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Seit der Moderne entdeckt die europäische Literatur das Triptychon als eigenständige literarische Form, deren Poetik das vorliegende Buch erstmals skizziert. Während das dreiteilige Format in der bildenden Kunst bereits im Mittelalter bekannt ist, wird es seit dem 19. Jahrhundert in einer transmedialen Bewegung aus seinem ursprünglich religiösen Kontext gelöst und säkular umgedeutet. In ausführlichen Analysen dramatischer und Prosatexte von Max Frisch, Tankred Dorst, Heiner Müller, W. G. Sebald, Esther Kinsky und Claude Simon werden die dezidiert literarischen Potenziale und Funktionen dieser…mehr

Produktbeschreibung
Seit der Moderne entdeckt die europäische Literatur das Triptychon als eigenständige literarische Form, deren Poetik das vorliegende Buch erstmals skizziert. Während das dreiteilige Format in der bildenden Kunst bereits im Mittelalter bekannt ist, wird es seit dem 19. Jahrhundert in einer transmedialen Bewegung aus seinem ursprünglich religiösen Kontext gelöst und säkular umgedeutet. In ausführlichen Analysen dramatischer und Prosatexte von Max Frisch, Tankred Dorst, Heiner Müller, W. G. Sebald, Esther Kinsky und Claude Simon werden die dezidiert literarischen Potenziale und Funktionen dieser Form herausgearbeitet. So werden herkömmliche Dramen- und Erzählmuster über die triptychiale Anordnung herausgefordert und neu imaginiert. Ein besonderer Fokus der Studie liegt auf den zahlreichen Bezügen zwischen visueller Kultur und Literatur sowie auf der spezifischen Materialität der Texte, denen sich nicht zuletzt über Bildmaterial, Manuskripte und graphische Vorarbeiten zugewandt wird.
Autorenporträt
Sophie König ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachgebiet Neuere Deutsche Literatur an der Freien Universität Berlin. Nach dem Studium der Germanistik, Europäischen Literaturen und Politikwissenschaft in Berlin und Oxford sowie einem Aufenthalt am Deutschen Forum für Kunstgeschichte Paris wurde sie an der Universität Hamburg mit einer Arbeit zum Triptychon als literarische Form promoviert.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Niklas Maak applaudiert Sophie König dafür, der "eng durchackerten" Literaturtheorie mit ihrem Buch tatsächlich eine neue Perspektive hinzuzufügen. Und zwar geht es um das Triptychon in der Literatur; nicht als Gegenstand des Erzählens, sondern als erzählerisches Verfahren. Wie die Literaturwissenschaftlerin ausgehend von Beispielen vor allem der modernen Literatur (zum Besipiel Virginia Woolfs "To the Lighthouse", Claude Simons "Triptyque" oder Sebalds Prosagedicht "Nach der Natur") eine regelrechte Veränderung des Denkens auffaltet, die sich so aus der Malerei in die Literatur hinübertrug - nämlich weg von Linearität, Kohärenz und Determiniertheit hin zu Gleichzeitigkeit, Faltung und nicht-kausalem Zusammenhang -, empfindet der Kritiker als höchst bereichernd und originell. Das "emanzipatorische" Potenzial des Triptychons so herauszuarbeiten, hält er für die grüßte Leistung des Buchs. Auch andere Aspekte von Königs Ausführungen etwa zum Verhältnis von Sakralem und Profanem in dieser Form findet Maak erhellend. Ein Geschenk Literatur und Literaturtheorie, schließt er.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.09.2023

Der Zauber der Drei

Wenn der Vater jünger ist als der Sohn: Sophie König untersucht das Triptychon in der Literatur und eröffnet einen neuen Blick auf das moderne Erzählen.

Als Rainer Maria Rilke 1918 die achtundzwanzigjährige Schriftstellerin Claire Aischmann kennenlernt, bringt er ihr ein Geschenk mit: eine kleine russische Klapp-Ikone, die sich heute im Marbacher Literaturarchiv befindet. Aischmann, die kurz nach der Affäre mit Rilke den Dichter Yvan Goll heiratete, bewahrte das Kunstwerk auf und notierte auf der Rückseite: "Tryptique, cadeau de Rilke après la 1ère nuit (1918)" - also "Geschenk von Rilke nach der ersten Nacht".

Dass Rilke mit Triptychen durch die Gegend lief und sich für sie interessierte, ist kein Zufall, wenn man der Literaturwissenschaftlerin Sophie König glaubt. Ihre Arbeit "Das literarische Triptychon - Poetik einer transmedialen Form von der Moderne bis in die Gegenwart" handelt vom Interesse moderner Schriftsteller am Triptychon als Objekt und als Erzählform und gehört zum Interessantesten, was in der aktuellen deutschen Literaturwissenschaft zu lesen ist.

Wenn jemand heute von einem Triptychon spricht, denkt man dabei an ein Kunstwerk - vor allem an die mittelalterlichen dreiteiligen Wandelaltare, die, je nachdem, wie man ihre Flügel aufstellt, verschiedene, meist biblische Szenen zeigen. Zu den berühmten Triptychen gehört der Isenheimer Altar, der über nicht weniger als drei Schauseiten verfügt und den der Künstler Matthias Grünewald in den Jahren von 1512 bis 1516 schuf. Nur: Damals sprach noch niemand von einem Triptychon.

Noch im frühen neunzehnten Jahrhundert bezeichnete der Begriff Schreibtafeln oder ein dreiteiliges Blatt, war also der literarischen Produktion näher als der malerischen. Dass wir heute mit dem Begriff vor allem Malerei assoziieren, liegt an einem stark gewachsenen Interesse der bildenden Künstler des ausgehenden neunzehnten und beginnenden zwanzigsten Jahrhunderts am Triptychon, das in deutschen Lexika erst von 1889 an "ein aus drei Teilen (Mittelbild und Flügelbildern) bestehenden Altargemälde" bezeichnet. Die moderne Kunst hat dann ihre eigenen Triptychen hervorgebracht, die freilich keiner Liturgie mehr folgen, sondern neue Formen des parallelen und simultanen Erzählens ausprobieren wollen - von Otto Dix' "Krieg" über Max Beckmanns "Argonauten" bis zu Francis Bacons "Three Studies for a Crucifixion".

Doch auch die Schriftsteller des zwanzigsten Jahrhunderts interessierten sich für das Format des Triptychons. Hier setzt die Untersuchung der Literaturwissenschaftlerin König an. Sie interessiert sich für die "transmediale Konjunktur einer latenten Form", also für das Auftauchen der Form des Triptychons in der Literatur. Tatsächlich haben viele zeitgenössische Schriftsteller literarische Triptychen geschrieben - darunter Heiner Müller, Max Frisch und Tankred Dorst, W. G. Sebald und Claude Simon, jüngst auch Esther Kinsky.

Diesen Werken widmet sich König und schafft etwas, was wenigen Literaturwissenschaftlern gelingt, nämlich auf dem eng durchackerten Feld der Erzähltheorie einen wirklich neuen Zugang zur modernen Literatur zu eröffnen. Was hat es mit dem triptychalen Erzählen auf sich?

König unterscheidet dabei jene Erzählungen, die wie Triptychen aufgebaut sind, von denen, die lediglich von Triptychen handeln, so Claire Golls "messianischer Frühling" von 1918, in dem ein Schwerverwundeter sterbend von einem Triptychon spricht. Schon bei Goll seien aber die Potentiale erkennbar, die "diese Form für die Künste der Moderne so attraktiv werden lässt. Hierzu gehört die Spannung zwischen ihrer latenten Sakralität und der wirkungsvollen Inszenierung weltlicher Inhalte." König findet dieses Spannungsfeld auch in dem Triptychon, das Rilke Goll schenkte und das diese zur Erinnerung beschriftete. In Golls "beinah performativen Überschreibung des religiösen Gegenstands mit der so persönlichen wie diesseitigen Erinnerung an die erste Liebesnacht mit Rilke", schreibt König, "lässt sich mit einem Augenzwinkern ebenjene Aneignung der sakralen Form entdecken, die sich auch in der Erzählung spiegelt. Hier wird die Erinnerung sakralisiert, das heilige Objekt wiederum profanisiert."

Im Buch gibt es viele Beispiele für literarische Triptychen, von Virginia Woolfs "To the Lighthouse" über Claude Simons "Triptyque" bis hin zu Sebalds 1988 veröffentlichtem Prosagedicht "Nach der Natur", anhand dessen König überzeugend die Idee eines "Denkens in Scharnieren" aufgezeigt, "die drei disparate Teile so miteinander in Beziehung setzen, dass in ihrer gegenseitigen Reflexion neue Bedeutungsebenen und Lesarten entstehen". Was das "triptychale Erzählen" als Strategie bedeutet, und wie es Weltdarstellung und -wahrnehmung verändert, das zeigt König eindrucksvoll am Beispiel von Max Frischs "Triptychon - Drei szenische Bilder" von 1978.

König identifiziert drei "Formpotentiale" des Triptychons: "die betonte Mitte, das Verbindungsmuster der Scharniere sowie die Darstellung von drei Teilen in einem simultanen Nebeneinander". Es biete, so Königs These, "alternative Verknüpfungsmuster" jenseits von "Kausalität, Kohärenz oder Chronologie": "Als literarische Form bietet das Triptychon ein Modell, um aus dem Modus des Erzählens oder gar Erklärens herauszukommen und über das spezifische Verhältnis von den einzelnen Teilen zum Ganzen stattdessen Reflexionsprozesse in Gang zu setzen, die ein Denken und Lesen einfordern, das Verbindungen zwischen den drei Texten selbst konstruiert." Was das Parallel-Sehen, die Überlagerung von Bildern, ihre tiefenräumliche Faltbarkeit für das Erzählen bedeuten kann, brachte bereits Deleuze anhand der Wandelaltäre auf den Punkt: Beim Triptychon müsse es "einen Bezug zwischen den getrennten Teilen geben, dieser Bezug aber darf weder logisch noch narrativ sein".

Max Frischs Drama "Triptychon" erzählt in drei Kapiteln von dem im Alter von siebzig Jahren verstorbenen Antiquar Matthis Proll, der im ersten Bild als Toter seine eigene Trauerfeier beobachtet. Im zweiten Bild trifft er im Hades alle ihm wichtigen Menschen wieder - darunter seinen Vater, der schon mit 41 starb und jetzt deutlich jünger als sein Sohn ist, was das Zeitkontinuum der Erzählung schon einmal aushebelt. Im dritten Bild taucht ein Paar auf, dass sich auf Prolls Trauerfeier kennengelernt hatte. "In der Logik des Triptychons als Gegenstand mit klappbaren Flügeln", so König, "könnte man seine Doppelpräsenz damit erklären, dass das Triptychon nicht nur über seine Scharniere eine Beziehung zwischen Seiten und Mitte herstellt, sondern sich beim Zuklappen auch die Seitentafeln über die Mitte legen und diese berühren."

Der Wandelaltar erzählt nicht wie ein klassischer Comic Bild für Bild eine chronologische Geschichte: Er stellt gleichwertige Einzelbilder nebeneinander, faltet sie übereinander und in immer neuen Sinnzusammenhängen auseinander - so wie es die Kubisten auf andere Weise auch taten. Auf das Erzählen übertragen, bedeutet dies, wenn man König folgt, nicht weniger als die Auflösung einer homogenen Idee von sukzessiver kausaler Geschichte in möglichen Geschichten - und eine grundlegende Befreiung von einem linear-deterministischen Menschenbild. Die Erzählung wird in simultane Fragmente zerlegt - so, als faltete man die Einzelbilder eines Wandelaltars immer neu übereinander, sodass sich für jeden Leser oder Zuschauer immer neue Deutungsebenen und Sichtweisen ergeben.

König zeigt, wie diese Befreiung des Erzählens aus der Übernahme des Triptychons in die Literatur möglich wurde (und erklärt damit das Interesse moderner Schriftsteller an ihm). Man kann ihre Arbeit aber auch als methodologische Studie zur Frage lesen, wie sich eine Disziplin im Rückgriff auf die Formen einer anderen aus scheinbar unüberwindlichen Denkeinengungen befreit.

So ist die eigentliche Leistung dieses Buchs, das Triptychon als emanzipatorische Denkform zu präsentieren. Am Ende ist nicht nur die Literaturtheorie, sondern auch die Literatur selbst mit Königs Arbeit um ein bedeutendes Werkzeug reicher. NIKLAS MAAK

Sophie König: "Das literarische Triptychon". Poetik einer transmedialen Form von der Moderne bis in die Gegenwart.

Brill / Fink, Paderborn 2023. 387 S., Abb., geb., 79,- Euro.

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