morden der ganzen Welt. Pawel Huelle, Jahrgang 1957, durfte eigentlich seit seinem Debüt „Weiser Dawidek” (1987, dt. 1990), dem wohl wichtigsten Roman der polnischen Wendejahre, als großer europäischer Erzähler der Balance und Mäßigung gelten. Wo „Weiser Dawidek” die Scherben der Danziger polnisch-deutschen Geschichte eine wie die andere barg und vorzeigte, bewegten sich die späteren Romane noch freundlicher zugeneigt und damit bisweilen vielleicht etwas gediegen durch das Jahrhundert aus Danziger Sicht.
Damit scheint es mit diesen albtraumhaften Deterritorialisierungen des Schreckens für immer vorbei. Nicht nur das klassisch gemalte Bild des Malers Mateusz wird am Ende des Romans von Attentätern zerstört, auch Pawel Huelles verzweifelt humanistisch erzählter Roman zerbricht am Aufprall mit der Gegenwart. FLORIAN KESSLER
PAWEL HUELLE: Das letzte Abendmahl. Roman. Aus dem Polnischen übersetzt von Renate Schmidgall. Verlag C.H.Beck, München 2009. 266 Seiten, 17,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.06.2009Gruppenbild mit Waffe
Pawel Huelle lässt Dampf ab: In seinem neuen, in Polen sehr erfolgreichen Roman zieht der Danziger Schriftsteller übre die Kaczynski-Ära und allerlei andere Zeiterscheinungen vom Leder.
Es war im Grunde genommen eine gewöhnliche Provinzposse und erregte die Gemüter doch weit über die Grenzen des engen Danzig hinaus: Im Jahr 2005 hatte der Maler Maciej Swieszewski, ein Professor an der örtlichen Kunstakademie, ein Bild ausgestellt, über das plötzlich in ganz Polen gestritten wurde. Es handelte sich um eine Version des letzten Abendmahls: Im Bildaufbau Leonardos berühmtem Wandfresko ähnlich, versammelte dieses zwischen Fotorealismus und spätem Dalí angesiedelte Ölgemälde aber zeitgenössisches Personal. Darunter der Schriftsteller Pawel Huelle.
Er sitzt zur Rechten des Messias, was auch als Zeichen für seine Stellung in der polnischen Kulturlandschaft gedeutet werden kann: Dieser Autor gilt zumindest als konservativ. Zur aktuellen Kunst hat er sich wiederholt öffentlich geäußert; Installationen, Video, Performance - das alles sei nichts als Hochstapelei. Huelles Romane spielen in seiner Heimatstadt Gdansk und beschwören in teils fiktiven Geschichtskonstellationen oft das gemeinsame deutsch-polnische Erbe. Dadurch hat sich der 1957 geborene Huelle auch bei uns einen Namen gemacht. Sein letzter Roman "Castorp" entwarf eine Vision davon, was dem Protagonisten aus Thomas Manns "Zauberberg" während seiner Danziger Studienjahre widerfahren sein mochte - eine Zeitspanne, die bei Mann zwar erwähnt, jedoch nicht ausgeführt wird.
Wie gesagt: Die Darstellung des Abendmahls mit Huelle und anderen honorigen Bürgern seiner Stadt als Apostel ist ein Lokalereignis und deshalb heute zu Recht vergessen. Man müsste auch nicht mehr davon reden, dass an dem Werk damals nicht etwa, wie sonst bei Kunstskandalen üblich, das konservative Lager oder die Kirche Anstoß nahmen, sondern die künstlerische Avantgarde und die Kunstkritik. Nun aber ist es Huelle selbst, der diese Geschichte noch einmal aufwärmt. Und das nicht bloß in einem Feuilletonartikel - der Autor hat eine ganze Romanhandlung daran geknüpft und das Buch auch noch so genannt: "Das letzte Abendmahl".
Das Szenario ist eine nicht allzu ferne Zukunft: Durch die Dreistadt führt eine "Kaczynski-Allee", es gibt dort eine Moschee und nebenan eine Freie Universität mit Koranunterricht. Ansonsten ist alles mit den Utensilien unserer Gegenwart ausgestattet: E-Mails, Mobiltelefonen, Bloggern, Terroranschlägen, Angst vor dem Islam. Erzählt werden die Ereignisse eines einzigen Tages: Für einen Fototermin im Theater hat der Maler Mateusz zwölf alte Freunde zusammengetrommelt, damit sie den Jüngern auf seinem späteren Gemälde ihre Gesichter leihen.
Vier davon lernt der Leser näher kennen. Es sind Antoni Berdo, ein schwuler Student, der von einem Unglück ins nächste steuert; Jan Wybranski, ein sexsüchtiger Geschäftemacher; der einstige Solidarnosc-Kämpfer Doktor Lewada und Pater Monsignore, ein Mercedes fahrender Priester, der eine eigene Weinmarke herstellt. Diese Figur trägt Züge des berüchtigten Danziger Pfarrers Jankowski, mit dem Huelle 2005 einen Rechtsstreit führte. Eine Reihe von Anschlägen auf Alkoholläden hat den gesamten Stadtverkehr zum Erliegen gebracht. Die Protagonisten erreichen ihr Ziel mit Verspätung, und es kommt zum Gruppenfoto - wenn auch etwas anders als geplant. Als "Zwölften" holt sich der Maler einen Unbekannten von der Straße. Es ist ein aus der nahe gelegenen Psychiatrie ausgebrochener Patient - und er ist bewaffnet.
"Das letzte Abendmahl" ist mit Abstand das aufregendste Buch, das Pawel Huelle je geschrieben hat. Sprunghaft, mit einem verwickelten Plot und ständig wechselndem Erzähltempo. Traumprotokolle werden kombiniert mit phantastischen Elementen, Gewaltszenen und Kriegsschauplätzen. Der Erzähler unternimmt weitschweifige Exkurse in die Religionswissenschaften und die Kulturgeschichte des Abendlands. In der witzigen Beschreibung einer Kunstaktion mit dem Titel "City Air", die aus riesigen Glaswürfeln besteht, in denen Luft aus verschiedenen Städten enthalten ist, bringt Huelle sein ganzes Ressentiment gegen die zeitgenössische Installationskunst zum Ausdruck.
Seine Schwäche für rhetorische Fragen ("Hätte er damals, als er nach dem Gespräch mit ihm auf die Straße voller deutscher Touristen hinausging, ahnen können, dass er sich einige Monate später zu diesem Examen entschließen würde?") und metatextuelle Eingriffe ("Wollte ich zum Nutzen dieser Chronik - den Strom der Zeit für eine Weile anhalten, um noch etwas über die beiden Jan Wybranskis zu sagen, den von damals und den heutigen, würde ich am liebsten den abgedroschenen, aber liebenswerten Schutzengel aus der Versenkung holen") bringt den Erzählgang allerdings auf unbefriedigende Art immer wieder ins Stocken. Der Bericht von einem Irren, der aus der Anstalt plötzlich in die Stadt entlassen wird, ist ein in sich geschlossenes Stück, das auch als eigenständige Kurzgeschichte funktionieren würde.
Obwohl es viele große und stets aktuelle Fragen sind, die in diesem Buch verhandelt werden, lebt es doch vom spezifisch polnischen Kontext. Dass es dort lange die Bestsellerliste anführte, liegt wohl am Wiedererkennungseffekt, zu dem es in der Begegnung mit einigen landesweit prominenten Figuren kommt. Der korrupte Klerus, die Enttäuschung darüber, dass der kulturelle Untergrund kaum eine Rolle mehr spielt, Homophobie und die Angst vor allem Fremden: aus diesem Buch weht das Denken aus der Kaczynski-Ära. Die verlogene Moral dieser Saubermänner, die plötzlich in die Politik kam, und mit ihr das Ressentiment, das sich nicht selten auf offener Straße Bahn brach. Die ständigen Politskandale und Skandälchen. Welcher deutsche Leser sich auch immer dafür interessieren möchte: Pawel Huelles von Renate Schmidgall sorgfältig übersetzter Roman lässt Dampf ab und unternimmt den Versuch einer Abrechnung mit dieser Zeit.
STEFANIE PETER
Pawel Huelle: "Das letzte Abendmahl". Roman. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Verlag C.H. Beck, München 2009. 262 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pawel Huelle lässt Dampf ab: In seinem neuen, in Polen sehr erfolgreichen Roman zieht der Danziger Schriftsteller übre die Kaczynski-Ära und allerlei andere Zeiterscheinungen vom Leder.
Es war im Grunde genommen eine gewöhnliche Provinzposse und erregte die Gemüter doch weit über die Grenzen des engen Danzig hinaus: Im Jahr 2005 hatte der Maler Maciej Swieszewski, ein Professor an der örtlichen Kunstakademie, ein Bild ausgestellt, über das plötzlich in ganz Polen gestritten wurde. Es handelte sich um eine Version des letzten Abendmahls: Im Bildaufbau Leonardos berühmtem Wandfresko ähnlich, versammelte dieses zwischen Fotorealismus und spätem Dalí angesiedelte Ölgemälde aber zeitgenössisches Personal. Darunter der Schriftsteller Pawel Huelle.
Er sitzt zur Rechten des Messias, was auch als Zeichen für seine Stellung in der polnischen Kulturlandschaft gedeutet werden kann: Dieser Autor gilt zumindest als konservativ. Zur aktuellen Kunst hat er sich wiederholt öffentlich geäußert; Installationen, Video, Performance - das alles sei nichts als Hochstapelei. Huelles Romane spielen in seiner Heimatstadt Gdansk und beschwören in teils fiktiven Geschichtskonstellationen oft das gemeinsame deutsch-polnische Erbe. Dadurch hat sich der 1957 geborene Huelle auch bei uns einen Namen gemacht. Sein letzter Roman "Castorp" entwarf eine Vision davon, was dem Protagonisten aus Thomas Manns "Zauberberg" während seiner Danziger Studienjahre widerfahren sein mochte - eine Zeitspanne, die bei Mann zwar erwähnt, jedoch nicht ausgeführt wird.
Wie gesagt: Die Darstellung des Abendmahls mit Huelle und anderen honorigen Bürgern seiner Stadt als Apostel ist ein Lokalereignis und deshalb heute zu Recht vergessen. Man müsste auch nicht mehr davon reden, dass an dem Werk damals nicht etwa, wie sonst bei Kunstskandalen üblich, das konservative Lager oder die Kirche Anstoß nahmen, sondern die künstlerische Avantgarde und die Kunstkritik. Nun aber ist es Huelle selbst, der diese Geschichte noch einmal aufwärmt. Und das nicht bloß in einem Feuilletonartikel - der Autor hat eine ganze Romanhandlung daran geknüpft und das Buch auch noch so genannt: "Das letzte Abendmahl".
Das Szenario ist eine nicht allzu ferne Zukunft: Durch die Dreistadt führt eine "Kaczynski-Allee", es gibt dort eine Moschee und nebenan eine Freie Universität mit Koranunterricht. Ansonsten ist alles mit den Utensilien unserer Gegenwart ausgestattet: E-Mails, Mobiltelefonen, Bloggern, Terroranschlägen, Angst vor dem Islam. Erzählt werden die Ereignisse eines einzigen Tages: Für einen Fototermin im Theater hat der Maler Mateusz zwölf alte Freunde zusammengetrommelt, damit sie den Jüngern auf seinem späteren Gemälde ihre Gesichter leihen.
Vier davon lernt der Leser näher kennen. Es sind Antoni Berdo, ein schwuler Student, der von einem Unglück ins nächste steuert; Jan Wybranski, ein sexsüchtiger Geschäftemacher; der einstige Solidarnosc-Kämpfer Doktor Lewada und Pater Monsignore, ein Mercedes fahrender Priester, der eine eigene Weinmarke herstellt. Diese Figur trägt Züge des berüchtigten Danziger Pfarrers Jankowski, mit dem Huelle 2005 einen Rechtsstreit führte. Eine Reihe von Anschlägen auf Alkoholläden hat den gesamten Stadtverkehr zum Erliegen gebracht. Die Protagonisten erreichen ihr Ziel mit Verspätung, und es kommt zum Gruppenfoto - wenn auch etwas anders als geplant. Als "Zwölften" holt sich der Maler einen Unbekannten von der Straße. Es ist ein aus der nahe gelegenen Psychiatrie ausgebrochener Patient - und er ist bewaffnet.
"Das letzte Abendmahl" ist mit Abstand das aufregendste Buch, das Pawel Huelle je geschrieben hat. Sprunghaft, mit einem verwickelten Plot und ständig wechselndem Erzähltempo. Traumprotokolle werden kombiniert mit phantastischen Elementen, Gewaltszenen und Kriegsschauplätzen. Der Erzähler unternimmt weitschweifige Exkurse in die Religionswissenschaften und die Kulturgeschichte des Abendlands. In der witzigen Beschreibung einer Kunstaktion mit dem Titel "City Air", die aus riesigen Glaswürfeln besteht, in denen Luft aus verschiedenen Städten enthalten ist, bringt Huelle sein ganzes Ressentiment gegen die zeitgenössische Installationskunst zum Ausdruck.
Seine Schwäche für rhetorische Fragen ("Hätte er damals, als er nach dem Gespräch mit ihm auf die Straße voller deutscher Touristen hinausging, ahnen können, dass er sich einige Monate später zu diesem Examen entschließen würde?") und metatextuelle Eingriffe ("Wollte ich zum Nutzen dieser Chronik - den Strom der Zeit für eine Weile anhalten, um noch etwas über die beiden Jan Wybranskis zu sagen, den von damals und den heutigen, würde ich am liebsten den abgedroschenen, aber liebenswerten Schutzengel aus der Versenkung holen") bringt den Erzählgang allerdings auf unbefriedigende Art immer wieder ins Stocken. Der Bericht von einem Irren, der aus der Anstalt plötzlich in die Stadt entlassen wird, ist ein in sich geschlossenes Stück, das auch als eigenständige Kurzgeschichte funktionieren würde.
Obwohl es viele große und stets aktuelle Fragen sind, die in diesem Buch verhandelt werden, lebt es doch vom spezifisch polnischen Kontext. Dass es dort lange die Bestsellerliste anführte, liegt wohl am Wiedererkennungseffekt, zu dem es in der Begegnung mit einigen landesweit prominenten Figuren kommt. Der korrupte Klerus, die Enttäuschung darüber, dass der kulturelle Untergrund kaum eine Rolle mehr spielt, Homophobie und die Angst vor allem Fremden: aus diesem Buch weht das Denken aus der Kaczynski-Ära. Die verlogene Moral dieser Saubermänner, die plötzlich in die Politik kam, und mit ihr das Ressentiment, das sich nicht selten auf offener Straße Bahn brach. Die ständigen Politskandale und Skandälchen. Welcher deutsche Leser sich auch immer dafür interessieren möchte: Pawel Huelles von Renate Schmidgall sorgfältig übersetzter Roman lässt Dampf ab und unternimmt den Versuch einer Abrechnung mit dieser Zeit.
STEFANIE PETER
Pawel Huelle: "Das letzte Abendmahl". Roman. Aus dem Polnischen von Renate Schmidgall. Verlag C.H. Beck, München 2009. 262 S., geb., 17,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Florian Kessler staunt nicht schlecht, welch blanke Wut dem Leser aus Pawel Huelles jüngstem Roman "Das letzte Abendmahl" von diesem Autor der "Balance und Mäßigung" entgegenschlägt. Der Roman spielt in der nächsten Zukunft in Danzig, wo sich ehemalige Solidarnosc-Kämpfer zu einem Fototermin treffen: Der Maler Mateusz will sie nach dem Vorbild des Letzten Abendmahls fotografieren, um die Aufnahme dann abzumalen, erklärt der Rezensent. Nach Fassung ringend frage der Erzähler, der übrigens den gleichen Namen trägt wie der Autor, nach gültigen Werten jenseits der politischen Utopien. Huelle zeige aber in seinem abgrundtief "pessimistischen Sittenbild", in dem die ehemaligen Freunde aus Solidarnosc-Zeiten lediglich noch am "Ausverkauf der Religion" beteiligt sind, wie Gewalt und Gleichgültigkeit die Oberhand gewinnen. Am Ende mündet dieses polnische Schreckensbild in eine globale Apokalypse, und der beeindruckte Rezensent hat das Gefühl, dass hier der Roman selbst die Fassung verliert und schließlich "am Aufprall mit der Gegenwart zerbricht".
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