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Polemiken und Lobgesänge, ironische Kommentare und tiefes Nachdenken über Schreiben und Lesen, Moral und Literatur. Der Band versammelt Aufsätze, Reden und Notate, die bislang in Buchform nicht veröffentlicht wurden.»Warum schreiben«, hat Kunert schon vor mehr als drei Jahrzehnten in einem berühmten Band gefragt, in dem er über Schriftsteller und Bücher geschrieben hat. Für ihn sind Schreiben und Lesen gleichermaßen lebensnotwendige Vorgänge, zwei Seiten einer Medaille. Er verknüpft das Nachdenken über sein eigenes Schreiben mit dem, was er an den Großen der Literaturgeschichte wie den…mehr

Produktbeschreibung
Polemiken und Lobgesänge, ironische Kommentare und tiefes Nachdenken über Schreiben und Lesen, Moral und Literatur. Der Band versammelt Aufsätze, Reden und Notate, die bislang in Buchform nicht veröffentlicht wurden.»Warum schreiben«, hat Kunert schon vor mehr als drei Jahrzehnten in einem berühmten Band gefragt, in dem er über Schriftsteller und Bücher geschrieben hat. Für ihn sind Schreiben und Lesen gleichermaßen lebensnotwendige Vorgänge, zwei Seiten einer Medaille. Er verknüpft das Nachdenken über sein eigenes Schreiben mit dem, was er an den Großen der Literaturgeschichte wie den Zeitgenossen beobachtet und für sich produktiv macht. Kleist und Goethe befragt er immer wieder neu, Thomas Mann und Gustav Meyrinks Golem bringt er in überraschende Zusammenhänge; und niemals bleibt Kunert dabei im Theoretischen stecken, sondern er erzählt unaufdringlich auch von seinen biographischen Erfahrungen. Anekdoten über die Rivalität zwischen Becher und Brecht etwa oder über die Hühnerzucht von Walter Kempowski spiegeln das Ineinander von erhabenem Anspruch und Understatement. Kunert lässt nicht ab vom eigenen, höchsten, Anspruch an die Literatur und an die Moralität schriftstellerischer Arbeit, und zugleich gießt er ätzenden Spott über Gratismut von Autoren und entdeckt die Muster von Dr. Jeckyll und Mr. Hyde auch an sich selbst.Inhalt I Lichtenberg als ExempelDer Dichter auf der Couch. Goethe: Sonderbares AbenteuerGoethe und kein EndeII Thomas Mann und Gustav Meyrink oder Das Ende der MärchenDie Erzählungen des Rabbi NachmanDer verlorene ProzeßIm Anfang war die Lust Stella lebtEin Stück WahrheitIII KlabundGeorg TraklTheodor PlievierJohanes R. BecherHans SahlGeorg K. Glaser Peter HuchelStephan HermlinRalph GiordanoWolf-Dietrich SchnurreMichael HamburgerWalter KempowskiHeinz CzechowskiF. C. DeliusHans Christoph BuchIV Dr. Jeckyll und Mister HydeFlieh den PlatzWas bleibtHimmel und Erde
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Autorenporträt
Günter Kunert, (1929-2019) reiste 1979 aus der DDR in die Bundesrepublik aus und lebte bis zu seinem Tod in Itzehoe. Für sein außerordentlich vielfältiges und umfangreiches Werk - Gedichte, Essays, Reisebücher, ein Roman, Erzählungen, Kinderbücher, Theaterstücke, Filmdrehbücher - wurde er mit zahlreichen renommierten Preisen ausgezeichnet. Von 2005 bis 2018 war er Präsident des PEN-Zentrums deutschsprachiger Autoren im Ausland.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.10.2009

Sucht nach Maschinen
Vor letzten Dingen: Neue Essays von Günter Kunert

Seinem Ruf als "hellsichtiger Schwarzseher" wird Günter Kunert in seinem neuen Essay-Band lustvoll gerecht. In seinem Nachruf zu Lebzeiten sieht er sich als notorischen Einzelgänger, der "in allen Erscheinungen nur deren Fortgang und Niedergang: in jedem Feuer vorab schon die Asche, im Haus die Ruine, in der Vergangenheit die Zukunft" sieht. In "steter Erwartung der Katastrophe" zu leben gehört für ihn spätestens seit Georg Trakl zum Wesen des Dichters.

So lässt er in seinen Reflexionen über die Rolle der Literatur und des Schriftstellers keine Gelegenheit aus, das "massenhafte Elend" dieser Welt, ihre Gewaltförmigkeit, Verblendung, Lüge, "Maschinensucht und Funktionalitätsgier" anzuprangern. Geschichte ist ihm "Instrument zur Manipulation", die Medien betreiben ihre "Selbstkastrierung", um die Pressefreiheit steht es in Deutschland schlecht, und Politik ist in ihrer Kollaboration mit dem Fernsehen "die schlimme Vereinfachung par excellence".

Sein Verfahren, in der Vergangenheit die Zukunft zu erkennen, führt jedoch nicht immer zur Klarsicht. Lichtenberg, der die Physiognomik Lavaters bis hin zum Blödeln verspottet hat, zu unterstellen, er meine seine karikaturistischen Beschreibungen "ernster, als es klingt", mag als These zu den Begrenzungen der gewitzigten wissenschaftlichen Vernunft noch angehen, die Linie aber, die Kunert zur "Ausstoßung des moralisch Disqualifizierten" und der Rassenideologie im zwanzigsten Jahrhundert zieht, verdunkelt die Einsicht in die Dialektik der Aufklärung.

Auch Goethe bleibt in dieser Hinsicht nicht ungeschoren. Dessen Lust an der Verstellung sieht Kunert als "Mangel an Mitmenschlichkeit", in Fausts "Rücksichtslosigkeit" und "blinder Wissenschaftsverfallenheit" sei "deutsche Geschichte prognostiziert". Dass er Goethe als "Monstrum" bezeichnet, ist angesichts von Kunerts ideologiekritischer Sprachreflexion verwunderlich, die Versicherung, er lese "den Alten" aber doch gern, wirkt so ziemlich gönnerhaft. Besonders, wenn es um "geistesschwache Linksdenker" geht, ist Kunert in der Wortwahl auch nicht zimperlich.

Vielen Weggefährten des vergangenen Jahrhunderts gegenüber aber verhält er sich großzügiger. Johannes R. Becher und Stephan Hermlin verzeiht er die Komplizenschaft mit totalitärer Herrschaft. Die warmherzigsten Worte aber gelten den einzelgängerischen Widerständlern, die sich vom schrecklichen Jahrhundert nicht haben verbiegen lassen, Hans Sahl, Georg K. Glaser, Heinz Czechowski oder Michael Hamburger; besonders emphatisch dankt er dem unermüdlichen Mahner Ralph Giordano. In Wolf-Dietrich Schnurre schließlich beschreibt der Berliner Günter Kunert wehmütig den Repräsentanten eines humanen "Berlinertums", das heute "unter dem Prunk und Protz der Moderne begraben" ist.

Kunerts Verwerfungsrhetorik wird dem Leser sinnlicher, wenn er sich den Berliner Tonfall dazu denkt. Das Großsprecherische zeigt sich dann als Form munterer Selbstbehauptung, in der sich die Widersprüche der Moderne besser aushalten lassen. Zum Glück auch fehlt es dem Bändchen von vornherein nicht an Selbstironie. In seiner Umschlagszeichnung porträtiert sich Günter Kunert in programmatischer Ambivalenz als grimmig-listiger Revolverheld vor, neben und hinter dem eigenen Spiegelbild.

FRIEDMAR APEL

Günter Kunert: "Das letzte Wort hat keiner". Über Schriftsteller und Schriftstellerei. Wallstein Verlag, Göttingen 2009. 192 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Laut Rezensent Friedmar Apel erweist sich der Autor in diesen Essays einmal mehr als "hellsichtiger Schwarzseher" und als großsprecherischer Revolverheld, der zum Glück oft auf sein eigenes Spiegelbild schießt. Die Selbstironie muss schon sein, lässt Apel uns wissen. Anderenfalls wären dem Rezensenten Günter Kunerts Verwünschungen gegen die Literatur, die Geschichte, die Medien etc. allzu oft allzu undeutlich und auch mal zu gönnerhaft (im Fall Goethe etwa) erschienen. So jedoch vermag Apel Kunerts Haudraufrhetorik ganz gut zu ertragen, als "Form munterer Selbstbehauptung".

© Perlentaucher Medien GmbH