Seine skandaltra¨chtige, weil teilweise erfundene Autobiografie u¨ber seinen Entzug von Alkohol und Crack machte James Frey u¨ber Nacht zu einem der wichtigsten jungen Autoren Amerikas - und verkaufte sich weltweit 4,5 Millionen mal. Frey, eigentlich ein Kind der gehobenen Mittelschicht, weiß wie es ganz unten aussieht. Und dorthin schickt er auch den Protagonisten seines neuesten Buchs: Den Messias. Mehr als 2000 Jahre hat das Christentum auf die Ru¨ckkehr des Erlo¨sers gewartet, jetzt ist er wieder da. Heute. In New York. Er begibt sich zu den A¨rmsten der Armen. Er mengt sich unter Penner und Junkies. Er schla¨ft mit Ma¨nnern und Frauen. Er verachtet die Kirche und wird vom Staat verfolgt. Er heilt die Kranken. Er gibt Liebe und wird gehasst. Er wird geto¨tet.Wie es sich fu¨r ein Testament geho¨rt, erza¨hlen 13 Zeugen von der Wiederkehr des Erlo¨sers. Jeder Zeuge wird von einem bekannten Literaten ins Deutsche u¨bertragen.Als Übersetzer wirken mit: Alexa Hennig von Lange, Charles Lewinsky, Clemens J. Setz, Gerd Haffmans, Harry Rowohlt, Juli Zeh, Katja Scholtz, Klaus Modick, Kristof Magnusson, Steffen Jacobs, Sven Böttcher, Tina Uebel, Zoë Jenny
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Kein Wort glaubt Burkhard Müller diesem Autor! Dass Müller nach James Freys komplett erstunkenen und erlogenen Roman von seiner toughen Knastkarriere überhaupt noch ein Buch von diesem Autor in die Hand nimmt, zeugt von großem Vertrauen in die Presse, die dieses Buch ordentlich bejubelt hat. Was muss Müller aber feststellen? Es ist der gleiche Schwindel, bloß unter anderen Vorzeichen. Statt selbst zu erfinden, bedient sich Frey nun im literarischen Trödelladen. Dumm nur, meint Müller, dass er mit dem Thema des Messias auf Erden ausgerechnet einen Stoff erwischt, der sich absolut nicht für einen realistischen Roman eignet. Blasphemie ist noch das Geringste, was Müller dem Autor vorwirft. Schlimmer ist wohl die lähmende Langeweile beim Leser. Dass sich der deutsche Verlag dazu entschlossen hat, die Übersetzungen kapitelweise an Literaten zu vergeben, Juli Zeh, Zoe Jenny, Harry Rowohlt etc., macht die Sache für Müller auch nicht brillanter. Und die Milieus, in denen Frey Ghetto und Bibel zusammenzwingt und denen die Sprache entspringt, meint er, finden sich hierzulande schon gar nicht.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.03.2012Die Welt von damals
In "Das Letzte Testament der Heiligen Schrift" zeigt James Frey den Erlöser als bisexuellen Hippie mit New-Age-Moral. Himmel, hilf!
Apokalyptiker sind Optimisten. Sie glauben jedes Jahr aufs Neue an den Untergang. Aber das Finale bleibt aus, stattdessen gibt es die Wiederkehr des Gleichen: Steuererklärung, im Stau stehen, Kantinenessen. Wenigstens literarisch können Endzeitfans nun ihr Mütchen kühlen - James Frey hat die Katastrophe in einen Groschenroman verwandelt, mit Jesus als Hippie-Helden und New York als Kulisse. Natürlich ist auch diese Läuterungsfabel eine Mogelpackung, zum Schluss wird noch nicht einmal eine Metropole zerstört, sondern auf dem Land, in der Kommune gelebt. So stellt sich dieser Messias nämlich das richtige Leben im falschen vor: als New-Age-Gemeinschaft, inklusive freien Sexes und Gemüseanbau.
Bis es so weit ist, bis Ben, so der Name des Erlösers, im Grünen lebt, muss er seinen Leidensweg abschreiten. Der führt ihn hinaus aus der Enge einer jüdisch-orthodoxen Familie in die Weiten der Großstadt. Zwischen Brooklyn und Harlem ist genügend Raum für Offenbarungen. Es treten auf: die drogensüchtige Maria Magdalena; der schwule Clubgänger Jeremias; der zum Christentum konvertierte Jude Jakob; der FBI-Agent Johannes; Lukas, ein Kreationist und Abtreibungsgegner; Markus, der katholische Priester; Judith, die kleine Angestellte mit ebenjener Farm im New Yorker Hinterland, wo man dann friedlich der Weltauslöschung entgegengärtelt.
Das Buch ist aus den Berichten dieser Figuren zusammengestückelt; der Kunstgriff, ein Thema durch die Geschichten verschiedener Erzähler zu beleuchten, ist nicht neu - siehe Neues Testament -, aber wer hätte gedacht, dass das Verfahren zu einer derart knackigen Kolportage taugt? Maria Magdalena ist, wie gesagt, crackabhängig. Der FBI-Mann: traumatisiert durch den Tod der Tochter. Lukas: ein fanatischer Spinner der christlichen Rechten. Markus: zerquält von den Missbrauchskandalen seiner Kirche. Judith: eine übergewichtige Depressive. Jakob: ein zwischen Konfessionen aufgeriebener Choleriker. Ben hat alle Hände voll zu tun mit diesen Leidgeprüften, und das ist wörtlich gemeint, weil dieser Messias, unter vollem Körpereinsatz, mit Sex erlöst. "Nichts auf der Erde bringt die Menschen der himmlischen Wahrheit so nah wie ein Orgasmus", lautet die Verkündung. Ob Drogen oder Depression: Die Pathologie hat gegen Tantra keine Chance. Auch die ideologischen Verklemmungen müssen gelockert werden: "Vergiss die Lügen von Religion und Regierung", doziert Ben, "lebe dein Leben, liebe deine Kinder, und glaube nicht, was man dir erzählt."
Ja, aber das, was uns Frey erzählt, das sollen wir dann schon glauben. Freie Liebe, Besitzlosigkeit, biozertifizierte Ernährung - das ist die rohe Botschaft dieses Buches. Roh, weil die Rückkehr zu den simplen Ekstasen ein naives und zugleich rigoroses Heilsversprechen ist. Wer mit sexuellen Tabus auch das Recht auf Kulturleistung entsorgt, bewegt sich auf einer zweifelhaften Spur. Ben kennt zwar den Inhalt aller heiligen Werke, begreift Relativitätstheorie ebenso wie Quantenmechanik, aber das alles sei entfremdeter Quatsch: "Diese Bücher wurden für die Welt von damals geschrieben. Diese Bücher sind tot."
Man kennt diese Haltung aus den sechziger Jahren, von den Autoren der Beat-Generation, auf die sich heute kein maßgeblicher amerikanischer Schriftsteller mehr bezieht. Waren die Verneinungsgesten der Hippies nicht größtenteils nur kaschierter Nihilismus, die Lust am Antizivilisatorischen im Gewand der Systemkritik? Dass seine Subsistenzwirtschaft kulturelle Einbußen zur Folge hat, kommt Frey nicht zu Bewusstsein: bye, bye, Theater, Museen, Kino, Oper. Auch die Literatur müsste sich die Frage nach ihrer Relevanz gefallen lassen.
Wozu also dieses Buch? In Amerika, wo ein Präsident, der sich um sozialpolitische Selbstverständlichkeiten bemüht (allgemeine Krankenversicherung, Steuergerechtigkeit), als Sozialist beschimpft wird und sich Atheisten und religiöse Rechte erbittert bekämpfen, dürfte der Text deutlich mehr provozieren als hierzulande. Dennoch wird der Roman vom Verlag Haffmans & Tolkemitt mit großem Aufwand publiziert. Für jedes Kapitel kam ein eigener Übersetzer zum Einsatz, darunter Harry Rowohlt, Klaus Modick, Clemens J. Setz und Juli Zeh - renommierte Namen, die dem Text nachträglich noch einmal die Kontur des Großprojektes geben. Tatsächlich ist das "Testament" als Collage deftiger Idiome beeindruckend. Frey ist ein exzellenter Stimmenimitator, das bewies er schon mit "Tausend kleine Scherben", dem Text, der ihn erst berühmt und dann zum Paria des Literaturbetriebs gemacht hat. Der Autor tat so, als schreibe er seine Autobiographie als genesender Drogensüchtiger, verfasste aber ein Münchhausenstück, in dem einiges erfunden und das meiste übertrieben war.
Ein meisterhaft schnoddriger Ton bewahrt das Buch davor, kompletter Kitsch zu sein. Freys Könnerschaft zeigt sich in der unsentimentalen Weise, über sentimentale Dinge zu schreiben, über die Sehnsucht nach Liebe, den Wunsch, die Welt zu verändern, die alte Utopie, menschlich miteinander umzugehen. Das ist vollkommen korrekt, nur soll uns der Autor bitte dafür nicht in die Pampa schicken oder zum Beischlaf zwingen.
DANIEL HAAS
James Frey: "Das Letzte Testament der Heiligen Schrift".
Aus dem Englischen von Alexa Hennig von Lange, Charles Lewinsky, Clemens J. Setz u. a. Verlag Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2012. 448 S., geb., 19,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
In "Das Letzte Testament der Heiligen Schrift" zeigt James Frey den Erlöser als bisexuellen Hippie mit New-Age-Moral. Himmel, hilf!
Apokalyptiker sind Optimisten. Sie glauben jedes Jahr aufs Neue an den Untergang. Aber das Finale bleibt aus, stattdessen gibt es die Wiederkehr des Gleichen: Steuererklärung, im Stau stehen, Kantinenessen. Wenigstens literarisch können Endzeitfans nun ihr Mütchen kühlen - James Frey hat die Katastrophe in einen Groschenroman verwandelt, mit Jesus als Hippie-Helden und New York als Kulisse. Natürlich ist auch diese Läuterungsfabel eine Mogelpackung, zum Schluss wird noch nicht einmal eine Metropole zerstört, sondern auf dem Land, in der Kommune gelebt. So stellt sich dieser Messias nämlich das richtige Leben im falschen vor: als New-Age-Gemeinschaft, inklusive freien Sexes und Gemüseanbau.
Bis es so weit ist, bis Ben, so der Name des Erlösers, im Grünen lebt, muss er seinen Leidensweg abschreiten. Der führt ihn hinaus aus der Enge einer jüdisch-orthodoxen Familie in die Weiten der Großstadt. Zwischen Brooklyn und Harlem ist genügend Raum für Offenbarungen. Es treten auf: die drogensüchtige Maria Magdalena; der schwule Clubgänger Jeremias; der zum Christentum konvertierte Jude Jakob; der FBI-Agent Johannes; Lukas, ein Kreationist und Abtreibungsgegner; Markus, der katholische Priester; Judith, die kleine Angestellte mit ebenjener Farm im New Yorker Hinterland, wo man dann friedlich der Weltauslöschung entgegengärtelt.
Das Buch ist aus den Berichten dieser Figuren zusammengestückelt; der Kunstgriff, ein Thema durch die Geschichten verschiedener Erzähler zu beleuchten, ist nicht neu - siehe Neues Testament -, aber wer hätte gedacht, dass das Verfahren zu einer derart knackigen Kolportage taugt? Maria Magdalena ist, wie gesagt, crackabhängig. Der FBI-Mann: traumatisiert durch den Tod der Tochter. Lukas: ein fanatischer Spinner der christlichen Rechten. Markus: zerquält von den Missbrauchskandalen seiner Kirche. Judith: eine übergewichtige Depressive. Jakob: ein zwischen Konfessionen aufgeriebener Choleriker. Ben hat alle Hände voll zu tun mit diesen Leidgeprüften, und das ist wörtlich gemeint, weil dieser Messias, unter vollem Körpereinsatz, mit Sex erlöst. "Nichts auf der Erde bringt die Menschen der himmlischen Wahrheit so nah wie ein Orgasmus", lautet die Verkündung. Ob Drogen oder Depression: Die Pathologie hat gegen Tantra keine Chance. Auch die ideologischen Verklemmungen müssen gelockert werden: "Vergiss die Lügen von Religion und Regierung", doziert Ben, "lebe dein Leben, liebe deine Kinder, und glaube nicht, was man dir erzählt."
Ja, aber das, was uns Frey erzählt, das sollen wir dann schon glauben. Freie Liebe, Besitzlosigkeit, biozertifizierte Ernährung - das ist die rohe Botschaft dieses Buches. Roh, weil die Rückkehr zu den simplen Ekstasen ein naives und zugleich rigoroses Heilsversprechen ist. Wer mit sexuellen Tabus auch das Recht auf Kulturleistung entsorgt, bewegt sich auf einer zweifelhaften Spur. Ben kennt zwar den Inhalt aller heiligen Werke, begreift Relativitätstheorie ebenso wie Quantenmechanik, aber das alles sei entfremdeter Quatsch: "Diese Bücher wurden für die Welt von damals geschrieben. Diese Bücher sind tot."
Man kennt diese Haltung aus den sechziger Jahren, von den Autoren der Beat-Generation, auf die sich heute kein maßgeblicher amerikanischer Schriftsteller mehr bezieht. Waren die Verneinungsgesten der Hippies nicht größtenteils nur kaschierter Nihilismus, die Lust am Antizivilisatorischen im Gewand der Systemkritik? Dass seine Subsistenzwirtschaft kulturelle Einbußen zur Folge hat, kommt Frey nicht zu Bewusstsein: bye, bye, Theater, Museen, Kino, Oper. Auch die Literatur müsste sich die Frage nach ihrer Relevanz gefallen lassen.
Wozu also dieses Buch? In Amerika, wo ein Präsident, der sich um sozialpolitische Selbstverständlichkeiten bemüht (allgemeine Krankenversicherung, Steuergerechtigkeit), als Sozialist beschimpft wird und sich Atheisten und religiöse Rechte erbittert bekämpfen, dürfte der Text deutlich mehr provozieren als hierzulande. Dennoch wird der Roman vom Verlag Haffmans & Tolkemitt mit großem Aufwand publiziert. Für jedes Kapitel kam ein eigener Übersetzer zum Einsatz, darunter Harry Rowohlt, Klaus Modick, Clemens J. Setz und Juli Zeh - renommierte Namen, die dem Text nachträglich noch einmal die Kontur des Großprojektes geben. Tatsächlich ist das "Testament" als Collage deftiger Idiome beeindruckend. Frey ist ein exzellenter Stimmenimitator, das bewies er schon mit "Tausend kleine Scherben", dem Text, der ihn erst berühmt und dann zum Paria des Literaturbetriebs gemacht hat. Der Autor tat so, als schreibe er seine Autobiographie als genesender Drogensüchtiger, verfasste aber ein Münchhausenstück, in dem einiges erfunden und das meiste übertrieben war.
Ein meisterhaft schnoddriger Ton bewahrt das Buch davor, kompletter Kitsch zu sein. Freys Könnerschaft zeigt sich in der unsentimentalen Weise, über sentimentale Dinge zu schreiben, über die Sehnsucht nach Liebe, den Wunsch, die Welt zu verändern, die alte Utopie, menschlich miteinander umzugehen. Das ist vollkommen korrekt, nur soll uns der Autor bitte dafür nicht in die Pampa schicken oder zum Beischlaf zwingen.
DANIEL HAAS
James Frey: "Das Letzte Testament der Heiligen Schrift".
Aus dem Englischen von Alexa Hennig von Lange, Charles Lewinsky, Clemens J. Setz u. a. Verlag Haffmans & Tolkemitt, Berlin 2012. 448 S., geb., 19,95 [Euro].
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