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In der tropischen Idylle Indonesiens erlebt Louise eine unbeschwerte Kindheit, bis sie 1939 eine verhängnisvolle Reise nach Europa antritt. Mit ihrer Familie gerät sie hinein in die Wirren des Zweiten Weltkriegs. Die jüdische Herkunft bedeutet Leben im Versteck mit all seinen Ängsten und Schrecknissen. Ihrer überströmenden kindlichen Phantasie hat Louise zu verdanken, daß sie ihr Schicksal schließlich meistert.

Produktbeschreibung
In der tropischen Idylle Indonesiens erlebt Louise eine unbeschwerte Kindheit, bis sie 1939 eine verhängnisvolle Reise nach Europa antritt. Mit ihrer Familie gerät sie hinein in die Wirren des Zweiten Weltkriegs. Die jüdische Herkunft bedeutet Leben im Versteck mit all seinen Ängsten und Schrecknissen. Ihrer überströmenden kindlichen Phantasie hat Louise zu verdanken, daß sie ihr Schicksal schließlich meistert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.08.1999

Im Schutz der Götter aus Java
Zauber überall: Helga Ruebsamens Gratwanderung zur Kindheit

Autobiographien sind von den sozialen Umständen, in denen sie entstehen, verschieden geprägt. In ruhigen Zeiten blicken würdige Greise stolz auf ihre Leistungen in Kunst und Wissenschaft zurück. In aufregenden Epochen, wo es nicht aufs Siegen, sondern aufs Überleben ankommt, melden sich auch weniger prominente Zeitgenossen zu Wort. Denn was in guten Zeiten Lebensläufe waren, die exemplarisch sein mussten, das sind in schlimmen Zeiten, zum Beispiel während der Naziherrschaft, Schicksale geworden, die nur charakteristisch zu sein brauchen. Schreckliche Foltern, Flucht und Rettung wecken das Interesse, auch wenn nicht gerade außergewöhnliche Persönlichkeiten davon berichten. Manche haben einen Roman erlebt, und wenn er kunstvoll erzählt wird, dann wird er eben zum Kunstwerk.

Zwischen autobiographischem Bericht und kunstvollem Roman schwebt das Buch der holländischen Schriftstellerin Helga Ruebsamen. Es deutet schon in seinem Titel diese Doppelnatur an. Erzählt wird die Geschichte eines kleinen Mädchens, vermutlich zwischen fünf und zwölf Jahren, in den Jahren von 1938 bis 1945. Unter historischem Aspekt ist sie wenig aufschlussreich. Eine in Java ansässige deutsch-holländisch-jüdische Familie - die Anteile dieser ethnischen Zugehörigkeiten werden nie ganz klargestellt - kehrt 1939 nach Holland zurück, ohne dass der Leser erführe, was eine in Wohlstand und Sicherheit lebende Familie bewogen haben kann, sich zu dieser Unzeit in den europäischen Hexenkessel zu begeben. Mutter und Bruder der Ich-Erzählerin reisen zur einen Großmutter nach London, Vater und Tochter bleiben bei der anderen und erleben die deutsche Invasion. Nach dem Tod dieser Großmutter tauchen Vater und Tochter unter und werden von einer treuen Hausangestellten versteckt. Razzien der Nazis, denen andere Untergetauchte und die Besitzer des Verstecks zum Opfer fallen, überleben sie. Erst nach der Befreiung kehrt die Mutter aus London zurück. Hier bricht der Bericht ab. Aber man kann nicht überlesen, dass an diesem Punkt die Hauptfigur und die erzählende Stimme eins werden. Der letzte Satz lautet: "Meine Rückkehr begann."

Viele Details in dieser Geschichte bleiben verschwommen, weil das Poetische das Faktische in diesem Buch völlig überschattet. Es handelt sich, wenn überhaupt, so um eine ganz ins Innere verlegte Autobiographie. Nicht nur wird hier die Geschichte eines Kindes erzählt, es wird eine ganze Welt aus der Sicht dieses Kindes hervorgezaubert. Zauber überall. Ein geliebter Feigenbaum ist ein verwandelter Prinz, der Bach, der das heimatliche Grundstück durchrieselt, seine Braut. Alles ist magisch beleuchtet, die Götter Javas bestimmen, was gut und böse, was richtig und falsch ist. Reichlich eingestreute indonesische Ausdrücke, die am Ende des Buches ein eigenes Glossar erfordern, sorgen für den Schein äußerer Authentizität. Für die Erwachsenen ist die niederländische Kolonie ein Ort, wo man lebt und arbeitet, für das noch ganz animistisch fühlende Mädchen ein Paradies, dessen Verlust auch ohne die Nazis einen tiefen Einschnitt bedeutet hätte. Die legendäre Lichtstadt Paris erscheint den noch tropisch-trunkenen Augen des Kindes als eine tote, abgestoßene Steinwüste.

Etwas von der Zauberei überträgt sich auch auf den Leser, der sich die komplizierten psychologischen Vorgänge und die intimen Verhältnisse der Erwachsenen aus den Sätzen zusammenreimen muss, die der naive Mund des kleinen Kindes ohne eigenes Verständnis preisgibt. Daraus ergibt sich sowohl das Geheimnisvolle wie das Humoristische der Darstellung. Natürlich haftet einer solchen Fiktion etwas Künstliches, vielleicht sogar Gekünsteltes an. Denn die reife Schriftstellerin, die das kleine Mädchen, das sie einmal war, sprechen lässt, muss ihre eigene Kenntnis der wahren Zusammenhänge maskieren und doch zugleich dafür sorgen, dass der Leser alles durchschaut. Es ist eine ständig vom Absturz bedrohte Gratwanderung. Sie wird mit nachtwandlerischer Sicherheit zu Ende gebracht, und so entsteht auf prekäre Weise eine ganze Galerie von interessanten Gestalten, belebten Landschaften und vor allem das Charakterbild eines eigenwilligen Mädchens.

EGON SCHWARZ.

Helga Ruebsamen: "Das Lied und die Wahrheit". Roman. Aus dem Niederländischen übersetzt von Christiane Kuby. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig 1998. 383 S., geb., 46,- DM.

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