Wenig sagt mehr über eine Kultur als ihre Tabus. Insofern dienen Tabubrüche immer einer politischen Veränderung. Das erkannten schon die 68er, die eine weitgehende Enttabusierung der Gesellschaft forderten, da Tabus immer nur zur Sicherung der herrschenden Ordnung dienten. Heute, mehr als dreißig Jahre nach dem Beginn der sexuellen Revolution und in einem Zeitalter, in dem sich kaum noch jemand öffentlich über Nacktheit, Gewalt oder Gotteslästerung im Kino empört und das Intimste in Nachmittags-Talkshows behandelt wird, behaupten viele, wir leben in einer tabulosen Gesellschaft. Aber das ist falsch. Zwar kokettieren heute etliche Medien mit dem demonstrativen Bruch von Tabus, die ohnehin längst keine mehr sind. Diese Marktschreierei lenkt aber lediglich davon ab, dass auch unsere heutige Gesellschaft alles andere als tabufrei ist, sondern dass lediglich eine Verschiebung auf ganz andere Tabus stattgefunden hat, über die oft nicht einmal öffentlich diskutiert werden darf. Dieses Lexikon deckt auf, welche Tabus gebrochen wurden, welche überlebt haben, welche neu entstanden sind, wie sich Tabubrüche vollzogen und welche gesellschaftlichen Folgen sie bewirkt haben. Und es stellt die Frage: Wann ist ein Tabubruch sinnvoll, ja notwendig - und wann das Festhalten an einem Tabu?