Wo geht die Liebe hin, wenn man sagt, sie ist verschwunden?
Eine Frau will ihren Mann verlassen. Nach vielen Jahren Zusammenleben und Ehe ist sie entschlossen und bestürzt zugleich: Wie konnte es nur dazu kommen? Während sie ihr Fortgehen plant, begibt sie sich in ihren Gedanken weit zurück. Da waren die rauschhaften Jahre der Verliebtheit, an der Universität, zu zweit im Ausland und später mit den kleinen Kindern, aber da gab es auch die Kehrseite - Momente, die zu Wendepunkten wurden und das Scheitern schon vorausahnen ließen. Doch ist etwas überhaupt gescheitert, wenn es so lange dauert? Julia Schoch legt frei, was im Alltag eines Paares oft verborgen ist: die Liebesmuster, die Schönheit auch in der Ernüchterung. Ein Loblied auf die Liebe.
Eine Frau will ihren Mann verlassen. Nach vielen Jahren Zusammenleben und Ehe ist sie entschlossen und bestürzt zugleich: Wie konnte es nur dazu kommen? Während sie ihr Fortgehen plant, begibt sie sich in ihren Gedanken weit zurück. Da waren die rauschhaften Jahre der Verliebtheit, an der Universität, zu zweit im Ausland und später mit den kleinen Kindern, aber da gab es auch die Kehrseite - Momente, die zu Wendepunkten wurden und das Scheitern schon vorausahnen ließen. Doch ist etwas überhaupt gescheitert, wenn es so lange dauert? Julia Schoch legt frei, was im Alltag eines Paares oft verborgen ist: die Liebesmuster, die Schönheit auch in der Ernüchterung. Ein Loblied auf die Liebe.
Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Rezensentin Judith von Sternburg liest gebannt diese Liebesgeschichte in der Vergangenheitsform, wie sie Julia Schoch mit für die Rezensentin erkennbarem autobiografischem Einschlag aufschreibt. Was Sternburg so bezaubert an diesem Dokument einer "Überwältigung durch Liebe" von ihrem Ende her, ist seine Präzision, die vielen pointierten Beobachtungen, und auch der Umstand, dass der Angehimmelte für die Leserin so anhimmelnswert gar nicht erscheint. Dass dabei auch Zeitgeschichte vermittelt wird, findet Sternburg auch nicht übel.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.02.2023Wer wird man, wenn die Liebe endet?
Julia Schoch setzt ihre Trilogie "Biographie einer Frau" fort: "Das Liebespaar des Jahrhunderts" erkundet das Prekäre einer Beziehung.
Julia Schoch ist Spezialistin für kleine Sätze mit großer Wirkkraft. Aus der Lakonik ihrer rauen, bisweilen fast spröde arrangierten Prosa entfaltet ihr Schreiben eine feingliedrige Dramatik. Voriges Jahr veröffentlichte die 1974 in Bad Saarow geborene Schriftstellerin den ersten Band ihrer Trilogie "Biographie einer Frau". Schon da entfaltete das Ungeheuerliche seine Wucht in aller Kürze. Nur fünf Worte brauchte sie dafür: "Wir haben übrigens denselben Vater" hieß der Satz, der ein Leben in ein Davor und Danach teilte. Der Roman "Das Vorkommnis", in dem dieser Satz fiel, lief dabei nicht etwa auf die unerhörte Begebenheit hinaus, sondern sie trug sich gleich zu Beginn zu.
Die namenlose Ich-Erzählerin, eine Schriftstellerin, die nach einer Lesung von einer Fremden auf diese Weise angesprochen wird, tut dies zunächst als lässliches Ereignis ab, um sie dennoch nicht mehr loszuwerden. Der Terror des Verdrängten bricht sich Bahn und setzt bald ihr gesamtes Dasein dem Zweifel aus. Das Quadrat ihrer ostdeutschen Herkunftsfamilie - Vater, Mutter, zwei Töchter - gerät aus dem Gleichgewicht und wirft die drängende Frage auf: War sie je im Gleichgewicht?
Man durfte gespannt sein, wie die heute in Potsdam lebende Autorin diesen vielversprechenden Auftakt ihrer Trilogie weiterführen würde. Soeben ist der zweite Band erschienen, den man als geglückte Fortsetzung auf Augenhöhe bezeichnen darf. Es gelingt Julia Schoch aufs Neue, den kleinsten Erschütterungen, die auch hier die größten Fragen aufwerfen - wovon träumen wir, wer wollen wir sein, was stabilisiert uns -, klug und eigenwillig nachzugehen.
Auch das Familienquadrat kommt in "Das Liebespaar des Jahrhunderts" vor - diesmal allerdings nicht in Bezug auf die Familie mit Eltern, sondern die mit den eigenen Kindern. Und auch hier steht ein erster Satz wie in Stein gehauen, der umso mehr aufhorchen lässt, als die weibliche Erzählstimme seine Wirkung selbst herunterspielt: "Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich." Drei Wörter nur, die so schnell gesagt sein können und zugleich den Schlusspunkt von allem markieren. Einmal ausgesprochen, lassen sie sich nicht mehr einfangen. Dass Schoch in diesem Auftakt zugleich den anderen Satz spiegelt, der sich ebenfalls aus drei Wörtern zusammensetzt, von denen zwei auch noch identisch sind, und den Auftakt zu den ganz großen Gefühlen darstellt - ich liebe dich - , ist typisch für ihre Prosa.
"Wie es aussieht", lässt sie ihre Ich-Erzählerin resümieren, "lässt sich das wichtigste im Leben mit sehr wenigen Wörtern sagen." Sie weiß viel und grübelt noch mehr, was nicht zuletzt ein Grund sein dürfte, weshalb auch das Gegenüber, der Mann, anfangs ein Freund, dann die große Liebe, schließlich der Ehemann, sich über die Jahre distanziert. Dabei kennen wir die Art, wie er denkt, fühlt und warum er handelt, wie er handelt, in dieser Paargeschichte in Zeitlupe ja allein aus ihrer Perspektive. Dass sein Standpunkt, um den es hier ein ums andere Mal geht und der angesprochen ist in direktem "du", ein blinder Fleck bleibt, macht den Reiz der Recherche in eigener Sache aus.
Erzählt wird aus der Erinnerung die Geschichte einer großen Liebe - und wie sie auf dem biographischen Weg von mehr als dreißig Jahren zerbröselt. Kaum je hat man vergleichbar entschlossen über die Entfremdung zweier Liebender gelesen bis in die kleinsten Windungen der Empfindungen hinein. Fast ist es, als niste sich der schmale, hochkonzentrierte Roman in die Zwischenräume von Erich Kästners Gedicht "Sachliche Romanze" ein: Bei ihm heißt es so knapp wie herzergreifend treffend: "Als sie einander acht Jahre kannten / (und man darf sagen: sie kannten sich gut), / kam ihre Liebe plötzlich abhanden. / Wie andern Leuten ein Stock oder Hut." Was sich hier hineinphantasieren lässt, ist Schochs eigentliches Thema. Mit unerbittlichem Sezierwillen geht sie dem nach, was da irgendwann verloren ging, wendet es hin und her, zoomt es heran, drückt es wieder weg, schaut es an, um wie mit dem Rechenschieber Klarheit hineinzubringen in etwas, das in Wahrheit doch ein so weites, unergründliches Feld ist.
Erinnernd rollt die Autorin die Beziehung von der ersten Begegnung an auf, als wolle sie den Ariadnefaden wieder auf die Spule zurückwickeln. Vom ersten Treffen in der kleinen Plattenbauwohnung am Stadtrand, als es noch Telefone mit Kabel gab und man Tee auf dem Boden sitzend trank. Er und sie sind beide jung, studieren, vor ein paar Jahren ist die Berliner Mauer gefallen, und das Paar, im Osten aufgewachsen, erkundet die Freiheit, liest Georges Perec, fährt nach Osteuropa, um in der Trostlosigkeit von Bukarest das Land der vertrauten Kindheit wiederzufinden.
Sie gibt ihm irgendwann den Wohnungsschlüssel und lässt sich die Haare abschneiden. Doch nicht etwa wegen der Hitze, sondern um sich ihm anzugleichen, was schon früh erkennen lässt, wie sehr eine Beziehung hier auch zur prekären Identitätsrahmung genutzt wird.
Die Erzählerin weiß genau, was sie tut, wenn sie die Erinnerungsfragmente wie auf einer zweiten Tonspur von Reflexionen begleiten lässt, die das erinnernde Ich auch selbst immer wieder infrage stellt. Bisweilen zeigt Schoch ein Talent für Sentenzen, wenn es etwa heißt, die Liebe verhindere das Schlechte, aber seltsamerweise auch das Gute, oder dass man scheitere, wenn man über das schreibe, was einen glücklich mache. Die Erzählerin selbst kann dabei überhaupt nur einzelne Szenen wiedergeben, nicht aber eine Gesamtdramaturgie. Daraus bezieht der Roman mitunter seine trockene Komik, wenn etwa die 31 Sommer währende Beziehung in Listen auf vier Küchen, sechs Autos, 42 Reisen, 912 Partien Halma und 8667 geschmierte Schulbrote verkürzt wird.
Lässt sich am Ende ein gelebtes Leben in Zahlen und Statistiken genauer erfassen als in psychologischer Deutung? "Sie waren traurig, betrugen sich heiter, / versuchten Küsse, als ob nichts sei", heißt es bei Kästner. Dass er nichts von Unglücklichkeit halte, das sei nur Energieverschwendung, heißt es bei Schoch. Als er das sagt, gehen ihr die Gründe fürs Sterbenwollen aus. In solch obskurer Zärtlichkeit oszilliert diese Liebeserzählung. Ihre Liebe verwandelte sich, heißt es auf einem anderen Zettel: "Sie kannten sich nicht mehr. Und dann?" Die Antwort darauf liegt jetzt vor. SANDRA KEGEL
Julia Schoch: "Das Liebespaar des Jahrhunderts". Roman.
dtv Verlag, München 2023. 192 S. geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Julia Schoch setzt ihre Trilogie "Biographie einer Frau" fort: "Das Liebespaar des Jahrhunderts" erkundet das Prekäre einer Beziehung.
Julia Schoch ist Spezialistin für kleine Sätze mit großer Wirkkraft. Aus der Lakonik ihrer rauen, bisweilen fast spröde arrangierten Prosa entfaltet ihr Schreiben eine feingliedrige Dramatik. Voriges Jahr veröffentlichte die 1974 in Bad Saarow geborene Schriftstellerin den ersten Band ihrer Trilogie "Biographie einer Frau". Schon da entfaltete das Ungeheuerliche seine Wucht in aller Kürze. Nur fünf Worte brauchte sie dafür: "Wir haben übrigens denselben Vater" hieß der Satz, der ein Leben in ein Davor und Danach teilte. Der Roman "Das Vorkommnis", in dem dieser Satz fiel, lief dabei nicht etwa auf die unerhörte Begebenheit hinaus, sondern sie trug sich gleich zu Beginn zu.
Die namenlose Ich-Erzählerin, eine Schriftstellerin, die nach einer Lesung von einer Fremden auf diese Weise angesprochen wird, tut dies zunächst als lässliches Ereignis ab, um sie dennoch nicht mehr loszuwerden. Der Terror des Verdrängten bricht sich Bahn und setzt bald ihr gesamtes Dasein dem Zweifel aus. Das Quadrat ihrer ostdeutschen Herkunftsfamilie - Vater, Mutter, zwei Töchter - gerät aus dem Gleichgewicht und wirft die drängende Frage auf: War sie je im Gleichgewicht?
Man durfte gespannt sein, wie die heute in Potsdam lebende Autorin diesen vielversprechenden Auftakt ihrer Trilogie weiterführen würde. Soeben ist der zweite Band erschienen, den man als geglückte Fortsetzung auf Augenhöhe bezeichnen darf. Es gelingt Julia Schoch aufs Neue, den kleinsten Erschütterungen, die auch hier die größten Fragen aufwerfen - wovon träumen wir, wer wollen wir sein, was stabilisiert uns -, klug und eigenwillig nachzugehen.
Auch das Familienquadrat kommt in "Das Liebespaar des Jahrhunderts" vor - diesmal allerdings nicht in Bezug auf die Familie mit Eltern, sondern die mit den eigenen Kindern. Und auch hier steht ein erster Satz wie in Stein gehauen, der umso mehr aufhorchen lässt, als die weibliche Erzählstimme seine Wirkung selbst herunterspielt: "Im Grunde ist es ganz einfach: Ich verlasse dich." Drei Wörter nur, die so schnell gesagt sein können und zugleich den Schlusspunkt von allem markieren. Einmal ausgesprochen, lassen sie sich nicht mehr einfangen. Dass Schoch in diesem Auftakt zugleich den anderen Satz spiegelt, der sich ebenfalls aus drei Wörtern zusammensetzt, von denen zwei auch noch identisch sind, und den Auftakt zu den ganz großen Gefühlen darstellt - ich liebe dich - , ist typisch für ihre Prosa.
"Wie es aussieht", lässt sie ihre Ich-Erzählerin resümieren, "lässt sich das wichtigste im Leben mit sehr wenigen Wörtern sagen." Sie weiß viel und grübelt noch mehr, was nicht zuletzt ein Grund sein dürfte, weshalb auch das Gegenüber, der Mann, anfangs ein Freund, dann die große Liebe, schließlich der Ehemann, sich über die Jahre distanziert. Dabei kennen wir die Art, wie er denkt, fühlt und warum er handelt, wie er handelt, in dieser Paargeschichte in Zeitlupe ja allein aus ihrer Perspektive. Dass sein Standpunkt, um den es hier ein ums andere Mal geht und der angesprochen ist in direktem "du", ein blinder Fleck bleibt, macht den Reiz der Recherche in eigener Sache aus.
Erzählt wird aus der Erinnerung die Geschichte einer großen Liebe - und wie sie auf dem biographischen Weg von mehr als dreißig Jahren zerbröselt. Kaum je hat man vergleichbar entschlossen über die Entfremdung zweier Liebender gelesen bis in die kleinsten Windungen der Empfindungen hinein. Fast ist es, als niste sich der schmale, hochkonzentrierte Roman in die Zwischenräume von Erich Kästners Gedicht "Sachliche Romanze" ein: Bei ihm heißt es so knapp wie herzergreifend treffend: "Als sie einander acht Jahre kannten / (und man darf sagen: sie kannten sich gut), / kam ihre Liebe plötzlich abhanden. / Wie andern Leuten ein Stock oder Hut." Was sich hier hineinphantasieren lässt, ist Schochs eigentliches Thema. Mit unerbittlichem Sezierwillen geht sie dem nach, was da irgendwann verloren ging, wendet es hin und her, zoomt es heran, drückt es wieder weg, schaut es an, um wie mit dem Rechenschieber Klarheit hineinzubringen in etwas, das in Wahrheit doch ein so weites, unergründliches Feld ist.
Erinnernd rollt die Autorin die Beziehung von der ersten Begegnung an auf, als wolle sie den Ariadnefaden wieder auf die Spule zurückwickeln. Vom ersten Treffen in der kleinen Plattenbauwohnung am Stadtrand, als es noch Telefone mit Kabel gab und man Tee auf dem Boden sitzend trank. Er und sie sind beide jung, studieren, vor ein paar Jahren ist die Berliner Mauer gefallen, und das Paar, im Osten aufgewachsen, erkundet die Freiheit, liest Georges Perec, fährt nach Osteuropa, um in der Trostlosigkeit von Bukarest das Land der vertrauten Kindheit wiederzufinden.
Sie gibt ihm irgendwann den Wohnungsschlüssel und lässt sich die Haare abschneiden. Doch nicht etwa wegen der Hitze, sondern um sich ihm anzugleichen, was schon früh erkennen lässt, wie sehr eine Beziehung hier auch zur prekären Identitätsrahmung genutzt wird.
Die Erzählerin weiß genau, was sie tut, wenn sie die Erinnerungsfragmente wie auf einer zweiten Tonspur von Reflexionen begleiten lässt, die das erinnernde Ich auch selbst immer wieder infrage stellt. Bisweilen zeigt Schoch ein Talent für Sentenzen, wenn es etwa heißt, die Liebe verhindere das Schlechte, aber seltsamerweise auch das Gute, oder dass man scheitere, wenn man über das schreibe, was einen glücklich mache. Die Erzählerin selbst kann dabei überhaupt nur einzelne Szenen wiedergeben, nicht aber eine Gesamtdramaturgie. Daraus bezieht der Roman mitunter seine trockene Komik, wenn etwa die 31 Sommer währende Beziehung in Listen auf vier Küchen, sechs Autos, 42 Reisen, 912 Partien Halma und 8667 geschmierte Schulbrote verkürzt wird.
Lässt sich am Ende ein gelebtes Leben in Zahlen und Statistiken genauer erfassen als in psychologischer Deutung? "Sie waren traurig, betrugen sich heiter, / versuchten Küsse, als ob nichts sei", heißt es bei Kästner. Dass er nichts von Unglücklichkeit halte, das sei nur Energieverschwendung, heißt es bei Schoch. Als er das sagt, gehen ihr die Gründe fürs Sterbenwollen aus. In solch obskurer Zärtlichkeit oszilliert diese Liebeserzählung. Ihre Liebe verwandelte sich, heißt es auf einem anderen Zettel: "Sie kannten sich nicht mehr. Und dann?" Die Antwort darauf liegt jetzt vor. SANDRA KEGEL
Julia Schoch: "Das Liebespaar des Jahrhunderts". Roman.
dtv Verlag, München 2023. 192 S. geb., 22,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein ganz großes Buch über die Liebe und was es kostet, sie durchzuhalten. Ich glaube, das könnte ein Klassiker werden. Eva Menasse ZDF, Das Literarische Quartett 20230505
Wo ist die Liebe hin, das große Gefühl? Von diesem Verblassen erzählt Julia Schoch mit einer Reduktion, die atemberaubend ist. Eine riesige literarische Leistung. Thea Dorn ZDF, Das Literarische Quartett 20230505