29,00 €
inkl. MwSt.
Versandkostenfrei*
Versandfertig in 6-10 Tagen
  • Broschiertes Buch

Es gibt eine Erinnerung, die Paul Binnerts von seinem Vater geblieben ist. Die Erinnerung an ein Kästchen - darin der »gelbe Stern«, der auf seiner Frau, Pauls Mutter, lastete. Aber nach dem Tod des Vaters verschwand, was sich dem Sohn eingeprägt hat, als wäre es eine Täuschung. Da gelangt ein grüner Ordner in seinen Besitz: Was sich darin findet, spiegelt Erfahrungen seiner Eltern. Und wirft Fragen auf. Die Antworten auf sie sucht Paul Binnerts ... und findet den Roman seines Vorlebens und seiner ersten Lebensjahre. Langsam füllen sich die Leerstellen, und er erzählt die Geschichte, die es…mehr

Produktbeschreibung
Es gibt eine Erinnerung, die Paul Binnerts von seinem Vater geblieben ist. Die Erinnerung an ein Kästchen - darin der »gelbe Stern«, der auf seiner Frau, Pauls Mutter, lastete. Aber nach dem Tod des Vaters verschwand, was sich dem Sohn eingeprägt hat, als wäre es eine Täuschung. Da gelangt ein grüner Ordner in seinen Besitz: Was sich darin findet, spiegelt Erfahrungen seiner Eltern. Und wirft Fragen auf. Die Antworten auf sie sucht Paul Binnerts ... und findet den Roman seines Vorlebens und seiner ersten Lebensjahre. Langsam füllen sich die Leerstellen, und er erzählt die Geschichte, die es war oder nicht war, aber die es hätte sein können. Es ist die Geschichte des jungen Bert Meijer van Leer und der Seinen. Es ist die Geschichte seines Motorrads, einer funkelnagelneuen Zünddapp 600, deutsches Fabrikat. Und es ist die Geschichte, die ab dem 10. Mai 1940 mit der deutschen Wehrmacht über Den Haag und die Niederlande hereinbricht wie aus heiterem Himmel. Die deutschen Besatzer errichten ein Lügenlabyrinth, mit dem sie immerzu täuschen. Und Bert lernt blitzschnell das gefährliche Spiel mit der Unwahrheit. Die Deutschen, die nicht ahnen, daß er Jude ist, halten ihn auf der Jagd nach Kunstschätzen für einen gewitzten, geschäftstüchtigen Partner bei der Ausbeutung der Holländer. Und für viele Juden wird er wiederum zum Hoffnungsträger, ihr Hab und Gut, Leib und Leben retten zu können. Denn es wird bald zur Frage über Leben und Tod, wer man ist oder vielmehr: wie jüdisch man ist. Am Ende geht es nur noch um sie selbst - um Bert und seine nicht-jüdische Frau Lien, um seine Schwester Emmeke und den Schwager Joost, um deren kleines Kind, um ihre alte Mutter. Alle sehr verschieden, suchen sie nach Wegen, sich zu wehren und am Leben zu bleiben. Das Lügenlabyrinth ist eines ungewöhnlichsten Bücher, die je über die Schoah geschrieben wurden. Es ist Dokument einer Spurensuche des Verfassers und zugleich historische Chronik wie Fiktion. Eine Erfindung von höchster Wahrheit. Die gesicherte Familiengeschichte des Paul Binnerts und das Leben seiner Romanfiguren fließen ineinander, und entfalten einen Sog, ihr Schicksal zu erfahren.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.03.2023

Mord als Folge von Verordnungen und Verboten
"Lügenlabyrinth": Paul Binnerts erzählt von seiner jüdischen Familie in den deutsch besetzten Niederlanden

Hugo Claus wählte in seinem 1983 veröffentlichten Roman "Der Kummer von Flandern" die deutsche Besetzung Belgiens im Zweiten Weltkrieg als Thema. Paul Binnerts, der 1938 in Den Haag geboren wurde, unter anderem als Theaterregisseur in Deutschland gearbeitet hat, beschreibt in seinem Buch "Das Lügenlabyrinth" die nationalsozialistische Okkupation der Niederlande in der Zeit von 1940 bis 1945. Er bezieht sich dabei auf die Geschichte seiner Familie in Den Haag, und es geht ihm vor allem um das Schicksal der jüdischen Verwandtschaft mütterlicher Seite.

Obwohl das Buch vom Verlag als Roman bezeichnet wird, stellt es eine Mischform dar aus dokumentarischen und erfundenen Passagen. In den Text der Erzählung hat Binnerts in einer anderen Schriftart Kommentare gesetzt, mit denen er die tatsächlichen Ereignisse im Leben seiner Familie darlegt. So hat er die Eltern in der erzählerischen Ausgestaltung Joost und Emmeke genannt und ihren einzigen Sohn Bobbie; im realen Leben aber hießen sie Emmy und Joop und hatten zwei Kinder. Im Roman warten am Schluss die beiden Protagonisten im Lager Westerbork auf den Zug, der sie wahrscheinlich in ein Konzentrationslager in den Osten bringen wird; in Wirklichkeit haben Binnerts' Eltern den Zweiten Weltkrieg in Holland überlebt. Die Geschichte des niederländischen Schriftstellers erinnert an das Schicksal Günter Kunerts laut dessen autobiographischem Buch "Erwachsenenspiele". Auch Kunerts Eltern führten eine "Mischehe" im "Dritten Reich", die Mutter war jüdisch, der Vater war christlich, beide haben in Berlin den Krieg überstanden.

"Lange nach dem Tod meines Vaters hat mir mein Bruder einen grünen Ordner aus dessen Nachlass geschenkt. Die Mappe enthält Dokumente, die mit dem Krieg zu tun haben: Zeitungsausschnitte, offizielle Schreiben verschiedener Behörden, Telegramme, Formulare, Quittungen, handschriftliche Notizen und Zettel. Sie rufen Bilder von Ereignissen aus jener Zeit herauf: unauslöschliche Bilder, von echten oder aufgebauschten Geschichten untertitelt, Anekdoten und vage, unbestätigte Gerüchte", schreibt Binnerts am Anfang seines Buchs. Zentral in seiner literarischen Erzählung ist Bert, der Bruder von Emmeke. Diese Figur ist angelehnt an Binnerts' Onkel Arnold, über den nur wenig bekannt ist, der aber wie sein literarischer Stellvertreter im Lager Amersfoort an allgemeiner Schwäche gestorben ist. Binnerts dichtet ihm in der Erzählung ein deutsches Motorrad an, eine Zündapp, die er am 9. Mai 1940 kauft, dem Tag vor dem Einmarsch der Deutschen in die Niederlande. Mit diesem Fahrzeug erweist Bert einem deutschen Hauptmann einen Gefallen, der wiederum ihm mit einem Schreiben der Wehrmacht weiterhilft. Bert lagert wertvolle Gegenstände jüdischer Mitbürger ein, die das Land verlassen, zum Beispiel die Gemäldesammlung eines jüdischen Bankiers, der nach England flüchtet. Der Titel des Buchs, "Das Lügenlabyrinth", kann einerseits als Hinweis auf die verschlungenen Wege der Verwaltung verstanden werden, mit denen jüdische Niederländer während der deutschen Besetzung langsam ihrer Rechte beraubt wurden. Andererseits spielt der Ausdruck auf Berts Verhalten an, der mit den Deutschen kooperiert, gleichzeitig jedoch Widerstand leistet und sich in einem Netz aus Unwahrheiten verfängt.

Paul Binnerts versteht es, jene bittere Dramaturgie in literarische Worte zu fassen, welche die Juden vom 15. Mai 1940 an in den Niederlanden an den Rand der Gesellschaft treibt. Die Erzählung von Bert und seiner Frau Lien, von Emmeke und Joost, von den ins Exil gereisten Juden Goedeman und Dedemsvaart ist einfühlsam geschildert. Die Figuren werden nicht nur als Getriebene dargestellt, sondern auch als Produzenten ihres eigenen Lebens. Bert versucht, sein Schicksal als Unternehmer selbst zu gestalten, Joost wehrt sich gegen die immer neuen Beschränkungen gegen Juden. Authentisch wirkt das Buch vor allem, weil der Autor sich mit der Zeit beschäftigt und recherchiert hat. Die Vertreibung und Ermordung der Juden in den Niederlanden wird als eine Kette von Verwaltungsakten beschrieben, als Folge von Verordnungen und Verboten. Diese Ausführungen sind manchmal herausfordernd. Binnerts vollzieht die Wege der Behörden präzise nach; die Lektüre der Diskussionen über die Frage, wer jüdisch ist und welche Rolle der christliche Partner in einer Mischehe einnimmt, strengt an.

Paul Binnerts hat mit 83 Jahren dieses Buch über seine Familie veröffentlicht. Im Nachwort schreibt er: "Nicht, daß ich nicht genau wußte, was passiert war, hielt mich ab, ein Buch darüber zu schreiben, was sich in den Kriegsjahren in meinem Elternhaus in Den Haag abgespielt hatte, sondern hauptsächlich, daß wir es mit heiler Haut überlebt hatten. Dann darf man sich nicht beschweren. Es gab sechs Millionen Mal schlimmeres Leid."

In den eingestreuten Kommentaren werden ebenfalls die Schwierigkeiten deutlich, die Binnerts in seinem Leben hatte mit seinem Verhältnis zur Religion, er hatte keine Beziehung zum jüdischen Glauben. Zwar überlebte seine Mutter den Zweiten Weltkrieg mit "heiler Haut", allerdings ist sie 1947 an Krebs gestorben: "Statistisch gesehen gibt es keinen nachweisbaren Zusammenhang zwischen Krebs, Entbehrungen und Trauer. Pech eben, lassen wir es darauf beruhen." THOMAS COMBRINK

Paul Binnerts: "Das Lügenlabyrinth". Roman.

Aus dem Niederländischen von Ulrich Faure. Arco Verlag, Wuppertal 2022. 516 S., geb., 29,- Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Authentisch und einfühlsam schildert Paul Binnerts in seinem Buch das Schicksal jüdischer Personen in den Niederlanden während der nationalsozialistischen Okkupation, findet Rezensent Thomas Combrink. Das Buch wird vom Verlag als Roman herausgegeben, ist allerdings eher eine Mischung aus fiktionaler Erzählung und autobiografischen Versatzstücken, meint der Kritiker. Tatsächliche Ereignisse aus Binnerts Familiengeschichte wurden als Kommentare in die Erzählung eingefügt. Der Rezensent hebt die detaillierten Recherchen hervor, mit denen der Autor das Funktionieren des deutschen Verwaltungsapparats nachvollzieht und dessen verheerende Auswirkungen für die Bevölkerung schildert. Diese sind manchmal anstrengend zu lesen, tragen aber zum hohen Grad an Authentizität der Schilderungen bei, stellt der Kritiker fest.

© Perlentaucher Medien GmbH