Im Mai 2002 rehabilitierte der Deutsche Bundestag pauschal die Deserteure der Wehrmacht, "Kriegsverräter" sparte er aus. Die hier dokumentierten 33 Urteile der NS-Militärjustiz schaffen die Voraussetzung für eine sachgerechte Aufarbeitung eines längst überfälligen Themas.
Die meisten der wegen Kriegsverrats verurteilten Wehrmachtsoldaten waren kleine Leute in Uniform, die, ähnlich wie die Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und Wehrkraftzersetzer,Widerstand gegen Hitler und den Vernichtungskrieg zu leisten versuchten. Einige von ihnen gingen in bewaffnete Widerstandsgruppen, andere fielen durch oppositionelle Gesinnung auf. Eine Kollaboration mit den Kriegsgegnern Deutschlands war den wenigsten möglich. Nicht selten entstand das Delikt "Kriegsverrat" erst in den Köpfen der Kriegsrichter: Sie konstruierten aus widerständigen Handlungen eine Begünstigung des Feindes. Vielfach reichte zu einem Todesurteil, wenn einer Kommunist, Sozialist oder Pazifist war und Kriegsgefangenen oder Juden geholfen hatte. Warum wurden sie bis heute nicht rehabilitiert?
Die meisten der wegen Kriegsverrats verurteilten Wehrmachtsoldaten waren kleine Leute in Uniform, die, ähnlich wie die Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und Wehrkraftzersetzer,Widerstand gegen Hitler und den Vernichtungskrieg zu leisten versuchten. Einige von ihnen gingen in bewaffnete Widerstandsgruppen, andere fielen durch oppositionelle Gesinnung auf. Eine Kollaboration mit den Kriegsgegnern Deutschlands war den wenigsten möglich. Nicht selten entstand das Delikt "Kriegsverrat" erst in den Köpfen der Kriegsrichter: Sie konstruierten aus widerständigen Handlungen eine Begünstigung des Feindes. Vielfach reichte zu einem Todesurteil, wenn einer Kommunist, Sozialist oder Pazifist war und Kriegsgefangenen oder Juden geholfen hatte. Warum wurden sie bis heute nicht rehabilitiert?
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.01.2008Vergessene „Kriegsverräter”
Ihre Rehabilitierung – ähnlich den Deserteuren – ist längst überfällig
In der NS-Zeit galt der sogenannte Kriegsverrat als Landesverrat, der mit der Todesstrafe bedroht wurde. Die verurteilten Soldaten wurden Opfer der NS-Militärjustiz, weil sie für ihr widerständiges Verhalten ihr Leben riskiert und verloren haben und bis heute nicht rehabilitiert worden sind. Die Behauptung der NS-Kriegsrichter, die Prozesse seien „ordnungsgemäß abgelaufen und die Angeklagten zu Recht zum Tode verurteilt worden”, prägte lange das kollektive Gedächtnis der Deutschen zu diesem Thema. Erst im Mai 2002 rehabilitierte der Bundestag pauschal die Deserteure der Wehrmacht. Die „Kriegsverräter” sparte er aus. Mit ihrem Buch schaffen die Autoren die Voraussetzung für die Erledigung einer überfälligen Aufgabe, nämlich für die Rehabilitierung auch dieser Opfer.
Der nur ungenau definierte Straftatbestand „Kriegsverrat” öffnete Willkür und Terror Tür und Tor. Die Militärgerichte konnten so jede Form abweichenden Verhaltens von Soldaten verfolgen. Der heute wenig bekannte Begriff galt schon 1871 als politisches Militärstrafdelikt. Nach 1933 wurde es ins Unbestimmte hinein erweitert, damit verschärft und so zu einem Schwert der NS-Justiz. Ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs von 1995 sprach Klartext und bezeichnete ehemalige Richter der NS-Militärjustiz, die ihre Laufbahn nach 1949 fortsetzten, als Angehörige einer „Blutjustiz”.
Bis dahin war es ein weiter Weg: In den Augen der deutschen Kriegsgeneration war der Verrat in allen seinen Erscheinungsformen etwas rundweg Schändliches. Noch in den 60er Jahren wurde der Vorwurf des „Verrats an Deutschland” exemplarisch im Wahlkampf gegen Willy Brandt propagandistisch eingesetzt, weil er in der Emigration Widerstand gegen Hitlerdeutschland geleistet und organisiert hatte. Die Autoren skizzieren nicht nur den „Kriegsverrat” vor und nach 1945 als ein folgenschweres Politikum, sondern geben einen ersten Überblick über Todesurteile wegen „Kriegsverrats” in der NS-Zeit.
Nach Kommentaren des einflussreichsten zeitgenössischen Interpreten des NS-Militärstrafgesetzbuches, Erich Schwinge, konnte jede politisch-oppositionelle Agitation, auch eine entsprechende schriftliche und mündliche Äußerung, als Kriegsverrat verfolgt werden. Die Hilfe für Kriegsgefangene konnte ähnliche Folgen haben wie Solidarität mit verfolgten Juden, Kooperation mit der Feindmacht oder Kontakte zu Partisanen.
Die Urteile und Anklageschriften zeigen eindrücklich, dass die meisten der wegen Kriegsverrats verurteilten Wehrmachtssoldaten untere Dienstgrade waren, die ähnlich wie die Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und Wehrkraftzersetzer, Widerstand zu leisten versuchten. Widerstand von Offizieren und Angehörigen der Führungsschicht wurde generell milder bestraft. Der nationalkonservative Widerstand konnte so im Rückblick als Patriotismus und widerständiges Handeln gewürdigt werden. Beim „kleinen Mann” blieb das Stigma des schändlichen Verrats hängen.
Was wurde verraten? Der Gefreite Robert Albrecht, ein Jesuit und Dolmetscher in einem Kriegsgefangenenlager in Berlin, informierte eine Hilfsorganisation über die völkerrechtswidrige Behandlung englischer Kriegsgefangener. Für die Wehrmacht sollten sie als Spione angeworben werden. Außerdem sprach Albrecht die beklagenswerte Lage russischer Gefangener an. Das Reichskriegsgericht befand, „dass der Beklagte mit diesen Handlungen Deutschland schaden und den Feinden Deutschlands Nutzen bringen wollte”. Es verurteilte ihn wegen „Kriegsverrat in Tateinheit mit Landesverrat” zum Tode.
Die Urteile der Feldkriegsgerichte – ein Bestand von 180 000 Akten und 926 laufenden Metern – sind noch nicht erschlossen, die Quellenlage ist fragmentarisch. Den Autoren kommt das große Verdienst zu, in einer sehr sorgfältigen Edition die terroristische Praxis der NS-Militärjustiz offenzulegen. Dies wird zu einem rechtspolitischen Lernprozess beitragen, der – wie von einem demokratischen Rechtsstaat zu erwarten – zur völligen Rehabilitierung der verurteilten Soldaten führen muss. JOHANNES KLOTZ
WOLFRAM WETTE/DETLEF VOGEL (Hg.), Mitarbeit Ricarda Berthold und Helmut Kramer, Vorwort von Manfred Messerschmidt: Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat. Aufbau-Verlag, Berlin 2007. 507 Seiten , 24,95 Euro.
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Ihre Rehabilitierung – ähnlich den Deserteuren – ist längst überfällig
In der NS-Zeit galt der sogenannte Kriegsverrat als Landesverrat, der mit der Todesstrafe bedroht wurde. Die verurteilten Soldaten wurden Opfer der NS-Militärjustiz, weil sie für ihr widerständiges Verhalten ihr Leben riskiert und verloren haben und bis heute nicht rehabilitiert worden sind. Die Behauptung der NS-Kriegsrichter, die Prozesse seien „ordnungsgemäß abgelaufen und die Angeklagten zu Recht zum Tode verurteilt worden”, prägte lange das kollektive Gedächtnis der Deutschen zu diesem Thema. Erst im Mai 2002 rehabilitierte der Bundestag pauschal die Deserteure der Wehrmacht. Die „Kriegsverräter” sparte er aus. Mit ihrem Buch schaffen die Autoren die Voraussetzung für die Erledigung einer überfälligen Aufgabe, nämlich für die Rehabilitierung auch dieser Opfer.
Der nur ungenau definierte Straftatbestand „Kriegsverrat” öffnete Willkür und Terror Tür und Tor. Die Militärgerichte konnten so jede Form abweichenden Verhaltens von Soldaten verfolgen. Der heute wenig bekannte Begriff galt schon 1871 als politisches Militärstrafdelikt. Nach 1933 wurde es ins Unbestimmte hinein erweitert, damit verschärft und so zu einem Schwert der NS-Justiz. Ein Grundsatzurteil des Bundesgerichtshofs von 1995 sprach Klartext und bezeichnete ehemalige Richter der NS-Militärjustiz, die ihre Laufbahn nach 1949 fortsetzten, als Angehörige einer „Blutjustiz”.
Bis dahin war es ein weiter Weg: In den Augen der deutschen Kriegsgeneration war der Verrat in allen seinen Erscheinungsformen etwas rundweg Schändliches. Noch in den 60er Jahren wurde der Vorwurf des „Verrats an Deutschland” exemplarisch im Wahlkampf gegen Willy Brandt propagandistisch eingesetzt, weil er in der Emigration Widerstand gegen Hitlerdeutschland geleistet und organisiert hatte. Die Autoren skizzieren nicht nur den „Kriegsverrat” vor und nach 1945 als ein folgenschweres Politikum, sondern geben einen ersten Überblick über Todesurteile wegen „Kriegsverrats” in der NS-Zeit.
Nach Kommentaren des einflussreichsten zeitgenössischen Interpreten des NS-Militärstrafgesetzbuches, Erich Schwinge, konnte jede politisch-oppositionelle Agitation, auch eine entsprechende schriftliche und mündliche Äußerung, als Kriegsverrat verfolgt werden. Die Hilfe für Kriegsgefangene konnte ähnliche Folgen haben wie Solidarität mit verfolgten Juden, Kooperation mit der Feindmacht oder Kontakte zu Partisanen.
Die Urteile und Anklageschriften zeigen eindrücklich, dass die meisten der wegen Kriegsverrats verurteilten Wehrmachtssoldaten untere Dienstgrade waren, die ähnlich wie die Kriegsdienstverweigerer, Deserteure und Wehrkraftzersetzer, Widerstand zu leisten versuchten. Widerstand von Offizieren und Angehörigen der Führungsschicht wurde generell milder bestraft. Der nationalkonservative Widerstand konnte so im Rückblick als Patriotismus und widerständiges Handeln gewürdigt werden. Beim „kleinen Mann” blieb das Stigma des schändlichen Verrats hängen.
Was wurde verraten? Der Gefreite Robert Albrecht, ein Jesuit und Dolmetscher in einem Kriegsgefangenenlager in Berlin, informierte eine Hilfsorganisation über die völkerrechtswidrige Behandlung englischer Kriegsgefangener. Für die Wehrmacht sollten sie als Spione angeworben werden. Außerdem sprach Albrecht die beklagenswerte Lage russischer Gefangener an. Das Reichskriegsgericht befand, „dass der Beklagte mit diesen Handlungen Deutschland schaden und den Feinden Deutschlands Nutzen bringen wollte”. Es verurteilte ihn wegen „Kriegsverrat in Tateinheit mit Landesverrat” zum Tode.
Die Urteile der Feldkriegsgerichte – ein Bestand von 180 000 Akten und 926 laufenden Metern – sind noch nicht erschlossen, die Quellenlage ist fragmentarisch. Den Autoren kommt das große Verdienst zu, in einer sehr sorgfältigen Edition die terroristische Praxis der NS-Militärjustiz offenzulegen. Dies wird zu einem rechtspolitischen Lernprozess beitragen, der – wie von einem demokratischen Rechtsstaat zu erwarten – zur völligen Rehabilitierung der verurteilten Soldaten führen muss. JOHANNES KLOTZ
WOLFRAM WETTE/DETLEF VOGEL (Hg.), Mitarbeit Ricarda Berthold und Helmut Kramer, Vorwort von Manfred Messerschmidt: Das letzte Tabu. NS-Militärjustiz und Kriegsverrat. Aufbau-Verlag, Berlin 2007. 507 Seiten , 24,95 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension
Rezensent Hans-Martin Lohmann begrüßt die Dokumentation von Wolfram Wette und Detlef Vogel "Das letzte Tabu", in der sie auf ein lange Zeit totgeschwiegenes Thema aufmerksam machen. So gehen sie darin der Frage nach, warum Emigranten, Verweigerer und sonstige so genannte "Kriegsverräter" wie der 1944 zum Tode verurteilte Grenadier Michael Fries, dem Verbindungen zu "kommunistischen Gesinnungsgenossen" vorgeworfen wurden, bis zum heutigen Tage keine juristische Rehabilitierung erfahren haben. Auch wenn sich in Deutschland gerade die Politiker noch immer schwer mit diesem Thema tun, hofft der Rezensent, dass nun auch "dieses Tabu endlich fällt und dem Grenadier Michael Fries und vielen anderen seiner Kameraden späte Gerechtigkeit widerfährt."
© Perlentaucher Medien GmbH
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