Kaum ein anderer deutscher Schriftsteller hat in der Literatur und Gesellschaft der Bundesrepublik eine solche Wirkung gehabt wie Heinrich Böll, der am 21. Dezember 1997 achtzig Jahre alt geworden wäre. Seine Erzählungen sind Schullektüre, die wissenschaftliche Erforschungseines umfangreichen Werkes wächst ständig. Bernd Balzer stellt ein unentbehrliches Arbeitsinstrument bereit, das übersichtlich geordnete Informationen zu allen Romanen, Erzählungen, Hörspielen, Satiren und Gedichten bietet: Entstehungsgeschichte, Wort- und Sacherklärungen, Aspekte der Interpretation, Rezeption, Positionen der Forschung.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.12.1997Herz im Schatten
Pünktlich: Eine Einführung und Kommentare zu Heinrich Bölls Werken
Am vergangenen Sonntag, dem 21. Dezember, wäre Heinrich Böll achtzig Jahre alt geworden. In den zwölf Jahren, die seit seinem Tod vergangen sind, hat sich das Land, dessen gewichtigste mahnende Stimme Böll war, in ein anderes, größeres verwandelt, und immer mal wieder hört man klagen, daß es heute gerade der mahnenden Stimme Bölls bedürfe.
Diese heute angeblich vermißte, im Grunde moralische Autorität, die er nie in Anspruch genommen hat, sondern die ihm zugemessen wurde, hat sich Böll mit der sozialen Authentizität seines frühen erzählerischen Werks erschrieben. Ihre unbefangene Selbstverständlichkeit war geformt von religiös geprägter mitmenschlicher Teilnahme und von rheinischem Naturell und berührte jeden, der mit ihm zu tun hatte.
Rechtzeitig zum achtzigsten Geburtstag von Heinrich Böll hat der Deutsche Taschenbuch Verlag, der nahezu das gesamte Werk des Schriftstellers in seinem Programm hat, einen über vierhundert Seiten starken Band veröffentlicht, in dem Bernd Balzer, Germanist und Kenner von Bölls Schaffen, ausschließlich ins literarische Werk Bölls einführt: vom ersten Buch "Der Zug war pünktlich" (1949) bis zum letzten Roman "Frauen vor Flußlandschaft", der kurz vor Bölls Tod im Jahr 1985 erschienen ist.
Der Band ist offensichtlich auf die bei dtv publizierten Böll-Bücher zugeschnitten, denn Balzer zitiert ausschließlich aus ihnen - ein Verfahren, das auf Schullektüren zielt und dem Werk Bölls neue Leser gewinnen soll. Allzuweit scheint die Zeit, über die Böll geschrieben hat, der gegenwärtigen Erinnerung bereits entrückt, und den nachwachsenden Lesern ist die Böll-Lektüre längst nicht mehr so vertraut wie den Schülern der sechziger Jahre und den Post-Achtundsechzigern in den heißen siebziger Jahren, die von der "Katharina Blum" "mitten ins Herz" getroffen wurden, wie Marcel Reich-Ranicki in dieser Zeitung geschrieben hat (F.A.Z. vom 24. August 1974).
Seit Heinrich Böll 1972 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, stand seine literarische Leistung freilich im Schatten seiner öffentlichkeitswirksameren politisch-moralischen Statur. Dem will Balzer abhelfen mit seinem Buch, das sich von einer "auf den literarischen Charakter konzentrierten neuen Lektüre" Überraschungen verspricht. Er vermutet in Böll gar einen Vertreter des "Formalismus", weil der Schriftsteller 1974 geschrieben hatte, "im Bereich der Literatur" (Balzer) sei "der Transport des Fortschritts . . . immer auf höchster formaler Ebene erfolgt" (Böll).
Solche hinter aktuelle Fragestellungen schon wieder zurückfallende Vermutung Balzers scheint eher Wunsch zu sein als eine zu erwartende Erkenntnis. Immerhin liefert der Band dem Deutschunterricht, sofern dort Böll noch (oder wieder) gelesen wird, viel philologisches Material, Wort- und Sacherklärungen und ausführliche Kommentare zu den unterschiedlichsten Aspekten von Bölls Werken. HEINZ LUDWIG ARNOLD
Bernd Balzer: "Das literarische Werk Heinrich Bölls". Einführung und Kommentare. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1997. 416 S., br., 29,90 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Pünktlich: Eine Einführung und Kommentare zu Heinrich Bölls Werken
Am vergangenen Sonntag, dem 21. Dezember, wäre Heinrich Böll achtzig Jahre alt geworden. In den zwölf Jahren, die seit seinem Tod vergangen sind, hat sich das Land, dessen gewichtigste mahnende Stimme Böll war, in ein anderes, größeres verwandelt, und immer mal wieder hört man klagen, daß es heute gerade der mahnenden Stimme Bölls bedürfe.
Diese heute angeblich vermißte, im Grunde moralische Autorität, die er nie in Anspruch genommen hat, sondern die ihm zugemessen wurde, hat sich Böll mit der sozialen Authentizität seines frühen erzählerischen Werks erschrieben. Ihre unbefangene Selbstverständlichkeit war geformt von religiös geprägter mitmenschlicher Teilnahme und von rheinischem Naturell und berührte jeden, der mit ihm zu tun hatte.
Rechtzeitig zum achtzigsten Geburtstag von Heinrich Böll hat der Deutsche Taschenbuch Verlag, der nahezu das gesamte Werk des Schriftstellers in seinem Programm hat, einen über vierhundert Seiten starken Band veröffentlicht, in dem Bernd Balzer, Germanist und Kenner von Bölls Schaffen, ausschließlich ins literarische Werk Bölls einführt: vom ersten Buch "Der Zug war pünktlich" (1949) bis zum letzten Roman "Frauen vor Flußlandschaft", der kurz vor Bölls Tod im Jahr 1985 erschienen ist.
Der Band ist offensichtlich auf die bei dtv publizierten Böll-Bücher zugeschnitten, denn Balzer zitiert ausschließlich aus ihnen - ein Verfahren, das auf Schullektüren zielt und dem Werk Bölls neue Leser gewinnen soll. Allzuweit scheint die Zeit, über die Böll geschrieben hat, der gegenwärtigen Erinnerung bereits entrückt, und den nachwachsenden Lesern ist die Böll-Lektüre längst nicht mehr so vertraut wie den Schülern der sechziger Jahre und den Post-Achtundsechzigern in den heißen siebziger Jahren, die von der "Katharina Blum" "mitten ins Herz" getroffen wurden, wie Marcel Reich-Ranicki in dieser Zeitung geschrieben hat (F.A.Z. vom 24. August 1974).
Seit Heinrich Böll 1972 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, stand seine literarische Leistung freilich im Schatten seiner öffentlichkeitswirksameren politisch-moralischen Statur. Dem will Balzer abhelfen mit seinem Buch, das sich von einer "auf den literarischen Charakter konzentrierten neuen Lektüre" Überraschungen verspricht. Er vermutet in Böll gar einen Vertreter des "Formalismus", weil der Schriftsteller 1974 geschrieben hatte, "im Bereich der Literatur" (Balzer) sei "der Transport des Fortschritts . . . immer auf höchster formaler Ebene erfolgt" (Böll).
Solche hinter aktuelle Fragestellungen schon wieder zurückfallende Vermutung Balzers scheint eher Wunsch zu sein als eine zu erwartende Erkenntnis. Immerhin liefert der Band dem Deutschunterricht, sofern dort Böll noch (oder wieder) gelesen wird, viel philologisches Material, Wort- und Sacherklärungen und ausführliche Kommentare zu den unterschiedlichsten Aspekten von Bölls Werken. HEINZ LUDWIG ARNOLD
Bernd Balzer: "Das literarische Werk Heinrich Bölls". Einführung und Kommentare. Deutscher Taschenbuch Verlag, München 1997. 416 S., br., 29,90 DM.
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