Sie hatten kaum eine Chance. Im Frühjahr 1944 beendeten deutsche Besatzer, darunter das Kommando Eichmann, und ungarische Rechte in Regierung, Verwaltung und Polizei schlagartig die scheinbar halbwegs sichere Existenz der ungarischen Juden. Von Mitte Mai 1944 an wurden binnen sieben Wochen mehr als 400000 von ihnen nach Auschwitz deportiert. Wie konnte es so kurz vor der deutschen Niederlage noch dazu kommen?
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Die Geschichte der Ermordung der ungarischen Juden, die als die umfangreichste Vernichtungsaktion des Holocaust gilt, wurde in den 60er und 70er Jahre viel erforscht - und dann ad acta gelegt, wie Thomas Sandkühler einführend berichtet. Die beiden ausgewiesenen Holocaust-Forscher Christian Gerlach und Götz Aly haben nun - mithilfe von neuen Dokumenten aus Ungarn und Israel - vernachlässigte Aspekte dieser Geschichte aufgearbeitet. Bemerkenswert an ihrer tadellos recherchierten und zurückhaltend dargelegten Arbeit ist der Akzent ihrer Untersuchung, so Sandkühler, der auf der Interaktion zwischen Ungarn und Deutschen, ungarischen Juden und ungarischen Nichtjuden liege. Ohne die aktive Mithilfe der ungarischen Behörden, ohne eine eigenständige antisemitische Politik in Ungarn wäre diese große Vernichtungsaktion gar nicht möglich gewesen, fasst Sandkühler Gerlach/Alys Arbeitsergebnisse zusammen. Außerdem wendeten sich die Autoren entschieden gegen die allgemeine Auffassung, Deutschland habe mit der Ermordung der ungarischen Juden um der Ideologie willen gegen eigene Interessen verstoßen. Stattdessen ging es darum, das Arbeitskräftepotenzial gerade gegen Kriegsende aufzustocken.
© Perlentaucher Medien GmbH
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